I. Einleitung
Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes sieht verschiedene Mechanismen vor, mit denen das Vertrauensverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag überprüft und gegebenenfalls neu hergestellt werden kann. Zwei besonders wichtige Instrumente sind dabei die Vertrauensfrage (Art. 68 GG) und das konstruktive Misstrauensvotum (Art. 67 GG). Beide dienen der Sicherung der Handlungsfähigkeit der Regierung und spiegeln die politische Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers gegenüber dem Parlament wider, verfolgen aber unterschiedliche Zwecke und werden von unterschiedlichen Akteuren initiiert.

1. Allgemeines
Die Vertrauensfrage ist ein Instrument, das allein dem Bundeskanzler zusteht. Mit ihr kann er die politische Unterstützung des Bundestages für seine Regierung überprüfen und feststellen, ob er noch über die erforderliche Mehrheit verfügt. Sie kann nicht nur zur Stabilisierung der Regierungsmehrheit eingesetzt werden, sondern auch taktisch dazu dienen, eine vorzeitige Auflösung des Bundestages und damit Neuwahlen herbeizuführen. Damit berührt die Vertrauensfrage zentrale Prinzipien, insbesondere das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative sowie den Grundsatz der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat klargestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Vertrauensfrage zulässig ist und wie weit der Handlungsspielraum des Bundeskanzlers reicht.
2. Verfahren

a) Echte Vertrauensfrage
Bei der echten Vertrauensfrage wird gemäß Art. 68 GG zunächst ein Antrag des Bundeskanzlers gestellt, ihm das Vertrauen auszusprechen.
Findet dieser Antrag eine absolute Mehrheit, spricht der Bundestag dem Bundeskanzler also das Vertrauen aus, bleibt die amtierende Regierung mit parlamentarischer Mehrheit im Amt.
Ergibt sich dagegen beim Vertrauensvotum keine Mehrheit für den Bundeskanzler, hat dieser einige Entscheidungsmöglichkeiten.
aa) Vorschlag zur Auflösung des Bundestages
Nach Art. 68 I 1 GG kann der Bundeskanzler nach gescheiterten Vertrauensvotum dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag binnen 21 Tagen auszulösen. Die Folge ist eine Neuwahl des Bundestages, also eine neue Bundeswahl. Voraussetzung dafür nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Vorliegen einer “politisch instabilen Lage”. Hierbei besteht ein gewisser Beurteilungsspielraum des Bundespräsidenten und Bundeskanzlers.
Beispiel
Nach mehreren parteiinternen Konflikten und umstrittenen Gesetzesvorhaben schwindet die Unterstützung für Bundeskanzlerin X innerhalb der Regierungskoalition. Ein zentrales Reformgesetz scheitert im Bundestag knapp an der eigenen Mehrheit. Um zu prüfen, ob sie noch den Rückhalt der Mehrheit der Abgeordneten besitzt und gegebenenfalls Neuwahlen zu ermöglichen, stellt die Kanzlerin die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 GG.
In der Bundestagssitzung bittet sie die Abgeordneten um ein Vertrauensvotum. Bei der Abstimmung erhält sie nicht die erforderliche Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Daraufhin schlägt sie dem Bundespräsidenten vor, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident macht von seinem Ermessen Gebrauch und löst den Bundestag tatsächlich auf. Dadurch kommt es zu Neuwahlen, bei denen die Regierungsmehrheiten neu bestimmt werden.
Gemäß Art. 68 I 2 GG erlischt dieses Recht, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählt.
bb) Rücktritt des Bundeskanzlers
Neben dem Auflösungsgesuch besteht auch die Möglichkeit des Bundeskanzlers zurückzutreten.
Dies führt nicht zu einer Auflösung des Bundestages, sondern zu einer Neuwahl des Bundeskanzlers gemäß Art. 63 GG.
cc) Bundeskanzler führt Geschäfte fort
Daneben besteht die Möglichkeit, dass der Bundeskanzler weder den Bundespräsidenten um Auflösung des Bundestages ersucht noch zurücktritt, sondern die Geschäfte unverändert fortführt. Dies führt regelmäßig zu einer Minderheitsregierung und zu einer Lage politischer Instabilität bzw. eingeschränkter Handlungsfähigkeit der Regierung, da diese zur Umsetzung ihrer Vorhaben keine parlamentarische Mehrheit hat.
dd) Einleitung des Gesetzgebungsnotstands, Art. 81 I 1 GG
Zuletzt besteht auch die Möglichkeit, den Bundespräsidenten um Einleitung des Gesetzgebungsnotstands nach Art. 81 GG zu ersuchen.
Der Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG ist ein verfassungsrechtliches Notinstrument, das in besonderen politischen Ausnahmesituationen greift. Voraussetzung ist zunächst, dass der Bundeskanzler gemäß Art. 68 GG im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt hat, diese aber scheitert und der Bundestag dennoch nicht aufgelöst wird. In diesem Fall kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand erklären (Art. 81 I GG).
Voraussetzung ist zudem, dass eine Gesetzesvorlage, die die Bundesregierung als dringlich bezeichnet hat, vom Bundestag abgelehnt wurde. Gleiches gilt, wenn der Bundeskanzler die Gesetzesvorlage mit einem Antrag nach Art. 68 GG verbunden und der Bundestag sie trotzdem abgelehnt hat.
Wird der Gesetzgebungsnotstand erklärt, kann die Bundesregierung die abgelehnte Gesetzesvorlage erneut einbringen. Lehnt der Bundestag diese wiederum ab oder nimmt er sie nur in einer für die Bundesregierung unzumutbaren Fassung an, gilt das Gesetz dennoch als beschlossen, sofern der Bundesrat zustimmt (Art. 81 II GG). Dies tritt auch ein, wenn der Bundestag innerhalb von vier Wochen überhaupt nicht über die Vorlage entscheidet.
Darüber hinaus erlaubt Art. 81 III GG, dass während der Amtszeit desselben Bundeskanzlers innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Erklärung des Gesetzgebungsnotstands auch andere, zuvor abgelehnte Gesetzesvorlagen nach demselben Verfahren beschlossen werden können. Nach Ablauf dieser Frist ist eine erneute Erklärung des Gesetzgebungsnotstands in derselben Amtszeit ausgeschlossen.
Eine klare Grenze zieht schließlich Art. 81 IV GG: Das Grundgesetz selbst darf durch Gesetze, die unter den Bedingungen des Gesetzgebungsnotstands zustande kommen, weder geändert noch außer Kraft gesetzt oder in seiner Anwendung eingeschränkt werden.
Damit ist der Gesetzgebungsnotstand ein eng begrenztes Mittel, um eine Blockade der Gesetzgebung zu überwinden und die Handlungsfähigkeit der Regierung zu sichern. Er dient ausdrücklich nicht dazu, die parlamentarische Demokratie zu umgehen. In der Praxis wurde er bisher noch nie angewendet, was zeigt, dass die vorhandenen politischen Mechanismen bislang auch ohne diese Möglichkeit auskommen.
Gesetzesverweis
Sofern in deinem Bundesland zulässig, zitiere dir den Art. 81 I 1 GG an den Art. 68 GG, um dich an die Möglichkeit der Einleitung des Gesetzgebungsnotstandes in diesem Fall zu erinnern.
Unechte Vertrauensfrage
Neben der echten Vertrauensfrage existiert die sogenannte unechte Vertrauensfrage. Diese ist kein eigenständiges, im Grundgesetz geregeltes Verfahren, sondern eine politische Praxis. Anders als bei der echten Vertrauensfrage nach Art. 68 GG ist hier nicht das Ziel, den Bundestag im Fall des Scheiterns aufzulösen.
Der Bundeskanzler verknüpft bei der unechten Vertrauensfrage die Abstimmung über eine bestimmte Sachfrage (z. B. ein wichtiges Gesetzesvorhaben) mit der Aufforderung, ihm das Vertrauen auszusprechen. Scheitert die Abstimmung, bleibt der Kanzler zwar rechtlich im Amt, es kommt also weder zur Auflösung des Bundestages noch automatisch zu einem Misstrauensvotum. Ein solches Ergebnis wird aber politisch wie ein Vertrauensverlust gewertet und kann den Rücktritt des Kanzlers oder Koalitionsverhandlungen nach sich ziehen.
II. Das Misstrauensvotum, Art. 67 GG
1. Allgemeines
Demgegenüber ist das konstruktive Misstrauensvotum ein Instrument des Bundestages, mit dem das Parlament dem amtierenden Bundeskanzler das Vertrauen entziehen und gleichzeitig einen neuen Bundeskanzler wählen kann. Eine bloße Abwahl ohne die Wahl eines Nachfolgers ist nach Art. 67 GG nicht möglich. Diese Konstruktion verhindert, dass Regierungen allein durch negative Mehrheiten gestürzt werden, und stellt sicher, dass jederzeit eine handlungsfähige Bundesregierung vorhanden ist. Damit ist das konstruktive Misstrauensvotum ein wichtiges parlamentarisches Gegengewicht zur Stellung des Bundeskanzlers und Ausdruck der politischen Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber der Legislative. In der Praxis kam es nur selten zur Anwendung, besonders bekannt ist der erfolgreiche Regierungswechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl im Jahr 1982.
2. Verfahren

Ausgangspunkt ist ein Antrag im Bundestag, mit dem die Abwahl des amtierenden Bundeskanzlers beantragt wird. Gleichzeitig wird dabei ein neuer Kanzler zur Wahl vorgeschlagen.
Im nächsten Schritt stimmt der Bundestag über diesen Vorschlag ab. Für den Erfolg des Misstrauensvotums ist die sogenannte Kanzlermehrheit erforderlich, also die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages (Art. 121 GG). Stimmt eine solche Mehrheit für den vorgeschlagenen neuen Kanzler, ersucht der Bundestag den Bundespräsidenten um die Entlassung des bisherigen Kanzlers und die Ernennung des neuen Kanzlers. Der Bundespräsident ist dabei verfassungsrechtlich verpflichtet, diesen neuen Kanzler zu ernennen.
Scheitert die Abstimmung an der erforderlichen Mehrheit, bleibt der amtierende Kanzler im Amt, und es kommt weder zu einer Entlassung noch zu einer Neuwahl.
Merke
Die Abberufung eines Bundesministers durch den Bundestag ist nicht möglich. Diese Möglichkeit obliegt dem Bundespräsidenten nach alleinigem Vorschlagsrecht durch den Bundeskanzler (Art. 64 GG).
Problem
Reine Missbilligungsbeschlüsse
Im Zusammenhang des konstruktiven Misstrauensvotum wird diskutiert, ob der Bundestag auch reine Missbilligungsbeschlüsse fassen darf, also Beschlüsse, in denen er lediglich das Vertrauen in den amtierenden Bundeskanzler oder die Bundesregierung entzieht, ohne gleichzeitig einen neuen Bundeskanzler zu wählen.
Nach überwiegender Ansicht sind solche Beschlüsse verfassungsrechtlich unzulässig, weil sie das bewusst eingeführte Prinzip des konstruktiven Misstrauensvotums unterlaufen würden. Dieses soll politische Instabilität verhindern, wie sie in der Weimarer Republik durch häufige einfache Misstrauensvoten ohne klare Mehrheiten für neue Regierungen entstand. Der Bundestag kann also einen Kanzler nur abwählen, wenn er zugleich eine neue, mehrheitsfähige Person wählt, wie Art. 67 I GG es fordert.
Einige Stimmen in der Literatur halten Missbilligungsbeschlüsse zwar für zulässig, betonen aber, dass sie keine rechtlichen Wirkungen entfalten, insbesondere führen sie nicht zur Entlassung des Kanzlers. Sie können allenfalls ein politisches Signal sein, ohne aber verfassungsrechtliche Konsequenzen auszulösen.