Im folgenden Kapitel geht es um Regressansprüche (=Rückgriffsansprüche) der Gesellschafter gegen die Gesellschaft und gegen andere Gesellschafter.
Der klassische Fall des Regress im Gesellschaftsrecht ist der Rückgriffsanspruch desjenigen Gesellschafters, der auf eine Gesellschaftsschuld an den Gläubiger derjenigen Gesellschaftsschuld leistet (z. B. auf einen Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters - § 716 BGB).
I. Regressansprüche gegen die Gesellschaft
Folgendes Fallbeispiel erläutert den Klausur- bzw. Anspruchsaufbau:
Beispiel
G hat einen Anspruch gegen die ABC GbR / ABC OHG. Als die GbR/OHG nicht zahlt, nimmt G den Gesellschafter A nach § 721 BGB / § 126 HGB in Anspruch.
Erhält A seine Zahlungen von der ABC GbR / ABC OHG ersetzt?
1. Regressanspruch gemäß § 716 I Fall 1 BGB (i.V.m. § 105 III HGB)
Zunächst könnte A einen Regressanspruch gemäß § 716 I Fall 1 BGB (i.V.m. § 105 III HGB) haben. Voraussetzung ist, dass es sich hierbei um Aufwendungen, also freiwillige Vermögensopfer, handelt.
Niemand wird jedoch gezwungen, einer Gesellschaft beizutreten. Die Gesellschafterhaftung ist vielmehr ein typisches Risiko, welches sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Da es für die Feststellung der Freiwilligkeit nicht auf das Außenverhältnis, sondern auf das Innenverhältnis ankommt, ist das Kriterium der Freiwilligkeit erfüllt.
Es besteht daher ein Regressanspruch gemäß § 716 I Fall 1 BGB (i.V.m. § 105 III HGB)
2. Regressanspruch gemäß § 426 I BGB
Ein Regressanspruch könnte sich ferner aus § 426 I BGB ergeben, falls zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern eine Gesamtschuld besteht.
Nach § 721 BGB oder § 126 HGB besteht eine Gesamtschuld nur zwischen den Gesellschaftern untereinander, nicht jedoch zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern.
Ein Regressanspruch gemäß § 426 I BGB ist daher ausgeschlossen.
Unseren Lexikoneintrag zur Gesamtschuld findest du hier.
3. Regressanspruch gemäß § 426 I BGB analog
Weiterhin könnte sich ein Regressanspruch aus § 426 I BGB analog ergeben.
Voraussetzung ist eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage.
Indem jedoch § 716 I Fall 1 BGB (i.V.m. § 105 III HGB)einen Regressanspruch gewährt, fehlt schon eine Regelungslücke.
Aus § 426 I BGB analog ergibt sich daher kein Regressanspruch.
4. Legalzession des Gläubigeranspruchs gemäß § 426 II BGB
Ein Regressanspruch könnte sich kraft übergegangenem Recht durch Legalzession gemäß § 426 II BGB ergeben.
Anwendbarkeitsvoraussetzung für § 426 II BGB ist jedoch, dass zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern eine Gesamtschuld besteht. Diese besteht aber nur zwischen den Gesellschaftern untereinander, nicht jedoch zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern.
Ein Regressanspruch kraft übergegangenem Recht wegen einer Legalzession gemäß § 426 II BGB besteht daher nicht.
5. Legalzession des Gläubigeranspruchs gemäß § 426 II BGB analog
Ein Regressanspruch könnte sich kraft übergegangenem Recht wegen einer Legalzession gemäß § 426 II BGB analog ergeben.
Voraussetzung einer Analogiebildung ist eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage.
a) Regelungslücke
Zwar gewährt § 716 I Fall 1 BGB einen Anspruch, jedoch wird keine Legalzession angeordnet. Auch wenn sich die direkte Anspruchsgewährung und Legalzession ähneln, sind sie aufgrund des zusätzlichen Übergangs einer akzessorischen Sicherheit (§§ 412, 401 BGB) im Falle einer Legalzession so unterschiedlich, dass dennoch eine Regelungslücke vorliegt.
b) Planwidrigkeit
Ferner müsste die Regelungslücke planwidrig sein. Der Gesetzgeber schafft Gesetze und Regelungen als gesamtheitliches Konzept, sodass bei fehlender Regelung von einer Planwidrigkeit der Regelungslücke auszugehen ist.
Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine ähnliche bestehende Regelung als abschließend zu verstehen ist, so wie es der BGH und ein Teil der Literatur bei § 716 BGB annehmen.
Vereinfacht gesagt: Indem § 716 BGB keine Legalzession anordnet, bleibt es dabei.
Mangels Planwidrigkeit ist eine Analogie und daher eine Legalzession gemäß § 426 II BGB abzulehnen.
Merke
Eine andere Ansicht hinsichtlich des abschließenden Charakters des § 716 BGB ist selbstverständlich gut vertretbar!
c) Zwischenergebnis
Ein Regressanspruch ergibt sich nicht aus übergegangenem Anspruch kraft Legalzession gemäß § 426 II BGB analog.
6. Legalzession des Gläubigeranspruchs gemäß § 774 I 1 BGB analog
Ein Regressanspruch könnte sich aus übergegangenem Anspruch kraft Legalzession gemäß § 774 I 1 BGB analog ergeben.
Dafür müssten eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage bestehen.
a) Regelungslücke
Indem § 716 BGB (i.V.m. § 105 III HGB) nur einen Anspruch gewährt, nicht aber eine Legalzession anordnet, besteht eine Regelungslücke.
b) Planwidrigkeit
Nach Ansicht des BGH ist § 716 I BGB abschließend, sodass die Regelungslücke nicht planwidrig ist.
Demgegenüber steht eine gewichtige Literaturauffassung, welche die § 716 I BGB nicht als abschließende Regelung versteht, da sich der „nur scheinbar“ abschließende Charakter des § 716 I BGB nicht belegen lässt.
c) Vergleichbare Interessenlage
Der Streit um die Planwidrigkeit der Regelungslücke könnte sich erübrigen, falls es an der schon an der vergleichbaren Interessenlage fehlt.
Für eine Vergleichbarkeit spricht, dass es dem legitimen Interesse eines zahlenden Gesellschafters entspricht, die beglichene Forderung samt Sicherheiten ohne Mitwirkung des Gläubigers zu erhalten.
Jedoch ist das Verhältnis des Gesellschafters zu seiner Gesellschaft zumindest wirtschaftlich nicht vergleichbar mit dem Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner. Die vertraglichen Risiken eines zur Deckung verpflichteten Bürgen sind deutlich höher. Im Übrigen geben Bürgen die Sicherheit auch nur, weil sie eigentlich davon ausgehen, nur subsidiär zur Deckung verpflichtet zu sein, also wenn sowohl Gesellschaft als auch Gesellschafter ausfallen.
Des Weiteren ist unklar, weshalb der zahlende Gesellschafter auf die vom Gläubiger bestellten Sicherheiten zugreifen darf, wenn § 721 S. 1 BGB die Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeit anordnet, wobei der Gesellschafter sich — anders als außenstehende Sicherungsgeber — nicht eigenständig zur Begleichung der Gesellschaftsverbindlichkeit verpflichtet hat.
Mit der wohl herrschenden Auffassung ist daher zumindest die vergleichbare Interessenlage abzulehnen.
7. Zusammenfassung/Schaubild

II. Regressansprüche gegen andere Gesellschafter
In der Klausur sind gegebenenfalls auch Regressansprüche des zahlenden Gesellschafters gegen andere Mitgesellschafter zu prüfen.
Zur Veranschaulichung dient auch hier wieder ein Fallbeispiel:
Beispiel
G hat einen Anspruch gegen die ABC GbR / ABC OHG. Als die GbR/OHG nicht zahlt, nimmt G den Gesellschafter A nach § 721 BGB / § 126 HGB in Anspruch.
A will von B und C zu je einem Drittel Ausgleich.
Zu Recht?
1. Regressanspruch gemäß § 716 I Fall 1 BGB (i.V.m. § 105 III HGB)
Zwar ist ein Regressanspruch gemäß § 716 I Fall 1 BGB denkbar. Dieser richtet sich jedoch nur gegen die Gesellschaft und nicht gegen die anderen Mitgesellschafter. B und C wären hinsichtlich § 716 I Fall 1 nicht die richtigen Anspruchsgegner, also nicht passivlegitimiert.
2. Regressanspruch gemäß §§ 716 I Fall 1 BGB, 721 BGB / 126 HGB
Gemäß §§ 716 I Fall 1 BGB, 721 BGB / 126 S. 1 HGB scheinen B und C zunächst zu haften.
§ 721 BGB und § 126 S. 1 HGB sind jedoch auf das Außenverhältnis zu Gläubigern außerhalb der Gesellschaft zugeschnitten. Hier geht es jedoch um eine Verpflichtung aus dem Innenverhältnis („Sozialverpflichtung“), sodass § 721 BGB und § 126 S. 1 HGB nicht anwendbar sind.
3. Regressanspruch gemäß § 426 I 1 BGB
Gemäß § 721 BGB / 126 HGB haften die Gesellschafter dem Gläubiger als Gesamtschuldner.
Ein Regress als Gesamtschuldnerausgleich gemäß § 426 I BGB ist daher möglich.
4. Legalzession des Gläubigeranspruchs gemäß § 426 II BGB
Da eine Gesamtschuld gemäß § 721 BGB / § 126 HGB vorliegt, geht der Gläubigeranspruch gegen die Gesellschaft gemäß § 426 II BGB auf den zahlenden Gesellschafter über.
Diesen übergegangenen Anspruch kann der Gesellschafter gegen die Mitgesellschafter gelten machen.
5. Zusammenfassung/Schaubild
