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Zustandekommen von Verträgen

Zustandekommen von Verträgen

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Zustandekommen von Verträgen

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Angebot
Annahme
Auslegung
Vertragsschluss im Internet
Dissens
Invitatio ad offerendum
§ 145 BGB
§ 130 BGB
§ 151 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 154 BGB
§ 242 BGB
§ 155 BGB
Gliederung
  • I. Vertragsschluss durch Angebot und Annahme

    • 1. Angebot/ Antrag, § 145 BGB

      • a) Abgrenzung zur Invitatio ad offerendum

      • b) Abgrenzung von Invitatio ad offerendum und offerta ad incertas personas

      • c) Bindung an das Angebot

      • d) Angebot unter Vorbehalt

    • 2. Annahme

      • a) Annahmefrist

        • aa) Annahme unter Anwesenden

        • bb) Annahme unter Abwesenden

      • b) Empfangsbedürftigkeit der Annahme

        • aa) § 151 BGB

        • bb) Aneignungs- oder Gebrauchshandlung

        • cc) § 152 BGB

      • c) Annahme nach § 150 BGB (Verspätete und abändernde Annahme)

        • aa) § 150 I BGB

        • bb) § 150 II BGB

      • d) Annahme nach § 154 II BGB

    • 3. Dissens

  • II. Vertragsschluss durch sozialtypisches Verhalten

    • 1. Lehre vom sozialtypischen Verhalten

    • 2. Anwendung allgemeiner Grundsätze

    • 3. Widersprüchliches Verhalten des Adressaten

Die Privatautonomie räumt dem Einzelnen das Recht ein, seine privaten Lebensverhältnisse frei zu gestalten. Das umfasst die Fähigkeit, Verträge zu schließen (Abschlussfreiheit) und ihren Inhalt zu bestimmen (Gestaltungsfreiheit). 

I. Vertragsschluss durch Angebot und Annahme

Der Vertragsschluss setzt zwei übereinstimmende, spiegelbildlich deckungsgleiche Willenserklärungen, nämlich Antrag (oder auch: Angebot) und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB voraus. Der Inhalt dieser Erklärungen ist durch Auslegung zu ermitteln, siehe diesen Artikel.

1. Angebot/ Antrag, § 145 BGB

Zunächst ist also nach § 145 BGB das Vorliegen eines Angebots erforderlich. Die Annahme wird auch als Angebot bezeichnet. 

Definition

Ein Angebot im Sinne der §§ 145 ff. BGB ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle wesentlichen Vertragsbestandteile enthält (essentialia negotii) und so bestimmt oder bestimmbar ist, dass der andere Vertragsteil mit einem schlichten "Ja" den Vertrag zustande bringen kann.

Das Angebot ist auf einen Vertragsschluss gerichtet. Es muss die sogenannten essentialia negotii erkennen lassen. Diese umfassen den wesentlichen Vertragsinhalt in Gestalt des Vertragspartners, des Geschäftstyps und des Geschäftsgegenstandes. 

Die weiteren Einzelheiten des Vertrags können sich dann nach der Bestimmung einer Vertragspartei oder eines Dritten (§§ 315 - 319 BGB), nach gesetzlichen Vorschriften sowie Handelsbräuchen und der Verkehrssitte richten. 

a) Abgrenzung zur Invitatio ad offerendum

Da es sich bei dem Angebot im Sinne des § 145 BGB um eine Willenserklärung handelt, ist ein Rechtsbindungswille aufseiten des Antragenden erforderlich.

Eine Erklärung ohne Rechtsbindungswillen wird im Kontext der vertraglichen Einigung invitatio ad offerendum genannt. 

Definition

Durch die invitatio ad offerendum lädt der Erklärende lediglich zur Abgabe von Angeboten ein, ohne sich selbst rechtlich binden zu wollen. Es ist weder Angebot noch Willenserklärung.

Gründe, um eine derartige unverbindliche Erklärung abzugeben, können der Wille sein, den Vertragspartner selbst auszusuchen oder (gerade im Massengeschäft) Schadensersatzansprüche zu vermeiden. Diese können dadurch entstehen, dass man mehrere parallele Verträge abgeschlossen hat, die man nicht gleichzeitig erfüllen kann.

Ob ein gemäß § 145 BGB bindendes Angebot oder eine unverbindliche invitatio ad offerendum vorliegt, ist im Wege der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln. Ausschlaggebend ist hierbei, wie ein objektivierter Empfänger die Erklärung verstehen durfte.

Beispiel

  • Versand von Preislisten

  • Kataloge

  • Ausstellung im Schaufenster

  • Betrieb eines Onlineshops

  • Zeitungsinserate

b) Abgrenzung von Invitatio ad offerendum und offerta ad incertas personas

Die invitatio ad offerendum kann von der sogenannten offerta ad incertas personas abzugrenzen sein.

Definition

Die offerta ad incertas personas stellt ein verbindliches Angebot an die Allgemeinheit beziehungsweise an eine unbestimmte Person dar. Sie zeichnet sich durch einen Rechtsbindungswillen aus. 

Beispiel

  • Aufstellung eines Warenautomaten als verbindliches Angebot an diejenige Person, die den Automaten durch den Einwurf von Geld bedient

  • Zapfsäule

  • Selbstbedienungsladen

c) Bindung an das Angebot

Nach § 145 BGB ist der Antragende grundsätzlich an sein Angebot gebunden. Das Angebot ist nach § 130 I 2 BGB damit nur bis zum Zugang widerruflich (siehe hierzu auch den Artikel zum Widerruf).

Ausnahmsweise liegt jedoch keine Bindung vor, wenn diese ausgeschlossen wurde. Dies geschieht häufig durch gängige Klauseln wie „freibleibend“ oder „ohne Obligo“. Bei der Verwendung solcher Klauseln liegt in der Regel eine invitatio ad offerendum vor. 

Beispiel

Fall

Repetitor K bittet Händler H um ein Angebot bezüglich Whiteboards. 

H übersendet ihm sein Angebot mit folgender Klausel:
„Wir halten uns an dieses Angebot drei Monate gebunden. Selbstlieferung vorbehalten.“

Als K nach zwei Monaten drei Whiteboards bestellt, will H nichts mehr von dem Geschäft wissen. 

Variante 1 

Grund hierfür ist, dass man mit Repetitoren üble Erfahrungen gemacht habe.

Variante 2

Grund hierfür ist, dass die Whiteboardfabrik abgebrannt sei.

Hat K einen Anspruch auf Lieferung der Projektoren?

Lösung

K könnte gegen H einen Anspruch auf Lieferung der Whiteboards aus Kaufvertrag gemäß § 433 I 1 BGB haben. Dies setzt voraus, dass ein Kaufvertrag zwischen K und H zustande gekommen ist.

Ein Kaufvertrag kommt nach §§ 145 ff. BGB durch zwei übereinstimmende, spiegelbildlich deckungsgleiche Willenserklärungen, Angebot und Annahme zustande.

Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob das Angebot des H nur eine invitatio ad offerendum oder eine Willenserklärung mit Widerrufsvorbehalt ist. 

Bezieht sich die Freiklausel auf das Angebot im Ganzen, handelt es sich nur um eine invitatio ad offerendum. Bezieht sich die Freiklausel nicht auf das Angebot im Ganzen, wird nur die Bindungswirkung an den Antrag modifiziert. Es liegt dann ein Antrag mit Widerrufsvorbehalt vor.

Falls wie hier ein Antrag vorliegt, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Widerrufsvorbehalts gegeben sind. „Selbstlieferung vorbehalten“ bedeutet, dass H nicht zur Lieferung verpflichtet sein will, falls er selbst wegen Lieferengpässen oder anderweitigen unvorhersehbaren Ereignissen nicht beliefert wurde.

In Variante 2 kann H seine Willenserklärung widerrufen, in Variante 1 nicht. In Variante 2 besteht daher kein Anspruch auf Lieferung.

d) Angebot unter Vorbehalt

Bei Onlineauktionen kann das Angebot des Verkäufers aus objektiver Sicht jedoch unter dem Vorbehalt der berechtigten Angebotsrücknahme stehen. Ein solcher Vorbehalt verstößt nicht gegen die Grundsätze der Bindungswirkung von Angeboten nach §§ 145, 148 BGB, sondern ist zulässig. Dies ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss aus § 145 BGB, wonach der Antragende die Bindungswirkung seines Angebots ausschließen kann. Kann er die Bindungswirkung vollständig ausschließen, so muss er diese erst recht durch einen Rücknahmevorbehalt einschränken können.

Klausurtipp

Siehe hierzu auch den Artikel zum klausurrelevanten Problemkreis zum Vertragsschluss im Internet.

2. Annahme

Der Vertragsschluss erfordert neben dem Angebot eine weitere Willenserklärung, nämlich die Annahme.

Definition

Unter Annahme ist eine in Bezug auf das Angebot abgegebene, spiegelbildlich deckungsgleiche Willenserklärung zu verstehen, die das uneingeschränkte Einverständnis mit dem angetragenen Vertragsinhalt verdeutlicht. Kurz gesagt: Die Annahme ist ein schlichtes "Ja" des Empfängers.

Die Annahme kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, insbesondere durch Zahlung oder Absendung der Ware.

Die Bezeichnung der Erklärung, etwa als „Auftragsbestätigung“ ist unerheblich. Es ist stets durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Annahme vorliegt. 

a) Annahmefrist

aa) Annahme unter Anwesenden

Die Annahme unter Anwesenden ist in § 147 I BGB geregelt. Ein Angebot unter Anwesenden kann nur sofort angenommen werden. Hiermit ist eine Annahme innerhalb der Zeitspanne gemeint, die der Empfänger für das Durchdenken und Abwägen des Geschäfts benötigt. 

Nur bei einfachen und unbedeutenden Geschäften bedeutet dies „augenblicklich“.

bb) Annahme unter Abwesenden

Demgegenüber gilt bei der Annahme unter Abwesenden die Frist des § 147 II BGB. Sie kann nur bis zu dem Zeitpunkt erfolgen, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Diese Annahmefrist setzt sich zusammen aus der Zeitspanne für das Zugehen des Angebots, der Zeitspanne für die Überlegung und Beantwortung und der Zeitspanne für das Zuleiten der Antwort. Der Antragende darf erwarten, dass sich der Antragsempfänger für die Überlegung und Beantwortung des Angebots nur so viel Zeit nimmt, wie er selbst benötigt hat und dass die Zuleitung der Antwort auf ähnlichem Wege wie das Angebot erfolgt. 

b) Empfangsbedürftigkeit der Annahme

In der Regel erfolgt die Annahme durch empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Annahmeerklärung wird also erst mit Zugang beim Empfänger wirksam. 

Eine Ausnahme hiervon ordnen jedoch die §§ 151, 152 BGB an. Beide Normen verzichten auf den Zugang, nicht aber auf die (zumindest konkludente) Abgabe der Annahmeerklärung. Für letztere ist erforderlich, dass der Annahmewille erkennbar nach außen hervortritt. 

aa) § 151 BGB

Ohne den Zugang der Annahmeerklärung kommt ein Vertrag nach § 151 BGB nur dann zustande, wenn eine Annahmeerklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist (§ 151 S. 1 Var. 1 BGB) oder der Antragende auf sie verzichtet hat (§ 151 S. 1 Var. 2 BGB).

Der Zweck des § 151 BGB ist, den Vertragsschluss zu vereinfachen, in Fällen, in denen keine Schutzwürdigkeit besteht - eben da keine Erklärung zu erwarten ist oder auf ihre Abgabe verzichtet wurde. Dies wird zumeist der Fall sein, wenn der Vertragsschluss Vorteile für die nichterklärende Person bietet.

Die Annahme kann durch Erfüllungshandlungen erfolgen, wenn der Antragsempfänger seinen Willen, das Angebot anzunehmen, betätigt, indem er mit der Erbringung der vertraglich vorgesehenen Leistungen beginnt. 

Beispiel

Beginn der Ausführung einer Bestellung im Versandhandel

Käme der Vertrag erst mit Zugang der Ware zustande, wäre ein Gefahrübergang ausgeschlossen, weil § 447 BGB einen wirksamen Kaufvertrag voraussetzt. 

bb) Aneignungs- oder Gebrauchshandlung

Die Annahme kann auch durch Aneignungs- oder Gebrauchshandlungen erklärt werden. 

Beispiel

Der Empfänger einer Ansichtssendung nimmt die Ware in Gebrauch oder veräußert sie an Dritte.

Bei einer solchen Annahme ist jedoch zu berücksichtigen, dass mangels Annahmewillens keine Annahme vorliegt, wenn der Antragsempfänger die Sache für eine eigene hält.

Problem

Aneignung/ Ingebrauchnahme unbestellter Waren und Leistungen

Die Annahme durch Aneignung oder Ingebrauchnahme kann Probleme bereiten, wenn die Waren oder Leistungen unbestellt waren. 

In der Regel ist die Zusendung unbestellter Waren ein konkludenter Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags und für den Fall der Annahme des Verkaufsantrags auf Übereignung der Ware unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung (§ 449 I BGB).

Will der Empfänger von dem Geschäft nichts wissen, ist er zur Ablehnung nicht verpflichtet. Der Antrag erlischt dann nach § 146 Var. 2 BGB aufgrund fehlender rechtzeitiger Annahme. 

Ohne die Annahme des Antrags kommt ein Kaufvertrag nicht zustande. Allerdings kann die Ingebrauchnahme oder Weiterveräußerung der Sache als konkludente Annahme interpretiert werden, auf deren Zugang der Versender nach § 151 S. 1 Var. 2 BGB „großzügig“ verzichtet.

An dieser Stelle ist die Vorschrift des § 241a I BGB zu berücksichtigen. 

Durch die Lieferung beweglicher Sachen wird ein Anspruch gegen einen Verbraucher nicht begründet, wenn der Verbraucher die Waren nicht bestellt hat. 

Das Gesetz schließt nicht aus, die Ingebrauchnahme unbestellt gelieferter Sachen als konkludente Annahme zu werten. Klarheit verschafft jedoch Art. 27 S. 2 VRRL, dessen Umsetzung die Vorschrift des § 241a BGB dient. Die Verbraucherrechterichtlinie sieht vor, dass das Ausbleiben einer Antwort des Verbrauchers auf eine solche unbestellte Lieferung nicht als Zustimmung gilt.
Damit führt eine richtlinienkonforme Auslegung des § 241a BGB zu dem Ergebnis, dass die Ingebrauchnahme unbestellt gelieferter Sachen nicht als konkludente Annahme gewertet werden darf. 

 

cc) § 152 BGB

Nach § 152 BGB ist der Zugang der Annahmeerklärung bei einer Sukzessivbeurkundung entbehrlich. Eine solche liegt vor, wenn die Vertragsparteien nicht beide gleichzeitig beim Notar anwesend sind. 

Merke

Nach §§ 151 f. BGB ist nicht die Annahme als solche entbehrlich! Die Annahme muss jedenfalls konkludent erklärt werden, lediglich ihr Zugang ist nicht erforderlich!

c) Annahme nach § 150 BGB (Verspätete und abändernde Annahme)

aa) § 150 I BGB

Gemäß § 150 I BGB gilt eine verspätete Annahme als neues Angebot. Ob eine Annahme verspätet ist, hängt davon ab, ob die Fristen der §§ 147, 148 BGB eingehalten wurden. 

Nach § 147 II BGB kann das Angebot nur solange angenommen werden, wie die Annahme unter regelmäßigen Umständen erwartet werden darf. § 148 BGB räumt den Parteien die Möglichkeit ein, selbst eine Annahmefrist zu bestimmen. Diese hat dann Vorrang vor der Frist des § 147 II BGB.

bb) § 150 II BGB

Der Empfänger eines Angebots kann den Willen äußern, dieses nur unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen anzunehmen. 

Eine solche Annahme gilt nach § 150 II BGB als Ablehnung des Angebots. Dieses erlischt infolge der Ablehnung gemäß § 146 Var. 1 BGB. Es kann nicht mehr angenommen werden.

Gleichzeitig ist die Erklärung nach § 150 II BGB als neues Angebot zu werten, das wiederum angenommen werden muss. 

Gesetzesverweis

Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir den § 146 Var. 1 BGB neben den § 150 II BGB kommentieren, um das Erlöschen des Antrags normativ einordnen zu können.

Beispiel

V und K verhandeln über den Kauf eines Pkw. K bietet in einem Schreiben 8.000 €, V antwortet ihm, dass er den Pkw nur für 10.000 € verkaufe. Der Antrag des K ist nach § 150 II BGB abgelehnt und damit nach § 146 Var. 1 BGB erloschen. Gleichzeitig gilt die „modifizierte Annahme“ nach § 150 II BGB als neuer Antrag. Schweigen hierauf ist keine Annahme. Allerdings kann der Zugang der Annahmeerklärung nach § 151 BGB entbehrlich sein. 

Problem

Kollidierende Änderungen 

Ein Problem im Zusammenhang mit § 150 BGB stellen kollidierende Änderungen dar. Sie werden auch als Kreuzofferten bezeichnet. 

Beispiel

V und K verhandeln über den Kaufpreis eines Pkw. K bietet 8.000 €, V will 10.000 €. Eine Einigung kommt nicht zustande. Am folgenden Tag schreibt V an K: „Letztes Angebot: Verkaufe den Wagen zu 9.000 €“ und K an V: „Würde für das Auto auch 9.000 € zahlen.“ Die sich kreuzenden Briefe gehen den Adressaten am Folgetag mit der Post zu. 

Streitstand

  • Es handelt sich um zwei wechselseitige Angebote mit übereinstimmendem Inhalt. 

  • Nach der Theorie der materiellen Konsensbildung (herrschende Meinung) kommt ein Vertrag zustande. Entscheidend ist der übereinstimmende Parteiwille. Für die materielle Konsenstheorie spricht, dass sie den Parteiinteressen Rechnung trägt. Die Parteien wollen sich beide rechtlich binden. Da ihre Angebote deckungsgleich sind, käme einer Annahme in diesem Fall nur eine deklaratorische Bedeutung zu. Außerdem wird auf diese Weise die Gefahr von Doppelverträgen durch sich kreuzende Annahmen ausgeschlossen.

d) Annahme nach § 154 II BGB

Ist eine Beurkundung im Sinne des § 126 BGB eines beabsichtigten Vertrags verabredet worden, so kommt der Vertrag nicht schon dadurch zustande, dass die Parteien alle regelungsbedürftigen Punkte geregelt haben.

Vielmehr ist gemäß § 154 II BGB im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, bis die Beurkundung erfolgt ist. 

Diese materielle Auslegungsregel soll sicherstellen, dass die Parteien erst rechtlich gebunden sind, wenn die Beurkundung erfolgt ist. 

3. Dissens

Wenn sich Angebot und Annahme nicht decken, liegt keine Einigung, sondern der sogenannte Dissens vor - finde dazu mehr in diesem Artikel.

II. Vertragsschluss durch sozialtypisches Verhalten

Grundsätzlich entsteht ein Vertragsschluss durch das Aufeinandertreffen zweier korrespondierender Willenserklärungen.

In manchen Konstellationen stellt sich jedoch die Frage, ob es praktikabel ist, für einen Vertragsschluss die Abgabe von zwei Willenserklärungen zu verlangen. So würde dies beispielsweise beim Befahren eines großen Parkhauses oder in öffentlichen Verkehrsmitteln die Beteiligten vor große Schwierigkeiten stellen. Wie soll sich etwa die Deutsche Bahn mit allen zusteigenden Gästen einzeln und zur gleichen Zeit auf einen Vertrag einigen? Um wechselseitige Leistungspflichten zu begründen, ist ein Vertragsschluss jedoch erforderlich. Fraglich ist, worin man diesen Vertragsschluss sieht.

1. Lehre vom sozialtypischen Verhalten

Nach der Lehre vom sozialtypischen Verhalten kann sich ein Vertragsschluss auch aus sozialtypischem Verhalten ergeben, ohne dass er hierzu einer Einigung nach §§ 145 ff. BGB bedarf.

Diese Lehre wurde entwickelt, um infolge der Inanspruchnahme öffentlich angebotener Leistungen, wie der öffentlichen Verkehrsmitteln, einen vertraglichen Anspruch auf die Errichtung des Entgelts zu begründen, obwohl es an einer Willenserklärung fehlt oder diese infolge von Geschäftsunfähigkeit gemäß § 105 I BGB nichtig ist. Der BGH folgte dieser Lehre im Hamburger Parkplatzfall, in dem eine Autofahrerin ihr KfZ auf einem gebührenpflichtigen, überwachten Parkplatz abstellte und von vornherein die Zahlung des Entgelts verweigerte, weil sie keine Überwachung ihres Fahrzeugs wollte. Der BGH bejahte die Begründung einer Pflicht zur Entrichtung des Entgelts, allein aufgrund der Inanspruchnahme der Leistung (BGH NJW 1956, 1475, 1476).

Gegen die Lehre vom sozialtypischen Verhalten spricht jedoch, dass diese den Grundsatz der Privatautonomie missachtet. Auch lässt sie sich nicht aus dem Gesetz herleiten, welches in §§ 145 ff. BGB die Anforderungen an den Vertragsschluss ausdrücklich normiert und die Abgabe von Willenserklärungen vorschreibt. Auch wird der Minderjährigenschutz missachtet, da Minderjährige - die bei der Abgabe von Willenserklärungen durch die §§ 105 ff. BGB geschützt würden - ohne weiteres für sie schädliche Verträge abschließen können.

2. Anwendung allgemeiner Grundsätze

Fraglich ist, ob in solchen Fällen überhaupt eine besondere Lehre zur Anwendung kommen muss oder ob sich ein Vertragsschluss nicht auch auf klassische Weise, nämlich durch Einigung nach §§ 145 ff. BGB konstruieren lässt.

Um beim Beispiel des Parkplatzes zu bleiben: Die Bereitstellung des Parkplatzes unter Aushang der Entgeltpflicht durch den Betreiber ist als Realofferte, also als eine konkludent abgegebene Willenserklärung, einzuordnen. Diese richtet sich auf den Abschluss eines Mietvertrags über die genutzte Parkfläche inklusive der Überwachung des geparkten KfZ.

Definition

Unter einer Realofferte ist das Bereithalten von Leistungen durch einen Anbieter auf Abruf, in einer Weise, dass durch Inanspruchnahme der Leistung (= konkludentes Verhalten) ein Vertrag zustande kommt, zu verstehen.

Weitere Konstellationen, in denen Realofferten abgegeben werden, sind etwa Verträge mit Energieversorgungsunternehmen (Strom, Wasser, Gas). Diese stellen Mietern eines Hauses Leistungen zur Verfügung und geben dadurch ein Angebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ab.

Eine Realofferte ist folglich ein Angebot an die Allgemeinheit, das konkludent angenommen werden kann. Der Zugang dieser Annahme ist dabei gemäß § 151 S. 1 BGB entbehrlich (BGH NJW 2020, 755).

3. Widersprüchliches Verhalten des Adressaten

Regelmäßig bereitet jedoch widersprüchliches Verhalten des Adressaten der Realofferte in Examensklausuren Probleme. Wie ist es zu beurteilen, wenn der Adressat die Leistung in Anspruch nimmt, gleichzeitig jedoch ausdrücklich erklärt, er wolle das Vertragsangebot in Form der Realofferte nicht annehmen? Problematisch ist diese Fallgruppe, weil eine ausdrückliche Erklärung einer konkludenten Erklärung grundsätzlich vorgeht. 

Einerseits könnte man darauf abstellen, dass widersprüchlichem Verhalten nach § 242 BGB keine Beachtung zukommen soll (sogenannte unbeachtliche protestatio facto contraria). Andererseits könnte ein Vertragsschluss zu verneinen sein, insofern man der ausdrücklichen Erklärung dennoch Vorrang einräumen will. Folge dieser Ansicht wäre, dass nur Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB in Betracht kommen, um eine Zahlung des Entgelts zu erwirken.

Im Ergebnis überzeugt die Ansicht, die entgegenstehende ausdrückliche Erklärung des Adressaten als widersprüchliches unbeachtliches Verhalten einzuordnen, um rechtsmissbräuchlichem Verhalten Einhalt zu gebieten.  

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