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Subjektiver Tatbestand

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Subjektiver Tatbestand

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Vorsatz
Dolus directus
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Sicheres Wissen
bedingter Vorsatz
Dolus eventualis
dolus antecedens
dolus subsequens
Dolus cumulativus
Aberratio ictus
Dolus alternativus
Dolus generalis
Generalvorsatz
Beseitigungsfälle
Billigungstheorie
Irrtum
Möglichkeitstheorie
Bewusste Fahrlässigkeit
Gliederung
  • I. Vorsatzarten nach Intensität der inneren Haltung

    • 1. Dolus directus 1. Grades (Absicht)

    • 2. Dolus directus 2. Grades (Kenntnis/sicheres Wissen)

    • 3. Dolus Eventualis (bedingter Vorsatz)

    • 4. Bewusste Fahrlässigkeit

  • II. Sonderformen des Vorsatzes nach Umfang und Zeit

    • a) Dolus antecedens (vorausgehender Vorsatz)

    • b) Dolus subsequens (nachträglicher Vorsatz)

    • c) Dolus cumulativus (kumulativer Vorsatz)

      • aa) Abgrenzung dolus cumulativus und aberratio ictus

    • d) Dolus alternativus (alternativer Vorsatz)

    • e) dolus generalis

Dieser Artikel behandelt die verschiedenen Vorsatzarten sowie Sonderformen des Vorsatzes, die einem Täter zugeschrieben werden können. Dabei wird einerseits nach der Intensität der inneren Haltung des Täters gegenüber der Rechtsgutsverletzung unterschieden, also der Stärke des Vorsatzes (dolus directus 1. Grades, dolus directus 2. Grades, dolus eventualis). Andererseits gibt es zeitlich und inhaltlich spezifische Sonderformen des Vorsatzes, die den Umfang oder die Abfolge des Vorsatzes betreffen (dolus subsequens, dolus antecedens, dolus cumulativus, dolus generalis, dolus alternativus).

I. Vorsatzarten nach Intensität der inneren Haltung

Sie müssen vor allem deshalb beherrscht werden, weil insbesondere im Rahmen der Eigentums- und Vermögensdelikte eine Strafbarkeit von besonderen subjektiven Elementen abhängt. Ob dieses subjektive Element erfüllt wurde, hängt wiederum von der Frage der Stärke des Willens in Bezug auf die Tatbestandsverwirklichung ab. So muss der Täter etwa im Rahmen des Diebstahls nach § 242 I StGB Zueignungsabsicht vorweisen. Er muss also die Absicht haben, die gestohlene Sache sich oder einem Dritten zumindest vorübergehend anzueignen. Vergleichbar hierzu braucht der Betrugstäter Bereicherungsabsicht. Er muss also die Absicht haben, einen Vermögensvorteil zu erlangen.

Die Frage, welche Vorsatzform auf subjektiver Seite vorliegt, hat aber auch bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit eine erhebliche Bedeutung. Denn erst, wenn ausgeschlossen werden kann, dass der Täter nicht vorsätzlich handelte, kommt eine Bestrafung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts in Betracht.

Definition

Vorsatz ist das Wissen und Wollen bzgl. der Tatbestandsverwirklichung zum Zeitpunkt der Tatbegehung.

Das notwendige Wissen hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung wird als sogenanntes kognitives Element beschrieben. Das notwendige Wollen als voluntatives Element.

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1. Dolus directus 1. Grades (Absicht)

Die stärkste Form des Vorsatzes ist der dolus directus 1. Grades. Er wird auch Absicht genannt und hat, wie erwähnt, vor allem im Rahmen der besonderen subjektiven Merkmale bei Eigentums- und Vermögensdelikten Bedeutung.

Definition

Mit Absicht handelt ein Täter, wenn es ihm gerade auf die Verwirklichung des Tatbestandes ankommt.

Die Absicht zeichnet sich durch ein überragendes voluntatives Element aus. Das Wollen der Tat steht hier also im Vordergrund. Auf das kognitive Element muss nicht gesondert eingegangen werden, denn wem es gerade darauf ankommt, einen Tatbestand zu verwirklichen, der muss gezwungenermaßen auch hinreichendes Wissen haben, dass er den Tatbestand auch verwirklicht.

Beispiel

A und B sind Brüder. Weil A dem B seine Freundin ausgespannt hatte, fühlt sich B massiv in seiner Ehre verletzt. Eines abends bricht B in das Haus des A ein und schießt A in den Kopf, um ihn zu töten.

In diesem Beispiel schießt der B auf A, um ihn zu töten. Es kommt ihm also gerade darauf an, den Tatbestand des Totschlags § 212 I StGB zu erfüllen. A handelte also absichtlich und hatte dolus directus 1. Grades.

Merke

Findet sich im Wortlaut eines Straftatbestandes das Wort “um” weist das in der Regel darauf hin, dass eine besondere Form des Vorsatzes vorliegen muss. Ein Täter muss etwas tun, gerade, um eine andere Sache zu erreichen. Beispiele:

  • § 211: Es muss dem Täter gerade darauf ankommen, durch die Tötung eines Menschen eine andere Straftat zu verdecken.

  • § 239a: Es muss dem Täter gerade darauf ankommen, die Sorge um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen.

2. Dolus directus 2. Grades (Kenntnis/sicheres Wissen)

Eine weitere Vorsatzform ist der dolus directus 2. Grades. Hier weiß der Täter sicher, dass er den Tatbestand einer Straftat erfüllt, aber ohne, dass es ihm gerade darauf ankommt.

Definition

Mit dolus directus 2. Grades handelt ein Täter, dem es zwar nicht auf die Tatbestandsverwirklichung ankommt, der aber sicher weiß, dass er durch sein Tun einen Straftatbestand verwirklicht, auch wenn der Erfolgseintritt dem Täter unerwünscht ist.

Der dolus directus 2. Grades zeichnet sich durch ein überragendes kognitives Element aus. Das Wissen um die Verwirklichung der Tat steht hier also im Vordergrund. Auf das voluntative Element muss nicht gesondert eingegangen werden, denn wer sicher weiß, dass sein Handeln zu einer Verwirklichung eines Tatbestandes führt und trotzdem handelt, der muss gezwungenermaßen die Tatbestandsverwirklichung auch hinreichend Wollen, indem er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges zumindest billigend in Kauf nimmt.

Beispiel

T ist todunglücklich mit seinem Leben und möchte sich suizidieren. Er plant, mit seinem vollgeladenen Transporter falsch auf die Autobahn aufzufahren, Vollgas zu geben und mit weit über 150 km/h frontal in ein anderes Auto zu fahren. Er ist sich sicher, dass ein anderer Autofahrer dabei sterben könnte, entscheidet sich aber für eine Umsetzung des Plans, weil er endlich mit seinem Leben abschließen möchte. T überlebt, während der andere Autofahrer stirbt.

In diesem Beispiel kam es T nicht darauf an, einen anderen Menschen (§ 212 I StGB) zu töten. Vielmehr kam es ihm darauf an, sein eigenes Leben zu beenden. Dabei wusste er sicher, dass er mit dieser Geschwindigkeit und einem großen beladenen Transporter auch einen anderen Menschen töten würde. T handelte mit sicherem Wissen und hatte dolus directus 2. Grades.

3. Dolus Eventualis (bedingter Vorsatz)

Die weitaus problematischste Vorsatzform ist der dolus eventualis oder auch bedingter Vorsatz. Das liegt vor allem daran, dass er die schwächste Vorsatzform darstellt und daher regelmäßig eine Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit vorzunehmen ist. Wird der dolus eventualis verneint, kann dennoch eine bewusste Fahrlässigkeit vorliegen und eine Strafbarkeit aus Fahrlässigkeitsdelikt kommt in Betracht. Der gleich zu erläuternde Streit dreht sich maßgeblich rund um die Frage, ob für die Annahme des dolus eventualis neben dem kognitiven Moment (Wissenselement) ein voluntatives Element (Willenselement) vorliegen muss.

Problem

Theorien ohne voluntatives Element:

Die Möglichkeits- und Wahrscheinlichkeitstheorie stellen an den dolus eventualis lediglich die Anforderung, dass ein kognitives Bewusstsein beim Täter vorliegt, das ihn erkennen lässt, dass ein Erfolg eintreten könnte.

  • Möglichkeitstheorie: Nach der Möglichkeitstheorie handelt vorsätzlich, wer den Erfolg schlicht für möglich hält. Wer sich aktiv über eine Verbotsnorm hinwegsetzt, handelt vorsätzlich, auch wenn er den durch sein Verhalten hervorgerufenen Erfolgseintritt nur für möglich hält.

  • Wahrscheinlichkeitstheorie: Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie handelt vorsätzlich, wer den Erfolgseintritt für möglich hält und dennoch handelt. „Wahrscheinlich“ ist dabei mehr als „möglich“, aber weniger als „überwiegend wahrscheinlich“. Der Täter muss den Erfolgseintritt nicht nur als vage Möglichkeit erkennen, sondern ihn vielmehr für wahrscheinlich halten.

Theorien mit voluntativem Element:

Die Gleichgültigkeits- und Billigungstheorie fordern für die Annahme des dolus eventualis zusätzlich zum kognitiven Element auch ein voluntatives Element, also eine innere Haltung des Täters hinsichtlich des Erfolgseintritts.

  • Gleichgültigkeitstheorie: Nach der Gleichgültigkeitstheorie handelt vorsätzlich, wer den Erfolgseintritt für möglich hält und diesen aus Gleichgültigkeit hinnimmt. Der Vorsatz beinhaltet dabei einen Schuldvorwurf, der sich durch eine rücksichtslose Gleichgültigkeit auszeichnet.

  • Billigungstheorie: Nach der herrschenden Billigungstheorie handelt vorsätzlich, wer den Erfolg für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt. Der Wille ist hierbei das entscheidende Element, das den Vorsatz begründet. Nur wer den durch sein Verhalten hervorgerufenen Erfolgseintritt zumindest billigt, kann Vorsatz unterstellt werden.

Stellungnahme:

Es ist der Billigungstheorie zu folgen. Die nicht-voluntativen Theorien schaffen es nicht, sich sauber von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen. Auch bei der bewussten Fahrlässigkeit hält der Täter den Eintritt des Erfolgs wenigstens für vage möglich. Zudem spricht gegen die Wahrscheinlichkeitstheorie, dass sich oft nicht ermitteln lässt, was „mehr als möglich“, aber „weniger als überwiegend wahrscheinlich“ ist. Auch die Gleichgültigkeitstheorie überzeugt nicht, da es häufig nicht nachweisbar ist, dass der Täter in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsgut gleichgültig war. Ob sich ein Täter mit dem Erfolg jedoch arrangiert hat, wie es die Billigungstheorie fordert, lässt sich deutlich besser ermitteln.

4. Bewusste Fahrlässigkeit

Bewusste Fahrlässigkeit muss immer dann geprüft werden, wenn der dolus eventualis am voluntativen Element scheitert, also nicht klar ist, dass sich der Täter gerade mit dem Erfolgseintritt abfindet. Auch die bewusste Fahrlässigkeit setzt ein kognitives und ein voluntatives Element voraus, wobei das voluntative Element der bewussten Fahrlässigkeit weniger positiv-intensiv in Richtung des Erfolgseintritts ist als das im Rahmen des dolus eventualis vorausgesetzte.

Definition

Bewusst fahrlässig handelt, wer den Erfolgseintritt zwar für möglich hält (kognitiv), sich mit diesem aber gerade nicht abfindet, sondern fest darauf vertraut (voluntativ), dieser werde nicht eintreten. Dabei darf das Vertrauen jedoch nicht gänzlich nicht nachvollziehbar sein.

Vernetztes Lernen

Mehr zur Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und Vorsatz findest du im Artikel zum Fahrlässigkeitsdelikt.

II. Sonderformen des Vorsatzes nach Umfang und Zeit

Neben den klassischen Vorsatzarten nach Intensität (dolus directus 1. und 2. Grades sowie dolus eventualis) existieren Sonderformen, die sich auf die zeitliche oder inhaltliche Struktur des Vorsatzes beziehen. Diese Sonderformen spielen vor allem in Konstellationen eine Rolle, in denen der Vorsatz während der Tatbegehung wechselt (Zäsur), mehrere Tatbestände betroffen sind oder die Abfolge der Vorsatzbildung unklar ist. Die folgenden Sonderformen sollten in jedem Fall beherrscht werden, da sie in der Prüfung über Strafbarkeit oder Straflosigkeit aus Vorsatzdelikt entscheiden können.

a) Dolus antecedens (vorausgehender Vorsatz)

Dolus antecedens liegt vor, wenn der Täter vor Beginn der Tat einen Vorsatz gefasst hat, diesen jedoch zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht mehr aufrechterhält.

Beispiel

A plant, seinen Nachbarn B zu erschießen, weil dieser schon mehrfach falsch geparkt hat. Als A am selben Abend im Dunkeln zu seinem Auto geht, beeilt er sich, weil in der Nachbarschaft schon mehrfach Menschen erschossen wurden und A Angst hat, das nächste unschuldige Opfer zu werden (A hatte immer rechtmäßig geparkt). Als A hinter sich Schritte hört, dreht er sich um und sticht vor Schreck mit seinem Schweizer Taschenmesser reflexartig zu. B, der sich bei A entschuldigen wollte, stirbt.

In diesem Beispiel hatte A zwar im Vorhinein Vorsatz in Bezug auf die Tötung des A. Der Vorsatz muss aber wegen des Simultanitätsprinzips zum Zeitpunkt der Tatbegehung bestehen (§ 16 StGB). Ein bloßer vorausgehender Vorsatz reicht daher nicht aus, um eine Tat als vorsätzlich zu qualifizieren. Daher müsste vielmehr geprüft werden, ob A Vorsatz hatte, einen Menschen zu töten, in dem Moment, in dem er sich umdrehte und zustach. Keine Rolle spielen seine Überlegungen, die er im Vorhinein zur Tötung des B angestellt hatte.

Definition

Das Simultanitätsprinzip besagt, dass alle materiellen Strafbarkeitsvoraussetzungen mit Ausnahme des Deliktserfolgs auf denselben Zeitpunkt bezogen und in diesem Moment erfüllt sein müssen.

b) Dolus subsequens (nachträglicher Vorsatz)

Dolus subsequens beschreibt den Fall, dass der Täter erst nach Vollendung der Tathandlung Vorsatz bezüglich des tatbestandsmäßigen Erfolgs entwickelt.

Beispiel

A schubst B in den Fluss, um ihn zu ärgern. Als B untergeht, wird A bewusst, dass B ertrinken könnte, und er akzeptiert dies. Der Vorsatz trat erst nach der Tatbegehung ein, sodass A nicht wegen vorsätzlicher aktiver Tötung bestraft werden kann.

Nach dem in § 16 StGB verankerten und bereits aufgezeigten Simultanitätsprinzip muss der Vorsatz bereits bei der Begehung der Tathandlung vorliegen. Nachträglich gefasster Vorsatz hat daher keine strafrechtliche Relevanz für Vorsatzdelikte. Im vorliegenden Fall könnte aber eine Strafbarkeit aus Unterlassen in Betracht kommen, wenn A es unterließ, ihm real-mögliche Hilfe zu leisten. Denn der fehlende Vorsatz zum Zeitpunkt der aktiven Tathandlung sagt nichts über den Vorsatz zum Zeitpunkt der nachgelagerten Handlung des Unterlassens aus.

c) Dolus cumulativus (kumulativer Vorsatz)

Dolus cumulativus liegt vor, wenn der Täter zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er mit einer Handlung mehrere voneinander unabhängige Tatbestände oder Erfolge gleichzeitig herbeiführt.

Beispiel

A schießt auf B, um diesen zu töten, und nimmt dabei in Kauf, dass der Schuss auch C trifft und tötet, der direkt hinter ihm steht. Er handelt mit kumulativem Vorsatz, da er beide Erfolge gleichzeitig billigend in Kauf nimmt.

aa) Abgrenzung dolus cumulativus und aberratio ictus

Der dolus comulativus muss regelmäßig vom aberratio ictus abgegrenzt werden. Ein aberratio ictus liegt vor, wenn der Täter nur einen Tatbestand erfüllen will, die Tat aber schiefgeht.

Beispiel

A schießt auf B, um diesen zu töten. Dabei sieht er nicht, dass C direkt neben ihm steht und stattdessen von der Kugel getroffen werden könnte. C bewegt sich im Moment der Schussabgabe unvorhersehbar nach rechts und wird von A’s Kugel tödlich getroffen.

In diesem Beispiel könnte man auf die Idee kommen, dass ein unbeachtlicher error in persona vorliegt, da der Straftatbestand des § 212 I StGB nur voraussetzt (irgend-)einen Menschen zu töten und A daher bei Schussabgabe vorsätzlich in Bezug auf den Totschlag (§ 212 I StGB) an C und vorsätzlich in Bezug auf einen versuchten Totschlag (§§ 212 I, 22, 23 I StGB) handelte (dolus cumulativus). Das ist aber unrichtig. Zum einen liegt hier kein error in persona vor, weil Angriffsobjekt und Verletzungsobjekt auseinanderfallen. Zum anderen liegt kein dolus cumulativus vor, weil A nur eine Person töten wollte und nicht zwei. Der Vorsatz des A ist mit dem versuchten Totschlag an B aufgebraucht, sodass in Bezug auf C nur noch eine unvorsätzliche fahrlässige Tötung vorliegt.

Merke

Der dolus cumulativus setzt voraus, dass der Täter beide Tatbestandsverwirklichungen aktiv erkennt und mindestens billigend in Kauf nimmt.

d) Dolus alternativus (alternativer Vorsatz)

Beim dolus alternativus umfasst der Vorsatz des Täters gleich dem dolus cumulativus ebenfalls die Verwirklichung mehrerer Tatbestände oder Erfolge. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass der Täter davon ausgeht, im Ergebnis nur einen dieser vorgestellten Tatbestände oder Erfolge im Sinne eines Entweder-oder-Verhältnisses herbeiführen zu können.

Beispiel

A ärgert sich mal wieder über den falsch parkenden N. Er wirft einen Stein in Richtung des N. Er geht davon aus, dass er entweder N oder dessen Auto trifft. Er trifft den N.

Die rechtliche Behandlung des dolus alternativus ist umstritten:

Problem

Rechtsfolge des dolus alternativus

1. Konkurrenzlösung (herrschende Meinung): Nach herrschender Meinung liegt Vorsatz hinsichtlich beider Tatbestände vor, sodass sowohl der vollendete als auch der versuchte Tatbestand vom Vorsatz des Täters erfasst werden. Die Lösung des Problems erfolgt auf der Konkurrenzebene: In der Regel wird der Täter lediglich für das vollendete Delikt bestraft. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn die versuchte Tat einen wesentlich höheren Unrechtsgehalt aufweist – in diesem Fall wird Tateinheit angenommen.

2. Schwerstdeliktlösung: Der Täter wird ausschließlich wegen des schwersten Delikts bestraft, unabhängig davon, welches Delikt tatsächlich verwirklicht wurde. Der Täter habe wegen seiner Entweder-oder-Vorstellung nur Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung eines Delikts. Hier muss der Täter aber mit dem schwersten Delikt konfrontiert werden.

3. Vollendungslösung: Der Täter wird nur für das tatsächlich vollendete Delikt bestraft; der Vorsatz hinsichtlich des alternativen Delikts bleibt unberücksichtigt. Die Bestrafung soll sich auf das realisierte Unrecht beschränken.

Stellungnahme

Die Konkurrenzlösung (herrschende Meinung) überzeugt am meisten, da sie den gesamten Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst. Der Täter hat Vorsatz hinsichtlich beider Tatbestände, auch wenn er annimmt, nur einen verwirklichen zu können. Auf Konkurrenzebene kann dann der Unterschied zum dolus cumulativus entsprochen werden, indem nur aus einem Delikt bestraft wird. Die Schwerstdeliktlösung überzeugt nicht, da die tatsächlich eingetretene Rechtsgutsverletzung gar nicht zum Ausdruck kommt, wenn gerade das leichtere Delikt verwirklicht wurde. Die Vollendungslösung überzeugt ebenfalls nicht, da sie keine Lösung für Fälle bietet, in denen gar keine der Tatbestandsalternativen vollständig verwirklicht wurden.

Im obigen Beispiel wäre A strafbar:

  • nach der Konkurrenzlösung wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB sowie wegen versuchter Sachbeschädigung § 303 I, 22, 23 I StGB,

  • nach der Schwerstdeliktlösung wegen gefährlicher Körperverletzung,

  • nach der Vollendungslösung wegen gefährlicher Körperverletzung.

Merke

Während der Täter beim dolus cumulativus davon ausgeht, mit einer Tathandlung mehrere Taterfolge zugleich zu verwirklichen, geht der Täter mit dolus alternativus davon aus, dass entweder den einen oder den anderen Taterfolg hervorruft.

e) dolus generalis

Der dolus generalis oder die Lehre vom dolus generalis (Generalvorsatz) wird nur bei den mehraktigen Handlungsabläufen relevant. Nach früher vertretener Auffassung umfasst der dolus generalis alle Handlungen, die zu einem einheitlichen Geschehensablauf gehören. Der Täter hat einen Generalvorsatz, der sich auf das Herbeiführen eines Taterfolgs bezieht und alle Handlungen umfasst, die bewusst oder unbewusst dieser Erfolgsherbeiführung dienen.

In diesem Kontext von besonderer Relevanz sind die “Beseitigungsfälle”. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass erst durch eine Zweithandlung (Beseitigungshandlung) der Taterfolg unbewusst herbeigeführt wird. Hierunter fällt auch der allseits bekannte Jauchegruben-Fall:

Beispiel

T will O töten. Er schlägt O nieder und erdrosselt ihn. T geht davon aus, dass O tot ist und will sich nunmehr um die Leiche kümmern. Er versenkt den Körper in der Jauchegrube auf seinem Hof. Später stellt sich heraus, dass O nicht durch das Würgen gestorben, sondern in der Jauchegrube ertrunken ist. Handelt der T auch bei Vornahme der Zweithandlung mit Tötungsvorsatz?

Die rechtliche Behandlung der Zweithandlung im Rahmen des Vorsatzes des Täters ist umstritten:

Problem

Tötungsvorsatz bei Zweithandlung im Rahmen der Beseitigungsfälle

  • Lehre vom dolus generalis Die Lehre vom dolus generalis nimmt einen Generalvorsatz des Täters in Fällen einer Zweithandlung in Form einer Beseitigungshandlung an. Die Tötung und Beseitigung der Leiche stelle ein einheitliches Gesamtgeschehen dar, sodass sich auch der Vorsatz des Täters nicht künstlich aufspalten ließe.

  • Versuchslösung Die Versuchslösung sieht die beiden Handlungen strikt getrennt voneinander. Es handele sich um ein mehraktiges Geschehen, sodass ein unterstellter genereller Vorsatz gegen das Simultanitätsprinzip verstoße.

  • Lehre vom Irrtum über den Kausalverlauf (h.M.) Die Lehre vom Irrtum über den Kausalverlauf lehnt einen isolierten Tötungsvorsatz im Rahmen der Zweithandlung ab. Anhaltspunkt sei vielmehr die Ersthandlung, wobei ein genereller Vorsatz aber ebenso ausgeschlossen sei. Es müsse differenziert werden, ob die Abweichung hinsichtlich der Art und Weise der Erfolgsrealisierung durch die Zweithandlung (Ertrinken statt Ersticken) eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf sei, die zu einem beachtlichen Irrtum über den Kausalverlauf in Form eines vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 16 I StGB) führe.

  • Stellungnahme

    • Die herrschende Meinung überzeugt:

    • Die Lehre vom dolus generalis verkennt, dass jede Strafbarkeit an eine konkrete menschliche Handlung anknüpft, eine generelle Betrachtungsweise also weder der Vorstellung des Täters noch dem Simultanitätsprinzip gerecht wird.

    • Die Versuchslösung hingegen spaltet den Geschehensablauf zu sehr künstlich auf. Zwar verbietet sich eine generalisierende Betrachtung der subjektiven Vorstellung des Täters, allerdings besteht ein einheitlicher Handlungskomplex (enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang). Dies muss sich auch im Rahmen der Beurteilung des Tätervorsatzes widerspiegeln, ohne einen generellen Vorsatz zu unterstellen oder den Handlungskomplex künstlich aufzuspalten.

    • Einzig der herrschenden Meinung gelingt es, im Rahmen der Tätervorstellung zu differenzieren, ohne den Geschehensablauf künstlich aufzuspalten, indem eine wesentliche Kausalabweichung (außerhalb jeglicher Lebenserfahrung) durchaus zu einem Ausschluss des Tätervorsatzes führen kann.

Für obigen Fall bedeutet das:

  • Nach der Lehre vom dolus generalis hatte T auch bei Vornahme der Zweithandlung (Beseitigungshandlung) Tötungsvorsatz. T hat sich folglich gemäß § 212 I StGB (vollendeter Totschlag) wegen des Versenkens des O in der Jauchegrube strafbar gemacht.

  • Nach der Versuchslösung hatte T bei Vornahme der Zweithandlung keinen Vorsatz. Vielmehr liegt nur hinsichtlich des Würgens des O ein versuchter Totschlag gemäß §§ 212 I, 22, 13 I StGB und hinsichtlich des Versenkens eine fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB vor.

  • Nach der Lehre vom Irrtum über den Kausalverlauf hatte T bei Vornahme der Zweithandlung ebenfalls keinen Vorsatz. Vielmehr ist die Ersthandlung relevant. Es muss gefragt werden, ob die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf wesentlich war. Ist das der Fall, kommt nur eine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit in Betracht. In der Folge muss eine Strafbarkeit wegen Totschlags (§ 212 I StGB) durch das Würgen geprüft werden.

Vernetztes Lernen

Eine Fortsetzung und vollständige Übersicht der Falllösung findest du im Artikel zu den strafrechtlichen Irrtümern im Rahmen des Irrtums über den Kausalverlauf.

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