Die Konkurrenzen im Strafrecht sind ein ungeliebtes Thema, aber höchst relevant. Insbesondere für Klausuren im oberen Notenbereich muss die Konkurrenzlehre beherrscht werden. Dieser Artikel soll einen Überblick über das Thema verschaffen.
I. Allgemeines
Immer wenn ein Täter mehrere Tatbestände verwirklicht, bildet die Prüfung der Konkurrenzen den Abschluss der Klausur. Sie dient dazu herauszufinden, in welchem Verhältnis die Straftaten zueinander stehen und nach welcher Strafnorm bestraft werden soll, beziehungsweise wie sich das Strafmaß zusammensetzt. Zunächst muss verstanden werden, dass die Frage von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit nicht zwangsläufig allein zur Beantwortung der Frage führt, ob Tateinheit/Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) vorliegt.
Die typischen Gesetzeskonkurrenzen (Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion) können nämlich dazu führen, dass trotz Handlungseinheit keine Tateinheit vorliegt. Insoweit muss zunächst also festgestellt werden, ob Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit gegeben ist und ob diese dann auch wirklich zur Tateinheit oder Tatmehrheit führen oder ob Gesetzeskonkurrenzen vorliegen, die das Ergebnis abändern. Es bietet sich folgender Prüfungsaufbau an:

II. Handlungseinheit und Tateinheit
Die erste Frage, die man sich stellen muss, wenn im Prüfungsverlauf mehrere strafbare Tatbestandsverwirklichungen festgestellt werden, ist, ob Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit vorliegt.

1. Handlungseinheit
Handlungseinheit liegt vor, wenn nur eine Handlung vorliegt. Dies können drei unterschiedliche Konstellationen sein; es kann
eine Handlung im natürlichen Sinne,
natürliche Handlungseinheit oder
rechtliche Handlungseinheit
vorliegen.
a) Eine natürliche Handlung
Definition
Eine natürliche Handlung liegt vor, wenn ein Willensentschluss zu einem einzigen Tätigkeitsakt, aber mehreren Tatbestandsverwirklichungen führt.
Grundsätzlich ist es dabei egal, ob die Tatbestände gleichartig sind oder nicht:
Beispiel
Ungleichartigkeit:
A beschließt nach einer Provokation, den B zu schlagen. Er schlägt ihm 1-mal ins Gesicht. Dabei erleidet B eine Platzwunde (§ 223 I StGB) und seine Brille geht zu Bruch (§ 303 I StGB).
Beispiel
Gleichartigkeit:
A beschließt, den B zu erschießen. Er will im GTA-Stil einen Drive-By machen. Er fährt vor das Haus des B und schießt 1-mal auf den im Vorgarten befindlichen B. Die Kugel trifft nicht nur B tödlich (§ 212 I StGB), sondern auch seine hinter ihm stehende Ehefrau (§ 212 I StGB).
b) Natürliche Handlungseinheit
Definition
Natürliche Handlungseinheit liegt vor, wenn mehrere gleichartige Tätigkeitsakte auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen.
Wichtig für die Annahme der Handlungseinheit in solchen Fällen ist die enge räumliche und zeitliche Nähe sowie ein einheitlicher Willensentschluss. Zu unterscheiden ist ferner zwischen identischen Ausführungshandlungen und teilidentischen Ausführungshandlungen.
aa) Identische Ausführungshandlungen
Beispiel
A beschließt nach einer Provokation, den B zu schlagen. Er schlägt ihm wiederholt 3-mal ins Gesicht. Dabei erleidet B mehre Platzwunden und blaue Flecke (§ 223 I StGB x3).
Die Fälle der natürlichen Handlungseinheit durch identische Ausführungshandlungen sind im Rahmen der Konkurrenzlehre regelmäßig irrelevant, da das Problem bereits auf Tatbestandsebene gelöst wird, indem eine einheitliche Körperverletzung festgestellt wird.
bb) Teilidentische Ausführungshandlungen
Teilidentische Ausführungshandlungen liegen vor, wenn die Tathandlung eines Delikts typischer Teilaspekt eines anderen Delikts ist.
Beispiel
Übeltäter A beschließt, Oma O auszurauben. Eines Abends schlägt er O auf ihrem Nachhauseweg bewusstlos (§ 223 I StGB), und entwendet ihr die selbstgestrickte Handtasche (Wegnahmehandlung, § 242 I StGB).
Hier ist die Körperverletzung typischer Teilaspekt eines durch Gewalt gegen eine Person begangenen Raubes (§ 249 I StGB). Die beiden Tätigkeitsakte (Niederschlagen und Wegnahme) stehen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang, sodass Handlungseinheit vorliegt.
c) Rechtliche Handlungseinheit
Von rechtlicher Handlungseinheit spricht man, wenn ein Willensentschluss zu mehreren ungleichartigen Tätigkeitsakten führt, diese ungleichartigen Tätigkeitsakten aber dadurch rechtlich verbunden sind, dass Teilidentität zwischen den Delikten besteht.
Hierunter fallen
Qualifikationen und Privilegierungen,
zusammengesetzte beziehungsweise mehraktige Delikte oder
verklammerte Delikte.
In bestimmten Fällen kann eine rechtliche Verbindung und damit rechtliche Handlungseinheit auch dann vorliegen, wenn ein Dauerdelikt auf ein Zustandsdelikt trifft.
aa) Qualifikationen, Erfolgsqualifikationen und Privilegierungen
Qualifikationen setzen den teilidentischen Tätigkeitsakt des Grunddelikts voraus und fügen mindestens ein weiteres Merkmal hinzu. Beim qualifizierten Raub etwa handelt es sich um eine einzige rechtliche (juristische) Handlungseinheit, in der das Grunddelikt (Raub) durch zusätzliche Merkmale qualifiziert wird, ohne dass zwei getrennte natürliche Handlungen vorliegen
Auch Erfolgsqualifikationen erhöhen die Schwere des Grunddelikts, ohne dass eine zweite, vom Grunddelikt getrennte Tathandlung vorliegt. Auch hier liegt eine juristische Handlungseinheit vor.
Gleiches gilt für Privilegierungen – wie im Beispiel des Unterschieds zwischen § 216 und § 212 StGB – liegt eine einheitliche (juristische) Handlungseinheit vor. Die Privilegierung setzt den gleichen Tätigkeitsakt voraus, ergänzt durch zusätzliche (strafmindernde) Merkmale, ohne dass zwei voneinander unabhängige Tathandlungen vorliegen.
bb) Zusammengesetzte/mehraktige Delikte
Definition
Handlungseinheit besteht bei der Verwirklichung von mehreren Tatbeständen, die aber durch ein mehraktiges Delikt vollständig abgebildet sind, weil aus der Summe der Teilakte einzelner Delikte ein mehraktiges Delikt verwirklicht wird.
Beispiel
Übeltäter A beschließt, Oma O auszurauben. Er stellt sich ihr abends in den Weg, droht ihr mit Prügel (Nötigungshandlung, § 240 StGB) und entwendet ihr die selbstgestrickte Handtasche (Wegnahmehandlung, § 242 I StGB). A ist wegen Raubes (§ 249 I StGB) strafbar.
cc) Verklammerte Delikte
Definition
Handlungseinheit bei verklammerten Delikten besteht, wenn zwei selbstständige Straften durch ein Delikt verbunden, aber nicht vollständig abgebildet werden.
Beispiel
Hobby-Dieb D stiehlt (§ 242 I StGB und § 146 I Nr. 2 StGB) gefälschte Banknoten von Profi-Fäscher P. Sodann bezahlt er damit - wie von Anfang an geplant - ein neues Handy im Elektronikgeschäft des E (§ 263 I StGB und § 146 I Nr. 3 StGB).
Im obigen Beispiel wird der Diebstahl (§ 242 I StGB) und der Betrug gegenüber E (§ 263 I SGB) durch die Geldfälschung gemäß § 146 I Nr. 2 (sich falsches Geld verschaffen) und 3 StGB (falsches Geld als ich echt in Verkehr bringen) schon rechtlich (tatbestandlich verknüpft), sodass rechtliche Handlungseinheit besteht.
dd) Dauerdelikt trifft Zustandsdelikt
Definition
Handlungseinheit besteht bei dem Aufeinandertreffen von Dauerdelikt und Zustandsdelikt immer dann, wenn jeder Tätigkeitsakt innerhalb der Tat den rechtswidrigen Taterfolg begründet oder bei seiner Aufrechterhaltung droht.
Beispiel
A hat die B in seinem Haus eingesperrt, um eine “Beziehung” zu erzwingen. Dabei droht er ihr während des Eingesperrtseins ( Dauerdelikt § 239 StGB) mehrmals damit, sie hart zu bestrafen, falls sie versuchen sollte zu fliehen (Zustandsdelikt § 240 StGB).
In diesem Beispiel dient die Drohung der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Taterfolgs (Freiheitsberaubung). Es liegt Handlungseinheit vor.
2. Tateinheit
Insofern man eine Handlungseinheit nach obigen Grundsätzen annehmen muss, muss man sich die Frage stellen, ob auch Tateinheit (oder Idealkonkurrenz) nach § 52 StGB vorliegt. Insofern keine Handlungseinheit vorliegt, wird Handlungsmehrheit vorliegen (dazu sogleich).
a) Normalfall - Rechtsfolge
Grundsätzlich führt die Handlungseinheit zu der Annahme einer Tateinheit. Rechtsfolge ist, dass nur eine einheitliche Strafe verhängt wird. Die Strafe wird nach der Strafnorm bestimmt, die die schwerste Strafe androht (Absorptionsprinzip). Das dann festgestellte Strafmaß darf aber nicht milder sein, als es die anderen Strafnormen zulassen (Kombinationsprinzip). Dazu sogleich mehr.
b) Gesetzeskonkurrenzen
Nicht in jedem Fall der Handlungseinheit liegt auch Tateinheit vor. Greift eine Gesetzeskonkurrenz, liegt zwar Handlungseinheit vor, aber keine Tateinheit. Im Rahmen der Tateinheit zu beachten, sind die Konsumtion, Subsidiarität und Spezialität.
aa) Spezialität
Definition
Spezialität liegt vor, wenn ein Tatbestand schon begriffsnotwendig alle Merkmale eines anderen Tatbestandes erfüllt.
Hierunter sind alle Qualifikationen, Erfolgsqualifikationen und Privilegierungen zu fassen.
Beispiel
Die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) verdrängt die einfache Körperverletzung (§ 223 I StGB)
Die schwere Körperverletzung verdrängt (§ 226 StGB) verdrängt die einfache Körperverletzung (§ 223 I StGB)
Die Tötung auf Verlangen (§ 216 I StGB) verdrängt den Totschlag (§ 212 I StGB)
Aber auch teilidentische Delikte können durch ein mehraktiges Delikt verdrängt werden.
Beispiel
§ 249 I StGB verdrängt die Nötigung (§ 240 I StGB) und den Diebstahl (§ 242 I StGB).
Insofern Spezialität gegeben ist, liegt zwar Handlungseinheit, aber nicht Tateinheit vor!
Merke
Der Täter eines Raubes wird also nicht wegen Raubes (§ 249 I StGB) in Tateinheit mit Diebstahl (§ 242 I StGB) und Nötigung (§ 240 I StGB) verurteilt, sondern “nur” wegen Raubes.
aaa) Mögliche Kombination aus Spezialität und Tateinheit
Auch wenn hinsichtlich eines zusammengesetzten Delikts keine Tateinheit mit den teilidentischen mitverwirklichten Delikten besteht, kann Tateinheit mit einem weiteren Delikt vorliegen. Es werden insoweit drei oder mehr Delikte auf der Ebene der Handlungseinheit kombiniert, aber nicht auf Ebene der Tateinheit.
Beispiel
A beschließt, Oma O auszurauben. Er stellt sich ihr abends in den Weg, droht ihr mit einem Messer. Als O sich wehrt und ihre geliebte, selbstgestrickte Handtasche nicht herausgeben will, sticht A mit dem Messer auf sie ein. Sodann kann A ihr die Tasche entwenden. A ist wegen schweren Raubes (§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB) und wegen der verwirklichten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB) strafbar.
Im obigen Beispiel liegt Handlungseinheit vor zwischen:
Diebstahl, § 242 I StGB (Wegnahmehandlung) und Nötigung, § 240 StGB (Nötigungshandlung) in Form der rechtlichen Handlungseinheit
Raub (§ 249 I StGB) und schwerem Raub (§ 250 II Nr. 1 StGB) in Form der rechtlichen Handlungseinheit
schweren Raubes (§§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB) und gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB) in Form der natürlichen Handlungseinheit, weil die einzelnen Tätigkeitsakte von einem einheitlichen Willensentschluss getragen sind (O auszurauben), Gleichartigkeit der Einzelakte (Zustechen mit dem Messer —> Nötigungshandlung im Rahmen des Raubes und Verletzungshandlung im Rahmen der Körperverletzung).
Im obigen Beispiel liegt aber nur hinsichtlich des schweren Raubes und der gefährlichen Körperverletzung Tateinheit vor, weil hier keine Spezialität vorliegt. Der schwere Raub setzt zwar begriffsnotwendig den “einfachen” Raub (Qualifikation—> Spezialität) sowie die Wegnahme und die Nötigung (zusammengesetztes Delikt—> Spezialität) voraus, aber nichtdie Körperverletzung. Insofern ist A also strafbar wegen schweren Raubes (§§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung.
bb) Subsidiarität
Auch in Fällen der formellen und materiellen Subsidiarität werden mehrere Tatbestände in Handlungseinheit verwirklicht, Tateinheit liegt aber nicht vor.
Formelle Subsidiarität liegt vor, wenn sie ausdrücklich in der Norm verankert ist.
Merke
So verwirklicht etwa ein Dieb neben § 242 I StGB immer auch eine Unterschlagung (§ 246 StGB). Diese tritt aber schon wegen der formellen Subsidiarität in Abs. 1 a.E. hinter dem Diebstahl zurück.
Der Täter wird also - obwohl die Unterschlagung in Handlungseinheit mitverwirklicht wird - nicht wegen Diebstahl (§ 242 I StGB) in Tateinheit mit Unterschlagung (§ 246 I StGB) bestraft, sondern nur wegen Diebstahls (§ 242 StGB).
Die materielle Subsidiarität betrifft nicht nur einzelne Strafnormen, sondern verdrängt ganze Deliktsarten und Teilnahmeformen. Dabei kann man sich grundsätzlich merken:
Die Teilnahme ist subsidiär zur Täterschaft (Täterschaft vor Teilnahme)
Die Beihilfe ist subsidiär zur Anstiftung (Anstiftung vor Beihilfe)
Der Versuch ist subsidiär zur Vollendung (Vollendung vor Versuch)
Konkrete Gefährdungsdelikte sind subsidiär zu Verletzungsdelikten
echte Unterlassungsdelikte sind subsidiär zu unechten Unterlassungsdelikten (etwa Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) vor unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB))
cc) Konsumtion
Liegt ein Fall der Konsumtion vor, scheidet auch hier Tateinheit aus.
Definition
Konsumtion bedeutet, dass ein schwerer Deliktstatbestand einen leichteren, in ihm enthaltenen Deliktstatbestand „aufbraucht“, sodass nur der schwere Tatbestand strafrechtlich relevant ist. Der Unrechtsgehalt eines nachrangigen Delikts wird also durch die Bestrafung eines vorrangigen Delikts mit abgegolten.
Merke
Die Körperverletzungen (§§ 223 I, 224, 226 StGB) sind notwendiges Durchgangsstadium des Totschlags, sodass durch die Bestrafung durch das schwerere Delikt (§ 212 I StGB) das nachrangige absorbiert wird.
Der Täter verwirklicht also durch eine natürliche Handlung (etwa einen einzigen Schuss) mehrere Tatbestände. Trotz dieser Handlungseinheit ist der Täter aber nicht wegen Totschlags (§ 212 I StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit der mitverwirklichten Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) zu bestrafen, sondern nur wegen des Totschlags gemäß § 212 I StGB.
III. Handlungsmehrheit und Tatmehrheit
Liegt keine Handlungseinheit vor, muss Tatmehrheit vorliegen. Der Täter verwirklicht also mehrere Tatbestände durch voneinander unabhängig (räumliche/zeitliche Zäsur) Handlungen.
Beispiel
Ehemann E gerät mit seiner Frau in Streit und schlägt F ins Gesicht (§ 223 I StGB). Immer noch von Wut geladen, macht er einen Spaziergang, um sich abzureagieren. Während des Spaziergangs tritt er im Park einen Mülleimer zu klump (§ 303 I StGB). Als der Türsteher ihm dann noch den Zutritt zu seiner Lieblingsbar verwehrt, rastet E richtig aus und versucht dem ihm körperlich weit überlegenen Türsteher ins Gesicht zu schlagen (§§ 223 I, II, 22 StGB).
E macht sich wegen Körperverletzung an seiner Frau gemäß § 223 I StGB, wegen versuchter Körperverletzung am Türsteher gemäß §§ 223 I, II, 22 StGB sowie wegen Sachbeschädigung am Mülleimer in Tatmehrheit (§§ 53, 54 StGB) strafbar.
IV. Tatmehrheit
Insofern Handlungsmehrheit vorliegt, muss man sich die Frage stellen, ob auch Tatmehrheit (oder Realkonkurrenz) nach §§ 53 f. StGB vorliegt.
a) Normalfall - Rechtsfolge
Grundsätzlich führt die Handlungsmehrheit zu der Annahme einer Tatmehrheit. Rechtsfolge ist, dass nur eine Gesamtstrafe für alle verwirklichten Delikte verhängt wird. Als Grundlage dient auch hier die (nach ihrer Art) schwerste Strafe. Diese wird aber entsprechend den anderen verwirklichten Delikten erhöht, § 54 I 2 StGB. Allerdings darf diese so gebildete Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen, § 54 II StGB.
b) Gesetzeskonkurrenzen
Nicht in jedem Fall der Handlungsmehrheit liegt auch Tatmehrheit vor. Greift eine Gesetzeskonkurrenz, liegt zwar Handlungsmehrheit vor, aber keine Tatmehrheit. Im Rahmen der Tatmehrheit zu beachten sind die mitbestrafte Vortat und mitbestrafte Nachtat.
aa) Mitbestrafte Vortat
Eine mitbestrafte Vortat liegt vor, wenn ein zeitlich vorgelagertes Delikt hinter einem anderen zeitlich nachgelagerten Delikt zurücktritt, weil das Schwergewicht des Unrechts in der Gesamtschau maßgeblich bei der nachgelagerten Tat liegt.
Beispiel
G ist Gärtner beim wohlhabenden A. Er stiehlt dem G in einem günstigen Momentwährend seiner Arbeitszeit am Montag den Schlüssel eines Porsches, weil er später zurückkommen will, um sich “seinen” lang ersehnten Porsche zu holen. Der A, der 13 Porsches und 16 Ferrari besitzt, bemerkt den fehlenden Autoschlüssel des Porsches Nr. 12 nicht. Am Mittwochabend nach Feierabend stiehlt er mit dem Schlüssel den Porsche Nr. 12 des A und fährt davon.
In diesem Beispiel liegt der Unrechtsgehalt eindeutig beim nachgelagerten Delikt. Zwar liegt wegen der zeitlichen Zäsur und damit wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs keine (natürliche) Handlungseinheit vor, aber auch eine Tatmehrheit kann nicht angenommen werden, weil eine Gesetzeskonkurrenz in Form der mitbestraften Vortat vorliegt.
G macht sich also nicht wegen Diebstahl des Autoschlüssels gemäß § 223 I StGB in Tatmehrheit (§§ 53, 54 StGB) mit dem Diebstahl am Auto gemäß § 223 I StGB strafbar, sondern nur wegen Diebstahls am Porsche Nr. 12.
Klausurtipp
Wer aufmerksam war, kann mit Blick ins Gesetz sicherlich jetzt schon sagen, ob sich G durch das Wegfahren auch wegen des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs (§ 248b StGB) in Tateinheit nach § 52 StGB strafbar gemacht hat.
Antwort:
Nein! Tateinheit nach § 52 StGB liegt wegen der in § 248b I StGB a.E. angeordneten formellen Subsidiarität nicht vor. A ist nicht gemäß § 248b I StGB in Tateinheit strafbar!
bb) Mitbestrafte Nachtat
Eine mitbestrafte Nachtat liegt vor, wenn ein zeitlich nachgelagertes Delikt hinter einem anderen zeitlich vorgelagerten Delikt zurücktritt, weil das Schwergewicht des Unrechts in der Gesamtschau maßgeblich bei der vorgelagerten Tat liegt.
Beispiel
Der obdachlose O stiehlt im Supermarkt des E eine vegane Bifi-Wurst (§ 242 I StGB). Wieder in seinem Wohnheim angekommen, verspeist er die vegane Wurst genüsslich (§ 303 I StGB).
Hier liegt das Unrecht in der Gesamtschau klar bei dem Diebstahl und nicht bei der verwirklichten Sachbeschädigung durch Verspeisen. A ist wegen des veganen Wurst-Diebstahls nach § 242 I StGB strafbar.
V. Zusammenfassung
Liegt Handlungseinheit vor, liegt grundsätzlich auch Tateinheit nach § 52 StGB vor, es sei denn Gesetzeskonkurrenzen greifen (Spezialität, Konsumtion, Subsidiarität).
Liegt Handlungsmehrheit vor, liegt grundsätzlich auch Tatmehrheit nach §§ 53, 54 StGB vor, es sei denn Gesetzeskonkurrenzen greifen (mitbestrafte Vortat, mitbestrafte Nachtat).
