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Staatsrechtliche Grundsätze

Rückwirkung von Gesetzen

Teilgebiet

Staatsorganisationsrecht

Thema

Staatsrechtliche Grundsätze

Tags

Rückwirkung
Rechtsstaatsprinzip
Vertrauensschutz
Perioditätsprinzip
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Art. 20 GG
Art. 103 GG
Gliederung
  • I. Einleitung

  • II. Die Begriffe der Senate des Bundesverfassungsgerichts 

    • 1. Begrifflichkeiten

    • 2. Perioditätsprinzip

  • III. Die echte Rückwirkung/Rückbewirkung von Rechtsfolgen

    • 1. Grundsatz

    • 2. Ausnahme

  • IV. Die unechte Rückwirkung/ Tatbestandliche Rückanknüpfung 

    • 1. Grundsatz

    • 2. Ausnahme

  • V. Rückwirkung von Strafgesetzen, Art. 103 II GG

  • VI. Prüfung in der Klausur 

I. Einleitung

Die Rückwirkung von Gesetzen gehört zu den grundlegenden, aber auch besonders komplexen Themen des deutschen Verfassungsrechts. Sie berührt zentrale rechtsstaatliche Prinzipien wie Vertrauensschutz, Rechtssicherheit und die Gewaltenteilung. Im Kern geht es um die Frage, inwieweit der Gesetzgeber Normen erlassen darf, die auf bereits abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtslagen einwirken – also eine zeitliche Rückwirkung entfalten.


Das Grundgesetz enthält kein ausdrückliches Verbot rückwirkender Gesetze. Dennoch ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) verfassungsrechtliche Grenzen, die der Gesetzgeber zu beachten hat. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, wurde daher ein differenziertes System zur Abgrenzung und Bewertung von Rückwirkungsfällen entwickelt. Zentrale Unterscheidung ist die Abgrenzung zwischen echter und unechter Rückwirkung, an die unterschiedliche verfassungsrechtliche Maßstäbe geknüpft sind.

II. Die Begriffe der Senate des Bundesverfassungsgerichts 

1. Begrifflichkeiten

Für die Rückwirkung von Gesetzen haben sich im ersten und zweiten Senat verschiedene Begrifflichkeiten herausgebildet.

  • Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verwendet den Begriff der echten und unechten Rückwirkung. 

  • Der zweite Senat verwendet dagegen andere Begriffe. Anstelle der echten Rückwirkung wird der Begriff Rückbewirkung von Rechtsfolgen benutzt. Anstelle der unechten Rückwirkung steht der Begriff der tatbestandlichen Rückanknüpfung.

Dazu, worin der Unterschied liegt und was die Begriffe bedeuten, gleich genauer.

Klausurtipp

Welche der Begriffe du in der Klausur verwendest, kannst du dir aussuchen. Es ist nur essentiell, dass du die Begriffe konsequent verwendest und nicht “mal so mal so”.

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2. Perioditätsprinzip

Das Periodizitätsprinzip ist ein haushaltsrechtlicher Grundsatz, der besagt, dass die staatliche Haushaltswirtschaft nach festen Zeitabschnitten – in der Regel Haushaltsjahren – zu ordnen ist (§ 4 BHO). Für jedes Haushaltsjahr ist ein eigener Haushaltsplan aufzustellen und abzuschließen.
Auch im Steuerrecht und insbesondere bei der Frage der Rückwirkung von Steuergesetzen spielt es eine Rolle: Da Steuerpflichtige ihre wirtschaftlichen Dispositionen nach den jeweils geltenden Regeln eines Veranlagungsjahres treffen, dürfen sie grundsätzlich darauf vertrauen, dass dieses Steuerjahr nach seinem Abschluss nicht nachträglich zu ihren Lasten geändert wird. Dieses Vertrauen ist verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) verankert und wird durch das Periodizitätsprinzip gestützt.

Merke

Beachte immer den Zeitpunkt, wann Rechtsfolgen eintreten und ob dies eventuell erst am Ende einer bestimmten Zeitperiode ist.  Nach Ablauf eines Steuerjahres sind rückwirkende belastende Gesetzesänderungen nur in engen Ausnahmefällen zulässig (Periodizitätsprinzip i.V.m. Vertrauensschutz).

III. Die echte Rückwirkung/Rückbewirkung von Rechtsfolgen

Zunächst soll es um die echte Rückwirkung, bzw. die Rückbewirkung von Rechtsfolgen gehen.

1. Grundsatz

Definition

Die unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich in bereits abgewickelte (rechtlich abgeschlossene), der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift oder sie erstmals belastend regelt.


Die Definition der Rückbewirkung von Rechtsfolgen des zweiten Senats ist leicht anders, sagt aber inhaltlich dasselbe aus.

Definition

Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen ist gegeben, wenn die Rechtsfolgen einer Norm für einen bestimmten, vor der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen.

Eine solche Rückwirkung ist in der Regel verfassungswidrig. 


2. Ausnahme

Nur in sehr engen Grenzen kann hier ausnahmsweise eine Norm trotz echter Rückwirkung verfassungsgemäß sein. Dies ist zum einen der Fall, wenn der Bürger mit der Veränderung der Rechtslage rechnen musste. Daneben können allgemein Situationen entstehen, in denen ein formell verfassungswidriges Gesetz ordnungsgemäß, aber mit Rückwirkung, neu beschlossen wird.

Weiterhin kann eine echte Rückwirkung verfassungsgemäß sein, wenn die alte Rechtslage unklar oder so verwirrend war, dass es der neuen Regelung samt Rückwirkung zur Auflösung bedarf. Zuletzt können auch zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine echte Rückwirkung rechtfertigen. Dabei sind Inhalt und Wertung dieser Ausnahmefälle nicht immer klar voneinander zu trennen. 

Beispiel

Ein Bundesgesetz regelt im Jahr 2025 rückwirkend, dass bestimmte staatliche Subventionen, die Unternehmen bereits im Jahr 2023 aufgrund klarer Rechtslage erhalten haben, nun als rechtswidrig gelten und vollständig zurückgezahlt werden müssen.
Dies stellt eine echte Rückwirkung dar, da ein bereits abgeschlossener Sachverhalt (die Auszahlung und Verwendung der Subventionen) im Nachhinein entwertet wird. Ein solches Gesetz wäre in der Regel verfassungswidrig, weil die Unternehmen auf den Fortbestand der damaligen Rechtslage vertrauen durften und ihre wirtschaftlichen Dispositionen entsprechend getroffen haben. Nur wenn etwa zwingende Gründe des Gemeinwohls (z. B. gravierende Missbrauchsfälle, die dem Gesetzgeber zuvor nicht bekannt waren) vorliegen, könnte die Rückwirkung ausnahmsweise gerechtfertigt sein.
Hingegen wäre es eine unechte Rückwirkung, wenn das Gesetz im Jahr 2025 regelt, dass künftig strengere Bedingungen für laufende Subventionsprogramme gelten, die auch auf aktuelle Anträge Anwendung finden. In diesem Fall wären die Unternehmen zwar betroffen, aber nicht schutzlos überrascht, da sich die Neuregelung nicht auf einen vollständig abgeschlossenen Sachverhalt rückwirkend auswirkt.

IV. Die unechte Rückwirkung/ Tatbestandliche Rückanknüpfung 

Der echten Rückwirkung steht die unechte Rückwirkung, bzw. die tatbestandliche Rückanknüpfung gegenüber.

1. Grundsatz

Definition

Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition (nachteilig) verändert.

Ebenso wie bei der echten Rückwirkung ist auch die Definition des vom zweiten Senat verwendeten Begriffs inhaltlich quasi identisch.

Definition

Eine tatbestandliche Rückanknüpfung ist gegeben, wenn eine Norm für künftige Rechtsfolgen in ihrem Tatbestand an Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung anknüpft.

Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen stellt damit auf den zeitlichen Anwendungsbereich ab, wohingegen die tatbestandliche Rückanknüpfung den sachlichen Anwendungsbereich betrifft.

Eine unechte Rückwirkung ist in der Regel verfassungsgemäß. 

2. Ausnahme

Es gibt aber Ausnahmefälle von diesem Grundsatz, in denen dennoch eine Verfassungswidrigkeit vorliegen kann.

Dies ist der Fall, wenn im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung die Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Grundrechte und der Sinn und Zweck des Gesetzes dem Betroffenen Vertrauensschutz geben.

Beispiel

Ein Gesetz wird am 1. Juli 2025 verkündet und sieht vor, dass bestimmte private Veräußerungsgeschäfte ab dem 1. Januar 2025 steuerpflichtig sind. Das Gesetz tritt ebenfalls zum 1. Juli 2025 in Kraft. Die Steuerpflicht knüpft dabei an Veräußerungsvorgänge an, die nach dem 1. Januar 2025 begonnen, aber zum Zeitpunkt der Gesetzesverkündung noch nicht abgeschlossen wurden.
Ein Steuerpflichtiger hatte am 15. März 2025 ein Grundstück verkauft, das bislang steuerfrei hätte veräußert werden können. Die notarielle Beurkundung und Zahlung des Kaufpreises erfolgen jedoch erst im August 2025, also nach Inkrafttreten des Gesetzes.
Es liegt also im Ergebnis eine unechte Rückwirkung vor. Das Gesetz entfaltet seine Rechtsfolgen erst nach der Verkündung, bezieht sich aber tatbestandlich auf einen Sachverhalt, der schon vor der Verkündung begonnen hat, nämlich den Abschluss des Kaufvertrags im März 2025.

Da der Sachverhalt bei Verkündung des Gesetzes noch nicht vollständig abgeschlossen war, genießt das Vertrauen des Betroffenen auf die alte Rechtslage nur eingeschränkten verfassungsrechtlichen Schutz. Die unechte Rückwirkung ist daher grundsätzlich zulässig, es sei denn, das Vertrauen im Einzelfall wäre besonders schutzwürdig.

V. Rückwirkung von Strafgesetzen, Art. 103 II GG

In Art. 103 II GG ist der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz (nullum crimen, nulla poena sine lege/„kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz“) normiert, welcher verlangt, dass Strafbarkeit und Strafe gesetzlich bestimmt sein müssen, bevor die Tat begangen wird. Aufgrund der besonders einschneidenden Folgen im Strafrecht sind hier die Anforderungen für Klarheit besonders hoch: Unbestimmte Straftatbestände sind unzulässig und eine analoge Anwendung einer strafrechtlichen Norm zulasten des Täters ist grundsätzlich ausgeschlossen.

VI. Prüfung in der Klausur 

In der Klausur wird die echte Rückwirkung, ebenso wie ein Verstoß gegen Art. 103 II GG, unter einem Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip geprüft.

Die unechte Rückwirkung wird im Rahmen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Prüfung des betroffenen Grundrechts angesprochen.

Denn bei echter Rückwirkung greift ein Gesetz nachträglich in vollständig abgewickelte Sachverhalte ein und ändert Rechtsfolgen rückwirkend. Das verletzt regelmäßig das Rückwirkungsverbot, das als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG) gilt. Deshalb prüft man die echte Rückwirkung, ähnlich wie bei Art. 103 II GG (strafrechtliches Rückwirkungsverbot), direkt als eigenständigen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, bevor man zu den Grundrechten kommt.

Bei unechter Rückwirkung wird kein vollständig abgeschlossener Sachverhalt rückwirkend belastet, sondern ein noch nicht abgewickelter Vorgang (z. B. laufendes Steuerjahr) für die Zukunft geändert. Diese ist grundsätzlich zulässig, kann aber unverhältnismäßig sein, wenn das Vertrauen der Betroffenen übermäßig beeinträchtigt wird. Deswegen wird die unechte Rückwirkung nicht separat unter dem Rechtsstaatsprinzip geprüft, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeit oder bei dem Grundrecht, das durch die Norm betroffen ist (z. B. Eigentum, Berufsfreiheit).

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