Ein weiteres examensrelevantes Problem, stellt der Erwerb vom scheinbar Verfügungsbefugten dar. Ein solcher liegt vor, wenn der Erwerber sich des fehlenden Eigentums des Veräußerers bewusst ist, beziehungsweise bewusst sein muss, aber dennoch darauf vertraut, dass der Veräußerer verfügungsbefugt ist.
Hier hilft das BGB nicht weiter, da es in § 932 I 1 Hs. 2 BGB darauf abstellt, ob der Erwerber die Eigentumslage kennt oder grob fahrlässig verkennt. Ist dies der Fall, scheitert der gutgläubige Eigentumserwerb an § 932 II BGB. Der gute Glaube des Erwerber an die Verfügungsbefugnis des Veräußerers wird demgegenüber in keiner BGB-Norm angesprochen.
I. Anwendungsbereich & Problemstellung
Allerdings ermöglicht § 366 I HGB den Erwerb, wenn der Veräußerer Kaufmann ist und der Erwerber ihn für verfügungsbefugt halten darf.
Hintergrund des § 366 HGB ist, dass Kaufleute oft nicht Eigentümer der von ihnen veräußerten Waren sind. Die Hauptanwendungsfälle, in denen § 366 HGB zur Anwendung kommt, sind:
Verfügungen von Kommissionären, §§ 383-406 HGB
Verfügungen von Kaufleuten, die die Ware unter verlängertem Eigentumsvorbehalt erworben haben (wichtiger Anwendungsfall!) und
Verfügungen von Kaufleuten, die die Ware ihrer Bank zur Sicherheit übereignet haben (wichtiger Anwendungsfall!).
Ist ein Kommissionär oder Warenkaufmann nach § 185 I BGB zur Veräußerung ermächtigt, erlangt der Erwerber nach §§ 929 S. 1, 185 I BGB Eigentum.
Ist ein Kommissionär oder Warenkaufmann ausnahmsweise nicht zur Veräußerung ermächtigt, kommt nur ein Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 I 1 H. 1 BGB in Betracht. Dieser scheitert aber an § 932 I 1 Hs. 2, II BGB, wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Dass Kommissionäre nicht Eigentümer der von ihnen veräußerten Waren sind, ist allgemein bekannt. Der gutgläubige Erwerb von Kommissionsware scheitert damit an §§ 932 I 1 Hs. 2, II BGB. Dass Kommissionäre aber in der Regel zur Veräußerung ermächtigt sind, nützt dem Erwerber nichts. Im Rahmen des § 932 BGB spielt es keine Rolle, ob potenzielle Erwerber mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auf die Verfügungsbefugnis des Veräußerers vertrauen.
Gleiches gilt für Warenkaufleute. Dass diese oft nicht Eigentümer, der von ihnen veräußerten Waren sind, ist jedenfalls Unternehmen, die mit Krediten arbeiten, bekannt. Ob der Veräußerer im konkreten Fall Eigentümer der veräußerten Ware ist, müsste häufig überprüft werden. Falls der Erwerber die Prüfung unterlässt, würde er gegebenenfalls grob fahrlässig handeln.
Damit scheitert der Erwerb eines Unternehmers häufig an § 932 I 1 Hs. 2, II BGB. Obwohl auch hier regelmäßig eine Ermächtigung vorliegt, nützt der gute Glaube hieran dem Erwerber nichts.
II. Regelung
Hier hilft der § 366 HGB weiter:
Veräußert ein Kaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes eine ihm nicht gehörige bewegliche Sache, so scheitert der Erwerb nur an § 932 I 1 Hs. 2 BGB, wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass der Veräußerer nicht befugt ist, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen beziehungsweis dass der Eigentümer den Veräußerer nicht zu dieser Verfügung ermächtigt hat.

III. Rechtsfolge
Die Formulierung des § 932 II BGB „dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört“ wird ersetzt durch die Formulierung des § 366 I HGB „dass der Veräußerer nicht befugt ist, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen.“
§ 932 II BGB in Verbindung mit § 366 I HGB ist daher wie folgt zu lesen: "Der Erwerber ist nur dann nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass der Veräußerer nicht befugt ist, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen."
Das heißt: Der Erwerb scheitert nicht schon an der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Eigentumslage, sondern nur an der Kenntnis oder der grob fahrlässigen Unkenntnis vom Fehlen der Verfügungsmacht. Für die grob fahrlässige Unkenntnis vom Fehlen der Verfügungsmacht ist die Stellung des Verfügenden entscheidend. Warenkaufleute und Kommissionäre sind in der Regel zu Veräußerungen ermächtigt, Spediteure und Frachtführer nicht. Wer von einem Händler die Ware erwirbt, darf in der Regel von dessen Verfügungsmacht ausgehen. Eine Ausnahme bilden jedoch Schleuderverkäufe des Händlers. An einer Verfügungsermächtigung des Händlers fehlt es regelmäßig auch bei Sicherungsgeschäften.
Beispiel
Fall
K erwirbt von Händler A einen Vorführwagen. Er weiß, dass Vorführwagen häufig noch dem Hersteller H gehören, geht jedoch davon aus, dass A ermächtigt sei, Vorführwagen für Rechnung des H zu veräußern. Im konkreten Fall lag aber keine Ermächtigung vor.
Ist K Eigentümer geworden?
Lösung
Da A nicht Eigentümer des Vorführwagens war, scheitert ein Eigentumserwerb des K nach § 929 S. 1 BGB am fehlenden Eigentum des A.
Auch war A nicht zur Verfügung über den Vorführwagen ermächtigt, sodass ein Eigentumserwerb des K nach §§ 929 S. 1, 185 I BGB ebenfalls zu verneinen ist.
K könnte den Vorführwagen jedoch nach § 929 S. 1, 932 I 1 HS. 1 BGB erworben haben. Einigung und Übergabe sind erfolgt. Der Tatbestand des § 929 S. 1 BGB ist erfüllt. Der Erwerb ist jedoch nach § 932 I 1 Hs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn K nicht im guten Glauben im Sinne des § 932 II BGB war. K wusste, dass Vorführwagen häufig dem Hersteller gehören. Er unterließ Nachforschungen hinsichtlich des konkreten Vorführwagens. Damit verkannte er jedenfalls grob fahrlässig das fehlende Eigentum des A. Allerdings ging K davon aus, dass A zur Veräußerung des Vorführwagens ermächtigt war. Er könnte ihn folglich nach §§ 929 S. 1, 932 I 1 HS. 1 BGB, § 366 I HGB erworben haben. § 366 I HGB modifiziert den § 932 II BGB und hilft über den fehlenden guten Glauben hinsichtlich des Eigentums hinweg, wenn der Erwerber hinsichtlich der Verfügungsbefugnis des Veräußerers gutgläubig ist. K ging von einer Verfügungsermächtigung des A im Sinne des § 185 I BGB aus. Er war im Hinblick auf diese gutgläubig. K ist nach §§ 929 S. 1, 932 I 1 HS. 1 BGB, § 366 I HGB Eigentümer geworden.
IV. Analoge Anwendung bei Vertretungsmacht
Seinem Wortlaut nach schützt § 366 I HGB den guten Glauben an die Ermächtigung des Veräußerers, über die Sache zu verfügen, und nicht, dass die handelnde Person berechtigt ist, für eine andere Person als Stellvertreter zu handeln.
Problem
Analoge Anwendung des § 366 I HGB auf die fehlende Vertretungsmacht
Teilweise wird vertreten, dass § 366 I HGB im Hinblick auf das dingliche Geschäft den guten Glauben an die Vertretungsmacht schütze. Aufgrund der Schutzwürdigkeit des Erwerbers liege eine vergleichbare Interessenlage vor. Außerdem differenziert das Gesetz selbst nicht konsequent zwischen Verfügungsbefugnis und Vertretungsmacht, wie sich aus den §§ 49 I, 54 I, 56 HGB ergebe. Hiernach ist die Rede von „Ermächtigung“, obwohl die Vorschriften allesamt die Vertretungsmacht regeln.
Dagegen spricht jedoch der eindeutige Wortlaut. Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke sind nicht ersichtlich. Zudem fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Sofern jemand in fremden Namen handelt, hat der Vertragspartner die Möglichkeit, sich beim Geschäftsherrn zu erkundigen. Hinzu kommt, dass die fehlende Vertretungsmacht überwiegend über die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht oder über § 56 HGB gelöst werden könnte. Es besteht demnach kein praktisches Bedürfnis für eine analoge Anwendung.
Merke: Das kann man durchaus auch anders sehen! Allerdings ist unserer Ansicht nach das Wortlautargument überzeugender und diese Meinung insgesamt weiter verbreitet.