I. Systematik
Die Regelungen zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) geben dem Eigentümer Schutz gegen Beeinträchtigungen - beispielsweise, wenn ein anderer die im Eigentum stehende Sache in Besitz nimmt (mit oder ohne Willen des Eigentümers). Das Eigentum selbst gibt einer Person gemäß § 903 BGB die rechtliche Herrschaft über eine Sache, während die EBV-Regelungen konkretisieren, was passiert, wenn man diese Herrschaft nicht voll ausüben kann.
Das EBV besteht aus einer Vielzahl von Ansprüchen, die unterschiedliche Inhalte und Anspruchsinhaber aufweisen:

Der erste Anspruch im EBV (das mit dem 4. Titel „Ansprüche aus dem Eigentum“ beginnt) und sicherlich zentrale Anspruch im System ist der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB, der die wesentliche Botschaft vermittelt, dass - mangels spezieller Regelungen - der Besitz zum Eigentum gehört.
Die Regelungen in §§ 987 - 1003 BGB werden auch als Vindikationsrecht bezeichnet. Ihr Zweck besteht darin einen unverklagten, redlichen unberechtigten Besitzer zu privilegieren. Dies kommt in § 993 I BGB am Ende zum Ausdruck.
Die Vorschrift ordnet an, dass der redliche Besitzer grundsätzlich weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet ist (sogenannte Sperrwirkung des EBV).
Zitat
§ 993 BGB:
"Liegen die in den §§ 987 - 992 BGB bezeichneten Voraussetzungen nicht vor, so hat der Besitzer die gezogenen Früchte, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft nicht als Ertrag der Sache anzusehen sind, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben"; im Übrigen ist er weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet.
Hierbei handelt es sich um eine Abweichung vom gesetzlichen Normalfall:
Nach allgemeinen Vorschriften müsste ein redlicher unberechtigter Besitzer nach §§ 812, 818 I, II BGB Nutzungen herausgeben und ersetzen. Auch müsste er bei Beschädigung oder Zerstörung der Sache nach §§ 280 - 283, 286 BGB und § 823 I, II BGB Schadensersatz leisten.
II. Anwendbarkeit der §§ 985 ff. BGB
Das EBV stellt ein gesetzliches Schuldverhältnis dar. Es gelten Sonderregelungen zu den allgemeinen Vorschriften. Dieses gesetzliche Schuldverhältnis wird durch das Bestehen einer Vindikationslage begründet, was wiederum voraussetzt, dass der Eigentümer einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gegen den Besitzer hat.
III. Ansprüche
Am Anfang des EBV findest du in § 985 BGB den Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer. Mehr zu diesem wichtigen Anspruch findest du hier.
1. Nutzungsersatz
Im Rahmen des EBV ergeben sich außerdem die Nutzungsersatzansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer aus den folgenden Normen. Hier findest du mehr zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen dieser Ansprüche.
Nutzungsersatzanspruch nach § 987 BGB
Nutzungsersatzanspruch nach §§ 987, 990 I BGB
Nutzungsersatzanspruch nach § 993 I Hs. 1 BGB
Nutzungsersatzanspruch nach § 988 BGB
Nutzungsersatzanspruch nach § 991 I BGB
2. Schadensersatz
Schadensersatz kann der Eigentümer Ansprüche aus den folgenden Normen geltend machen. Hier findest du mehr zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen dieser Ansprüche.
Schadensersatzanspruch aus § 989 BGB
Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 I BGB
Schadensersatzanspruch aus §§ 990 II, 280 I, II, 286 BGB
Schadensersatzanspruch aus § 991 II BGB
Schadensersatzanspruch aus §§ 992, 823 ff. BGB
3. Verwendungsersatz
Verwendungsersatz kann nach den folgenden Normen geltend gemacht werden. Hier findest du mehr zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen dieser Ansprüche.
Verwendungsersatzanspruch nach § 994 BGB
Verwendungsersatzanspruch nach § 996 BGB
4. (Gegen-)Ansprüche des Besitzers gegen den Eigentümer
Stellt man umgekehrt auf die möglichen Ansprüche eines Besitzers gegen den Eigentümer einer Sache ab, so können nach allgemeinen Vorschriften bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Verwendungsersatz nach §§ 812 I, 818 I, II BGB bestehen. Wegen § 818 III BGB erhält der Besitzer seine Verwendungen jedoch nur ersetzt, soweit der Eigentümer noch bereichert ist.
IV. Sperrwirkung des EBV
Der Zweck der §§ 987 ff. BGB besteht darin, den unverklagten, redlichen unberechtigten Besitzer zu privilegieren. Aus diesem Grund ordnet § 993 I a.E. BGB an, dass der redliche Besitzer grundsätzlich weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet ist.
§ 993 I a.E. BGB ist damit eine wichtige Vorschrift im Hinblick auf die Konkurrenzen zwischen den EBV - Ansprüchen und sonstigen Ansprüchen. Nach § 993 I a.E. BGB sind durch die §§ 987 ff. BGB folgende Ansprüche ausgeschlossen:
Ansprüche aus dem allgemeinen Deliktsrecht, insbesondere § 823 BGB wegen Entziehung oder Zerstörung der Sache
Nach herrschender Meinung gilt die Sperrwirkung über den Wortlaut des § 993 I a.E. BGB hinaus, auch für den verklagten und bösgläubigen Besitzer.
Hinsichtlich der Sperrwirkung in Bezug auf das Deliktsrecht bestehen folgende Ausnahmen:

Beispiel
Ein Mietvertrag ist unerkannt nichtig. Der unberechtigte Fremdbesitzer (Mieter) beschädigt die Sache. Mangels Rechtshängigkeit besteht kein Schadensersatzanspruch § 989 BGB. Aufgrund der fehlenden Bösgläubigkeit des Mieters scheidet ein Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB ebenfalls aus. Da der Besitz weder durch verbotene Eigenmacht noch Straftat erlangt wurde, ist auch §§ 992, 823 I BGB zu verneinen. Fraglich ist, ob ein Anspruch aus § 823 I BGB besteht. Hierzu müsste die Norm zunächst anwendbar sein. Angesichts des § 993 I am Ende BGB sind Deliktsansprüche jedoch grundsätzlich ausgeschlossen. Daher wird in diesen Fällen die Sperrwirkung des EBV nicht angewandt, um den Mieter nicht über Gebühr zu schützen.
Außerdem schließen die §§ 994 ff. BGB nach der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Lehre Wertersatzansprüche des Besitzers aus §§ 951 I, 812 ff. BGB aus. Fraglich ist, ob dies auch für sachändernde Aufwendungen - die ja nach dem engen Verwendungsbegriff des BGH keine Verwendungen sind - gilt.
Problem
Sperrwirkung des EBV bei sachändernden Aufwendungen
Nach Ansicht des BGH besteht auch bei sachändernden Aufwendungen kein Wertersatzanspruch aus §§ 951 I, 812 ff. BGB. Der Besitzer hat lediglich ein Wegnahmerecht aus §§ 997, 258 BGB.
Dagegen spricht jedoch, dass dieses in der Regel wertlos ist.
Nach anderer Ansicht kann jedenfalls der redliche Besitzer bei sachändernden Aufwendungen Wertersatz nach §§ 812, 818 II BGB verlangen. Ist die sachändernde Aufwendung (etwa der Hausbau) dem Eigentümer unerwünscht, gelten die Regeln der aufgedrängten Bereicherung. Der Eigentümer hat so lange keinen Wertersatz zu leisten, wie er den höheren Wert nicht, durch Verkauf oder Vermietung, für sich ausnutzt.
V. Verweise und analoge Anwendung

1. Verweise
Das BGB enthält einige Verweise auf das Vindikationsrecht:
§ 1007 III 2 BGB
§ 292 BGB verweist auf das Vindikationsrecht ab Rechtshängigkeit einer Stückschuld.
§ 818 IV BGB verweist ab Rechtshängigkeit eines Kondiktionsanspruchs auf § 292 BGB und damit mittelbar auf das Vindikationsrecht.
§§ 819 ff. BGB verweist wiederrum auf § 818 IV BGB, der auf § 292 BGB und damit mittelbar auf das Vindikationsrecht verweist.
2. Analoge Anwendung
Außerdem kommt auch in einigen Fällen eine analoge Anwendung der Vorschriften in Betracht. Das Vindikationsrecht wird analog angewendet auf:
das Verhältnis zwischen dem Eigentümer laut Grundbuch (Bucheigentümer) und dem wahren Grundstückseigentümer. Dies wird damit begründet, dass der Bucheigentümer kein Besitzrecht hat.
das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Vormerkungsberechtigten, falls dieser seinen vorgemerkten Anspruch geltend macht. Hierfür spricht die dingliche Wirkung der Vormerkung.
das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Inhaber eines dinglichen Vorkaufsrechts
Problem
„Nicht so“ - Berechtigter: Fraglich ist, ob das Vindikationsrecht auch auf das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem sogenannten „Nicht so berechtigen Besitzer“ anwendbar ist. Hierbei handelt es sich um einen Besitzer, der an sich zum Besitz berechtigt ist, aber die Grenzen seines obligatorischen Besitzrechts überschreitet.
Beispiel
Der Mieter macht ein Lagerfeuer in der Wohnung. Ein Schadensersatzanspruch des Wohnungseigentümers aus §§ 989, 990 I BGB scheitert daran, dass der Mieter aufgrund des Mietvertrags zum Besitz berechtigt ist und damit keine Vindikationslage besteht.
Hiergegen könnte man einwenden, dass der Mieter zwar zum Besitz berechtigt ist, aber eben „nicht so“, sodass sich die Frage nach einer Analogie stellt.
Eine solche wird von der ganz herrschenden Meinung jedoch abgelehnt. Dies wird damit begründet, dass der Wortlaut des § 986 I BGB nur auf ein Besitzrecht als solches abstellt. Dessen Überschreitung stelle zwar eine Vertragsverletzung dar, könne jedoch ein vertragliches Besitzrecht nicht beenden. Außerdem ist der Eigentümer in derartigen Fällen nicht schutzlos gestellt, da er sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche gegen den berechtigten Besitzer hat.