I. Einführung
Die Erfüllung einer Verbindlichkeit kann nicht nur durch ein Verhalten des Schuldners, sondern auch durch ein Verhalten des Gläubigers gestört werden. Dabei handelt es sich regelmäßig um Fälle, in denen der Schuldner im Rahmen seiner Leistungserbringung auf eine Mitwirkung des Gläubigers angewiesen ist. Da der Gläubiger in den meisten Fällen hierzu nicht verpflichtet ist (Ausnahmen gibt es etwa bei Abnahmepflichten nach §§ 433 II, 640 BGB), der Schuldner aber durch die mangelnde Mitwirkung nicht von seiner Leistungspflicht befreit wird, sieht das Gesetz zum Schutz des Schuldners eine Reihe von Rechtsfolgen in den §§ 300 ff. BGB vor.
II. Voraussetzungen

1. Erfüllbarkeit und Möglichkeit der Leistung (Leistungsberechtigung)
Der Schuldner muss zur Leistung berechtigt sein, die Leistung also erfüllbar und möglich sein.
Merke
Unmöglichkeit und Gläubigerverzug schließen sich aus diesem Grund aus. Sobald eine Leistung dauerhaft unmöglich wird, enden die Verzugsvoraussetzungen automatisch.
2. Ordnungsgemäßes Angebot (§ 293 BGB)
a) Tatsächliches Angebot, § 294 BGB
Ein tatsächliches Angebot im Sinne des § 294 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Leistung so angeboten wird, wie sie zu bewirken ist. Der Gläubiger muss quasi nur noch „zugreifen“ können. Es ist daher am rechten Ort, zur rechten Zeit und mit dem richtigen Leistungsgegenstand (keine Manko-, Aliud- oder Peiuslieferungen) zu leisten.
b) Wörtliches Angebot, § 295 S. 1 BGB
Ein wörtliches Angebot genügt nach § 295 S. 1 BGB, wenn
der Gläubiger erklärt, die Leistung nicht annehmen zu wollen oder
eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, insbesondere bei Holschulden (mehr zu diesem Begriff findest du hier).
c) Aufforderung zur Leistung, § 295 S. 2 BGB
Falls eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, genügt auch eine bloße Aufforderung zur Leistungserbringung. Diese Aufforderung steht dem Angebot der Leistung nach § 295 S. 2 BGB gleich.
d) Entbehrlichkeit eines Angebots, § 296 BGB
Wann ein Angebot ganz entbehrlich ist, richtet sich nach § 296 BGB. Das ist der Fall, wenn der Gläubiger bei kalendermäßig bestimmter oder bestimmbarer Handlungszeit eine Handlung nicht vornimmt.
Klausurtipp
Die Normen des §§ 294-296 BGB sind rückläufig nach folgendem Schema zu prüfen:
§ 296 BGB
§ 295 BGB
§ 294 BGB
3. Annahmeverzugsgrund
a) Nichtannahme der Leistung, § 293 BGB
Der Gläubiger kommt nach § 293 BGB in Verzug, wenn er das Leistungsangebot des Schuldners nicht annimmt.
Die Annahme der Leistung ist im Rahmen der §§ 293-304 BGB eine Obliegenheit. Das heißt, dass die Nichtannahme zu Rechtsnachteilen führt (beispielsweise Haftungserleichterung des Schuldners nach § 300 I BGB; vgl. auch §§ 300-304 BGB, § 323 VI Fall 2 BGB und § 326 II 1 Fall 2 BGB), nicht aber zu einklagbaren Schadensersatzansprüchen.
Ist die Annahme der Leistung aber ausnahmsweise nicht nur eine Obliegenheit, sondern eine bestehende Rechtspflicht des Gläubigers, kann dieser zusätzlich in Schuldnerverzug geraten.
Beispiel
Beim Kauf ist der Käufer zur Abnahme der Sache verpflichtet (§ 433 II BGB)
Beim Werkvertrag besteht nach § 640 I BGB eine Abnahmepflicht
Bei entsprechender vertraglicher Vereinbarung
Auf diese Weise sind Schuldnerverzug und Annahmeverzug nebeneinander möglich.
b) Nichtanbieten der Gegenleistung, § 298 BGB
Häufig ist der Gläubiger zwar zur Annahme der angebotenen Leistung bereit, verweigert aber die Gegenleistung. Auch in diesem Fall gerät der Gläubiger nach § 298 BGB in Annahmeverzug.
Soweit der Schuldner nur Zug um Zug leisten muss, kann er die Leistung nicht nur nach §§ 273, 320, 1000 BGB verweigern, sondern kann den Gläubiger dadurch in Annahmeverzug bringen, dass er von ihm die Gegenleistung verlangt.
Beispiel
S teilt G mit, dass das bestellte Regal geliefert wird. G erklärt sich zur Abnahme bereit, will aber vor dem (eigens durchzuführenden) Aufbau des Regals nicht bezahlen. S nimmt daher das Regal wieder mit, wobei es aus Unachtsamkeit zerstört wird.
4. Kein Ausschluss des Gläubigerverzugs
In § 297 BGB und § 299 BGB ist geregelt, wann der Gläubigerverzug ausgeschlossen ist.
a) Vorübergehendes Unvermögen des Schuldners, § 297 BGB
Falls der Schuldner nur vorübergehend nicht leistungsunfähig ist, liegt noch keine (dauerhafte) Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB vor. Der Gläubiger könnte daher in Annahmeverzug geraten. Dem trägt § 297 BGB Rechnung, wonach der Annahmeverzug ausgeschlossen ist, wenn und solange der Schuldner nicht in der Lage ist, seine Leistung zu erbringen.
Beispiel
Der Schuldner kann die geschuldete Ware nicht wie vereinbart bereitstellen, da er erkrankt ist. Der Gläubiger erscheint zudem nicht zum vereinbarten Abholtermin, weil er verschlafen hat. Wegen § 297 BGB gerät er dennoch nicht in Annahmeverzug.
b) Vorübergehende Annahmeverhinderung des Gläubigers, § 299 BGB
Wenn die Leistungszeit nicht bestimmt oder der Schuldner berechtigt ist, vor der bestimmten Zeit zu leisten, gerät der Gläubiger ebenfalls nicht in Annahmeverzug, wenn er vorübergehend an der Annahme verhindert ist.
Beispiel
Der Schuldner liefert bestellte Ware während der Mittagspause an.
Ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn der Schuldner ihm die Leistung eine angemessene Zeit vorher angekündigt hat (§ 299 BGB am Ende). Eine Gegenausnahme besteht wiederum, wenn der Gläubiger den Schuldner darauf hinweist, dass während der anvisierten Zeit niemand die Leistung entgegennehmen kann.
III. Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs
Die Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs ergeben sich aus den §§ 300-304, 323 VI Fall 2, 326 II 1 Fall 2 BGB. Die wichtigsten Rechtsfolgen werden nachfolgend dargestellt:

Merke
Das Pendant zum Gläubigerverzug ist der Schuldnerverzug, der in § 286 BGB geregelt ist und der anders als der Gläubigerverzug nicht nur zu Rechtsnachteilen, sondern auch zu echten Schadensersatzpflichten führt.