I. Einleitung
Willenserklärungen spielen als Bestandteile von einseitigen und zweiseitigen Rechtsgeschäften eine wichtige Rolle im Allgemeinen Teil des BGB und sind damit auch Teil jedes Vertragsschlusses und können daher in einer Vielzahl von Konstellationen und vor allem auch rechtsgebietsübergreifend abgeprüft werden.
Im Rahmen der Prüfung einer Willenserklärung sind verschiedene Prüfungspunkte strikt zu unterscheiden:
Tatbestand einer Willenserklärung (objektiver Erklärungstatbestand + ggf. subjektive Elemente)
die Existenz einer Willenserklärung (Abgabe)
das Wirksamwerden einer Willenserklärung (Zugang)
eventuelle Wirksamkeitshindernisse (Geschäftsfähigkeit, Form, § 134, § 138 BGB).
eventuelle Anfechtung (§§ 119 ff., 123 BGB führen zu Nichtigkeit ex tunc, § 142 I BGB)
Definition
Unter einer Willenserklärung ist ein Verhalten zu verstehen, welches aus objektiver Sicht unmittelbar (final) auf eine bestimmte Rechtsänderung gerichtet ist. Die gewollte Rechtsänderung besteht hierbei in der Herbeiführung eines bestimmten rechtlich gesicherten Erfolgs.
Der Wille kann ausdrücklich (Sprechen, Schreiben) oder konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erklärt werden. Ganz ausnahmsweise kann auch Schweigen eine Willenserklärung darstellen. Konkludente Erklärungen müssen ausgelegt werden - siehe hier.

II. Willenserklärungen durch konkludentes Verhalten
Bei einer Willenserklärung durch konkludentes Verhalten nimmt der Erklärende Handlungen vor, die den Schluss erlauben, dass er einen bestimmten rechtlich gesicherten Erfolg wolle. Dieser Schluss ist zulässig, wenn das Gegenteil (also das Nichtwollen eines bestimmten Erfolgs) im Widerspruch zum Verhalten stünde. Ob Verhalten „konkludent“ eine WE darstellt, beurteilt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Verkehrssitte und Begleitumständen (§§ 133, 157 BGB).
Kein konkludenter Erklärungswert bei bloßer Gefälligkeit oder uneindeutigem Verhalten.
Beispiel
Jemand beginnt mit der Vertragsdurchführung ohne den Antrag ausdrücklich angenommen zu haben. Ohne Vertrag ergibt das keinen Sinn.
III. Willenserklärungen durch Schweigen
1. Grundsatz
Schweigen hat grundsätzlich keine rechtliche Relevanz. Es stellt damit auch keine Willenserklärung dar. Es handelt sich vielmehr um ein rechtliches Nullum. Ausnahmen können kraft Vereinbarung, kraft Gesetzes, kraft Gewohnheitsrechts und der Verkehrssitte bestehen.
Merke
Fälle des § 151 BGB (Annahme ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden) sind kein Schweigen, sondern eine Annahme ohne Zugang. Das ist nützlich als Abgrenzung.
2. Beredtes Schweigen
Schweigen kann als Annahme gelten, wenn dies von allen Beteiligten so vereinbart war, sogenanntes beredetes Schweigen („Das Vertragsangebot gilt als angenommen, wenn B nicht bis ... widerspricht.“). Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist insoweit jedoch § 308 Nr. 5 BGB zu beachten. Der Antragende kann nicht einseitig durch AGB bestimmen, dass Schweigen als Annahme gelten soll. Insgesamt kann dies auch nur zulässig sein, wenn entsprechende Hinweise und eine angemessene Frist gegeben sind.
3. Schweigen an Erklärungs statt
Schweigen kann auch kraft Gesetzes eine Erklärungswirkung aufweisen:
Nach §§ 516 II 2 BGB, 362 I 1 HGB gilt Schweigen als Annahme eines Antrags.
Schweigen kann gemäß §§ 416 I 2 BGB, 377 II HGB auch als Genehmigung anzusehen sein oder
nach §§ 108 II 2, 177 II 2, 415 II 2 BGB als Genehmigungsverweigerung wirken.
§ 455 S. 2 BGB (Kauf auf Probe): Billigung gilt als erfolgt, wenn der Käufer sich nicht fristgerecht erklärt → faktische Annahmefiktion bei Schweigen.
§ 377 II HGB: Unterlassene Rüge beim beiderseitigen Handelskauf gilt als Genehmigung der Ware (keine Willenserklärung, aber gesetzliche Fiktion mit Annahmewirkung).
4. Gewohnheitsrecht
Schweigen kann auch als Annahme eines Antrags zu werten sein, wenn entsprechende Handelsbräuche im Sinne des § 346 HGB bestehen. Dies ist bei Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben der Fall.
Definition
Beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben führt Schweigen des Empfängers grundsätzlich zur Geltung des bestätigten Inhalts, sofern die Voraussetzungen (Kaufmannseigenschaft, Vorverhandlungen, Zeitnähe, Zugang, Schutzwürdigkeit) vorliegen und nicht unverzüglich widersprochen wird.
Mehr zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben findest du hier.


