I. Einleitung
Die Prokura ist eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht gemäß § 167 BGB. Ihre Erteilung ist also eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung. Bei dieser besonderen Form der Vollmacht sind jedoch die Spezialregelungen der §§ 48 ff. HGB zu beachten.
II. Prüfungsschema
In der Klausur prüfst du das Vorliegen einer Prokura innerhalb der Stellvertretung beim Prüfungspunkt „Vertretungsmacht“. Der Prokurist handelt im Rahmen seiner Vertretungsmacht, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
Wirksam erteilte Prokura
Grenzen des Vertretungsumfangs
Prokura zuvor nicht erloschen
Rechtsfolge: Der Stellvertreter erhält Vertretungsmacht in Gestalt der Prokura.
III. Arten der Prokura
Gesetzlicher Regelfall der Prokura ist die Einzelprokura, § 48 I HGB. Gemäß § 48 II HGB ist auch eine Gesamtprokura möglich und gemäß § 50 III HGB auch eine sogenannte Filialprokura.

IV. Voraussetzungen
1. Erteilung
a) Durch Vollmachtgeber
Der Vollmachtgeber erteilt die Prokura durch Erklärung an den Prokuristen selbst oder durch Mitteilung an den Dritten, gegenüber dem die Stellvertretung stattfinden soll, vgl. § 167 I BGB.
Als Vollmachtgeber kommt ein Kaufmann in Frage, nicht jedoch ein Kleingewerbetreibender. Ferner kann die Prokura durch die Handelsgesellschaft (durch Stellvertretung) oder durch gesetzliche Vertreter (z. B. organschaftliche Vertreter einer juristischen Person) erteilt werden.
Zu beachten ist, dass die Prokura nicht konkludent erteilt werden kann, sondern gemäß § 48 I HGB nur mittels ausdrücklicher Erklärung.
Merke
Als Konsequenz ist übrigens eine Prokura durch Duldungs- oder Anscheinsvollmacht ausgeschlossen. Die Prokura kann allenfalls als Handlungsvollmacht (§ 54 HGB) umgedeutet werden (§ 140 BGB).
b) Person des Vollmachtnehmers (Prokurist)
Der Vollmachtnehmer ist stets eine natürliche Person. Der Prokurist darf nicht der Unternehmensträger selbst (also etwa die GmbH) sein, denn sonst würde kein Handeln in fremdem Namen vorliegen. Aus dem gleichen Grund darf kein organschaftlicher Vertreter (z. B. einer GmbH) Prokurist sein.
Die Erteilung der Prokura an einen organschaftlichen Vertreter kann auch sinnvoll sein, wenn dieser keine Einzelvertretungsmacht hat, z. B. grundsätzlich der Gesellschafter einer GbR gemäß § 714 BGB i.V.m. § 709 I BGB.
Klausurtipp
Ein beliebter „Kniff“ in Klausuren ist übrigens, dass ein nicht vertretungsberechtigter Gesellschafter (z.B. ein Kommanditist) durchaus Prokurist sein und deshalb doch noch vertretungsberechtigt sein kann.
c) Eintragung der Prokura
Zwar „ist“ gemäß § 53 I 1 HGB die Erteilung der Prokura einzutragen, jedoch ist diese Eintragung lediglich deklaratorisch. Für die Wirksamkeit der Prokura kommt es demnach nicht auf die Eintragung an, lediglich für Publizitätsfragen (§ 15 HGB) ist eine Eintragung für eine mögliche Rechtsscheinstellvertretung relevant. Der konstitutive Rechtsakt der Prokura ist also schon die Erteilung an den Prokuristen oder an den Dritten.
Gesetzesverweis
Soweit in deinem Bundesland zulässig, kannst du dir § 15 HGB an § 53 I HGB kommentieren.
2. Umfang der Prokura, § 49 HGB
Den Umfang der Prokura regelt zunächst § 49 I HGB. Demnach ist der Prokurist zu jenen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt, die der „Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt“. Aus dem Tatbestandsmerkmal „mit sich bringt“ ergibt sich, dass Vertretungsmacht sowohl für gewöhnliche als auch außergewöhnliche Geschäfte besteht, wie z. B.:
Einstellung von Personal
Erteilen weiterer Handlungsvollmachten
Begründen und Beenden von Mietverhältnissen etc.
Vernetztes Lernen
Beachte hier den Unterschied zur Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB:
Die Prokura ermächtigt zu Geschäften, die der Betrieb irgendeines Handelsgewerbes mit sich bringt.
Die Handlungsvollmacht ermächtigt nur zu branchenüblichen ("derartigen") Handlungsgeschäften.
a) Grenzen des Umfangs (gesetzliche Beschränkung)
Zwar setzt § 49 II HGB diesem Grundsatz auch Grenzen, jedoch beschränkt sich diese Ausnahme dem Wortlaut zufolge auf die Grundstücke, welche bereits Eigentum des Unternehmers sind. Gemäß § 49 II HGB analog gilt diese Grenze nicht nur für die entsprechenden Verfügungs-, sondern auch für die Verpflichtungsgeschäfte.
Der Erwerb eines neuen Grundstücks ist daher möglich. Wird also für den Erwerb des Grundstücks ein Darlehen aufgenommen und diese Darlehensrückzahlungsforderung (§ 488 I 2 BGB) mit einer Hypothek besichert, dann liegt zwar eine Belastung vor, diese steht jedoch als bloße Zahlungsmodalität im Zusammenhang mit dem gemäß § 49 I HGB zulässigen Erwerb des Grundstücks; § 49 II HGB ist insoweit gar nicht anwendbar.
Zwar betrifft die Prokura gemäß § 49 I HGB auch „außergewöhnliche“ Geschäfte wie z. B. das Einstellen von Personal, die Erteilung weiterer Handlungsvollmachten oder die Begründung neuer Mietverhältnisse. Jedoch ist die Prokura gesetzlich einzuschränken („Betrieb eines Handelsgeschäfts“), wenn in das Organisationsrecht des Unternehmers eingegriffen wird. Dies umfasst Handlungen, die den Bestand des Geschäfts selbst verändern (z. B.: Einstellung/Veräußerung des Betriebs, Insolvenzanmeldung oder Grundlagengeschäfte).
b) Beschränkbarkeit der Prokura
Aus § 50 I HGB folgt der Grundsatz, dass zwar eine Prokura beschränkbar ist, diese Beschränkung im Außenverhältnis zwischen dem Prokuristen und dem Geschäftspartner jedoch keine Wirkungen entfaltet. Im Innenverhältnis bleibt die Beschränkung jedoch wirksam, sodass der Prokurist seinem Geschäftsherrn gegebenenfalls gemäß § 280 I BGB wegen einer Pflichtverletzung aus Dienst- oder Arbeitsvertrag haftet.
aa) Gesamtprokura
Während inhaltliche Beschränkungen im Außenverhältnis unwirksam sind (§ 50 I HGB), lässt das Gesetz eine Beschränkung in der Personenzahl zu. Gemäß § 48 II HGB kann die Prokura als Gesamtprokura erteilt werden. Das bedeutet: Der Prokurist kann nicht allein, sondern nur gemeinsam mit anderen wirksam vertreten. In der Klausur musst du drei Konstellationen sicher unterscheiden:
Echte Gesamtprokura (§ 48 II HGB):
Zwei (oder mehr) Prokuristen müssen gemeinsam handeln. Gibt Prokurist A eine Erklärung ohne Prokurist B ab, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht (§§ 177 ff. BGB), sofern B nicht nachträglich genehmigt.Halbseitige Gesamtprokura:
Hierbei darf Prokurist A nur gemeinsam mit Prokurist B handeln, während B jedoch eine Einzelprokura besitzt und allein handeln darf.Unechte (gemischte) Gesamtvertretung:
Dies ist der wichtigste Fall im Gesellschaftsrecht: Ein Prokurist vertritt die Gesellschaft gemeinsam mit einem organschaftlichen Vertreter (z. B. einem GmbH-Geschäftsführer oder OHG-Gesellschafter). Diese Konstruktion ist zulässig, solange das Organ (der Geschäftsführer) nicht ausschließlich gemeinsam mit einem Prokuristen handeln kann. Das Prinzip der Selbstorganschaft verlangt, dass die Organe der Gesellschaft zumindest in einer Konstellation (z. B. zwei Geschäftsführer gemeinsam) auch ohne Prokuristen handlungsfähig bleiben.
bb) Bindung an sonstige Personen
Der Prokurist kann nicht an die Mitwirkung des Alleininhabers des Unternehmen gebunden sein. Dies würde sonst eine Umgehung des § 50 II HGB bedeuten.
Eine Bindung an nicht vertretungsberechtigte Personen oder einen Handlungsbevollmächtigten ist ebenfalls nicht möglich, da wegen des zwingenden Umfangs der Prokura die andere Person dieselben Kompetenzen wie ein Prokurist haben muss.
Merke
Die andere Person wird auch nicht durch die Bindung des Prokuristen als "konkludent" zum Prokuristen, da die Erteilung der Prokura gemäß § 48 I HGB nur ausdrücklich möglich ist.
cc) Filialprokura
Eine Ausnahme der fehlenden Außenwirkung enthält § 50 III HGB mit der sogenannten „Filialprokura“: Wird die Prokura auf den Betrieb einer Niederlassung beschränkt und werden diese Niederlassungen unter verschiedenen Firmen betrieben, so ist diese Beschränkung Dritten gegenüber wirksam. In der Praxis kommt diese heute häufig vor.
3. Erlöschen der Prokura
Gemäß § 52 I HGB ist für das Erlöschen der Prokura der Widerruf erforderlich. Für den Widerruf ist kein besonderer Grund erforderlich, zumal der Widerruf auch jederzeit erfolgen kann.
Es ist jedoch zu beachten, dass die Eintragung des Widerrufs im Sinne des § 52 I HGB nur deklaratorische Wirkung hat. Der Widerruf als empfangsbedürftige Willenserklärung hat schon die konstitutive Wirkung. Allerdings werden gutgläubige Dritte gemäß § 15 I HGB geschützt, sodass stets eine Vertretungsmacht kraft Rechtsschein gemäß § 15 HGB (Publizität des Handelsregisters) möglich ist.
Gesetzesverweis
Soweit in deinem Bundesland zulässig, kannst du dir den § 15 HGB an § 53 II HGB kommentieren. So vergisst du nicht, dass die Nichteintragung des Erlöschens, obwohl sie nur deklaratorischer Natur ist, eine Rechtsscheinhaftung gemäß § 15 HGB bewirken kann.
Im Übrigen ist § 52 II HGB zu beachten: Die Prokura ist nicht übertragbar (etwa an Erben) und erlischt gemäß Abs. 3 mit dem Tod des Prokuristen (nicht des Inhabers!). Außerdem erlischt die Prokura mit dem Erlöschen des Grundverhältnisses automatisch (§ 168 S. 1 BGB).


