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Zugang von Willenserklärungen

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Thema

Willenserklärungen

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Willenserklärung
Zugang
§ 130 BGB
§ 162 BGB
§ 131 BGB
§ 108 BGB
Gliederung
  • I. Einleitung

  • II. Zugang von Willenserklärungen unter Abwesenden

    • 1. Zugang verkörperter Willenserklärungen 

      • a) Boten

      • b) Post

      • c) Elektronische Willenserklärungen

    • 2. Nichtverkörperte Willenserklärungen

  • III. Zugang von Willenserklärungen unter Anwesenden

    • 1. Verkörperte Willenserklärungen

    • 2. Nichtverkörperte Willenserklärungen

  • IV. Zugang gegenüber Geschäftsunfähigen und Minderjährigen (§ 131 I, II BGB)

    • 1. Zugang von Angeboten

    • 2. Zugang von Annahmeerklärungen

  • V. Zugangsstörungen

    • 1. Zugangshindernisse

    • 2. Zugangsvereitelung

  • VI. Widerruf einer Willenserklärung, § 130 I 2 BGB

I. Einleitung

Empfangsbedürftige Willenserklärungen werden mit Zugang wirksam.

Definition

Eine Willenserklärung ist zugegangen, sobald der Empfänger sie sinnlich wahrgenommen hat (tatsächliche Kenntnisnahme) oder ihm dies objektiv möglich war (Möglichkeit der Kenntnisnahme).

Der Zugang einer Willenserklärung setzt voraus, dass diese auf verkehrsübliche Weise in den Machtbereich (tatsächliche Verfügungsgewalt) des Empfängers oder eines empfangsbereiten Dritten gelangt ist.

Beim Zugang von Willenserklärungen ist zwischen verkörperten und nichtverkörperten Willenserklärungen einerseits und zwischen der An- und Abwesenheit des Empfängers andererseits zu unterscheiden.

Merke

Dafür, ob Erklärender und Empfänger als An- oder Abwesende gelten, ist maßgeblich, ob eine direkte Verständigung möglich ist. Die Distanz zwischen den beiden Personen ist irrelevant (vgl. § 147 I 2 BGB)

So wird eine Erklärung am Telefon oder in einer Videokonferenz aufgrund der Unmittelbarkeit der Kommunikation unter Anwesenden vorgenommen. Auch eine Nachricht im Chat kann unter Anwesenden zugehen, wenn die Beteiligten "live" miteinander kommunizieren.

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II. Zugang von Willenserklärungen unter Abwesenden

1. Zugang verkörperter Willenserklärungen 

Der Zugang verkörperter Willenserklärungen gegenüber Abwesenden bestimmt sich nach § 130 I 1 BGB. Zugangszeitpunkt ist hierbei entweder der Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme oder der Zeitpunkt der erwarteten Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs. Relevant ist stets der frühere der beiden Zeitpunkte. Allerdings kann auch eine Willenserklärung, die auf unübliche Weise oder zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, schon zu diesem Zeitpunkt zugehen, wenn der Empfänger tatsächlich Kenntnis nimmt.

Beispiel

Einwurf eines Briefs kurz vor Mitternacht ➝ Zugang mit objektiver Möglichkeit der Kenntnisnahme am nächsten Morgen, da nach den Gepflogenheiten des Verkehrs nicht erwartet werden kann, dass der Empfänger seinen Briefkasten so spät noch leert.

Je nach verwendetem Erklärungsmittel kann der Zugangszeitpunkt unterschiedlich ausfallen.

a) Boten

Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung bei deren Übergabe an einen Empfangsboten ("menschlicher Briefkasten") erfolgt, sobald mit einer Weiterleitung an den Empfänger und damit der Möglichkeit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.

Definition

Empfangsbote ist nur, wer objektiv zur Entgegennahme geeignet und bereit ist.

Beispiel

Ehegatte

Gegenbeispiel

4-jähriges Kind

Das Risiko der unterlassenen oder fehlerhaften Weiterleitung durch einen Empfangsboten trifft den Adressaten der Erklärung.

Ist eine Person mangels objektiver Eignung oder Bereitschaft nicht Empfangsbote oder nimmt sie eine Erklärung erst auf Bitten oder Drängen des Erklärenden entgegen, handelt sie nicht als Empfangsbote des Empfängers, sondern als Erklärungsbote des Erklärenden. Der Zugang erfolgt dann erst mit der Kenntnisnahme des Adressaten. Das Risiko der unterlassenen oder fehlerhaften Weiterleitung trifft den Erklärenden.

Demgegenüber erfolgt der Zugang bei Übergabe der Erklärung an einen Empfangsvertreter im Sinne des § 164 III BGB sofort (Voraussetzungen der Stellvertretung prüfen! Siehe hier).

b) Post

Gelangt die Erklärung zur üblichen Postzustellungszeit in den Briefkasten, ist nach den Gepflogenheiten des Verkehrs damit zu rechnen, dass der Brief an diesem Tag entnommen wird.

Wird der Brief erst spätabends eingeworfen, geht die Willenserklärung erst am nächsten Tag zu. Bei Briefen an Unternehmen ist zu beachten, dass nur der Einwurf innerhalb der Geschäftszeiten direkt zu einem Zugang führt. Nach den Gepflogenheiten des Verkehrs ist zu erwarten, dass Postfächer an Werktagen täglich geleert werden.

Eingeschriebene Briefe gehen mit Aushändigung zu. Kann nicht ausgehändigt werden, geht das Schriftstück erst mit Abholung zu. Wird der Brief jedoch nicht innerhalb einer angemessenen Frist abgeholt, geht er an den Absender zurück. Er ist damit nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Dies ist im Hinblick auf einen etwaigen Zugang problematisch.

Problem

Wann gehen nicht abgeholte eingeschriebene Briefe zu?

Nach der Fiktionslösung gilt der Brief gemäß § 162 BGB analog als zugegangen, wenn der Empfänger mit dem Zugang rechnen musste.

Demgegenüber verlangt die Rückwirkungslösung, dass der Erklärende sich in solchen Fällen nochmals um einen Zugang bemühen muss, wenn er seine Erklärung wirksam werden lassen will. 

Hat er inzwischen seine Meinung geändert und will die Willenserklärung doch nicht wirksam werden lassen, kann er weitere Zustellungsversuche einfach unterlassen.

Gegen die Fiktionslösung spricht, dass die Beweisbarkeit dessen, dass der Empfänger mit dem Zugang rechnen musste, Probleme bereiten kann.

Vorteilhaft an der Rückwirkungslösung ist, dass der Erklärende frei entscheiden kann, ob er an seiner Erklärung festhalten will oder nicht. Unternimmt er einen erneuten Zustellungsversuch, geht die Willenserklärung entweder beim 2. Versuch zu oder der Zugang wird nunmehr fingiert. Sowohl beim tatsächlichen als auch beim fingierten Zugang gilt der Zeitpunkt des 1. Zustellungsversuchs als Zugangszeitpunkt.

c) Elektronische Willenserklärungen

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2. Nichtverkörperte Willenserklärungen

Der Zugang von nichtverkörperten, also mündlichen, Willenserklärungen unter Abwesenden spielt beim Einsatz von Dritten eine Rolle.

Bei der Äußerung gegenüber einem Empfangsvertreter gemäß § 164 III BGB erfolgt der Zugang mit dessen Vernehmung der Erklärung.

Wird die nichtverkörperte Willenserklärung gegenüber einem Empfangsboten abgegeben, geht diese dem Empfänger im Zeitpunkt der erwarteten Übermittlung an diesen zu.

Handelt es sich um einen Erklärungsboten, der die Willenserklärung eines anderen übermittelt, ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Übermittlung an den Empfänger als Zugangszeitpunkt anzusehen.

III. Zugang von Willenserklärungen unter Anwesenden

Der Zugang von Willenserklärungen gegenüber Anwesenden ist nicht gesetzlich geregelt. Auch hier ist zwischen verkörperten und nichtverkörperten also mündlichen Erklärungen zu unterscheiden.

1. Verkörperte Willenserklärungen

Hinsichtlich verkörperter Willenserklärungen unter Anwesenden gilt § 130 I 1 BGB entsprechend.

2. Nichtverkörperte Willenserklärungen

Nichtverkörperte Willenserklärungen unter Anwesenden gehen zu, sobald der Empfänger die Erklärung sinnlich wahrgenommen, das heißt akustisch richtig vernommen hat (Vernehmungstheorie).

Hierbei können beispielsweise aufgrund einer Schwerhörigkeit oder einer geringen Sprachkompetenz des Empfängers Probleme entstehen.

Diese sind anhand der eingeschränkten Vernehmungstheorie zu lösen: 

Die Vermittlungsrisiken werden auf die Sphären des Erklärenden und des Empfängers verteilt und je nach deren Erkennbarkeit zugewiesen. 

  • Der Empfänger trägt das Risiko seiner unerkennbaren Schwerhörigkeit sowie unerkennbaren geringen Sprachkompetenz. Dies hat zur Folge, dass bei diesen für den Erklärenden nicht erkennbaren Umständen die Willenserklärung trotz der Schwerhörigkeit oder Sprachkompetenz zugeht.

  • Der Erklärende trägt das Risiko der erkennbaren Schwerhörigkeit des Empfängers sowie der erkennbar geringen Sprachkompetenz des Empfängers. Dies hat zur Folge, dass die Willenserklärung dem Empfänger aufgrund seiner Schwerhörigkeit oder Sprachkompetenz nicht zugegangen ist.

IV. Zugang gegenüber Geschäftsunfähigen und Minderjährigen (§ 131 I, II BGB)

Der Zugang gegenüber Geschäftsunfähigen wird in § 131 I BGB geregelt. Hiernach wird eine gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.

Gleiches gilt in der Regel gemäß § 131 II 1 BGB für beschränkt Geschäftsfähige. In § 131 II 2 BGB wird jedoch die Ausnahme normiert, dass eine Willenserklärung bereits mit Zugang beim Minderjährigen wirksam wird, wenn sie ihm keine rechtlichen Nachteile bringt oder der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, kannst du hier nachlesen.

1. Zugang von Angeboten

Wird gegenüber dem Minderjährigen etwa ein Antrag auf Abschluss eines Vertrags erklärt, so ist er nicht zu dessen Annahme verpflichtet. Er kann ihn annehmen oder auch nicht.  Ein Antrag ist also isoliert betrachtet für den Adressaten damit rechtlich vorteilhaft. Es genügt der Zugang beim Minderjährigen nach § 131 II 2 BGB.

2. Zugang von Annahmeerklärungen

Problem

Zugang einer Annahmeerklärung gegenüber Minderjährigen

Die Situation gestaltet sich jedoch anders, wenn gegenüber dem Minderjährigen eine Annahme erklärt wird. Eine Annahmeerklärung führt nämlich zum Vertragsschluss, aus dem für den Minderjährigen in der Regel auch Pflichten folgen. 

Angesichts dieser Pflichten ist die Annahmeerklärung für den Adressaten rechtlich nachteilig. „An sich“ wird die Erklärung der Annahme damit nach § 131 II 1 BGB erst mit Zugang beim gesetzlichen Vertreter wirksam.

Da aber ohne wirksame Willenserklärungen kein Vertrag zustande kommt, gäbe es nichts, was der gesetzliche Vertreter nach § 108 I BGB genehmigen könnte - § 131 II 1 BGB kollidiert damit mit § 108 I BGB.

Diese Kollision ist mittels einer systematischen Reduktion des § 131 II 1 BGB auf einseitige Rechtsgeschäfte zu lösen. Gegen den Wortlaut des § 131 II BGB werden Annahmeerklärungen damit schon mit Zugang beim Minderjährigen wirksam, auch wenn sie rechtlich nachteilig sind. 

Dass es dadurch zum Vertragsschluss mit dem Minderjährigen kommt, ist für diesen ungefährlich, da ein rechtlich nachteiliger Vertrag nach § 108 I BGB erst durch Genehmigung der gesetzlichen Vertreter wirksam wird. 

V. Zugangsstörungen

Der Zugang setzt voraus, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Damit trägt der Erklärende das Risiko, dass seine Willenserklärung nicht zugeht.

Die Verteilung des Übermittlungsrisikos ist jedoch dann anders zu beurteilen, wenn der Empfänger für den fehlenden Zugang verantwortlich ist, indem er den Zugang vereitelt oder dieser durch Störungen in dessen Machtbereich verhindert wird.

Bei technischen Störungen ist danach zu differenzieren, in wessen Machtbereich die Störung auftritt. Handelt es sich um eine Störung im Machtbereich des Empfängers, wie etwa ein defektes Faxgerät, welche für den Erklärenden nicht erkennbar ist, ist diese dem Risiko des Empfängers zuzuordnen. Der Zugang erfolgt trotzdem.

Die Zugangsstörungen lassen sich in Zugangshindernisse und Zugangsvereitelung unterteilen.

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1. Zugangshindernisse

Bei Zugangshindernissen in der Sphäre des Erklärungsempfängers, wie etwa technischen Problemen, kommt es zu einer Rechtzeitigkeitsfiktion. Diese betrifft nur die zeitliche Dimension, sodass ein erneuter Zustellungsversuch erforderlich ist. Gelingt dieser, wird der rechtzeitige Zugang fingiert.

Beispiel

A hat dem B ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags zukommen lassen. Dieses soll B bis zum 01.01.22 annehmen. B schickt seine Annahmeerklärung am 01.01.22 morgens per Telefax. Jedoch ist das Faxgerät des A ist defekt, weshalb die Erklärung des B nicht am 01.01.22 ausgedruckt werden kann. B wundert sich über eine fehlende Reaktion des A und gibt am Folgetag eine erneute Annahmeerklärung per Telefax ab. Erst als A das Gerät am 02.01.22 reparieren lässt, kann die Annahmeerklärung des B ausgedruckt werden. Aufgrund der Rechtzeitigkeitsfiktion gilt diese als am 01.01.22 und damit fristgerecht zugegangen.

Ist der Erklärungsempfänger aufgrund von Urlaub, Krankheit oder Haft unter seiner Adresse nicht zu erreichen, geht die Willenserklärung grundsätzlich trotzdem zu, da der Machtbereich des Empfängers erhalten bleibt und es in der Verantwortung des Empfängers liegt sich zum Beispiel um die Nachsendung der Post zu kümmern. Die Abwesenheit des Empfängers stellt mithin kein Zugangshindernis dar.

2. Zugangsvereitelung

Bei der Zugangsvereitelung rechnet der Erklärungsempfänger damit, eine für ihn ungünstige Willenserklärung zu erhalten und vereitelt den Zugang oder verweigert diesen aktiv.

Die Zugangsvereitelung führt zu einer Zugangsfiktion. Im Gegensatz zum Zugangshindernis ist kein erneuter Zustellungsversuch erforderlich. Der Zugang wird zum Zeitpunkt des gescheiterten Zustellungsversuchs nach Treu und Glauben fingiert.

Beispiel

Arbeitnehmer A hat sich daneben benommen und rechnet fest mit einer Kündigung. Aus diesem Grund klebt er die Nachnamen an allen Briefkästen in seinem Mehrfamilienhaus ab, damit der Postbote nicht weiß, welcher Briefkasten dem A gehört. Dementsprechend kann die von Arbeitgeber B per Post verschickte Kündigungserklärung am 01.04.22 nicht in den Briefkasten des A eingeworfen werden. Aufgrund der Zugangsvereitelung durch A wird der Zugang der Kündigung am 01.04.22 fingiert.

VI. Widerruf einer Willenserklärung, § 130 I 2 BGB

Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen besteht die Möglichkeit eines Widerrufs nach § 130 I 2 BGB.

Definition

Der Widerruf im Sinne des § 130 I 2 BGB ist empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Empfänger zu erkennen gibt, dass eine Willenserklärung nicht wirksam werden soll.

Der Widerruf ist nur wirksam, wenn er vor der ursprünglichen Willenserklärung oder spätestens gleichzeitig mit dieser zugeht. Ansonsten wird die Willenserklärung mit Zugang wirksam und der Empfänger kann sich auf diese verlassen.

Der Widerruf führt zur Unwirksamkeit der widerrufenen Willenserklärung ex tunc. Damit lag nach erfolgreichem Widerruf von Anfang an keine wirksame Willenserklärung vor.

§ 130 I 2 BGB bezieht sich auf den Widerruf einer unter Abwesenden abgegebenen empfangsbedürftigen Willenserklärung. Der Grundgedanke der Norm, nämlich, dass die Wirksamkeit der Willenserklärung deren Widerruf im Wege steht, ist jedoch auch auf den Widerruf einer unter Anwesenden abgegebenen empfangsbedürftigen Willenserklärung übertragbar. Nach der Vernehmung der Erklärung kann sich der Empfänger auf deren Wirksamkeit verlassen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn innerhalb desselben Gesprächs eine Änderung an der vorherigen Willenserklärung vorgenommen wird. Hier kann es sich trotz zeitlich gestreckten Geschehens um nur eine Erklärung handeln.

Der Widerruf nach § 130 I 2 BGB ist nicht zu verwechseln mit dem Widerruf nach § 109 BGB oder nach § 178 BGB, der sich auf durch Minderjährige oder Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossene Verträge bezieht und dem verbraucherschützenden Widerruf nach § 355 BGB, der ebenfalls Verträge betrifft. Dieser wird im Verbraucherschutzrecht behandelt werden.

Problem

Fall

Ein Brief mit einer Willenserklärung wird um 9 Uhr vom Postboten in den Briefkasten eingeworfen und um 9:30 Uhr entnommen. Um 10 Uhr geht das Telefax mit dem Widerruf ein. Der gesamte Posteingang wird dem Empfänger um 10:30 Uhr vorgelegt.

Ist die Willenserklärung wirksam?

Lösung

Die Willenserklärung ist wirksam, wenn sie nicht wirksam gemäß § 130 I 2 BGB widerrufen wurde. Der Widerruf nach § 130 I 2 BGB setzt eine empfangsbedürftige Willenserklärung voraus, die dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit der zu widerrufenen Willenserklärung zugeht. Fraglich ist, ob das Telefax mit dem Widerruf verspätet zugegangen ist.

Der Brief wurde um 9 Uhr in den Briefkasten eingeworfen und ist so in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Ab diesem Zeitpunkt bestand die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme. Damit erfolgte der Zugang um 9 Uhr. Das Telefax mit dem Widerruf ist 10 Uhr zugegangen. Folglich fehlt es an einem gleichzeitigem Zugang im Sinne des § 130 I 2 BGB. Der Widerruf ist verspätet, die Willenserklärung wirksam.

Es ist jedoch zu beachten, dass der Empfänger gleichzeitig Kenntnis von beiden Schriftstücken erlangt hat. Dies spielt für den Zugang zwar keine Rolle, da auf den früheren Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Kenntniserlangung abgestellt wird, könnte sich jedoch auf die Wirksamkeit des Widerrufs auswirken.

Streitstand

  • Nach einer Auffassung ist § 130 I 2 BGB so zu verstehen sein, dass es für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs darauf ankommt, von welcher Erklärung der Empfänger zuerst Kenntnis nimmt. Allein die tatsächliche Kenntnisnahme ist relevant. Hierfür spricht der Zweck des § 130 I 2 BGB, der im Schutz des Vertrauens auf die erste Willenserklärung besteht. Bei gleichzeitiger Kenntnisnahme durch den Empfänger, besteht jedoch kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Gültigkeit der Willenserklärung.

  • Nach herrschender Meinung hängt die Wirksamkeit des Widerrufs nach § 130 I 2 BGB nicht davon ab, von welcher Erklärung der Empfänger zuerst Kenntnis nimmt. Welches Schriftstück zuerst durch den Empfänger gelesen wird, sei irrelevant. Dies lässt sich bereits mit dem Wortlaut der Norm begründen, die ausdrücklich an den Zugang der Widerrufserklärung anknüpft. Der Zugang hängt aber nach allgemeinen Regeln nicht von der tatsächlichen Kenntnisnahme ab. Auch könnte es zu Beweisschwierigkeiten führen, wenn man die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger im Rahmen des Widerrufs berücksichtigt. Die Kenntnis stellt nämlich ein internum des Empfängers dar. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Empfänger das Risiko der rechtzeitigen tatsächlichen Kenntnis trägt (Zugang trotz fehlender Kenntnis bei objektiver Möglichkeit der Kenntnisnahme). Er soll deshalb auch die Vorteile aus einem Zugang vor tatsächlicher Kenntnis ziehen können.

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