I. Einleitung
Der allgemeine Teil des BGB bildet die Grundlage für alle im deutschen Recht abgeschlossenen Verträge. Er regelt, wie Rechtsgeschäfte (insbesondere Verträge) zustande kommen, wer Rechtsgeschäfte schließen kann und wann solche Rechtsgeschäfte nichtig sind.
Es ist daher in fast allen Klausuren anwendbar. Du solltest das Bewusstsein haben, dass BGB AT in fast allen Klausuren jedenfalls mitzudenken ist. Du benötigst hier gute Kenntnisse, da BGB AT ein Rechtsgebiet ist, das zum absoluten Grundlagenwissen gehört.
II. Wichtige Begriffe
1. Privatautonomie
Einen zentralen Grundsatz des deutschen Privatrechts bildet die Privatautonomie. Sie wird verfassungsrechtlich durch Art. 2 I GG garantiert und räumt dem Einzelnen das Recht ein, seine privaten Lebensverhältnisse frei zu gestalten. Es besteht die Freiheit des Einzelnen, Verträge zu schließen (Abschlussfreiheit) und deren Inhalt zu bestimmen (Gestaltungsfreiheit). Das heißt: Jede Einschränkung, rechtlich zu regeln, was man will, bedarf einer gesetzlichen Ermächtigung.
Die Abschlussfreiheit kann durch einen Kontrahierungszwang, also die Pflicht, einen Vertrag abzuschließen, (z. B. §§ 1, 22 PBefG, § 31 ZKG) beschränkt werden. Häufiger sind aber Beschränkungen hinsichtlich der Gestaltungsfreiheit, die sich aus zwingendem Recht ergeben, wie gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) und den guten Sitten (§ 138 BGB).
2. Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen und Realakte
Rechtsgeschäfte bilden das zentrale Instrument der Privatautonomie und der Möglichkeit der Menschen, rechtlich relevante Handlungen vorzunehmen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Rechtsfolge herbeiführen, weil diese gewollt ist. Rechtsgeschäfte sind von geschäftsähnlichen Handlungen und Realakten abzugrenzen.
Anforderungen an die handelnden Personen sowie Form und Inhalt von Rechtsgeschäften, ergeben sich aus §§ 104 - 113 BGB, §§ 125 - 129 BGB, §§ 134 - 138 BGB.

a) Rechtsgeschäfte
Rechtsgeschäfte bestehen aus Teilakten. Diese sind selbst keine Rechtsgeschäfte.
Beispiel
Ein Kaufantrag oder dessen Annahme löst allein keine Rechtsfolgen aus, sondern ist nur Teilakt des Rechtsgeschäfts Kaufvertrag.
Im Rahmen der Rechtsgeschäfte ist zwischen zwei Arten von Rechtsgeschäften, nämlich einseitigen und zweiseitigen Rechtsgeschäften, zu unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, ob eine oder mehrere Personen Willenserklärungen abgeben müssen.
aa) Einseitige Rechtsgeschäfte
Definition
Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das durch die Willenserklärung nur einer Person wirksam wird. Es entfaltet unmittelbar rechtliche Wirkungen, ohne dass es der Mitwirkung eines anderen bedarf.
Der Tatbestand eines einseitigen Rechtsgeschäfts besteht regelmäßig in einer wirksamen Willenserklärung.
Beispiel
§§ 622 ff. BGB (Kündigung)
§§ 2064 ff. BGB (Testament)
§§ 164 ff. BGB (Bevollmächtigung)
Soweit es der Ausübung eines Gestaltungsrechts dient (z. B. Rücktritt, Kündigung, Anfechtung), muss die Erklärung inhaltlich dem betreffenden Gestaltungsrecht entsprechen und die entsprechenden Ausübungsvoraussetzungen müssen vorliegen.
Definition
Ein Gestaltungsrecht ist ein subjektives Recht, bei dem durch einseitige Erklärung eine unmittelbare Änderung einer Rechtslage herbeigeführt wird.
Es gibt gesetzliche und vertragliche Gestaltungsrechte.
Beispiel
Gesetzliche Gestaltungsrechte ergeben sich aus:
§§ 119 f., 123 BGB (Anfechtungsgründe)
§§ 323, 326 V, 313 III BGB (Rücktrittsgründe)
§§ 314, 543, 569, 620 II, 626 BGB (Kündigungsgründe)
§§ 387, 390 BGB (Aufrechnungsbefugnis)
Vertragliche Gestaltungsrechte (z. B. vertraglich eingeräumtes Rücktrittsrecht) sind grundsätzlich zulässig. Sie können durch Parteivereinbarung erweitert, beschränkt oder ausgeschlossen werde, jedoch nur im Rahmen der gesetzlichen Schranken. Also vor allem immer nur soweit, wie zwingende gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche zum Schutz einer Partei (z. B. Verbraucherschutzrecht), nicht verletzt werden.
Anfechtung und Aufrechnung wirken nach § 142 I BGB und § 389 BGB ex tunc. Es handelt sich um eine Rückwirkungsfiktion. Rücktritt und Kündigung wirken demgegenüber ex nunc. Infolge des Rücktritts erlöschen noch nicht erfüllte Pflichten. Soweit Pflichten bereits erfüllt sind, wandelt sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis mit den in §§ 346 - 348 BGB angeordneten Rechtsfolgen. Durch die Kündigung wird das Vertragsverhältnis für die Zukunft beendet. Es findet keine Rückabwicklung statt. Die §§ 346 - 348 BGB gelten nur für den Rücktritt.
bb) Zweiseitige Rechtsgeschäfte
Definition
Zweiseitige Rechtsgeschäfte (z. B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag) kommen durch zwei Willenserklärungen zustande. Der Konsens der Parteien erzeugt die Rechtswirkungen.
cc) Mehraktige Rechtsgeschäfte
Im Rahmen der Rechtsgeschäfte ist zwischen einaktigen und mehraktigen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, ob eine Willenserklärung genügt, um das Rechtsgeschäft abzuschließen oder ob es weiterer Handlungen bedarf.
Definition
Mehraktige Rechtsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, deren Tatbestand neben übereinstimmenden Willenserklärungen weitere Vorgänge (etwa eine Grundbucheintragung) oder weitere Handlungen (etwa eine Übergabe) erfordert.
Beispiel
Die Übereignung einer beweglichen Sache erfordert nach §§ 929 - 931 BGB neben einer Einigung über den Eigentumsübergang die Übergabe eines sogenannten Übergabesurrogats (Besitzkonstitut beziehungsweise Abtretung eines Herausgabeanspruchs). Die Übereignung von Immobilien erfordert nach §§ 873, 925 BGB neben einer Einigung über den Eigentumsübergang (Auflassung, § 925 BGB) die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch.
b) Geschäftsähnliche Handlungen
Bei geschäftsähnlichen Handlungen treten die Rechtsfolgen kraft Gesetzes ein, und zwar auch gegen den Willen des Handelnden.
Merke
Wer mahnt, will die Leistung erhalten und erklärt deren Dringlichkeit. Wird die Leistung dann (schuldhaft) verzögert, tritt automatisch Verzug nach § 286 BGB ein, und zwar auch gegen den Willen des Erklärenden.
Wer eine Frist setzt, will die Leistung erhalten. Leistet der Schuldner nicht fristgerecht, entstehen der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 281 BGB und das Rücktrittsrecht aus § 323 BGB, und zwar auch gegen den Willen des Erklärenden.
Wer eine Bevollmächtigung kundgibt, möchte informieren. Ist die Bevollmächtigung unwirksam, ist der Vertreter nach § 171 BGB zur Vertretung befugt, und zwar auch gegen den Willen des Erklärenden.
c) Realakte
Bei Realakten treten die Rechtsfolgen ebenfalls kraft Gesetzes unabhängig vom Willen der Parteien ein. Sie können sogar gegen den Willen der Parteien eintreten.
Beispiel
A verarbeitet Stoffe zu einem Kleidungsstück und erwirbt an diesem gemäß § 950 I 1 BGB Eigentum.
III. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte
Im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre spielt die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften eine Rolle. Diese Abgrenzung ist gerade im Sachenrecht oft entscheidend. Weitere Infos hierzu findest du hier.
1. Verpflichtungsgeschäft
Das Verpflichtungsgeschäft spielt eine Rolle auf schuldrechtlicher Ebene. Es wird damit insbesondere in der Rechtsgeschäftslehre und im Schuldrecht relevant.
Definition
Unter Verpflichtungsgeschäft ist das Rechtsgeschäft zu verstehen, welches ein Schuldverhältnis begründet.
Das Verpflichtungsgeschäft begründet gemäß § 241 I BGB eine Verpflichtung gegenüber dem Vertragspartner zu einem Handeln, Unterlassen oder Dulden. Die Rechtsänderung selbst wird hier noch nicht ausgelöst. Das Verpflichtungsgeschäft wirkt nur zwischen den Vertragsparteien (inter partes) und begründet ein relatives Recht.
2. Verfügungsgeschäft
Demgegenüber betrifft das Verfügungsgeschäft die dingliche Ebene. Es spielt vor allem im Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht eine Rolle.
Definition
Das Verfügungsgeschäft besteht aus einer Verfügung und damit aus einer rechtsgeschäftlichen, unmittelbaren Einwirkung auf ein bestehendes Recht.
Das Verfügungsgeschäft ändert die Rechtslage gegenüber jedermann, es wirkt absolut - vgl. zum Beispiel die Übertragung des Eigentums an einer Immobilie (§ 873 I Var. 1 BGB) oder Belastung einer Immobilie (§ 873 I Var. 2 BGB).
Beispiel
Fall
A erwarb von B vor 2 Wochen einen Grüneberg-Kommentar. Er will ihn heute abholen. Inzwischen ist über das Vermögen des B das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
A verlangt nun vom Insolvenzverwalter den Grünberg nach § 985 BGB heraus.
Zu Recht?
Lösung
Ein Herausgabeanspruch des A aus § 985 BGB setzt voraus, dass A Eigentümer des Grünbergs und der Insolvenzverwalter dessen Besitzer ohne Recht zum Besitz ist. A ist nur Eigentümer des Grünbergs, falls er Eigentum nach §§ 929 S. 1, 930 BGB erworben hat. Der Sachverhalt spricht von „Erwerb“. Nach juristischer Terminologie (vergleiche §§ 929 ff. BGB) handelt es sich um das sachenrechtliche Verfügungsgeschäft.
Die Alltagssprache unterscheidet jedoch nicht zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft. Da Verträge im Geschäftsleben in der Regel Zug um Zug erfüllt werden, ist für die Interpretation des „Erwerbs“ entscheidend, ob A den Grünberg schon bezahlt hat. Hat er schon gezahlt, ist dies als Indiz für eine Übereignung zu werten. Hat er nicht gezahlt, spricht dies eher gegen eine Übereignung.
3. Trennungs- und Abstraktionsprinzip
Die Differenzierung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft spiegelt sich in der Geltung des Trennungsprinzips und des Abstraktionsprinzips wider. Vergleiche hierzu auch den Artikel zur Bedeutung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips im Sachenrecht.
a) Trennungsprinzip
Definition
Nach dem Trennungsprinzip bewirken schuldrechtliche Geschäfte (= Verpflichtungsgeschäfte) keinen Gütertransfer. Es erfolgt eine klare, systematische Trennung von schuldrechtlicher und dinglicher Ebene.
Der Gütertransfer erfolgt vielmehr durch ein separates Rechtsgeschäft, das Erfüllungsgeschäft. Der Zweck des Trennungsprinzips besteht im Schutz des Veräußerers: Er kann den Eigentumsübergang bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises aufschieben, denn er verliert sein Eigentum nicht direkt mit dem Abschluss des Kaufvertrages. Den Interessen des Erwerbers kann er ohne Gefahr für die eigene Rechtsposition dadurch Rechnung tragen, dass er sich mit ihm sofort über den Eigentumsübergang einigt, sich aber das Eigentum vorbehält.
b) Abstraktionsprinzip
Definition
Das Abstraktionsprinzip besagt, dass die Unwirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäfts sich nicht auf das Erfüllungsgeschäft auswirkt. Verfügungsgeschäfte gelten abstrakt und damit losgelöst vom Grundgeschäft.
Das bedeutet, dass die Nichtigkeit eines Kaufvertrags sich in der Regel nicht auf die Übereignung auswirkt. Der Käufer wird gleichwohl Eigentümer, muss allerdings die Sache nach § 812 I 1 Var. 1 BGB an den Verkäufer rückübereignen. Ohne Abstraktionsprinzip würde der Käufer nicht Eigentümer. Er müsste die Sache nach § 985 BGB an den Verkäufer herausgeben.
Der Zweck des Abstraktionsprinzips besteht darin, den Schutz des Rechtsverkehrs (Verkehrsschutz) zu gewährleisten, indem der Rechtserwerb grundsätzlich unabhängig vom schuldrechtlichen Vertrag erfolgt
Merke
Ohne das Abstraktionsprinzip wären Erwerber einer Sache nur über die §§ 932 ff., 892 BGB geschützt, die ebenfalls dem Verkehrsschutz dienen - denn die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts würde sich auch auf die Übereignung auswirken, sodass nur ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten in Frage käme. Soweit der Veräußerer durch den Besitz faktisch oder durch eine Grundbucheintragung formell legitimiert ist, braucht sich der Erwerber nicht darum zu kümmern, ob das Objekt dem Veräußerer „gehört“. Die Rechtslage zu klären ist oft nahezu unmöglich oder sehr aufwendig. Der Erwerb nach § 892 BGB ist gemäß § 892 I 1 Hs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Erwerber die Rechtslage positiv kennt. Bei beweglichen Sachen genügt für den Ausschluss auch schon eine grob fahrlässige Verkennung der Rechtslage nach § 932 II BGB. Details hierzu findest du im Sachenrecht.
Als Fazit ist festzuhalten, dass das Abstraktionsprinzip, anders als der gutgläubige Erwerb, auch den Bösgläubigen schützt und damit über das Ziel hinaus schießt. Eine Korrektur ist aber über die Einrede des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB möglich.