Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft (= Lehre vom fehlerhaften Verband) ist eine extrem wichtige Klausurkonstellation, welche insbesondere auf Rechtsfolgenebene komplexe Probleme aufwirft. Diese Rechtsfigur/Argumentationsstruktur wird in vielen gesellschaftsrechtlichen Klausuren aufgeworfen werden und muss daher gut beherrscht und in der Klausur angewendet werden.
I. Problemaufriss
Kommt es bei der Gründung der Gesellschaft zu einem Verstoß gegen allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen, sei es ein Verstoß gegen die §§ 134, 138 BGB, Formfehler (§ 125 BGB) oder wegen rückwirkenden Willensmängeln (§§ 142 I, 119 ff. BGB), während die Gesellschaft tatsächlich in Vollzug gesetzt wird (z. B. durch Rechtsgeschäfte mit Dritten oder die Erfüllung von Einlagepflichten), dann besteht die Gesellschaft auf einer fehlerhaften Grundlage.
Die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit ex tunc führt jedoch vornehmlich im Rückabwicklungsregime der §§ 812 ff. BGB zu (praktischen) Rückabwicklungsschwierigkeiten - so wie auch im Kontext fehlerhafter Arbeitsverhältnisse.
Schon alleine das Vertrauen in den Rechtsverkehr und das Vertrauen der Gesellschafter, die ihre Beiträge geleistet und unternehmerisches Risiko getragen haben, müssen irgendwie geschützt werden. Außerdem droht dem vertretungsermächtigten Gesellschafter eine Haftung als falsus procurator.
II. Anwendungsbereich
Im Anwendungsbereich beschränkt sich die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft nur auf Personen- und Vorgesellschaften (das heißt: Vor-GmbH).
Auf Kapitalgesellschaften ist sie nicht anwendbar, da diese aufgrund ihrer konstitutiven Eintragung wirksam und rechtsfähig werden, zumal die §§ 75 - 77 GmbHG und §§ 275 - 277 AktG eigene spezialgesetzliche Regelungen zur Mängelheilung beinhalten.
Merke
Erinnere dich an den Artikel zur Gründung und Beendigung von Gesellschaften. Bei Personengesellschaften ist die Eintragung entweder nur deklaratorisch oder sogar gar nicht erst nötig. Hier kann also eine Gesellschaft auch ohne Eintragung entstehen - man kann dann aber nicht wissen, ob diese Gesellschaft wirksam begründet wurde oder nicht.
III. Voraussetzungen
Damit die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft greift, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Fehlerhafter Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag muss fehlerhaft sein. Das bedeutet, dass Wirksamkeitshindernisse bestehen, also Z. B. §§ 134, 138, 142 BGB et cetera.
2. In-Vollzug-Setzung
Die Gesellschaft ist dann in Vollzug gesetzt, wenn sie am Rechtsverkehr teilnimmt.
Beispiel
Rechtsgeschäfte mit Dritten, Erfüllung von Einlagepflichten.
IV. Problemlösung/Rechtsfolge
Das oben beschriebene Rückabwicklungsproblem löst die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft dergestalt, dass die Gesellschaft nach außen als nicht von Anfang an nichtig anzusehen ist, sondern als voll wirksame Gesellschaft anerkannt wird, wobei die Unwirksamkeit nur für die Zukunft (ex nunc) geltend gemacht werden kann.
Die Fehlerhaftigkeit ist sodann ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 725 II BGB analog.
Insoweit kann eine Auflösungsklage gemäß § 139 HGB begründet sein.
V. Grenzen:
Ausnahmsweise kommt die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft dann nicht zur Anwendung, wenn höherrangige Interessen der Allgemeinheit oder besonders schutzwürdige Personen betroffen sind.
a) Gesetz- und Sittenwidrigkeit, §§ 134, 138 BGB
Die Gesetz- und Sittenwidrigkeit des Gesellschaftsvertrags ist stets beachtlich, sodass entgegen dem Grundsatz der Lehre der fehlerhaften Gesellschaft dennoch der Gesellschaftsvertrag ex tunc nichtig ist.
Beispiel
Der Gesellschaftsvertrag beinhaltet eine krass unverhältnismäßige Gewinnverteilungsabrede oder das Recht zur Ausschließung eines Gesellschafters ohne wichtigen Grund.
b) Beteiligung Minderjähriger, § 107 BGB
Ist ein Minderjähriger an der fehlerhaften Gesellschaft beteiligt, so ist die Wertung des § 107 BGB, also der Schutz vor Rechtsnachteilen zu beachten.
Beispiel
Beteiligung von Minderjährigen an einer Gesellschaft
A, B und der minderjährige, durch seine Eltern vertretene C gründen zusammen den Gaststättenbetrieb „Bierkeller“ als OHG. Obwohl eigentlich erforderliche Genehmigung des Familiengerichts gemäß §§ 1643 I, 1852 Nr. 2 BGB fehlt, wird die „Bierkeller OHG“ in das Handelsregister eingetragen. Die Bank verlangt jetzt die Rückzahlung eines Darlehens, welches sie der Bierkeller OHG für den Gaststättenbetrieb ausgestellt hatte.
Die herrschende Meinung besagt daher, dass der Minderjährige gar nicht erst Gesellschafter wird und damit auch keine gesellschaftsvertraglichen Gewinnansprüche geltend machen kann.
Die starke Gegenauffassung geht von einer Gesellschafterstellung des Minderjährigen aus, sodass dieser auch Gewinnansprüche geltend machen kann, schirmt ihn aber von sämtlichen Haftungsfolgen oder anderen Rechtsnachteilen aus der Gesellschaft ab (sog. „hinkendes Vertragsverhältnis“).
Stellungnahme: Für die Gegenauffassung spricht der Gedanke des Minderjährigenschutzes, welcher vorsieht, dass lediglich rechtliche nachteilige Rechtsfolgen vermieden werden müssen. Die herrschende Meinung erkennt die Rechtsfolgen der Gegenauffassung jedoch zu Recht als „zu weit“. Eine derartige Konstruktion eines „hinkenden Vertragsverhältnis“ findet weder in den §§ 104 ff. BGB noch im Gesellschaftsrecht eine Grundlage. Vielmehr setzt nur die herrschende Meinung die §§ 104 ff. BGB konsequent durch: Der Minderjährigenschutz (§§ 104 ff. BGB) verlangt, nur den Minderjährigen von Rechtsnachteilen fernzuhalten. Mehr aber auch nicht.
c) Sonstige Fallgruppen
Die von der „Lehre der fehlerhaften Gesellschaft“ beabsichtigte Verkehrssicherheit der Gesellschaft ist besonders wichtig. Daher sollte mit den Ausnahmen restriktiv umgegangen werden.
Beispiel
Zwar ist die Lage eines zum Beitritt arglistig getäuschten Mitgesellschafter (§ 123 I BGB) äußerst misslich, jedoch überwiegt der beabsichtigte Verkehrsschutz, sodass dem getäuschten Gesellschafter das Anfechtungsrecht zu nehmen ist.