I. Einleitung
Die Kunstfreiheit ist in Art. 5 III 1 Fall 1 GG verankert. Allgemein betrachtet schützt die Kunstfreiheit sowohl die künstlerische Betätigung als auch die Präsentation und Rezeption von Kunstwerken. Sie umfasst alle Formen künstlerischen Ausdrucks, unabhängig von Inhalt, Stil oder verwendeten Mitteln. Durch diesen umfassenden Schutz fördert sie die Vielfalt und Kreativität in der Kunst und ermöglicht es Künstlerinnen und Künstlern, ohne staatliche Einmischung ihre Werke zu gestalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
II. Schutzbereich

1. Persönlicher Schutzbereich
Bei der Kunstfreiheit handelt es sich mangels Einschränkung im Wortlaut um ein Jedermannsrecht. Umfasst sind alle natürlichen und juristischen Personen, die in irgendeiner Weise mit der Schaffung, Verbreitung oder Rezeption von Kunst verbunden sind. Der Schutzbereich ist bewusst weit gefasst, um den dynamischen und vielfältigen Charakter der Kunst zu berücksichtigen.
2. Sachlicher Schutzbereich
a) Kunstbegriffe
Das Bundesverfassungsgericht hat im Kontext der Kunstfreiheit nach Art. 5 III 1 Fall 1 GG verschiedene Kunstbegriffe entwickelt, um den Schutzbereich dieses Grundrechts zu definieren. Diese sind der formelle, materielle und offene Kunstbegriff. Diese Begriffe dienen dazu, die Vielfalt der Kunstformen zu erfassen und dem dynamischen Charakter der Kunst gerecht zu werden.

aa) Formeller Kunstbegriff
Nach dem formellen Kunstbegriff wird Kunst nach den herkömmlichen Werk- und Gattungszuordnungen definiert. Es handelt sich um Werke, die aufgrund ihrer Strukturmerkmale bestimmten klassischen Gattungen oder Werkstypen wie Malerei, Literatur, Musik, Film oder Theater zugeordnet werden können.
Beispiel
Gemälde, Skulpturen, Gedichte, Romane oder Theaterstücke
bb) Materieller Kunstbegriff
Nach dem materiellen Kunstbegriff ist Kunst das Ergebnis ein freies schöpferisches Schaffen, in dem der Künstler seine persönliche Interpretation von Eindrücken, Erfahrungen oder Vorstellungen zum Ausdruck bringt. Es kommt auf den kreativen Prozess und das Ziel der freien Gestaltung an.
Beispiel
Experimentelle Musik, Performance-Kunst, kreative Installationen oder Lichtkunst
cc) Offener Kunstbegriff
Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie vieldeutig ist und einer vielfältigen Interpretation zugänglich ist. Der offene Kunstbegriff erkennt Werke als Kunst an, die sich nicht eindeutig festlegen lassen und deren Aussage oder Wirkung vom Betrachter unterschiedlich wahrgenommen werden kann.
Beispiel
Provokative Werke wie eine öffentlich aufgestellte Toilettenschüssel (z. B. Marcel Duchamps „Fountain“)
Klausurtipp
Die drei Kunstbegriffe (formeller, materieller und offener Kunstbegriff) stehen gleichberechtigt nebeneinander, und sobald der Sachverhalt unter einen dieser Begriffe subsumiert werden kann, ist der Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG eröffnet.
b) Gewährleistungsumfang
Art. 5 III 1 GG ist allgemein weit auszulegen und gewährleistet die Freiheit des sogenannten Werkbereichs und Wirkbereichs:
Der Werkbereich ist die Freiheit, sich künstlerisch zu betätigen.
Der Wirkbereich ist die Freiheit, ein künstlerisches Werk darzubieten und öffentlich zu verbreiten.
Problem
Inanspruchnahme fremder Güter
Umstritten ist, ob die Inanspruchnahme fremder Güter für die künstlerische Tätigkeit (z. B. bei Graffiti) vom Schutzbereich umfasst ist.
Eine Ansicht sieht eine solche Inanspruchnahme nicht als Teil des Schutzbereichs an. Argumentiert wird, dass dadurch das Eigentum Dritter beeinträchtigt wird, welches durch die kollidierenden Grundrechte der Dritten geschützt ist.
Die herrschende Meinung sieht demgegenüber solche Inanspruchnahmen als Teil des Schutzbereichs an. Gegen das Argument der anderen Ansicht wird eingewendet, dass die Rechte Dritter (und damit der Schutz des Eigentums aus Art. 14 I GG) im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung und nicht im Rahmen des Schutzbereiches zu berücksichtigen sind.
Die Argumentation der herrschenden Meinung ist deutlich überzeugender, weshalb du dieser in der Klausur folgen solltest.
III. Eingriff
Bezüglich der Prüfung des Eingriffs bestehen bei der Kunstfreiheit keine Besonderheiten. Ob ein Eingriff vorliegt, ist anhand des modernen Eingriffsbegriffs zu prüfen.
IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Einschränkungsmöglichkeit
In Art. 5 III GG findet sich dem Wortlaut nach keine Einschränkungsmöglichkeit für die Kunstfreiheit. Die Schrankentrias aus Art. 5 II GG ist aufgrund systematischer Auslegung nur für die davorstehenden Grundrechte aus Art. 5 I GG (also Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit) anwendbar.
Daraus ergibt sich, dass für Art. 5 III 1 Fall 1 GG nur verfassungsimmanente Schranken gelten, womit nur eine Einschränkungsmöglichkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht besteht
2. Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit
Bei der Prüfung der verfassungsmäßigen Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit bestehen keine Besonderheiten.