I. Einleitung
Bei den Grundrechten ist zwischen Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten zu unterscheiden. Bezüglich der Prüfung von Eingriffen in diese Grundrechtskategorien bestehen entscheidende Unterschiede.
Gegenstand der Eingriffsprüfung ist immer ein Akt der öffentlichen Gewalt. Bezüglich dieses Eingriffs ist festzustellen, ob er in ein Freiheitsgrundrecht eines Bürgers eingreift, und wenn ja, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Daraus ergibt sich dann folgender Obersatz:
„Der Akt der öffentlichen Gewalt verletzt ein Freiheitsrecht, wenn er in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.“
Und daraus wiederum folgt dann auch das grobe Prüfungsschema:
Schutzbereich
Eingriff
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
II. Prüfung
Die Prüfung der Verletzung von Freiheitsrechten erfolgt immer anhand desselben Schemas.

1. Schutzbereich
Zunächst ist immer der Schutzbereich des geprüften Grundrechts zu definieren. Dabei wird zwischen dem persönlichen und dem sachlichen Schutzbereich unterschieden.
a) Persönlicher Schutzbereich
Der persönliche Schutzbereich bestimmt, wer Träger des Grundrechts ist, also, wer sich auf das jeweilige Grundrecht berufen kann. Dies können, je nach Grundrecht, natürliche Personen, juristische Personen (über Art. 19 III GG) oder auch ausländische Staatsangehörige sein. Bei manchen Grundrechten sind nur bestimmte Personengruppen betroffen (z. B. Bürgerrechte wie Art. 12 GG, die nur für deutsche Staatsbürger i.S.d. Art. 116 I GG gelten), während andere Grundrechte universell für alle Menschen gelten (z. B. Menschenwürde, Art. 1 GG).
Klausurtipp
Der persönliche Schutzbereich lässt sich immer schnell mit einem Blick ins Gesetz bestimmen. “Jeder”, “Alle Deutschen” oder keine Bezugnahme auf den persönlichen Schutzbereich sind die drei Konstellationen, die dir dort begegnen. Wenn das Grundrecht von “Jeder” spricht oder keine Bezugnahme vorliegt, handelt es sich um ein universelles “Jedermannsrecht”. Bei “Alle Deutschen” handelt es sich um ein Bürgerrecht.
Problem
(P): Anwendbarkeit von “Deutschen-Grundrechten” auf EU-Ausländer
Grundsätzlich bedarf es für die Anwendbarkeit von Bürgerrechten gemäß Art. 116 I GG der deutschen Staatsbürgerschaft. Damit fallen Ausländer erst einmal aus dem Schutzbereich heraus. Ein Sonderfall besteht aber bezüglich EU-Ausländern.
Die Frage, ob auch EU-Ausländer in den persönlichen Schutzbereich von “Deutschen-Grundrechten” fallen und sich damit auf diese berufen können, wird verschieden beantwortet. Denn nach Art. 18 AEUV besteht ein allgemeines Diskriminierungsverbot, wonach EU-Bürgern der gleiche Schutz wie Deutschen zukommen muss.
Die erste vertretene Lösung ist eine direkte Anwendbarkeit aller Grundrechte, also auch der Deutschen-Grundrechte, auf EU-Ausländer.
Die zweite vertretene Lösung ist, dass das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG derart ausgelegt wird, dass über diesen EU-Bürgern ein gleichwertiger Schutz im Vergleich zu Deutschen zukommt. Es werden hier also die Wertungen und der Inhalt der Deutschen-Grundrechte übernommen und im Kontext von Art. 2 I GG angewendet.
Wenn es in der Klausur zu einer Fallkonstellation kommt, in der sich ein EU-Ausländer auf Deutschen-Grundrechte beruft, solltest du die zwei Lösungsmöglichkeiten kurz darstellen, dich dann aber für die erste Lösung entscheiden, da diese vor allem aus klausurtaktischer Sicht deutlich sinnvoller ist. Grund ist, dass du sonst nicht die Grundrecht normal prüfen könntest, sondern über den Umweg des Art. 2 I GG die Wertungen des jeweiligen Freiheitsrechts unter diesem prüfen müsstest.
b) Sachlicher Schutzbereich
Der sachliche Schutzbereich umfasst, welche Handlungen oder Rechtsgüter durch das Grundrecht geschützt sind, also was das Grundrecht schützt. Es geht darum, festzustellen, welche konkreten Lebenssachverhalte unter den Schutz des Grundrechts fallen.
Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) schützt sachlich jedes menschliche Verhalten. Art. 13 GG schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Das heißt, dass alle staatlichen Maßnahmen, welche eine Einwirkung auf die Wohnung eines Menschen haben, den sachlichen Schutzbereich von Art. 13 GG berühren.
2. Eingriff in den Schutzbereich
Nach dem modernen Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vor, wenn staatliches Handeln die Einschränkung des Schutzbereichs eines Grundrechts zur Folge hat. Dies kann jedes staatliche Handeln sein.
Merke
In der Klausur reicht es aus, den Eingriff anhand des modernen Eingriffsbegriffs darzustellen. Für weitergehende Informationen zum Eingriffsbegriff siehe hier.
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Nachdem der Schutzbereich definiert und ein Eingriff in diesen festgestellt wurde, ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. Dafür ist zuerst zu klären, welche Einschränkungsmöglichkeit das gegenständliche Grundrecht überhaupt hat. Als Nächstes wird dann geprüft, ob sich der Eingriff innerhalb dieser Einschränkungsmöglichkeit bewegt, also ob eine sogenannte verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit vorliegt.
Klausurtipp
Es werden allgemein verschiedene Begriffe für diese Prüfungspunkte verwendet, so z. B. auch nur “Schranke” und “Schranken-Schranken”. Viele dieser Formulierungen sind aber technisch unsauber, weshalb du dich auf die hier verwendeten Bezeichnungen beschränken solltest.
a) Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts (Schranke)
Bezüglich der Einschränkungsmöglichkeit von Grundrechten ist zwischen verschiedenen Einschränkungsmöglichkeiten zu unterscheiden. Im Wesentlichen gibt es drei Arten:
Den einfachen Gesetzesvorbehalt
Den qualifizierten Gesetzesvorbehalt
Verfassungsimmanente Schranken
aa) Einfacher Gesetzesvorbehalt
Der einfache Gesetzesvorbehalt verlangt lediglich, dass Einschränkungen eines Grundrechts aufgrund eines Gesetzes erfolgen (z. B. Art. 2 II 2 GG). Das Gesetz selbst setzt die Grenzen der Grundrechtsausübung fest, ohne besondere Anforderungen an den Inhalt oder die Form des Gesetzes zu stellen. Hier reicht also jedes Gesetz im materiellen Sinne.
Definition
Gesetz im materiellen Sinne sind neben formellen Gesetzen auch alle anderen Rechtsnormen wie, Satzungen, Rechtsverordnungen, Satzungen, Anordnungen und das Recht der Europäischen Gemeinschaft.
Problem
Im Gesetz findest du zwei verschiedene Formulierungen für die Einschränkbarkeit in Bezug auf Gesetze. Es gibt die Einschränkung “durch” und “aufgrund” eines Gesetzes.
Wie diese Begriffe auszulegen sind, wird unterschiedlich gesehen:
e.A.: Nach einer Ansicht besteht kein Unterschied zwischen den beiden Formulierungen. Beide stellen einen einfachen Gesetzesvorbehalt dar. Ob aber ein Parlamentsgesetz oder ein einfaches Gesetz erforderlich ist, bestimme sich nach der Wesentlichkeitstheorie.
h.M.: Nach der herrschenden Meinung besteht ein Unterschied. “Durch ein Gesetz” zeige das Erfordernis eines formellen Gesetzes (= Parlamentsgesetz) und für “aufgrund eines Gesetzes” soll jedes Gesetz im materiellen Sinne ausreichen. Also auch untergesetzliche Normen wie Satzungen oder Rechtsverordnungen.
Diesen Streit brauchst du in der Klausur nicht ausführlich darzustellen, da die zweite Ansicht die stark überwiegend herrschende Meinung ist. Du kannst dir also merken:
“durch ein Gesetz” = qualifizierter Gesetzesvorbehalt (Parlamentsgesetz)
“aufgrund eines Gesetzes” = einfacher Gesetzesvorbehalt
bb) Qualifizierter Gesetzesvorbehalt
Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt (z. B. Art. 11 II GG, Art. 5 II GG) stellt zusätzlich besondere Anforderungen an die Form und den Inhalt des Gesetzes. Hier verlangt die Verfassung, dass ein Eingriff nur unter bestimmten, genau definierten Voraussetzungen erfolgen darf.
Der häufigste qualifizierte Gesetzesvorbehalt ist das Erfordernis eines formellen Gesetzes, also eines Parlamentsgesetzes (Art. 14 I 2 GG) - gegenüber dem Gesetz im materiellen Sinne beim einfachen Gesetzesvorbehalt.
Merke
Neben dem klassischen qualifizierten Gesetzesvorbehalt gibt es bei einigen Grundrechten auch grundrechtsspezifische Schranken. Zum Beispiel das Zensurverbot in Art. 5 I 3 GG.
cc) Verfassungsimmanente Schranken
Neben dem einfachen und qualifizierten Gesetzesvorbehalt gibt es zuletzt noch die verfassungsimmanenten Schranken.
Bei einigen Grundrechten wirst du im Wortlaut keine Einschränkungsmöglichkeit erkennen können. Diese Grundrechte erscheinen auf den ersten Blick uneingeschränkt gewährleistet, doch auch sie können in bestimmten Konstellationen eingeschränkt werden, und zwar durch die sogenannten verfassungsimmanenten Schranken.
Definition
Bei einer verfassungsimmanenten Schranke ist das Grundrecht nur durch Grundrechte anderer oder andere Güter von Verfassungsrang, also kollidierendes Verfassungsrecht, einschränkbar.
Diese stehen also vom Maßstab der Anforderungen über dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt (welcher wie gesehen wiederum höhere Anforderungen als der einfache Gesetzesvorbehalt hat).

Beispiel
Eine religiöse Gemeinschaft möchte im Rahmen eines religiösen Festes Schafe nach ihren traditionellen Riten schlachten. Die Schlachtung erfolgt ohne Betäubung, wie es in ihren religiösen Vorschriften vorgesehen ist. Die Gemeinschaft beruft sich auf ihre Religionsfreiheit nach Art. 4 I GG. Der Leiter des zuständigen Veterinäramts verweigert jedoch die Genehmigung der Schächtung ohne Betäubung mit Verweis auf das deutsche Tierschutzgesetz, das vorschreibt, dass Tiere nur unter Betäubung geschlachtet werden dürfen.
Der Wortlaut der Religionsfreiheit in Art. 4 I GG enthält keinen Gesetzesvorbehalt. Das heißt, dass dieses Grundrecht nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann.
Im vorliegenden Fall könnte der Tierschutz ein solches Verfassungsgut sein. Der Tierschutz ist in Art. 20a GG verankert. Bei diesem handelt es sich zwar nicht um ein Grundrecht, aber um eine Staatszielbestimmung und damit ebenfalls um ein Rechtsgut von Verfassungsrang und damit kollidierendes Verfassungsrecht.
Hier ist dann eine Abwägung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen.
dd) Verfassungsunmittelbare Schranken
Zuletzt gibt es auch die verfassungsunmittelbaren Schranken.
Definition
Verfassungsunmittelbare Schranken sind Einschränkungen von Grundrechten, die direkt aus dem Wortlaut des Grundgesetzes hervorgehen. Sie legen fest, unter welchen Voraussetzungen der Staat in ein Grundrecht eingreifen darf, ohne dass es eines weiteren Gesetzes bedarf (z. B. Art. 13 VII Hs. 1 GG oder “friedlich und ohne Waffen” in Art. 8 GG).
b) Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit (”Schranken-Schranke“)
Zuletzt ist dann zu prüfen, ob eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit besteht. Nach dem Vorbehalt des Gesetzes bedarf es zunächst einer gesetzlichen Grundlage für den Eingriff. Diese muss verfassungsgemäß sein. Im dritten Schritt ist dann zu prüfen, ob eine verfassungskonforme Anwendung im gegenständlichen Einzelfall besteht.
aa) Gesetzliche Grundlage des Eingriffs
Das einschränkende Gesetz oder sonstige Rechtsgut von Verfassungsrang selbst muss natürlich auch verfassungsmäßig sein. Wenn es sich um ein bestehendes Gesetz handelt, kann dies im Normalfall schnell bejaht werden. Wenn aber Teil des Sachverhalts ein neues Gesetz ist, musst du im ersten Schritt dieses unabhängig von den restlichen Umständen auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen.
Merke
Wenn das gegenständliche Grundrecht eine verfassungsimmanente Schranke hat, ist dies hier auszuführen. Zunächst erfolgt die Feststellung, dass eine verfassungsimmanente Schranke besteht. Dann, was daraus folgt, also dass das Grundrecht nur durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist und zuletzt, ob hier kollidierendes Verfassungsrecht besteht, welches den Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen könnte.
bb) Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlage
Bezüglich der Eingriffsgrundlage ist dann nach deren Verfassungsmäßigkeit zu fragen.
Hier ist also die normale Prüfung der Verfassungsmäßigkeit, bestehend aus formeller und materieller Verfassungsmäßigkeit, zu prüfen. Wenn es sich um ein bestehendes Gesetz handelt, kann dies im Normalfall schnell bejaht werden. Wenn aber Teil des Sachverhalts ein neues Gesetz ist, musst du im ersten Schritt dieses unabhängig von den restlichen Umständen auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen.
Merke
Neben dem Gesetzesvorbehalt gibt es noch weitere Grenzen der Beschränkbarkeit der Grundrechte, die an dieser Stelle geprüft werden müssen:
Verbot des Einzelfallgesetzes, Art. 19 I 1 GG
Zitiergebot, Art. 19 I Satz 2 GG
Wesensgehaltsgarantie, Art. 19 II GG
Beachte hierbei auch die grundrechtsspezifischen Auswirkungen, also die Frage, ob die Eingriffsgrundlage an sich abstrakt die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts beachtet.
Daneben kann hier auch regelmäßig der Bestimmtheitsgrundsatz relevant werden.
cc) Verfassungskonforme Anwendung im Einzelfall
Zuletzt ist dann die verfassungskonforme Anwendung der (verfassungsmäßigen) Eingriffsgrundlage im Einzelfall zu prüfen.
Klausurtipp
Hier wird regelmäßig der Schwerpunkt der Klausur liegen.
Hier ist dann eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchzuführen.
Merke
Die individuellen Voraussetzungen und Merkmale der einzelnen Grundrechte werden in einzelnen Artikeln dargestellt. Beachte, dass in diesen individuellen Artikeln nicht immer dieses gesamte Prüfungsschema, sondern nur die grundrechtsspezifischen Merkmale dargestellt werden.