I. Überblick
Das Sachenrecht wird von bestimmten Grundsätzen geprägt. Diese werden zwar in einer Examensklausur selten abstrakt eine Rolle spielen, sind aber dennoch relevant, da man sie stets als Argumentationsstütze heranziehen kann. Außerdem wird es dir vor dem Hintergrund dieser Grundsätze leichter fallen, die Zusammenhänge des Sachenrechts zu verstehen.

II. Wesentliche Begriffe
1. Absolutheit des Sachenrechts
Der Grundsatz der Absolutheit des Sachenrechts beschreibt die Wirkung des Sachenrechts.
Merke
Sachenrechte wirken gegenüber jedermann; sie sind gegenüber jedermann geschützt.
Die absolute Wirkung wird auch Wirkung erga omnes genannt. Sie ist von der relativen Wirkung der Schuldverhältnisse zwischen den Parteien (inter partes) abzugrenzen.
Beispiel
A und B schließen einen Kaufvertrag, § 433 BGB. In Erfüllung des Kaufvertrags übereignet A dem B ein Buch gemäß § 929 S. 1 BGB. Der Kaufvertrag wirkt inter partes, also nur zwischen A und B, während das Eigentum des B an dem Buch absolute Wirkung entfaltet und damit auch gegenüber C wirkt.
Die absolute Wirkung der Sachenrechte wird auch deutlich, wenn man sich mit möglichen Ansprüchen eines Rechtsinhabers im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung seines Eigentums durch Besitzentzug auseinandersetzt:
Der Eigentümer kann gegenüber jedermann, gegenüber jedem Besitzer, die Herausgabe seiner Sache aus § 985 BGB verlangen. Jeder Besitzer ist passivlegitimiert. Der Nießbraucher beziehungsweise der Pfandrechtsinhaber hat gemäß §§ 1065, 985 BGB beziehungsweise §§ 1227, 985 BGB den gleichen Anspruch.
Bei anderen Beeinträchtigungen als der Vorenthaltung des Besitzes kann
Der Eigentümer nach § 1004 BGB gegen jeden Störer vorgehen.
Gleiches gilt wieder für Nießbraucher und Pfandrechtsinhaber gemäß §§ 1065, 1004 BGB und §§ 1227, 985 BGB.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir § 985 BGB und § 1004 BGB neben § 1065 BGB und neben § 1227 BGB kommentieren. So siehst du auf einen Blick, dass diese wichtigen Normen des Eigentumsrechts auch auf Nießbrauch und Pfandrecht Anwendung finden.
2. Numerus Clausus des Sachenrechts
Der Numerus Clausus des Sachenrechts wird auch Typenzwang des Sachenrechts genannt.
Definition
Die im Gesetz vorgesehenen Rechtsinstitute (Eigentum und beschränkte dingliche Rechte) sind abschließend.
Die Parteien können keine Sachenrechte erfinden oder auf ausländische Institute Bezug nehmen.
Dahinter steckt die absolute Wirkung der Sachenrechte. Da sie absolut, also gegenüber jedermann wirken, müssen sie auch von jedem respektiert werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn ihr Umfang zumindest theoretisch allen bekannt ist. Daher lässt die Systematik des Gesetzes neben den geregelten Sachenrechten keine weiteren Rechtsinstitute zu. Dies ist anders als im Schuldrecht: Dort gilt die sogenannte Vertragsfreiheit (oder auch: Privatautonomie).
Merke
Wie so oft gibt es natürlich auch hiervon Ausnahmen: Insbesondere das Anwartschaftsrecht und die Sicherungsübereignungen sind Brüche des Numerus Clausus und werden an den verlinkten Stellen behandelt.
3. Publizitätsprinzip
Das Publizitätsprinzip ist sehr wichtig, da es in mehreren Bereichen des Sachenrechts, etwa beim Rechtserwerb, bei Vermutungen und beim gutgläubigen Erwerb, wirkt und diese beeinflusst. Es wird auch als Offenkundigkeitsgrundsatz bezeichnet.
Definition
Das Bestehen dinglicher Rechte muss nach außen erkennbar sein.
Um diese Erkennbarkeit der dinglichen Rechte herbeizuführen, gibt es im Sachenrecht zwei Publizitätsmittel:
das Grundbuch beziehungsweise die Grundbucheintragung und
den Besitz
Sie haben beide jeweils drei Funktionen:
Erstens ist das Herbeiführen der Publizität Voraussetzung für den Rechtserwerb. Deswegen erfordert die Übereignung einer beweglichen Sache gemäß §§ 929 ff. BGB die Übergabe der Sache oder ein Übergabesurrogat. Durch die Übergabe wird der neue Eigentümer nach außen erkennbar. Gleiches gilt für die Grundbucheintragung gemäß § 873 I BGB.
Außerdem begründen die Publizitätsmittel eine Rechtsvermutung. Nach § 1006 I BGB wird widerleglich vermutet, dass der Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Auch aus § 891 BGB ergeben sich widerlegliche Vermutungen infolge einer Grundbucheintragung oder infolge der Löschung eines Rechts aus dem Grundbuch.
Eine weitere Funktion der Publizitätsmittel stellt der Verkehrsschutz dar. Der gutgläubige Erwerb von beweglichen Sachen gemäß §§ 932 ff. BGB setzt stets die Übergabe der Sache oder die Vornahme eines Übergabesurrogats voraus. Gerade weil der Nichteigentümer den Besitz an der Sache innehat und diesen überträgt, vertraut der Rechtsverkehr auf dessen Eigentum. Daher kann Eigentum erworben werden, obwohl der Veräußerer tatsächlich nicht Eigentümer der Sache ist. Dieser Verkehrsschutz geht zulasten des Rechtsinhabers, da dieser sein Recht an den gutgläubigen Erwerber verliert. Das ist nur gerechtfertigt, wenn dem Eigentümer ein Rechtsschein zurechenbar ist. Dieser liegt bei § 932 I 1 BGB darin, dass der Eigentümer den Besitz an der Sache einem anderen übertragen hat. An einem zurechenbaren Rechtsschein in Gestalt von Besitz - in den der Rechtsverkehr sein Vertrauen setzen darf - fehlt es, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache unfreiwillig verloren hat. Aus diesem Grund scheidet der gutgläubige Erwerb nach §§ 932 ff. BGB gemäß § 935 I BGB bei abhanden gekommenen Sachen aus.
Ebenso vertraut der Rechtsverkehr aufgrund der Eintragung ins Grundbuch, dass der Eingetragene auch tatsächlich Inhaber des eingetragenen Rechts ist. Deshalb ist gemäß § 892 I BGB auch bei Immobilien oder beschränkten dinglichen Rechten ein gutgläubiger Rechtserwerb möglich.

4. Bestimmtheitsgrundsatz
Außerdem ist der Bestimmtheitsgrundsatz des Sachenrechts von Bedeutung. Dieser kann auch mal in der Examensklausur auftauchen. Die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist nämlich Voraussetzung einer wirksamen Einigung. Er kann im Rahmen einer Übereignung nach §§ 929 S. 1, 930 BGB oder aber auch im Rahmen einer Abtretung (= Verfügung!) zu thematisieren sein. Teilweise wird der Bestimmtheitsgrundsatz auch Spezialitätsprinzip genannt.
Definition
Bei dem Erwerb eines dinglichen Rechts muss genau bestimmt sein, um welche konkrete Sache es sich handelt.
Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes ist, dass die Güterzuordnung eindeutig sein muss, damit jedermann (absolute Wirkung des Sachenrechts!) sie respektieren kann. Hier zeigt sich die Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Grundsätzen des Sachenrechts.
Beispiel
A sagt zu B „Hiermit übereigne ich dir 10 dieser Stühle“ in einem Kursraum mit 30 Stühlen, B nickt zustimmend. Da unklar ist, welche der 30 Stühle konkret gemeint sind und in das Eigentum des B übergehen sollen, wurde der Bestimmtheitsgrundsatz nicht gewahrt. Die Einigung ist unwirksam und somit die Übereignung nicht erfolgt.
Hätte A stattdessen gesagt „Hiermit übereigne ich dir diese 10 Stühle“ und auf die 10 Stühle auf der rechten Seite des Raums gezeigt, hätte er die zu übereignenden Stühle eindeutig bestimmt, den Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt und B wäre Eigentümer geworden.
Ein typischer Anwendungsfall, in dem der Bestimmtheitsgrundsatz relevant wird, ist die Sicherungsübereignung von Lagerbeständen (sogenannte Lagersicherungsverträge/Raumsicherungsverträge). Der Gläubiger, dessen Forderung durch die Sicherungsübereignung abgesichert werden soll, muss wissen, welche Güter seiner Sicherung dienen. Gleichzeitig müssen ungesicherte Gläubiger wissen, auf welche Güter sie im Wege der Zwangsvollstreckung oder des Insolvenzverfahrens bei einem Schuldner zugreifen können oder ob einzelne Güter gegebenenfalls schon vorrangig zugunsten eines anderen Gläubigers gesichert sind.
5. Trennungsprinzip
Extrem wichtig für deine Sachenrechtsklausur ist, dass du das Trennungsprinzip beachtest. Der Korrektor wird dir keinen Fehler verzeihen, da es sich um absolutes Basiswissen handelt.
Merke
Schuldrechtliche Geschäfte (= Verpflichtungsgeschäfte) sind von dinglichen Rechtsgeschäften (= Verfügungsgeschäfte) zu trennen. Allein das Verpflichtungsgeschäft führt noch keine Rechtsänderung herbei.
Beispiel
A und B schließen einen Kaufvertrag über einen Roller, § 433 BGB. Nach § 433 I 1 BGB ist A verpflichtet, dem B den Roller zu übereignen. Der Kaufvertrag als schuldrechtliches Geschäft begründet damit lediglich einen Anspruch auf Übereignung des Rollers. B wird nicht automatisch mit Abschluss des Kaufvertrags Eigentümer. Damit er das Eigentum erwirbt, ist ein separates Rechtsgeschäft, etwa eine Übereignung nach § 929 S. 1 BGB, erforderlich. Erst wenn A und B sich über den Eigentumsübergang geeinigt haben und A dem B den Roller übergeben hat, erwirbt B das Eigentum an dem Roller.
Nochmal: Der Abschluss des Kaufvertrags führt nicht zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse.
6. Abstraktionsprinzip
a) Grundsatz
Auf dem Trennungsprinzip baut unmittelbar das Abstraktionsprinzip auf. Dieses ist ebenfalls sehr wichtig im Rahmen deiner Klausur. Auch hier darfst du dir keinen Fehler erlauben, um beim Korrektor nicht den Eindruck zu erwecken, du hättest die Basics nicht verstanden.
Merke
Die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts berührt die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts nicht. Beide Rechtsgeschäfte sind unabhängig voneinander, also abstrakt zu betrachten.
Beispiel
A und B schließen einen Kaufvertrag über einen Roller, § 433 BGB. In Erfüllung des Kaufvertrags übereignet A dem B den Roller gemäß § 929 S. 1 BGB. Als B wie vereinbart am nächsten Tag 200 € zahlt, stellt A fest, dass er sich bei Abschluss des Kaufvertrags hinsichtlich des Kaufpreises versprochen hat. Er wollte den Roller nämlich nur für 300 € verkaufen. A ficht den Kaufvertrag wirksam gemäß § 119 I Alt. 2 BGB wegen des Erklärungsirrtums an. Damit ist der Kaufvertrag gemäß § 142 I BGB rückwirkend nichtig. Die Anfechtung des Kaufvertrags lässt jedoch die wirksame Übereignung nach § 929 S. 1 BGB unberührt. B bleibt damit Eigentümer des Rollers, obwohl der Kaufvertrag angefochten wurde. Mangels Eigentums kann A den Roller nicht aus § 985 BGB herausverlangen.
Da mit dem Kaufvertrag jedoch kein rechtlicher Grund für den Eigentumserwerb des B besteht, kann A aus § 812 I Alt. 1 BGB die Rückübereignung des Rollers nach § 929 S. 1 BGB verlangen.
Beachte aber bei der Anwendung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips, dass diese unterschiedliche Bedeutung haben:

b) Fehleridentität
Ausnahmsweise kann aber eine Fehleridentität gegeben sein. Hiervon spricht man, wenn derselbe Fehler sowohl dem Verpflichtungsgeschäft als auch dem Verfügungsgeschäft anhaftet, was nicht bedeutet, dass die Unwirksamkeit des einen Geschäfts (ausnahmsweise) auch die Unwirksamkeit des anderen Geschäfts zur Folge hat, sondern dass der gleiche Fehler auf beiden Ebenen kausal zur Unwirksamkeit führt.
Merke
Die Fehleridentität ist keine Ausnahme vom Abstraktionsprinzip, sondern setzt dieses um, weil man auf beiden Ebenen, also schuldrechtlicher und dinglicher Ebene, prüft, ob dem Geschäft ein Fehler anhaftet. In der Sache ändert diese Differenzierung nichts - sie ist aber dies ist die dogmatisch korrekte Beschreibung der Fehleridentität.
Es gibt einige Fallgruppen bei denen das „Problem“ der Fehleridentität relevant werden kann:

§ 119 I BGB: Bei einem Inhalts- und Erklärungsirrtum nach § 119 I BGB wird regelmäßig keine Fehleridentität angenommen, da der Inhalts- und Erklärungsirrtum zumeist nur bei Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts vorliegt.
§ 119 II BGB: Umstritten ist, ob ein Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB gleichermaßen dem Verfügungsgeschäft anhaftet: Dies ergibt sich nach einer verbreiteten Ansicht aus der Tatsache, dass gerade auch die Verfügung auf dem Irrtum beruht. Eine andere Ansicht verneint die Fehleridentität in diesen Fällen und begründet dies damit, dass der Irrtum nur mittelbar für die Übereignung relevant werde und diese selbst wertneutral sei.
§ 134 BGB: Ebenfalls besteht unter Umständen Fehleridentität bei einer Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäfts nach § 134 BGB. Dies gilt insbesondere für die Verfügung über Drogen (§ 29 BtMG), bei der gerade auch der Leistungsaustausch verboten sein soll und daher auch das Verfügungsgeschäft vom gesetzlichen Verbot betroffen ist. In allen anderen Fällen sollte im Einzelfall abgewogen werden, ob das gesetzliche Verbot gerade auch die Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts bezweckt. Als Faustformel kannst du dir merken, dass Fehleridentität in der Regel immer vorliegt, wenn die Verbotsnorm das Verfügungsgeschäft betrifft. Richtet sich die Verbotsnorm nur gegen das Verpflichtungsgeschäft, ist das Verfügungsgeschäft nur ausnahmsweise auch betroffen.
§ 138 I BGB: Bei § 138 I BGB kann das Verfügungsgeschäft unwirksam sein, wenn gerade auch der Vollzug der Verpflichtung als sittenwidrig einzuschätzen ist. Dies erfordert aber eine Einzelfallbetrachtung.
§ 138 II BGB: Aus dem Wortlaut des § 138 II BGB („Leistung gewähren lässt“) folgt, dass bei Wucher gerade auch das Verfüungsgeschäft nichtig ist.
§ 104 BGB: Auch bei der Geschäftsunfähigkeit nach § 104 BGB wirkt sich derselbe Fehler auf beide Geschäfte aus, da der Geschäftsunfähige auch bei dem Verfügungsgeschäft geschäftsunfähig zum Abschluss eines Geschäfts ist.
§§ 116 S. 2, 117 I, 118 BGB: Auch die Willensvorbehalte nach § 116 S. 2 BGB, § 117 I BGB und § 118 BGB können die dingliche Ebene betreffen. Beispielsweise kann eine Einigungserklärung als Scherzerklärung erfolgen und damit nach § 118 BGB unwirksam sein. Dies muss aber im Einzelfall geprüft werden!
Liegt ein Fall der Fehleridentität vor, sind Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft entweder wegen desselben Mangels unwirksam oder können wegen desselben Mangels angefochten werden.
Gerade die Beachtung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip ist unerlässlich für eine gelungene Klausur - der Korrektor wird dir hier keine Fehler verzeihen. Das obige Beispiel zeigt, dass die einschlägigen Anspruchsgrundlagen unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob man bei Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts auch das Verfügungsgeschäft für unwirksam hält:
Hält man neben dem Verpflichtungsgeschäft auch das Verfügungsgeschäft für unwirksam, ergäbe sich ein Anspruch auf Herausgabe der Sache aus § 985 BGB.
Hält man das Verfügungsgeschäft aber wirksam, ist der Erwerber der Sache Eigentümer geworden. § 985 BGB greift daher nicht ein. Mangels (wirksamer) Rechtsgrundlage ergibt sich ein Anspruch stattdessen aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB.
Vergegenwärtige dir beide Prinzipien bei der Erstellung deiner Lösung, um Fehler zu verhindern.
Achte auch im Hinblick auf das Trennungsprinzip auf saubere Formulierungen. Im Gutachten zu behaupten, B hätte durch den Kaufvertrag Eigentum erworben, ist falsch und erweckt einen schlechten Eindruck.
Die Grundsätze des Sachenrechts können dir auch bei der Auslegung (fremder) sachenrechtlicher Normen eine Hilfe sein. Beherrschst du diese, kannst du dem Korrektor zeigen, dass du die Zusammenhänge des Sachenrechts verstanden hast und auch unbekannte Probleme mit einer guten Argumentation lösen kannst.