I. Einleitung
Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 Hs. 1 GG bildet einen wesentlichen Pfeiler der demokratischen Gesellschaft. Sie ermöglicht den offenen Austausch von Gedanken und Ansichten und ist somit unverzichtbar für die demokratische Willensbildung und den politischen Diskurs.
Allgemein betrachtet fördert die Meinungsfreiheit die Vielfalt der Ideen und Pluralität in der Gesellschaft. Sie schützt nicht nur konforme oder populäre Meinungen, sondern ausdrücklich auch solche, die provozieren oder von der Mehrheitsmeinung abweichen. Dies stärkt die gesellschaftliche Entwicklung, da neue und kritische Gedanken zur Diskussion gestellt und überprüft werden können.
Die Meinungsfreiheit ist ein umfassendes Kommunikationsgrundrecht, das sowohl die Äußerung als auch die Verbreitung und den Empfang von Meinungen umfasst. Sie ist eng verknüpft mit anderen Grundrechten wie der Pressefreiheit, der Informationsfreiheit und der Kunstfreiheit. In der Rechtsanwendung spielt sie vor allem bei der Abwägung gegenüber kollidierenden Rechtsgütern, wie dem Persönlichkeitsrecht oder der öffentlichen Sicherheit, eine zentrale Rolle.

II. Schutzbereich
1. Persönlicher Schutzbereich
Bezüglich des persönlichen Schutzbereichs handelt es sich um ein Jedermannsrecht.
2. Sachlicher Schutzbereich
Art. 5 I 1 Hs. 1 GG schützt das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Geschützter Leitbegriff ist also die Meinung.
a) Meinungen
Definition
Meinungen sind Werturteile jeder Art, welche durch ihre Subjektivität keinem Beweis zugänglich sind und durch “Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens” geprägt sind, z. B.:
„Ich finde, diese Partei macht die beste Politik.“
„Es ist unfair, wie soziale Medien Menschen beeinflussen.“
„Die Jugend von heute hat keinen Respekt mehr.“
b) Tatsachenbehauptungen
Da der Begriff der Meinung nach allgemeiner Ansicht weit auszulegen ist, könnenauch Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich fallen, da die Abgrenzung einer Meinung und einer reinen Tatsachenbehauptung ohne jeglichen Wertungsgehalt oft schwer vorzunehmen ist. Dies ist vor allem der Fall, wenn sie dazu dienen, eine Meinung zu untermauern oder zu bilden oder wenn sie im Kontext öffentlicher Diskussionen stehen.
Definition
Eine Tatsachenbehauptung beschreibt wirklich geschehene oder existierende, dem Beweis zugängliche Umstände, z. B.:
„Der Mount Everest ist der höchste Berg der Welt.“
„Die Erde dreht sich um die Sonne.“
Nicht geschützt sind Tatsachenbehauptungen und -mitteilungen, die bewusst unwahr oder evident falsch sind. Lediglich möglicherweise unwahre Tatsachenbehauptungen sind jedoch vom Schutzbereich erfasst. Grund ist, dass solche Aussagen keinen Beitrag zur Meinungsbildung leisten, sondern oft der Täuschung, Manipulation oder Diffamierung dienen. Daher hat das BVerfG klargestellt, dass derartige Äußerungen nicht unter Art. 5 I GG geschützt sind.
Beispiel
„Das Trinken von reinem Bleichmittel heilt Krankheiten.“ (Evident falsch und gefährlich.)
„Die Berliner Mauer wurde erst 1995 abgerissen.“ (Offensichtlich falsch.)
c) Gewährleistungsumfang
Neben der Meinungsbildung ist auch die Meinungsäußerung, ungeachtet der Äußerungsart (Gesprochenes Wort, Aufkleber, Kleidung, …) vom Gewährleistungsumfang des Grundrechts umfasst. Es ist damit auch die negative Meinungsfreiheit, also das Recht, keine Meinung äußern oder vertreten zu müssen, geschützt.
d) Schmähkritik
Ein Problem, welches dir in diesem Kontext immer wieder begegnen wird, ist die sogenannte Schmähkritik. Die Schmähkritik stellt eine Grenze der Meinungsfreiheit dar. Alles, was unter diesen Begriff fällt, ist nicht mehr vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst. Schmähkritik liegt vor, wenn es dem Kritisierenden bei der Kritik an einer Person nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Sache geht, sondern die Diffamierung der anderen Person im Vordergrund steht. Es reicht daher nicht, dass die Kritik nur ausfallend oder überzogen ist.
Beispiel
Beispiel 1:
„Dieser Abgeordnete ist die Schande unseres Landes und sollte sofort zurücktreten, weil er ein nutzloser Parasit ist.“
Dies ist keine sachliche Auseinandersetzung mit der Arbeit des Abgeordneten, sondern reine Diffamierung. Somit ist die Aussage als Schmähkritik zu klassifizieren und daher nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst.
Beispiel 2:
Kommentare wie „Idiot“, „Versager“ oder „Abschaum“, die ohne inhaltliche Auseinandersetzung allein auf Diffamierung zielen.
III. Eingriff
Bei der Prüfung des Eingriffs bestehen keine Besonderheiten. Die Prüfung erfolgt wie gewohnt anhand des modernen Eingriffsbegriffs.
Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt also vor, wenn durch staatliches Handeln die Ausübung der Meinungsfreiheit ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird.
Beispiel
Beispiel 1:
Eine Behörde verbietet einer Person oder Gruppe, öffentlich Kritik an politischen Entscheidungsträgern zu äußern.
Beispiel 2:
Ein staatliches Organ verlangt die vorherige Überprüfung von Presseartikeln, Büchern oder anderen Publikationen, bevor diese veröffentlicht werden dürfen.
IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts
Zitat
Ar. 10 II GG:
"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."
In Art. 5 II GG findet sich ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt in Form einer Schrankentrias. Demnach können Eingriffe in die Meinungsfreiheit durch die allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen des Jugendschutzes und dem Recht der persönlichen Ehre gerechtfertigt werden.
a) Allgemeine Gesetze
Den ersten Teil der Schrankentrias bilden die allgemeinen Gesetze. Ein Gesetz ist dann allgemein, wenn es nicht lediglich zu dem Zweck erlassen wurde, eine bestimmte Meinung zu unterdrücken, sondern dem Schutz eines übergeordneten Rechtsguts (z. B. öffentliche Sicherheit) dienten.
Beispiel
Ein Gesetz, das explizit eine bestimmte politische Meinung verbietet, ist kein allgemeines Gesetz. Auch Gesetze, die ausschließlich die Meinungsäußerungen bestimmter Gruppen oder Einzelpersonen unterdrücken, sind daher keine allgemeinen Gesetze.
b) Bestimmungen des Jugendschutzes
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen auch die Bestimmungen des Jugendschutzes allgemeine Gesetze sein.
Beispiel
Verbot jugendgefährdender Inhalte (z. B. durch das Jugendschutzgesetz).
c) Recht der persönlichen Ehre
Das Gleiche gilt für das Recht der persönlichen Ehre. Auch dieses muss in Gestalt allgemeiner Gesetze vorliegen.
Beispiel
Üble Nachrede (§ 186 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB)
d) Systematik der Schrankentrias
Da es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei den Bestimmungen des Jugendschutzes und den Bestimmungen zum Recht der persönlichen Ehre um allgemeine Gesetze handeln muss, fallen diese beiden Teile auch unter den ersten Teil der Schrankentrias, also unter die allgemeinen Gesetze. Dadurch haben die anderen beiden Teile keine eigenständige Bedeutung.
Vernetztes Lernen
Hier verhält es sich damit ähnlich wie bei der Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit.
Klausurtipp
Es reicht in der Klausur aus, wenn du in einem Satz die Schrankentrias darstellst und danach im nächsten Satz kurz feststellst, dass auch die Bestimmungen zum Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre unter die allgemeinen Gesetze fallen und damit keine eigenständige Bedeutung haben.
2. Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit
Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung können zudem das Zensurverbot aus Art. 5 I 3 GG, sowie die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Wehr- und Ersatzdienst aus Art. 17a I 1. Fall GG spielen.
a) Zensurverbot, Art. 5 I 3 GG
Das Zensurverbot schützt die Meinungsfreiheit, indem es verbietet, dass staatliche Stellen die Veröffentlichung von Meinungsäußerungen oder Medieninhalten vorab kontrollieren oder genehmigen müssen.
Beispiel
Eine Behörde darf nicht verlangen, dass Zeitungsartikel vor der Veröffentlichung bei ihr eingereicht werden.
Art. 5 I 3 GG schützt nicht vor nachträglichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit, etwa durch strafrechtliche Sanktionen oder gerichtliche Entscheidungen.
b) Einschränkung der Meinungsfreiheit im Wehr- und Ersatzdienst, Art. 17a I 1. Fall GG
Art. 17a I GG erlaubt es, die Meinungsfreiheit von Personen, die im Wehr- oder Ersatzdienst stehen, gesetzlich einzuschränken, wenn dies für die ordnungsgemäße Durchführung des Dienstes notwendig ist.
Beispiel
Ein Soldat darf nicht öffentlich Kritik an militärischen Einsatzplänen äußern, wenn dies die Sicherheit oder die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gefährden könnte.
c) Wechselwirkungslehre
Bei der Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zudem auch immer die sogenannte Wechselwirkungslehre als Ausprägung der Angemessenheitsprüfung zu beachten.
Die Wechselwirkungslehre besagt, dass ein Gesetz, welches ein Grundrecht beschränkt, zugleich auch selbst im Lichte des Grundrechts ausgelegt werden muss und dadurch in der das Grundrecht begrenzenden Wirkung eingeschränkt wird. Es ist daher eine Güterabwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit selbst sowie dem durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsgut vorzunehmen.
Merke
Es besteht eine Vermutung zugunsten der freien Rede, gerade im öffentlichen Bereich. Daher sind wahre Tatsachenbehauptungen und Werturteile in aller Regel hinzunehmen, nur möglicherweise wahre Tatsachenbehauptungen treten regelmäßig hinter dem beeinträchtigten Rechtsgut zurück.
Ansonsten erfolgt wie gewohnt eine Abwägung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.