I. Einleitung
Das Recht auf Freizügigkeit garantiert allen Deutschen das Recht, sich im gesamten Bundesgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Recht fördert nicht nur die persönliche Entfaltung und Mobilität des Einzelnen, sondern trägt auch zur wirtschaftlichen und sozialen Integration innerhalb Deutschlands bei.
Art. 11 GG steht in engem Zusammenhang mit anderen Grundrechten wie der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Berufsfreiheit. Es ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern, ihren Wohn- und Aufenthaltsort nach eigenem Ermessen zu wählen, was für die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben von entscheidender Bedeutung ist.
Historisch bedeutsam ist die Verankerung des Rechts als Reaktion auf die nationalsozialistische Unterdrückung freier Bewegungsmöglichkeiten.

II. Schutzbereich
1. Persönlicher Schutzbereich
Der persönliche Schutzbereich des Art. 11 GG umfasst alle Deutschen und ist damit ein Bürgerrecht. Das Grundrecht steht damit ausschließlich deutschen Staatsangehörigen sowie denjenigen Personen zu, die die rechtliche Stellung eines Deutschen nach Art. 116 GG besitzen. Ausländische Staatsangehörige und Staatenlose sind nicht erfasst, können jedoch über die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG oder durch völkerrechtliche Regelungen vergleichbare Rechte geltend machen. EU-Ausländer sind (je nach Ansicht) ebenfalls vom Schutzbereich erfasst.
Juristische Personen können sich grundsätzlich nicht auf Art. 11 GG berufen, da das Grundrecht nach seiner Zielrichtung nur natürliche Personen schützt. Eine Ausnahme könnte jedoch aus Art. 19 III GG bestehen, sofern eine juristische Person von ihrem Zweck her auf die Freizügigkeit angewiesen ist. Dies wird allerdings von der Rechtsprechung eher selten anerkannt.
Beispiel
Eine gemeinnützige Organisation, die darauf angewiesen ist, ihre Tätigkeit überregional oder in verschiedenen Städten auszuüben.
2. Sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich garantiert die Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet. Dies umfasst insbesondere das Recht, den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt frei zu wählen und zu begründen. Die Freizügigkeit umfasst dabei:
a) Positive Freizügigkeit
Definition
Positive Freizügigkeit ist die Möglichkeit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen.
Definition
Unter „Wohnsitz nehmen“ versteht man die ständige Niederlassung an einem Ort mit dem Willen, den Ort auf Dauer zum Mittelpunkt des Lebens zu machen.
Umstritten ist, ab wann ein „Aufenthalt nehmen“ gegeben ist.
Eine Ansicht setzt mindestens eine Übernachtung voraus
Eine andere Ansicht sieht gar keine zeitlichen Grenzen als richtig an
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht jede Ortsveränderung oder jeder beliebige Aufenthalt von Art. 11 I GG erfasst, sondern nur solche, die eine wesentliche Bindung an den Ort und eine persönliche Relevanz aufweisen
Daher lautet die Definition wie folgt:
Definition
„Aufenthalt nehmen“ ist das vorübergehende Verweilen an einem anderen Ort für eine gewisse Dauer (mindestens 24 Stunden).
Zum Beispiel: Ein Unternehmer reist für eine Woche in eine andere Stadt, um einen wichtigen Vertrag zu unterzeichnen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts könnte dies unter Art. 11 I GG fallen, da ein solcher Termin für die berufliche Entwicklung des Unternehmers eine erhebliche persönliche Relevanz haben kann und der Aufenthalt nicht bloß flüchtig ist.
Problem
Freizügigkeit vs. Bewegungsfreiheit/Handlungsfreiheit
Art. 11 GG schützt das Recht, den Wohnsitz oder Aufenthalt frei zu wählen und zu begründen. Die Freiheit der Person nach Art. 2 II 2 GG umfasst hingegen das Recht, sich überall frei zu bewegen, ohne unbedingt einen Wohnsitz zu begründen. Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG umfasst daneben allgemein alle menschlichen Handlungen. Die genaue Trennung kann in der Praxis schwierig sein. Für die Prüfung ist das Verhältnis zu Art. 2 I GG weniger problematisch, da Art. 11 GG als spezielles Freiheitsrecht lex specialis gegenüber Art. 2 I GG ist.
Art. 11 GG und Art. 2 II 2 GG stehen dagegen aufgrund ihrer unterschiedlichen Schutzrichtungen konkurrenzrechtlich auf einer Ebene. Es gibt Situationen, in denen sich die Schutzbereiche der beiden Grundrechte überschneiden können. So zum Beispiel beim Hausarrest, hier wird sowohl die Freizügigkeit (Verlassen des Wohnortes) als auch die körperliche Bewegungsfreiheit (Bewegung außerhalb des Hauses) eingeschränkt.
In der Klausur solltest du mit dem inhaltlich näheren Grundrecht beginnen.
Nach herrschender Meinung sind neben der Freizügigkeit innerhalb von Deutschland auch die Einreise und Einwanderung vom Schutzbereich umfasst. Ausreise und Auswanderung dagegen sind nicht erfasst, da sich der Schutzbereich nur auf das Bundesgebiet bezieht.
b) Negative Freizügigkeit
Definition
Die negative Freizügigkeit umfasst das Recht, einen Ortswechsel nicht vornehmen zu müssen.
Problem
Recht auf Obdachlosigkeit
Das "Recht auf Obdachlosigkeit" bezieht sich auf die Frage, ob das Grundrecht der Freizügigkeit nach Art. 11 I GG auch das Recht umfasst, keinen festen Wohnsitz zu haben. Dies betrifft insbesondere staatliche Maßnahmen, die Obdachlose verpflichten, eine feste Unterkunft zu beziehen.
Die Rechtsprechung erkennt an, dass die zwangsweise Unterbringung zur Gefahrenabwehr zulässig sein kann, betont jedoch die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung. Eine zwangsweise Unterbringung ohne akute Gefährdung sei unverhältnismäßig.
Einige Stimmen in der Literatur argumentieren, dass das Grundrecht der Freizügigkeit auch das Recht einschließt, keinen festen Wohnsitz zu haben.
Eine andere Literaturmeinung vertritt die Auffassung, dass der Staat zum Schutz der Allgemeinheit und der betroffenen Person selbst handeln muss. Obdachlosigkeit könne Gefahren für die öffentliche Sicherheit darstellen.
Gerade bei extremen Wetterbedingungen kann die zwangsweise Unterbringung zum Schutz des Lebens gerechtfertigt sein.
Gleiches gilt, wenn Obdachlosigkeit mit Gefahren für die Allgemeinheit verbunden ist (z. B. Brandgefahr durch illegale Feuerstellen)
III. Eingriff
Bei der Prüfung des Eingriffs bestehen keine Besonderheiten. Ein Eingriff in Art. 11 I GG ist demnach gegeben, wenn die Freizügigkeit beschränkt oder ihre Ausübung unmittelbar rechtlich sanktioniert wird.
Beispiel
Meldeauflagen
Aufenthaltsbeschränkungen
Aufenthaltsverbote
Zuweisung eines Wohnortes im Rahmen von Sozialleistungen
Quarantäneanordnungen
Beispiel
Residenzpflicht:
Asylbewerber und geduldete Ausländer unterliegen häufig der sogenannten Residenzpflicht, die ihren Aufenthalt auf ein bestimmtes Gebiet (oft den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde) beschränkt. Diese ist in § 56 des Asylgesetzes (AsylG) und in § 61 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) geregelt.
Der BGH erkennt die Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen an, betont jedoch die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung.
Weiterhin können dir Aufenthaltsbeschränkungen auch regelmäßig im Polizeirecht begegnen. So können zum Beispiel zur Gefahrenabwehr kurzfristige Aufenthaltsverbote ausgesprochen werden. Diese betreffen ebenfalls den Schutzbereich von Art. 11 I GG.
In Zeiten von Krisen, wie etwa der COVID-19-Pandemie, gewinnen Einschränkungen der Freizügigkeit besondere Bedeutung. Die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen wie Ausgangssperren und Reisebeschränkungen und ihre Vereinbarkeit mit Art. 11 GG waren und sind Gegenstand juristischer Diskussionen.
IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Einschränkungsmöglichkeit
a) Art. 11 II GG
Zitat
Art. 11 II GG:
„Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“
Dem Wortlaut des Art. 11 II GG nach besteht für Einschränkungen von Art. 11 I GG ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt.
Eine Einschränkung ist also nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage und das nur in den folgenden Fällen möglich:
Eine ausreichende Lebensgrundlage ist nicht vorhanden und der Allgemeinheit würden daraus besondere Lasten entstehen
Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes
Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen
Schutz der Jugend vor Verwahrlosung
Vorbeugung strafbarer Handlungen
Beispiel
Maßnahmen der Aufenthaltsbeschränkung und Wohnsitzauflagen sind Instrumente, die die Art. 11 I GG einschränken können. Diese können in verschiedenen Rechtsbereichen relevant werden, insbesondere im Ausländer- und Asylrecht sowie im Strafrecht.
b) Art. 17a GG
Neben Art. 11 II GG kann wie bei Art. 13 GG auch hier Art. 17a II GG relevant werden, wenn Soldaten oder Zivildienstleistende betroffen sind.
Gesetzesverweis
Art. 17a II GG:
„Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können bestimmen, daß die Grundrechte der Freizügigkeit (Artikel 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) eingeschränkt werden.“
2. Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit
Hier bestehen keine Unterschiede zur gewohnten Prüfung. Es ist also in den Fällen der Einschränkbarkeit eine Abwägung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen.