Durch die Kaufrechtsnovellierung zum 01.01.2022 wurden die §§ 475a - §§ 475e BGB neu eingefügt, um im Kontext digitaler Produkte das Zusammenspiel des Kaufrechts und die Besonderheiten digitaler Produkte klarer zu regeln. Diese unübersichtlichen Vorschriften sind dann leichter verständlich, wenn man sich bewusst macht, welche unterschiedlichen Produktarten sie regelt und von wo auf welche anderen Stellen im Gesetz verwiesen wird.
Die §§ 475a ff. BGB sind insbesondere praxisrelevant, denn sie werden in einer zunehmend softwarebasierten und technologisierten Produktlandschaft immer wichtiger werden.
I. Definitionen
Vorab soll zur Übersichtlichkeit auf einzelne Definitionen und Abgrenzungen dieses Regelungskomplexes eingegangen werden.
1. §§ 475a, 475b BGB
Unterschieden wird im Rahmen der §§ 475a ff. BGB zwischen Verbrauchsgüterkäufen über
körperliche Datenträger, die ausschließlich als Träger inhaltlicher digitaler Inhalte dienen (§ 475a I BGB),
Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit digitalen Produkten verbunden sind, die ihre Funktion auch ohne diese digitalen Produkte erfüllen können (§ 475a II BGB) und
Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit digitalen Produkten verbunden sind, die ihre Funktion ohne diese Produkte nicht erfüllen können, sogenannte Waren mit digitalen Elementen (§§ 475b, 327a III BGB).
2. § 327 BGB
Ergänzend dazu lässt sich in § 327 I 1 BGB die Definition des Begriffes “digitale Produkte” finden:
Zitat
§ 327 I 1 BGB:
“Digitale Produkte sind digitale Inhalte sowie digitale Dienstleistungen.”
Digitale Inhalte wiederum sind in § 327 II 1 BGB definiert:
Zitat
§ 327 II 1 BGB:
“Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt wurden”.
”Digitale Dienstleistungen ermöglichen die Verarbeitung und Speicherung digitaler Daten, sowie den Zugang zu digitalen Daten.”
II. § 475a BGB (Verweisnorm)
§ 475a BGB enthält die zentrale Neuregelung, die auf die §§ 327 ff. BGB (Verbraucherverträge über digitale Produkte) verweist und einzelne Regelungen des kaufrechtlichen Mängelrechts ausschließt.
Merke
Das heißt, dass dann, wenn ein Kaufvertrag vorliegt, du zunächst von der vollständigen Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB ausgehst. Sofern es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, kannst du zusätzlich in die §§ 475 ff. BGB schauen, ob es dort spezielle Regelungen gibt. Wenn dies der Fall ist und es sich dann auch noch um einen Verbrauchsgüterkauf über ein digitales Produkt handelt, schaust du weiter in die §§ 475a ff. BGB, ob sich dort weitere Abweichungen von den §§ 434 ff. BGB befinden.
1. Verbrauchsgüterkauf über einen körperlichen Datenträger (Abs. 1)
Gemäß § 475a I 1 BGB sind die Vorschriften der § 433 I 2, §§ 434-442, § 475 III 1, §§ 475 IV-VI, §§ 475b-475e, §§ 476, 477 BGB auf Verbrauchsgüterkäufe über körperliche Datenträger nicht anwendbar, wenn diese ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, empfiehlt es sich zunächst, in § 475a I 1 BGB „ausschließlich“ und „Träger digitaler Inhalte“ zu unterstreichen. In § 475a II 1 BGB solltest du dir „Funktionen auch ohne diese digitalen Produkte erfüllen kann“ unterstreichen. Zuletzt solltest du dir neben den § 475a BGB die §§ 327 - 327s BGB kommentieren, um dir das Auffinden der Normen für Verbraucherverträge über digitale Produkte zu erleichtern.
Stattdessen finden die Vorschriften der §§ 327-327u BGB Anwendung (§ 475a I 2 BGB).
Das Mängelrecht für solche Kaufverträge richtet sich somit abweichend von den §§ 434 ff. BGB nach den §§ 327 ff. BGB (§ 475a I 2 BGB).
Beispiel
USB-Stick oder CD-ROM mit darauf gespeicherter Software
2. Verbrauchsgüterkauf über sonstige digitale Produkte (Abs. 2)
Gemäß § 475a II BGB sind auf einen Verbrauchsgüterkauf über Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit digitalen Produkten verbunden sind, die ihre Funktion auch ohne diese digitalen Produkte erfüllen können, die
§§ 433 I 1, 475 I BGB über die Übergabe der Kaufsache und die Leistungszeit nicht anzuwenden.
§§ 433 I 2, 434 - 442, 475 III 1, IV - VI, 475b - 475e, 476, 477 BGB über die Rechte bei Mängeln nicht anzuwenden.
Somit ist auch hier die wesentliche Aussage, dass sich bei solchen Verbrauchsgüterkäufen das Mängelrecht abweichend von den §§ 434 ff. BGB nach den §§ 327 ff. BGB richtet (§ 475a II 2 BGB). Dies gilt jedenfalls “im Hinblick auf diejenigen Bestandteile des Vertrags, welche die digitalen Produkte betreffen”:
Mängel an der Ware selbst werden somit nach den “normalen” Regelungen des Kaufrechts (§§ 434 ff. BGB) behandelt.
Für Mängel an dem digitalen Produkt sind wie dargestellt die §§ 327 ff. BGB heranzuziehen.
Beispiel
Thermomixer mit App- Anbindung, Smart TV
3. Verbrauchsgüterkauf über eine Ware mit digitalen Elementen (§§ 475b, 327a III 1 BGB)
Sofern keiner der in § 475a BGB aufgeführten Verbrauchsgüterkäufe vorliegt, sondern es sich um eine Ware mit digitalen Elementen handelt (§ 327a III 1 BGB), bleiben die §§ 434 ff. BGB anwendbar. Ergänzend werden allerdings in § 475b BGB Regelungen aufgeführt, die die Mangelvorschrift des § 434 BGB für solche Käufe konkretisiert und verdrängt.
Sofern die Ware mit digitalem Element “dauerhaft bereitgestellt” wird, ist ergänzend § 475c BGB anzuwenden.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir den § 327e I 3 BGB an den § 475c BGB zitieren, um dich an die Definition des Begriffs der dauerhaften Bereitstellung zu erinnern.
Beispiel
Smartphone, Spielekonsole, Smartwatch
III. Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB
Die Vorschriften der §§ 327 ff. gelten wie auch die Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf für Verbraucherverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§ 310 III BGB). Gegenstand des Vertrags ist die Bereitstellung digitaler Produkte, die in digitale Inhalte (§ 327 II 1 BGB) und digitale Dienstleistungen (§ 327 II 2 BGB) unterteilt werden.
Beispiel
Digitale Produkte sind etwa Computerprogramme, Musikdateien, Videodateien. Digitale Dienstleistungen sind Cloud-Speicher, soziale Netzwerke, Plattformen für Textverarbeitung oder Online-Spiele.
1. Systematik
Die §§ 327 ff. BGB sind grundsätzlich ungeachtet des zugrundeliegenden Vertragstyps anwendbar (also nicht nur für Kaufverträge). Soweit es sich um ein Produkt im Sinne der §§ 327 ff. BGB handelt und ein Verbrauchervertrag vorliegt, sind diese Normen grundsätzlich anwendbar. Dies gilt auch, wenn z. B. ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt, der eigene Regelungen vorsieht.
Merke
Dies widerspricht der grundsätzlichen Systematik des Gesetzes, wonach leges speciales den allgemeineren Gesetzen vorgehen. Hier ist es so, dass das lex generalis, also das allgemeinere Gesetz, dem spezielleren Gesetz vorgeht.
Um diesen Widerspruch aufzulösen, wurden in § 475a BGB die bereits dargestellten Regelungen aufgenommen, die die kaufrechtlichen Sondernormen (§§ 434 ff. BGB) im Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB zum Teil für nichtanwendbar erklären. Weitere Nichtanwendungsnormen finden sich in den §§ 453 I, 516a, 650 II, III BGB.
Merke
Zuvor haben wir bereits dargestellt, bei welchen Arten von Verbrauchsgüterkaufverträgen § 475a BGB Ausnahmeregelungen trifft. Die wesentliche Frage, die du dir im Kontext kaufrechtlicher Klausuren stellen musst, ist, ob du die Anspruchsgrundlage, die du prüfst, in den §§ 327 ff. BGB oder den §§ 434 ff. BGB zu suchen hast.

2. Besondere Vertragstypen
§ 327a BGB enthält verschiedene Regelungen zu besonderen Vertragstypen im Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB, die sicherlich kein Prüfungsschwerpunkt sind, von denen man jedoch einmal gehört haben sollte:
a) Paketverträge (§ 327a I BGB)
Bei Verträgen, die neben digitalen Produkten auch andere Leistungen umfassen, gelten die Vorschriften der §§ 327 ff. BGB für den digitalen Bestandteil. Bei Nicht- oder Schlechtleistung kann der Verbraucher unter bestimmten Voraussetzungen auch den anderen Vertragsteil beenden (§ 327c VI BGB).
b) Verträge über Sachen mit digitalen Produkten (§ 327a II BGB)
Diese Vorschriften betreffen z. B. Waren mit integrierter Software, wie Autos mit Navigationssystemen. Auch hier können Verbraucher bei Nichterfüllung des digitalen Bestandteils vom gesamten Vertrag zurücktreten (§ 327c VII BGB).
c) Kauf von Waren mit digitalen Elementen (§ 327a III BGB)
Sofern eine Sache ohne das digitale Produkt nicht funktionsfähig ist (Ware mit digitalen Elementen), gelten die Vorschriften des Kaufrechts für den gesamten Vertrag und nicht nur für einzelne Teilelemente der Ware (S. 2) - siehe oben.
Beispiel
Bei einem Ofen mit Digitaluhr sind bei einem Defekt der Digitaluhr die §§ 327 ff. BGB vorrangig anwendbar. Heizt der Ofen jedoch nicht, sind die §§ 434 ff. BGB anwendbar
3. Rechte des Verbrauchers (§ 327 c BGB)
a) Beendigung des Vertrags (Abs. 1)
Bei unterbliebener Bereitstellung kann der Verbraucher den Vertrag beenden. Voraussetzung ist eine Aufforderung zur Leistung, es sei denn, diese ist entbehrlich (z. B. bei Fixgeschäften).
b) Schadensersatz (Abs. 2)
Neben der Vertragsbeendigung kann der Verbraucher Schadensersatz nach §§ 280 ff. BGB geltend machen.
c) Rückabwicklung
Kommt es zur Beendigung des Vertrags, so hat der Unternehmer dem Verbraucher die Zahlungen zu erstatten, die zur Erfüllung des Vertrags geleistet wurden und für die er keine Leistung erhalten hat (§ 327o II BGB). Digitale Produkte dürfen nicht weiter genutzt werden (§ 327n I BGB). Bei physischen Datenträgern ist eine Rückgabe auf Verlangen des Unternehmers erforderlich.
4. Mängelrecht
§ 327i BGB enthält außerdem einen Verweis auf spezielles Mängelrecht, das in seiner Struktur dem Mängelrecht der besonderen Schuldverhältnisse und insbesondere dem § 437 BGB nachempfunden ist.