I. Einleitung
1. Rechtsnatur
Das Verbraucherschutzrecht ist das Sonderprivatrecht für Verbraucher, die zu einem Unternehmer Rechtsbeziehungen aufnehmen.
2. Zweck
Der Zweck des Verbraucherschutzrechts besteht darin, die gestörte Vertragsparität zwischen dem erfahrenen Unternehmer und dem oftmals unerfahrenen Verbraucher zu kompensieren.
Das gilt vor allem bei riskanten Formen des Vertragsschlusses (§ 312b und § 312c BGB) sowie bei riskanten Vertragstypen (Verbrauchsgüterkauf, §§ 474-479; Time Sharing, §§ 481-487 BGB; Verbraucherdarlehen, §§ 491-506 BGB; Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge, §§ 506-512 BGB; Verbraucherbauvertrag, §§ 650i ff. BGB).
3. Instrumente
Der Schutz wird vor allem durch Informations- und Widerrufsrechte erzielt.
Beispiel
§ 312d BGB: Informationspflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen
§ 312e BGB: Informationspflichten über Kosten
§ 312g BGB (iVm. § 355 I BGB): Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen
Darüber hinaus bestehen weitere, weniger klausurrelevante Vorschriften in §§ 312k S. 1, 361 II 1, 487 S. 1, 512 S. 1 BGB.
4. Exkurs
a) Richtlinienkonforme Auslegung
Das nationale Verbraucherschutzrecht basiert auf der Europäischen Verbraucherrichtlinie (VRRL) und ist daher stets richtlinienkonform auszulegen. Die Auslegung von EU-Richtlinien erfolgt verbindlich durch den EuGH. Zweifelsfragen sind nach Art. 267 AEUV vorzulegen.
Die Auslegungsmethode hat Vorrang vor allen anderen Auslegungsmethoden. Sie unterscheidet sich von den klassischen Auslegungsmethoden dadurch, dass sie auf ein bestimmtes Ergebnis abzielt, welches darin besteht, das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu realisieren und die volle Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten.
b) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung
Grenze der Auslegung ist jedoch der Wortsinn. Jenseits dieser Grenze ist die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung (teleologische Reduktion, teleologische Extension, Analogie) erforderlich.
Merke
Eine Regelungslücke ist im deutschen Recht planwidrig, wenn der Gesetzgeber die Richtlinie eigentlich richtlinienkonform umsetzen wollte, wovon nach der Rechtsprechung in der Regel auszugehen ist.
c) Überschießende Umsetzung von Richtlinien
Eine überschießende Umsetzung liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht deckungsgleich umsetzt, sondern den Regelungsumfang einer Richtlinie überschreitet.
Beispiel
Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (VKRL). Statt Verbrauchsgüterkäufe separat zu regeln, wurde das allgemeine Kaufrecht an die VKRL angepasst. Das erfolgte zur Sicherung der Einheitlichkeit des Kaufrechts.
Nach Art. 2 I VRRL sind Arbeitnehmer nicht Verbraucher (Kein Verbraucher ist, wem das Rechtsgeschäft seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann). Nach § 13 BGB dagegen sind Arbeitnehmer Verbraucher (Kein Verbraucher ist, wem das Rechtsgeschäft seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann).
II. Struktur der Regelungen
Das Verbraucherschutzrecht ist in den §§ 312 ff. BGB geregelt. Daraus ergibt sich folgende Struktur:

III. Anwendungsbereich der Regelungen
1. § 312 I, Ia BGB
Die §§ 312-312h BGB sind nach § 312 I und Ia BGB nur anzuwenden
auf Verbraucherverträge im Sinne des § 310 III BGB
bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet oder
personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet (§ 312 Ia 1 BGB).
Klausurtipp
Auf die in § 312 II-VI BGB aufgeführten Verträge sind nur Teile der §§ 312-312h BGB anzuwenden. In einer Klausur sollten die Normen gelesen werden.
a) Verbraucherverträge im Sinne des § 310 III BGB
Verbraucherverträge sind Verträge zwischen einem Unternehmer und Verbraucher. Ob jemand als Unternehmer oder als Verbraucher agiert, richtet sich nach §§ 13, 14 BGB. Entscheidend ist der Zweck des Rechtsgeschäfts. Dies beurteilt sich aus Sicht eines objektiven Dritten.
Beispiel
Falls der Geschäftszweck der gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, ist die Vertragspartei „Unternehmer“. Fall das nicht möglich ist, ist sie in der Regel „Verbraucher“.
Sofern ein doppelter Geschäftszweck vorliegt, entscheidet der Schwerpunkt der Verwendung.
Falls eine Zuordnung zu einem unternehmerischen Zweck nicht eindeutig und zweifelsfrei erkennbar ist, ist nach der Rechtsprechung von einem Verbrauchergeschäft auszugehen, z. B.: Ein Rechtsanwalt bestellt etwas für seine Privatwohnung, das er aber an seine Kanzleianschrift liefern lässt.
aa) Unternehmer
Unternehmer ist nach § 14 BGB eine natürliche oder juristische Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
aaa) Gewerbliche Tätigkeit
Zur Beurteilung der Gewerblichkeit kann im Wesentlichen auf die Definition des Gewerbes nach dem HGB zurückgegriffen werden. Fraglich ist, ob auch für eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 13 BGB eine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung ist dies nicht der Fall. Da die Absicht für einen Verbraucher nicht erkennbar ist, genügt die Entgeltlichkeit der Leistung. Erfasst werden auch kleingewerbliche und nebenberufliche Tätigkeiten wie zum Beispiel Ebay-Verkäufer.
bbb) Selbstständige berufliche Tätigkeit
Beispiel
Künstler, Wissenschaftler und Freiberufler (z.B. Ärzte, Anwälte, Architekten).
Nach der Rechtsprechung muss sich selbst derjenige, der nur vorgibt, Unternehmer zu sein, also einen gewerblichen Verwendungszweck zu verfolgen, daran festhalten lassen.
bb) Verbraucher
Verbraucher kann nach § 13 BGB nur eine natürliche Person sein, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
Beispiel
Verbraucher sind auch:
Arbeitnehmer
Geschäftsführer einer GmbH, da sie den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen
Gesellschafter einer GmbH, da das Halten eines GmbH-Anteils private Vermögensverwaltung ist.
Keine Verbraucher sind:
rechtsfähige Personengesellschaften, da sie nach § 14 BGB Unternehmer sind (handeln in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit); eine nicht rechtsfähige GbR kann nicht Unternehmer sein (argumentum e contratio § 14 BGB)
Existenzgründer (argumentum e contrario § 513 BGB)
b) Verbrauchervertrag
Es muss ferner ein Vertrag vorliegen. An dieser Stelle ist nach allgemeinen Regeln der Vertragsschluss zu prüfen, sowie das Vorliegen etwaiger Nichtigkeitsgründe.
c) Entgeltlichkeit der Leistung des Unternehmers
Nach § 312 I BGB muss sich der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichten oder zur Bereitstellung personenbezogener Daten. Gemeint sind synallagmatische Verträge - siehe dazu den Artikel zu den unterschiedlichen Arten der Schuldverhältnisse.
Beispiel
Die Bürgschaftsübernahme oder andere einseitig den Verbraucher verpflichtende Rechtsgeschäfte werden nicht von § 312 I BGB erfasst.
2. Ausschlusstatbestände (§ 312 II BGB)
Greift ein Ausschlusstatbestand ein, findet lediglich ein Teil der in § 312a BGB genannten „Allgemeinen Pflichten und Grundsätze“ Anwendung (§ 312a I, III, IV BGB). Ausgeschlossen sind §§ 312a II, V, 312b-h BGB sowie das Widerrufsrecht nach § 312g BGB.
Merke
Greift ein Ausschlusstatbestand des § 312 II BGB, hat ein Verbraucher kein Widerrufsrecht.
Beispiel
Examensrelevante Ausschlusstatbestände in § 312 II BGB:
Nr. 1: Manche notariell beurkundete Verträge
Nr. 2: Verträge über die Begründung, den Erwerb oder die Übertragung von Eigentum oder anderen Rechten an Grundstücken
Nr. 3: Verbraucherbauverträge im Sinne des § 650i I BGB
Nr. 12: Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (nicht bei Fernabsatzverträgen!), bei denen die Leistung bei Abschluss der Verhandlungen sofort erbracht und bezahlt wird und das vom Verbraucher zu zahlende Entgelt 40 Euro nicht überschreitet (kein Widerrufsrecht nach § 312g BGB!)
IV. Allgemeine Regeln für Verbraucherverträge, § 312a BGB
1. Offenlegung (§ 312a I BGB)
Bei Anrufen muss der Anrufer seine Identität sowie den geschäftlichen Zweck des Anrufs offenlegen.
2. Kosten (§ 312a II BGB)
Der Unternehmer kann von dem Verbraucher Kosten nur verlangen, soweit er den Verbraucher über diese Kosten entsprechend den Anforderungen aus Art. 246 I Nr. 3 EGBGB informiert hat.
3. Zusatzleistungen (§ 312a III BGB)
Zusatzleistungen müssen ausdrücklich mit dem Verbraucher vereinbart werden, da ein „Unterschieben“ durch Voreinstellungen oder Klauseln in AGB unterbunden werden soll.
4. „Surcharging" (§ 312a IV BGB)
Vereinbarungen, durch die ein Verbraucher verpflichtet wird, ein Entgelt dafür zu zahlen, dass er ein bestimmtes Zahlungsmittel nutzt, sind unwirksam, wenn
-für den Verbraucher keine gängige und zumutbare unentgeltliche Zahlungsmöglichkeit besteht (Nr. 1) oder
-das vereinbarte Entgelt über die Kosten hinausgeht, die dem Unternehmer durch die Nutzung des Zahlungsmittels entstehen (Nr. 2).
5. Entgelt für Kundenhotlines (§ 312a V BGB)
Eine Vereinbarung, die dem Verbraucher ein Entgelt für die Nutzung einer Kundenhotline auferlegt, ist unwirksam, wenn das vereinbarte Entgelt das Entgelt für die bloße Nutzung des Telekommunikationsdienstes übersteigt.
6. Restwirksamkeit (§ 312a VI BGB)
§ 312a VI BGB ordnet die Restwirksamkeit des Vertrages an, wenn eine Vereinbarung nach den Absätzen 3 bis 5 nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam ist.
V. Elektronischer Geschäftsverkehr (§ 312i f. BGB)
§§ 312i, 312j BGB setzen die E-Commerce-Richtlinie um.
1. Sachlicher Anwendungsbereich, § 312i I BGB
Ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr liegt vor, wenn sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient. Nah § 1 I TMG sind Telemedien elektronische Informations- und Kommunikationsdienste.
2. Persönlicher Anwendungsbereich
§ 312i I BGB spricht von „Kunden“. Der persönliche Anwendungsbereich setzt keinen Verbrauchervertrag voraus und gilt daher auch unter Unternehmern (§ 14 BGB).
3. Verhältnis zu anderen Vorschriften (§ 312i III BGB)
Nach § 312i III BGB bleiben weitergehende Informationspflichten aufgrund anderer Vorschriften ausdrücklich unberührt.
4. Elektronischer Geschäftsverkehr mit Verbrauchern (§ 312j BGB)
Nach § 312j BGB bestehen besondere Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr gegenüber Verbrauchern. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Verbrauchervertrages im elektronischen Geschäftsverkehr, der den Verbraucher zur Zahlung verpflichtet (§ 312j II BGB).
Der Schutz des Verbrauchers wird vierstufig gewährleistet:
§ 312j II BGB verschärft die Informationspflichten im Verhältnis zum allgemeineren § 312i BGB. Hiernach ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher Informationen über den Gesamtpreis, etwaige Liefer- und Versandkosten und die Mindestlaufzeit des Vertrages klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung zu stellen, und zwar unmittelbar bevor dieser seine Bestellung abgibt. Der Verbraucher soll so vor Kostenfallen geschützt werden.-§ 312j III BGB formalisiert den Vorgang der Bestellung (Pflicht, eine ausdrückliche Erklärung der Zahlungsverpflichtung zu gestalten, vor allem im Zusammenhang mit Schaltflächen)
§ 312j IV BGB ordnet das Scheitern des Vertragsschlusses bei Missachtung der Pflichten aus § 312j III BGB an.
§ 312k BGB erleichtert seit 2022 die Kündigung der Verträge direkt über die Webseite, nachdem das im Vergleich zum Abschluss von Verträgen im elektronischen Verkehr bisher nicht oder nur erschwert möglich war (bspw. Erfordernis eines Kündigungsbuttons zum Einleiten der Kündigung und eines Bestätigungsbuttons zum Abschluss der Kündigung).
Klausurtipp
In einer Klausur sollten diese Normen aufmerksam gelesen werden, wenn im Sachverhalt Hinweise auf das Vorliegen eines (Verbraucher-)Vertrages im elektronischen Geschäftsverkehr mit einem Verbraucher vorliegen.
Merke
§ 312j II-IV BGB finden keine Anwendung, wenn der Vertrag ausschließlich durch individuelle Kommunikation geschlossen wird (§ 312j V 1 BGB).
5. Verbraucherschutz gegenüber Betreibern von Online-Marktplätzen (§ 312l BGB)
In § 312l BGB sind allgemeine Informationspflichten für Betreiber von Online-Marktplätzen geregelt. Die Vorschrift setzt die Richtlinie der EU 2019/2161 zur besseren Durchführung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union um.
a) Anwendungsbereich
Definition
Betreiber eines Online-Marktplatzes ist der Unternehmer, der einen Online-Marktplatz für Verbraucher zur Verfügung stellt.
Wer Betreiber eines Online-Marktplatzes ist, wird in § 312l IV BGB legaldefiniert. Beispiele sind eBay oder Amazon.
b) Informationspflichten
Die Betreiber sind verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246d EGBGB zu informieren (beispielsweise beim Weiterverkauf von Eintrittskarten über eine Ticketbörse über den vom Veranstalter festgelegten Originalpreis).
Verstöße gegen die Informationspflichten berechtigten den Verbraucher zum Schadensersatz, zum Recht auf Beendigung des Vertrages oder auch zur Rückabwicklung.