I. Einleitung
Der Allgemeine Teil des BGB enthält die Grundregeln des Zivilrechts (insb. Willenserklärung, Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Form, Nichtigkeit, Anfechtung). Er wirkt gebietsübergreifend und ist daher in nahezu jeder Examensklausur mitzudenken. Das AT Steht also "vor der Klammer": Es bildet die Grundlage für alle weiteren Vorschriften des BGB.
Merke
BGB AT = Werkzeugkasten für alle Bücher des BGB
II. Wichtige Begriffe
Zunächst soll es daher hier um die wichtigsten Grundbegriffe des BGB AT gehen. Diese müssen dir zwingend für jegliche Art von Fallbearbeitung bekannt sein!
1. Privatautonomie
Einen zentralen Grundsatz des deutschen Privatrechts bildet die Privatautonomie. Sie wird verfassungsrechtlich durch Art. 2 I GG garantiert und räumt dem Einzelnen das Recht ein, seine privaten Lebensverhältnisse frei zu gestalten. Es besteht die Freiheit des Einzelnen, Verträge zu schließen (Abschlussfreiheit) und deren Inhalt zu bestimmen (Gestaltungsfreiheit). Das heißt: Privatautonomie gilt grundsätzlich, begrenzt durch zwingendes Recht.
Die Abschlussfreiheit kann durch einen Kontrahierungszwang, also die Pflicht, einen Vertrag abzuschließen, (z. B. §§ 1, 22 PBefG, § 31 ZKG) beschränkt werden. Häufiger sind aber Beschränkungen hinsichtlich der Gestaltungsfreiheit, die sich aus zwingendem Recht ergeben, wie gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) und den guten Sitten (§ 138 BGB).
Häufigste Anwendungsfelder daneben sind die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff.), sowie Verbraucherschutz/Widerruf (z. B. §§ 312g, 355).
Merke
Im Privatrecht ist alles erlaubt, was nicht verboten ist.
2. Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen und Realakte
Rechtsgeschäfte bilden das zentrale Instrument der Privatautonomie und der Möglichkeit der Menschen, rechtlich relevante Handlungen vorzunehmen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch (mindestens eine) Willenserklärung eine gewollte Rechtsfolge herbeiführen. Rechtsgeschäfte sind von geschäftsähnlichen Handlungen (Erklärung, Rechtsfolgen kraft Gesetzes) und Realakten (bloße Tathandlungen mit Rechtsfolgen) abzugrenzen.
Anforderungen an die handelnden Personen sowie Form und Inhalt von Rechtsgeschäften, ergeben sich vor allem aus §§ 104 - 113 BGB, §§ 125 - 129 BGB, §§ 134 - 138 BGB.

a) Rechtsgeschäfte
Ein Rechtsgeschäft entsteht durch zwei korrespondierende Willenserklärungen (z. B. Angebot/Annahme beim Kaufvertrag).
Beispiel
Ein Kaufantrag oder dessen Annahme löst allein keine Rechtsfolgen aus, sondern ist nur eine Komponente des Rechtsgeschäfts Kaufvertrag (§ 433 I BGB).
Im Rahmen der Rechtsgeschäfte ist zwischen zwei Arten von Rechtsgeschäften, nämlich einseitigen und zweiseitigen Rechtsgeschäften, zu unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, ob eine oder mehrere Personen Willenserklärungen abgeben müssen.
aa) Einseitige Rechtsgeschäfte
Definition
Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das durch die Willenserklärung von nur einer Person wirksam wird. Es entfaltet unmittelbar rechtliche Wirkungen, ohne dass es der Mitwirkung eines anderen, also einer korrespondierenden Willenserklärung, bedarf.
Der Tatbestand eines einseitigen Rechtsgeschäfts besteht in einer wirksamen Willenserklärung.
Beispiel
§§ 622 ff. BGB (Kündigung)
§§ 2064 ff. BGB (Testament)
§§ 164 ff. BGB (Bevollmächtigung)
Soweit es der Ausübung eines Gestaltungsrechts dient (z. B. Rücktritt, Kündigung, Anfechtung), muss die Erklärung inhaltlich dem betreffenden Gestaltungsrecht entsprechen und die entsprechenden Ausübungsvoraussetzungen müssen vorliegen.
Definition
Ein Gestaltungsrecht ist ein subjektives Recht, bei dem durch einseitige Erklärung eine unmittelbare Änderung einer Rechtslage herbeigeführt wird.
Es gibt gesetzliche und vertragliche Gestaltungsrechte.
Beispiel
Gesetzliche Gestaltungsrechte ergeben sich aus:
§§ 119 f., 123 BGB (Anfechtungsgründe)
§§ 323, 326 V, 313 III BGB (Rücktrittsgründe)
§§ 314, 543, 569, 620 II, 626 BGB (Kündigungsgründe)
§§ 387, 390 BGB (Aufrechnungsbefugnis)
Vertragliche Gestaltungsrechte (z. B. vertraglich eingeräumtes Rücktrittsrecht) sind grundsätzlich zulässig. Sie können durch Parteivereinbarung erweitert, beschränkt oder ausgeschlossen werden, jedoch nur im Rahmen der gesetzlichen Schranken. Also vor allem immer nur soweit, wie zwingende gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche zum Schutz einer Partei (z. B. Verbraucherschutzrecht), nicht verletzt werden.
Anfechtung und Aufrechnung wirken nach § 142 I BGB und § 389 BGB ex tunc, bzw. die Aufrechnung wirkt zurück auf den Zeitpunkt, in dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden Es handelt sich um eine Rückwirkungsfiktion. Rücktritt und Kündigung wirken demgegenüber ex nunc. Infolge des Rücktritts erlöschen noch nicht erfüllte Pflichten. Soweit Pflichten bereits erfüllt sind, wandelt sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis mit den in §§ 346 - 348 BGB angeordneten Rechtsfolgen. Durch die Kündigung wird das Vertragsverhältnis für die Zukunft beendet. Es findet keine Rückabwicklung statt. Die §§ 346 - 348 BGB gelten nur für den Rücktritt.
Merke
Ex nunc bedeutet „ab jetzt" und beschreibt eine Wirkung, die erst ab dem Zeitpunkt des Geschehens eintritt und für die Zukunft gilt. Ex tunc bedeutet „von Anfang an“ oder „rückwirkend“ und beschreibt eine Wirkung, die von einem früheren Zeitpunkt an gilt, so als hätte ein Ereignis nie stattgefunden
bb) Zweiseitige Rechtsgeschäfte
Definition
Zweiseitige Rechtsgeschäfte (z. B. Kaufvertrag, Mietvertrag, Werkvertrag) kommen durch zwei korrespondierende (= übereinstimmende) Willenserklärungen zustande. Der Konsens der Parteien erzeugt also die Rechtswirkungen.
cc) Mehraktige Rechtsgeschäfte
Im Rahmen der Rechtsgeschäfte ist zudem zwischen einaktigen und mehraktigen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, ob eine Willenserklärung genügt, um das Rechtsgeschäft abzuschließen oder ob es weiterer Handlungen bedarf.
Definition
Mehraktige Rechtsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, deren Tatbestand neben übereinstimmenden Willenserklärungen weitere Vorgänge (etwa eine Grundbucheintragung) oder weitere Handlungen (etwa eine Übergabe) erfordert.
Beispiel
Die Übereignung einer beweglichen Sache erfordert nach §§ 929 - 931 BGB neben einer Einigung über den Eigentumsübergang die Übergabe eines sogenannten Übergabesurrogats (Besitzkonstitut beziehungsweise Abtretung eines Herausgabeanspruchs). Die Übereignung von Immobilien erfordert nach §§ 873, 925 BGB neben einer Einigung über den Eigentumsübergang (Auflassung, § 925 BGB) die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch.
b) Geschäftsähnliche Handlungen
Bei geschäftsähnlichen Handlungen treten die Rechtsfolgen kraft Gesetzes ein, und zwar auch gegen den Willen des Handelnden.
Merke
Bei geschäftsähnlichen Handlungen liegt eine Erklärung vor, die nicht selbst die Rechtsfolge herbeiführen will, aber das Gesetz ordnet (Neben-)Folgen an.
Merke
Wer mahnt, will die Leistung erhalten und erklärt deren Dringlichkeit. Wird die Leistung dann (schuldhaft) verzögert, tritt automatisch Verzug nach § 286 BGB ein, und zwar auch gegen den Willen des Erklärenden.
Wer eine Frist setzt, will die Leistung erhalten. Leistet der Schuldner nicht fristgerecht, entstehen der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 281 BGB und das Rücktrittsrecht aus § 323 BGB, und zwar auch gegen den Willen des Erklärenden.
c) Realakte
Bei Realakten treten die Rechtsfolgen ebenfalls kraft Gesetzes unabhängig vom Willen der Parteien ein. Sie können damit gegen den Willen der Parteien eintreten.
Beispiel
A verarbeitet Stoffe zu einem Kleidungsstück und erwirbt an diesem gemäß § 950 I 1 BGB Eigentum.
Merke
Realakte = Tathandlung; keine WE erforderlich
III. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte
Im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre spielt die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften eine überragend wichtige Rolle. Diese Abgrenzung ist gerade im Sachenrecht entscheidend. Weitere Infos hierzu findest du hier.
1. Verpflichtungsgeschäft
Das Verpflichtungsgeschäft ist die schuldrechtliche Ebene.
Definition
Unter Verpflichtungsgeschäft ist das Rechtsgeschäft zu verstehen, welches ein Schuldverhältnis begründet.
Das Verpflichtungsgeschäft begründet gemäß § 241 I BGB eine Verpflichtung gegenüber dem Vertragspartner zu einem Handeln, Unterlassen oder Dulden (Schuldverhältnis, § 311 I BGB). Die Rechtsänderung selbst wird hier noch nicht ausgelöst. Das Verpflichtungsgeschäft wirkt nur zwischen den Vertragsparteien (inter partes) und begründet ein relatives Recht.
2. Verfügungsgeschäft
Demgegenüber betrifft das Verfügungsgeschäft die dingliche Ebene. Es spielt vor allem im Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht eine Rolle.
Definition
Das Verfügungsgeschäft besteht aus einer Verfügung und damit aus einer rechtsgeschäftlichen, unmittelbaren Einwirkung auf ein bestehendes Recht.
Das Verfügungsgeschäft ändert die Rechtslage gegenüber jedermann, es wirkt absolut - vgl. zum Beispiel die Übertragung des Eigentums an einer Immobilie (§ 873 I Var. 1 BGB) oder Belastung einer Immobilie (§ 873 I Var. 2 BGB).
Beispiel
Fall
A erwarb von B vor 2 Wochen einen Grüneberg-Kommentar. Er will ihn heute abholen. Inzwischen ist über das Vermögen des B das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
A verlangt nun vom Insolvenzverwalter den Grüneberg nach § 985 BGB heraus.
Zu Recht?
Lösung
Ein Herausgabeanspruch des A aus § 985 BGB setzt voraus, dass A Eigentümer des Grünebergs und der Insolvenzverwalter dessen Besitzer ohne Recht zum Besitz ist. A ist nur Eigentümer des Grünebergs, falls er Eigentum nach §§ 929 S. 1, 930 BGB erworben hat. Der Sachverhalt spricht von „Erwerb“. Nach juristischer Terminologie (vergleiche §§ 929 ff. BGB) handelt es sich um das sachenrechtliche Verfügungsgeschäft.
Die Alltagssprache unterscheidet jedoch nicht zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft. Da Verträge im Geschäftsleben in der Regel Zug um Zug erfüllt werden, ist für die Interpretation des „Erwerbs“ entscheidend, ob eine dingliche Übereignung stattgefunden hat (§§ 929 S. 1, ggf. § 930), nicht die Zahlung als solche. Zahlung kann Indiz für Vollzug sein, ist aber kein Tatbestandsmerkmal.
Damit ist das Eigentum nicht nach § 929 S. 1 BGB im Rahmen des Verfügungsgeschäfts auf A übergegangen.
Damit hat er keinen Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB gegen B.
3. Trennungs- und Abstraktionsprinzip
Die Differenzierung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft spiegelt sich in der Geltung des Trennungsprinzips und des Abstraktionsprinzips wider. Vergleiche hierzu auch den Artikel zur Bedeutung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips im Sachenrecht.
a) Trennungsprinzip
Definition
Nach dem Trennungsprinzip bewirken schuldrechtliche Geschäfte (= Verpflichtungsgeschäfte) keinen Gütertransfer. Es erfolgt eine klare, systematische Trennung von schuldrechtlicher und dinglicher Ebene.
Der Gütertransfer erfolgt vielmehr durch ein separates Rechtsgeschäft, das Erfüllungsgeschäft. Der Zweck des Trennungsprinzips besteht im Schutz des Veräußerers: Er kann den Eigentumsübergang bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises aufschieben, denn er verliert sein Eigentum nicht direkt mit dem Abschluss des Kaufvertrages. Den Interessen des Erwerbers kann er ohne Gefahr für die eigene Rechtsposition dadurch Rechnung tragen, dass er sich mit ihm sofort über den Eigentumsübergang einigt, sich aber das Eigentum vorbehält.
b) Abstraktionsprinzip
Definition
Das Abstraktionsprinzip besagt, dass die Unwirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäfts sich nicht auf das Erfüllungsgeschäft auswirkt. Verfügungsgeschäfte gelten abstrakt und damit losgelöst vom Grundgeschäft.
Das bedeutet, dass die Nichtigkeit eines Kaufvertrags sich in der Regel nicht auf die Übereignung auswirkt. Der Käufer wird gleichwohl Eigentümer, muss allerdings die Sache nach § 812 I 1 Var. 1 BGB an den Verkäufer rückübereignen. Ohne Abstraktionsprinzip würde der Käufer nicht Eigentümer. Er müsste die Sache nach § 985 BGB an den Verkäufer herausgeben.
Der Zweck des Abstraktionsprinzips besteht darin, den Schutz des Rechtsverkehrs (Verkehrsschutz) zu gewährleisten, indem der Rechtserwerb grundsätzlich unabhängig vom schuldrechtlichen Vertrag erfolgt
Merke
Ohne das Abstraktionsprinzip wären Erwerber einer Sache nur über die §§ 932 ff., 892 BGB geschützt, die ebenfalls dem Verkehrsschutz dienen - denn die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts würde sich auch auf die Übereignung auswirken, sodass nur ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten in Frage käme. Soweit der Veräußerer durch den Besitz faktisch oder durch eine Grundbucheintragung formell legitimiert ist, braucht sich der Erwerber nicht darum zu kümmern, ob das Objekt dem Veräußerer „gehört“. Die Rechtslage zu klären ist oft nahezu unmöglich oder sehr aufwendig. Der Erwerb nach § 892 BGB ist gemäß § 892 I 1 Hs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Erwerber die Rechtslage positiv kennt. Bei beweglichen Sachen genügt für den Ausschluss auch schon eine grob fahrlässige Verkennung der Rechtslage nach § 932 II BGB. Details hierzu findest du im Sachenrecht.
Als Fazit ist festzuhalten, dass das Abstraktionsprinzip, anders als der gutgläubige Erwerb, auch den Bösgläubigen schützt und damit über das Ziel hinaus schießt. Eine Korrektur ist aber vor allem über das Bereicherungsrecht und über die Einrede des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB möglich.