I. Einleitung
In diesem Artikel werden einige zentrale Grundfragen zu den Grundrechten erläutert. Ein gutes Verständnis der allgemeinen Arten und Funktionen der Grundrechte sowie die Frage, wer überhaupt grundrechtsberechtigt ist, ist zwingend für die Prüfung erforderlich. Daher solltest du im besten Fall zuerst diesen Artikel und die Artikel zur Prüfung von Freiheits- und Gleichheitsrechten, lesen, bevor du dich mit den Grundrechten im Einzelnen beschäftigst.
II. Arten von Grundrechten
Eine der ersten Fragen, die sich bei den Grundrechten stellt, ist die Frage, wie die unterschiedlichen Dimensionen von Grundrechten systematisch eingeordnet werden können. Dabei ist eine zentrale Unterscheidung die zwischen Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten.
1. Freiheitsgrundrechte
Freiheitsgrundrechte sind solche Grundrechte, die in erster Linie dazu dienen, den Einzelnen vor staatlichen Eingriffen in seine persönliche, sachliche oder wirtschaftliche Sphäre zu schützen. Sie werden daher auch als Abwehrrechte gegen den Staat verstanden.
2. Gleichheitsgrundrechte
Gleichheitsgrundrechte zielen demgegenüber auf die Vermeidung sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlungen durch den Staat ab. Während Freiheitsrechte vor allem die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen schützen, fordern Gleichheitsrechte, dass der Staat seine Rechtsordnung und sein Handeln in einer Weise gestaltet, die Willkür, Diskriminierung und ungerechtfertigte Privilegierungen vermeidet. Die zentralen Gleichheitsrechte finden sich in Art. 3 GG, der die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz (allgemeines Gleichheitsgrundrecht, Art. 3 I GG) sowie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 II GG) und das Diskriminierungsverbot wegen bestimmter Merkmale (Art. 3 III GG) normiert.
3. Grundrechtsgleiche Rechte
Neben den Grundrechten gibt es zudem die die grundrechtsgleichen Rechte. Obwohl sie nicht im klassischen Grundrechtskatalog der Artikel 1 bis 19 GG verortet sind, genießen die sogenannten grundrechtsgleichen Rechte dennoch den gleichen Status wie die Grundrechte selbst. Diese Rechte sind in anderen Abschnitten des GG festgeschrieben und umfassen essenzielle Garantien des Verfassungsrechts.
Sie gewährleisten individuelle Freiheiten und Rechte, die für das Funktionieren eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens unerlässlich sind und ergänzen und erweitern damit die verfassungsrechtliche Schutzordnung der Grundrechte. Zudem spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, da auch Verletzungen dieser Rechte gerügt werden können.
III. Funktionen von Grundrechten
Grundrechte haben eine zentrale Bedeutung in der Rechtsordnung und erfüllen eine Vielzahl von Funktionen, die weit über ihren zentralen Abwehrcharakter hinausgehen.
1. Abwehrfunktion
Die Abwehrfunktion ist die klassische und ursprünglichste Funktion der Grundrechte. Sie schützt den Einzelnen vor Eingriffen des Staates in seine Freiheits- und Lebenssphäre. Als subjektive Rechte gewähren die Grundrechte dem Individuum Ansprüche gegen staatliche Maßnahmen, die unverhältnismäßig in grundrechtlich geschützte Bereiche eingreifen. Diese Abwehrrechte sichern dem Einzelnen die Freiheit, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, und setzen dem Staat klare Grenzen.
Beispiel
Soll eine friedliche Demonstration von den Behörden ohne hinreichenden Grund untersagt oder aufgelöst werden, kann der Veranstalter oder Teilnehmer dieses Vorhaben gerichtlich überprüfen lassen. Die Grundrechte dienen hier als Schutzschild gegen staatliche Übergriffe, um die kollektive Ausübung von Grundfreiheiten zu gewährleisten.
2. Grundrechte als Leistungsrechte
Neben der Hauptfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte haben Grundrechte auch eine Funktion als Leistungsrecht. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung der Grundfunktion, mit der der Grundrechtsträger ein Tätigwerden des Staates verlangen kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Leistungsfunktion lässt sich dabei in drei Fallgruppen unterteilen:
a) Anspruch auf Schutz
Ein Anspruch auf Schutz besteht, wenn ein Dritter (also ein Bürger) die Ausübung eines Grundrechts intensiv gefährdet und der Gefährdete sich nicht selbst hinreichend vor der Grundrechtsgefährdung/-verletzung schützen kann.
Beispiel
Ein Journalist berichtet kritisch über einflussreiche Privatpersonen oder kriminelle Gruppen. Infolgedessen erhält der Journalist schwere Bedrohungen von Dritten, die ihn daran hindern wollen, seine grundrechtlich geschützte Pressefreiheit auszuüben. Da der Journalist sich aufgrund der Intensität und Ernsthaftigkeit dieser Drohungen nicht selbst genügend schützen kann, ist es Aufgabe des Staates, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, etwa durch Polizeischutz, Ermittlungen oder Sicherheitsvorkehrungen. Auf diese Weise erfüllt der Staat seinen Schutzauftrag und gewährleistet, dass der betroffene Journalist sein Grundrecht auch tatsächlich wahrnehmen kann.
b) Anspruch auf Teilhabe
Neben dem Anspruch auf Schutz kann sich aus der Leistungsfunktion auch ein Anspruch auf Teilhabe ergeben. Dies erfolgt in der Regel über Art. 3 I GG. Voraussetzung ist, dass der Staat eine Leistung an Dritte im Rahmen gewisser Kapazitäten, Mengen, Umfängen und ähnlicher Umstände gewährt, diese Leistung bisher nicht vollständig erschöpft ist und der Anspruchsteller an ihr teilhaben will. Wenn die weiteren Voraussetzungen von Art. 3 I GG erfüllt sind, kann sich daraus ein Anspruch auf Teilhabe ergeben.
Beispiel
Der Staat vergibt in einem bestimmten Förderprogramm Zuschüsse an Unternehmer, um ihnen den Markteintritt oder die Modernisierung ihrer Betriebe zu erleichtern. Solange die bereitgestellten Mittel nicht ausgeschöpft sind und ein Antragsteller alle objektiven Förderkriterien (z. B. Betriebsgröße, Innovationsgrad, ökologische Standards) erfüllt, darf ihm der Zuschuss nicht ohne sachlichen Grund verweigert werden. Lehnt die Behörde den Antrag ohne nachvollziehbare Kriterien ab, kann sich der Bewerber auf den Gleichheitssatz berufen und einen Anspruch auf Teilhabe an den staatlichen Leistungen geltend machen.
c) Anspruch auf Sach- oder Geldleistung
Möglich ist auch ein Anspruch auf eine bestimmte Geld- oder Sachleistung. Hier kann es dogmatisch Überschneidungen mit dem Anspruch auf Teilhabe geben (siehe Beispiel Teilhabe).
Ein Anspruch auf eine bestimmte Geld- oder Sachleistung kann sich aber auch außerhalb eines Anspruchs auf Teilhabe ergeben. Dies ist der Fall, wenn nur der Staat die gegenständliche Leistung gewähren kann (er also ein Monopol für diese Leistung hat) und die Gewährung für den Grundrechtsträger unerlässlich ist um seine Grundrechtsverwirklichung zu gewährleisten.
Beispiel
Gewährleistung des Existenzminimums
Der Staat hat in Deutschland eine Pflicht, jedem Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu garantieren. Private Hilfsorganisationen können diese Leistung ergänzen, jedoch nicht sicherstellen, dass tatsächlich jeder mittellose Mensch ausreichend versorgt wird. Der Staat besitzt hier faktisch ein Monopol auf die flächendeckende Sicherung dieses Mindeststandards. Wer sich in wirtschaftlicher Notlage befindet und ohne staatliche Unterstützung sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein nicht verwirklichen könnte, hat gegenüber dem Staat einen Anspruch auf diese Leistungen, z. B. in Form von Sozialhilfe oder Grundsicherung. Dies folgt aus Art. 2 II 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip.
d) Grenzen des Leistungsanspruchs
Der Leistungsanspruch eines Grundrechtsträgers aus den Grundrechten selbst ist subsidiär zu den einfach-gesetzlichen Regelungen.
3. Objektive Wertordnung
Die Grundrechte prägen die gesamte Rechtsordnung und wirken als objektive Wertordnung. Sie sind nicht nur subjektive Rechte, sondern entfalten auch eine Ordnungsfunktion, die sich in der gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Struktur widerspiegelt. Durch die Grundrechte werden zentrale Werte wie Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde in allen Rechtsbereichen verankert.
Gemäß Art. 1 III GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht, wodurch alle Bereiche von diesen geprägt sind.
4. Demokratische Funktion
Grundrechte fördern und sichern auch demokratische Prozesse. Sie schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Meinungsbildung und politische Teilhabe der Bevölkerung. Insbesondere die Kommunikationsgrundrechte wie Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit sind unverzichtbar für eine funktionierende Demokratie.
IV. Grundrechtsberechtigung
Bei der Auseinandersetzung mit den Grundrechten stellt sich zudem natürlich die grundlegende Frage, wer überhaupt Träger dieser Rechte sein kann. Die Antwort darauf ist eng mit dem persönlichen Schutzbereich der jeweiligen Grundrechtsnormen verknüpft.
Grundrechtsberechtigt sind grundsätzlich zunächst alle natürlichen Personen.
Bei den einzelnen Grundrechten ist dann zwischen sogenannten „Jedermannsrechten“ und „Bürgerrechten“ zu unterscheiden.
1. Jedermannsrechte
Zahlreiche Grundrechte sind als „Jedermannsrechte“ formuliert („Jeder“ im Wortlaut) und richten sich grundsätzlich an alle Menschen, unabhängig von Staatsangehörigkeit, Alter, Geschlecht oder Aufenthaltsstatus. Wenn sich im Wortlaut des jeweiligen Grundrechts keine Einschränkung des persönlichen Schutzbereichs (auf deutsche Staatsangehörige) findet, handelt es sich ebenfalls um Jedermannsrechte.
Klausurtipp
In der Klausur empfiehlt sich an diesen Stellen ein Formulierung wie etwa:
“Mangels Einschränkung des persönlichen Schutzbereichs im Wortlaut handelt es sich bei Art. […] GG um ein Jedermannsgrundrecht.”
Dies sind zum Beispiel Art. 2 I GG, Art. 5 I oder Art. 14 I GG
2. Bürgerrechte
Bürgerrechte dagegen stehen nur Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 116 GG zu. Sie sind an der Formulierung “Alle Deutsche” im Wortlaut zu erkennen.
Beispiele dafür sind Art. 8 GG, Art. 9 I GG oder Art. 12 GG
Problem
Anwendbarkeit von „Deutschen-Grundrechten“ auf EU-Ausländer
Grundsätzlich bedarf es für die Anwendbarkeit von Bürgerrechten gemäß Art. 116 I GG der deutschen Staatsbürgerschaft. Damit fallen Ausländer erst einmal aus dem Schutzbereich heraus. Ein Sonderfall besteht aber bezüglich EU-Ausländern.
Die Frage, ob auch EU-Ausländer in den persönlichen Schutzbereich von „Deutschen-Grundrechten“ fallen und sich damit auf diese berufen können, wird verschieden beantwortet. Denn nach Art. 18 AEUV besteht ein allgemeines Diskriminierungsverbot, wonach EU-Bürgern der gleiche Schutz wie Deutschen zukommen muss.
Die erste vertretene Lösung ist eine direkte Anwendbarkeit aller Grundrechte, also auch der Deutschen-Grundrechte, auf EU-Ausländer.
Die zweite vertretene Lösung ist, dass das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG derart ausgelegt wird, dass über diesen EU-Bürgern ein gleichwertiger Schutz im Vergleich zu Deutschen zukommt. Es werden hier also die Wertungen und der Inhalt der Deutschen-Grundrechte übernommen und im Kontext von Art. 2 I GG angewendet.
Wenn es in der Klausur zu einer Fallkonstellation kommt, in der sich ein EU-Ausländer auf Deutschen-Grundrechte beruft, solltest du die zwei Lösungsmöglichkeiten kurz darstellen, dich dann aber für die erste Lösung entscheiden, da diese vor allem aus klausurtaktischer Sicht deutlich sinnvoller ist. Grund ist, dass du sonst nicht die Grundrecht normal prüfen könntest, sondern über den Umweg des Art. 2 I GG die Wertungen des jeweiligen Freiheitsrechts unter diesem prüfen müsstest.
3. Kinder
Kinder sind als Menschen ebenfalls grundrechtsberechtigt. Zwar können sie ihre Rechte häufig nicht selbstständig geltend machen, weil es an der Prozessfähigkeit fehlt, aber sie sind Träger der Grundrechte, etwa des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die Ausübung erfolgt dann in der Regel durch gesetzliche Vertreter.
4. Beginn menschlichen Lebens
Die Frage, ab wann menschliches Leben grundrechtlichen Schutz genießt, ist juristisch wie ethisch umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass auch das ungeborene menschliche Leben durch Art. 2 II 1 GG (Recht auf Leben) geschützt ist. Damit wird deutlich, dass der Grundrechtsschutz nicht an ein bestimmtes Alter oder einen Entwicklungsstand anknüpft.
5. Juristische Personen
Neben den natürlichen Personen könnten unter bestimmten Voraussetzungen auch juristische Personen Träger von Grundrechten sein.
Die Voraussetzungen dafür regelt Art. 19 III GG. Dieser bestimmt, dass inländische juristische Personen grundsätzlich grundrechtsfähig sind, soweit die Grundrechte „ihrem Wesen nach“ auf sie anwendbar sind. Das bedeutet, dass nicht alle Grundrechte, sondern nur solche, deren Ausgestaltung nicht zwingend an die menschliche Person anknüpft, auf juristische Personen übertragen werden können.
Es muss also eine wesensgemäße Anwendbarkeit i.S.d. Art. 19 III GG vorliegen. Dies ist der Fall, wenn das Grundrecht seines Wesens nach nicht nur individuell, sondern auch korporativ betätigt werden kann. Dafür muss zum einen ein theoretischer Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen sinnvoll und erforderlich erscheinen (sogenanntes personales Substrat).
Merke
„Theoretischer Durchgriff“ bedeutet in diesem Zusammenhang also zu prüfen, ob hinter der juristischen Person tatsächlich ein „personales Substrat“ steht. Mit anderen Worten: Sind es wirklich natürliche Personen, deren Grundrechtspositionen letztlich betroffen sind und die faktisch über die juristische Person agieren?
Wenn dies der Fall ist, kann man sagen, dass die gleiche Gefährdungslage vorliegt wie bei natürlichen Personen – und dass das Grundrecht auch auf die juristische Person „durchgreifend“ angewendet werden kann.
Zum anderen muss eine grundrechtsgleiche Gefährdungslage bestehen. Dies ist gegeben, wenn das Grundrecht auf die jeweilige Situation der juristischen Person genauso passt wie auf eine natürliche Person.
Beispiel
Eine inländische Kapitalgesellschaft (z. B. eine GmbH oder AG), die Eigentum an Grundstücken, Maschinen oder Waren hat, kann sich auf den Schutz des Eigentumsrechts berufen. Die Eigentumsgarantie ist nicht zwingend an die menschliche Person gebunden, da es um die Sicherung von Vermögenswerten geht. Das notwendige personelle Substrat ist hier gegeben, da hinter der juristischen Person natürliche Personen (Gesellschafter, Aktionäre) stehen, die mittelbar von einem Eingriff in das Vermögen betroffen wären. Auch die Gefährdungslage entspricht jener natürlicher Personen, da die juristische Person durch staatliche Eingriffe ihre wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit verliert.
V. Besonderheiten bei der Prüfung von Grundrechten
Bei der Prüfung der Grundrechte sind neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einige weitere Grundsätze zu beachten.
1. Bestimmtheitsgrundsatz
Der Bestimmtheitsgrundsatz ist ein zentrales Auslegungsprinzip im Verfassungsrecht, der insbesondere auch bei der Prüfung von Eingriffen in Grundrechte eine Rolle spielt. Er beruht auf dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und verlangt, dass Gesetze, welche die Freiheit oder andere grundrechtlich geschützte Positionen beschränken, hinreichend bestimmt und klar gefasst sein müssen. Betroffene, also Adressaten von Regelungen, sollen eindeutig erkennen können, welches Verhalten erlaubt oder verboten ist, und Behörden sowie Gerichte benötigen klare Kriterien, um willkürfreie Entscheidungen treffen zu können. Dadurch verhindert der Bestimmtheitsgrundsatz unklare, mehrdeutige oder zu weit gefasste Regelungen und leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit im Grundrechtsschutz.
Klausurtipp
Eine Formulierung, die sich für die Prüfung in der Klausur eignet, könnte in etwa wie folgt lauten:
“Die Regelung … könnte gegen den staatsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. Dieser beruht auf dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und regelt, dass erkennbar sein muss, welche Rechtsfolgen einer Norm sich aus einem Verhalten ergeben. In den meisten Fällen wird dann ein eine gesetzliche Regelung, beziehungsweise unbestimmte Rechtsbegriffe der Regelung an diesem Maßstab auszulegen.”
2. Wechselwirkungslehre
Die Wechselwirkungslehre kann im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relevant werden. Sie besagt, dass ein Gesetz, welches ein Grundrecht beschränkt, zugleich im Lichte des Grundrechts ausgelegt werden muss und so in seiner das Grundrecht begrenzenden Form selbst wieder eingeschränkt werden muss. Wichtig ist, dass immer die wohlwollendste Auslegungsmöglichkeit zugrunde zu legen ist. Die Wechselwirkungslehre hat vor allem bei der Meinungsfreiheit Bedeutung.
Beispiel
Wenn ein allgemeines Gesetz die Verbreitung bestimmter Meinungen einschränkt, zum Beispiel durch strafrechtliche Regelungen gegen Beleidigungen oder Volksverhetzung, muss dieses Gesetz im Lichte der Meinungsfreiheit ausgelegt werden. Dies bedeutet, dass Grenzfälle so zu beurteilen sind, dass die Äußerungsfreiheit möglichst weitgehend erhalten bleibt. Eine Beleidigungsnorm darf etwa nicht so ausgelegt werden, dass bereits scharfe politische Kritik unter Strafe fällt, solange keine menschenverachtenden oder ehrverletzenden Aussagen ohne Sachbezug vorliegen.
VI. Rechtsweggarantie, Art. 19 IV GG
Zitat
Art. 19 IV GG:
„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.“
Die Rechtsweggarantie des Artikels 19 IV GG ist ein zentrales Element des deutschen Rechtsstaatsprinzips und gewährleistet effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Ihr Wortlaut verpflichtet den Staat, einen umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, wenn jemand durch Maßnahmen der Exekutive, Legislative oder Judikative in seinen Rechten betroffen ist.
Art. 19 IV GG betrifft dabei natürlich nicht nur Grundrechtsverletzungen, sondern jede Rechtsverletzung durch Akte der öffentlichen Gewalt, also auch subjektive öffentliche Rechte oder andere Rechtspositionen.
Die Norm ist ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit, da sie die Kontrolle staatlicher Entscheidungen durch unabhängige Gerichte sicherstellt. Sie verhindert Willkür und gewährleistet, dass staatliches Handeln an Recht und Gesetz gebunden bleibt. Dies schützt die Bürger vor Machtmissbrauch und stärkt die Gewaltenteilung. Weiterhin gewährleistet die Vorschrift die Objektivierung des Rechtssystems. Indem Gerichte staatliche Entscheidungen überprüfen, wird die Einheitlichkeit und Berechenbarkeit des Rechts gefördert.
Wichtig ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht an sich nicht zum Rechtsweg gehört. Wenn aber der Grundsatz der Subsidiarität nicht eingreift, stellt die Verfassungsbeschwerde den einzigen Rechtsschutz gegen self-executing Normen dar.
Zuletzt wird von Art. 19 IV GG auch die Effektivität des Rechtswegs garantiert. Der Rechtsweg ist effektiv, wenn keine unangemessenen Hindernisse bestehen, die Gerichte eine vollständige Prüfung vornehmen und in angemessener Frist entscheiden. Zudem muss ein vorläufiger Rechtsschutz gegeben sein, wenn ansonsten die Nachteile überwiegen.
Art. 19 IV GG enthält keinen Gesetzesvorbehalt, es können aber Konkretisierungen von verfassungsimmanenten Schranken durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Aber auch in diesen Fällen ist eine Einschränkung des Rechtswegs nur zulässig, wenn die von ihnen begründete Erschwerung sachlich gerechtfertigt ist und weiterhin ein effektiver Rechtsschutz besteht.