I. Grundsatz
Auch Minderjährige können Schäden verursachen. So wie aber auch im rechtsgeschäftlichen Bereich (siehe hier) muss aber auch im Deliktsrecht Rücksicht auf die Besonderheiten von Minderjährigen genommen werden. Denn das Gesetz geht davon aus, dass Minderjährige auch im außervertraglichen Bereich noch unerfahren und daher schutzwürdig sind. Daher bedarf es besonderer Regelungen.
II. Fallaufbau
War der Schädiger minderjährig, so ist im Fallaufbau zwischen einer Haftung des Minderjährigen selbst nach §§ 823 ff. BGB und einer Haftung des Aufsichtspflichtigen nach § 823 BGB, § 832 BGB zu differenzieren.
Haften der Minderjährige und der Aufsichtspflichtige, haften sie dem Geschädigten im Außenverhältnis nach § 840 I BGB als Gesamtschuldner.
Für das Innenverhältnis gilt dann § 840 II BGB. Ist neben dem Aufsichtspflichtigen auch der Minderjährige verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis der Minderjährige allein, im Falle des § 829 BGB der Aufsichtspflichtige allein verpflichtet.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir den § 840 BGB neben den § 832 BGB kommentieren.
III. Haftung von Minderjährigen
Sofern es um die Haftung des Minderjährigen selbst geht, gelten die §§ 823 ff. BGB grundsätzlich wie gewohnt. Nach der Prüfung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit gelten jedoch Besonderheiten im Rahmen des Verschuldens.
Merke
Die folgenden Ausführungen sind nicht isoliert, sondern im Rahmen des Prüfungspunktes „Verschulden“ zu prüfen.
1. Deliktsfähigkeit
Das Verschulden eines Minderjährigen setzt zunächst dessen Deliktsfähigkeit im Sinne des § 828 BGB voraus.
Definition
Unter Deliktsfähigkeit ist die Verantwortlichkeit für rechtswidriges Verhalten zu verstehen.
Synonyme für die Deliktsfähigkeit sind Schuldfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit.
Nach § 828 I BGB ist nicht verantwortlich, wer nicht das siebte Lebensjahr vollendet hat. Schädiger, die unter sieben Jahre alt sind, sind damit nicht deliktsfähig. Ein Anspruch aus § 823 BGB oder § 826 BGB gegen sie scheitert am fehlenden Verschulden.
Ein Schädiger, der zwischen sieben und 17 Jahre alt ist, ist in der Regel verantwortlich. Dies ergibt sich aus einem Gegenschluss aus § 828 I, II BGB. § 828 II, III BGB bestimmen, wann er ausnahmsweise nicht verantwortlich ist. Dies ist nach § 828 II BGB der Fall, wenn ein Sieben- bis Neunjähriger unvorsätzlich an einem Unfall mit einem Kfz, einer Schienen- oder einer Schwebebahn beteiligt war.
Außerdem entfällt die Verantwortlichkeit nach § 828 III BGB, wenn der Schädiger bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Diese setzt die intellektuelle Fähigkeit voraus, das Unrecht seiner Handlung zu erkennen. Dies ist gegeben, wenn der Minderjährige nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein. Er muss ein allgemeines Verständnis dafür haben, dass seine Handlung gefährlich ist und eine Verantwortung begründen kann.
2. Verschulden
Eine weitere Besonderheit im Rahmen der deliktischen Haftung Minderjähriger bildet der modifizierte Fahrlässigkeitsmaßstab, der im Rahmen des Verschuldens zu prüfen ist. Fahrlässig im Sinne des § 276 II BGB handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Im Rahmen der Bestimmung der verkehrserforderlichen Sorgfalt wird das Alter des Schädigers berücksichtigt. Entscheidend ist nicht der Durchschnitt an Einsicht, Erfahrung und Gewissenhaftigkeit eines Menschen überhaupt, sondern lediglich der eines Menschen der entsprechenden Altersstufe.
Damit handelt ein Minderjähriger nur dann fahrlässig, wenn er das für seine Altersklasse zu erwartende Maß an Sorgfalt außer Acht lässt.
Fahrlässiges Handeln liegt nur dann vor, wenn ein Minderjähriger im Alter des Schädigers bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen müssen, dass sein Handeln zu einer Verletzung eines anderen führen könnte.
Der Fahrlässigkeitsmaßstab ist damit bei Minderjährigen angesichts ihrer geringeren Lebenserfahrung und der eingeschränkten Fähigkeit Risiken einzuschätzen ein anderer als bei Erwachsenen. Es sind daher höhere Anforderungen an das Vorliegen der Fahrlässigkeit zu stellen.
3. Billigkeitshaftung (§ 829 BGB)
Ist ein Minderjähriger aufgrund der fehlenden Deliktsfähigkeit nicht nach § 823 BGB oder § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, kommt dennoch eine Billigkeitshaftung des Minderjährigen nach § 829 BGB.
Merke
§ 829 BGB ist eine eigene Anspruchsgrundlage! Wenn das Verschulden des Minderjährigen zu verneinen ist, scheitert die Prüfung nach §§ 823, 826 BGB und es ist ein neuer Tatbestand - § 829 BGB - zu prüfen.
Diese räumt dem Geschädigten einen Schadensersatzanspruch gegen den nicht deliktsfähigen Minderjährigen ein, soweit die Billigkeit nach den Umständen eine Schadloshaltung erfordert. Der Anspruch setzt voraus, dass der Schadensverursacher nach §§ 827 f. BGB nicht verantwortlich ist. Über den Wortlaut hinaus kann statt der fehlenden Deliktsfähigkeit auch die fehlende Haftung aufgrund eines altersbedingt reduzierten Sorgfaltsmaßstabs vorliegen. Auf der Rechtsfolgenseite ist vorgesehen, dass der Schädiger den Schaden insoweit zu ersetzen hat, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten eine Schadloshaltung erfordert.
Umstände im Sinne des § 829 BGB sind hierbei
das Maß an Einsichtsfähigkeit,
die Schwere der Verletzungen,
die Erkennbarkeit des Risikos und
vor allem die Vermögensverhältnisse der Beteiligten.
Eine Haftung des Minderjährigen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein wirtschaftliches Gefälle zwischen Minderjährigem und Geschädigtem besteht. Aus diesem Grund wird der § 829 BGB auch als „Millionärsparagraph“ bezeichnet. Ein wirtschaftliches Gefälle besteht aber nicht nur, wenn der Minderjährige über besonders viel Vermögen verfügt, sondern liegt auch schon dann vor, wenn der minderjährige Schädiger durch eine Haftpflichtversicherung geschützt ist. Hätte er nämlich für Schadensfälle eine Rücklage gebildet, würde er nach § 829 BGB haften. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung ist mit der Bildung einer Rücklage vergleichbar. Aus diesem Grund besteht ein wirtschaftliches Gefälle.

IV. Haftung von Aufsichtspflichtigen
Hat ein Minderjähriger einen Schaden verursacht, kommen nicht nur Ansprüche gegen diesen selbst in Betracht. Es sind vielmehr auch Schadensersatzansprüche gegen die Aufsichtspflichten (insbesondere die Eltern) denkbar.
Diese können sich einerseits aus §§ 823 ff. BGB ergeben. Problematisch ist hierbei jedoch, dass der Geschädigte im Rahmen des Verschuldens des Aufsichtspflichtigen die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht beweisen muss. Dieser Beweis wird sich regelmäßig als äußerst schwierig gestalten.
1. Haftung nach § 832 I 1 BGB
Abhilfe schafft hier jedoch die Anspruchsgrundlage des § 832 BGB. Dieser normiert eine Haftung aus vermutetem Verschulden Aufsichtspflichtiger. Der Geschädigte muss damit weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit des Aufsichtspflichtigen beweisen. Das Verschulden wird kraft Gesetzes vermutet. Nach § 832 I 2 BGB kann der Anspruchsgegner einen Entlastungsbeweis erbringen.

a) Aufsichtspflichtige Person
Der Anspruch aus § 832 I 1 BGB richtet sich gegen einen Aufsichtspflichtigen. Hierbei kann sich die Aufsichtspflicht aus dem Gesetz, etwa aus §§ 1626, 1626a I, 1631 I BGB bei Eltern und aus §§ 1626a II, 1680 I, 1631 I BGB bei Alleinerziehenden ergeben. Außerdem kann nach § 832 II BGB ein Vertrag eine Aufsichtspflicht begründen. Dies ist etwa bei Ärzten, Pflegern oder Kindergärtnern der Fall.
b) Rechtswidrige Handlung
Neben der Aufsichtspflicht ist erforderlich, dass die zu beaufsichtigende Person eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige unerlaubte Handlung begeht.
c) Entlastungsbeweis
Außerdem ist nach § 832 I 2 BGB ein Entlastungsbeweis möglich:
Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Anspruchsgegner seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Um festzustellen, ob der Aufsichtspflicht genügt wurde, ist der Umfang der Aufsichtspflicht zu bestimmen. Dieser bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Je geringer der Erziehungserfolg ist, desto intensiver muss die Aufsicht sein.
2. Haftung nach § 1664 BGB
Hat sich der Minderjährige selbst geschädigt, kann dies zu Schadensersatzansprüchen gegen seine Eltern führen. Hierbei ist § 832 I 1 BGB allerdings nicht einschlägig, da der Wortlaut eindeutig auf die Schädigung Dritter durch den Minderjährigen abstellt. Allerdings können die Eltern ihrem Kind nach § 1664 BGB haften.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir den § 1664 BGB neben den § 832 I 1 BGB kommentieren, um dich daran zu erinnern, dass dieser als deliktische Anspruchsgrundlage bei Ansprüchen des Minderjährigen wegen Selbstschädigung gegen seine Eltern einschlägig ist.
Die Vorschrift des § 1664 BGB hat zwei Funktionen. Einerseits begründet sie für den Fall der Verletzung einer Pflicht in Ausübung der elterlichen Sorge eine selbstständige Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Kindes gegen seine Eltern. Andererseits mildert sie den Haftungsmaßstab der Eltern. Diese haften dem Kind nicht, wenn das Verhalten ihrer eigenüblichen Sorgfalt (diligentia quam in suis) entspricht. Die Grenze dieser Haftungsprivilegierung stellt jedoch gemäß § 277 BGB die grobe Fahrlässigkeit dar. Verhalten sich die Eltern also grob fahrlässig, können sie sich nicht darauf berufen, dass dies ihrer eigenüblichen Sorgfalt entspreche.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir den § 277 BGB als Verweis auf die Grenze der Haftungsprivilegierung neben den § 1664 BGB kommentieren.
Die Haftungsmilderung nach § 1664 BGB gilt nicht für die deliktische Haftung gegenüber dem Kind, soweit sie keinen Bezug zur elterlichen Sorge hat, insbesondere für die Haftung aus Verkehrsunfällen. Dies ergibt sich daraus, dass im Straßenverkehr kein Raum für individuelle Pflichtvergessenheit besteht und § 1664 BGB die Eltern und nicht deren Haftpflichtversicherer privilegieren soll.