I. Einführung
Im folgenden Kapitel geht es sowohl um die Geschäftsführung und Vertretung der unterschiedlichen Gesellschaftsformen.
Merke
Fragen der Geschäftsführung und Vertretung sind extrem beliebt in Klausuren. Oftmals gestaltet sich der Klausureinstieg daher als Frage der Vertretung bzw. Vertretungsmacht im Sinne der §§ 164 ff BGB.
Die Vertretungsfragen müssen als Angelpunkt einer Zivilrechtsklausur vom Studenten und erst recht vom Examenskandidaten beherrscht werden. Wenn du keine Zeit für das Gesellschaftsrecht übrig hast, solltest du wenigstens dieses Kapitel durcharbeiten und nachvollziehen, da es sich um das häufigste Einsatzgebiet des Gesellschaftsrechts handelt.
II. Geschäftsführung
Definition
Geschäftsführung ist die auf die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks gerichtete Tätigkeit im Innen- und Außenverhältnis.
Nicht zur Geschäftsführung gehören Grundlagengeschäfte, weshalb selbst bei eigentlich bestehender Geschäftsführungsbefugnis, ohne Konsens aller Gesellschafter (Gesellschafterbeschluss), ein solches Grundlagengeschäft nicht vorgenommen werden kann.
Definition
Grundlagengeschäfte sind Geschäfte, die das Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander betreffen.
Beispiele:
Änderung des Gesellschaftsvertrags
Aufnahme neuer Gesellschafter
Veräußerung des zugrundeliegenden Handelsgeschäfts (jedenfalls mit Firma)

1. Geschäftsführung in Personengesellschaften
In Personengesellschaften gilt das Prinzip der Selbstorganschaft. Das bedeutet, dass nur voll haftende Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden können.
a) Vorrang des Gesellschaftervertrags
Wer die Geschäfte führt, entscheidet primär der Gesellschaftsvertrag. Dies erlauben die § 708 BGB (für die GbR), §§ 108, 163 HGB (für die OHG und KG).
Fehlt also eine Regelung über die Geschäftsführung im Gesellschaftsvertrag, so sind gemäß §§ 715 BGB, 116 I HGB alle Gesellschafter geschäftsführungsbefugt.
Führen mehrere Gesellschafter die Geschäfte, so stellt sich die Frage, ob sie gemeinsam handeln müssen oder jeweils einzeln handeln dürfen.
Auch das bestimmt primär der Gesellschaftsvertrag. Fehlt es an einer gesellschaftsvertraglichen Regelung, so gilt sekundär
§ 715 III BGB für die GbR, welcher eine gemeinschaftliche Geschäftsführungsbefugnis anordnet und
§ 116 III HGB für die OHG und KG, welcher eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis vorsieht.
Merke
Primär gelten die Regelungen des Gesellschaftsvertrags. Sekundär gelten die dispositiven § 715 III BGB und § 116 III HGB für die GbR bzw. für die OHG und KG.

b) Umfang der Geschäftsführungsbefugnis
Steht fest, dass ein Gesellschafter zur Geschäftsführung befugt ist, muss herausgearbeitet werden, in welchem Umfang diese Geschäftsführungsbefugnis besteht.
aa) GbR
Auch hinsichtlich des Umfangs („Wie“) gelten primär die Regelungen des Gesellschaftsvertrags.
Sekundär gilt § 715 II 1 BGB, wonach die Geschäftsführungsbefugnis sich auf alle Geschäfte erstreckt, die die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr gewöhnlich mit sich bringt.
Beispiel
Kreditgeschäfte dürften daher häufig von der Geschäftsführungsbefugnis ausgenommen sein. Grund dafür ist die Vermeidung neuer Schulden.
bb) OHG oder KG
Auch hier gelten primär die Regelungen des Gesellschaftsvertrags.
Üblich sind Beschränkungen auf Höchstbeträge, das Erfordernis einer weiteren Zustimmung eines Gesellschafters, oder der Ausschluss von Kreditgeschäften.
Sekundär gelten für die OHG und KG §§ 116 II 1 Hs. 1, (161 II) HGB wonach sich die Geschäftsführungsbefugnis auf diejenigen Geschäfte erstreckt, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt.
Zur Vornahme von Geschäften, die darüber hinausgehen, ist ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich, §§ 116 II Hs. 2, (161 II) HGB.
2. Geschäftsführung in Körperschaften
a) Verein, §§ 26 ff. BGB
Für den Verein gelten, § 26 ff. BGB. Dieser sieht keine Einschränkung des Vereinsvorstands in seiner Geschäftsführungsbefugnis vor.
b) AG, § 76 III AktG
Gemäß § 76 I AktG ist der Vorstand einer AG geschäftsführungsbefugt. Eine Einschränkung seiner Geschäftsführungsbefugnis ergibt sich nicht, zumindest nicht aus § 76 III AktG.
c) GmbH, § 6 III 1 GmbHG
In der GmbH ist der Geschäftsführer gemäß § 6 I GmbHG geschäftsführungsbefugt, wobei dies nicht zwingend gilt. Auch Nichtgesellschafter können zur Geschäftsführung bestellt werden, § 6 III 1 GmbHG.
Für den Verein gelten §§ 26 ff. BGB, welche keine Einschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis vorsehen.
Auch § 76 III AktG sieht für die AG keine Einschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis vor.
Für die GmbH gilt § 6 III 1 GmbHG, welcher auch die Bestellung von Nichtgesellschaftern zur Geschäftsführung als Möglichkeit vorsieht. Das Prinzip der Selbstorganschaft (siehe oben) gilt also nicht. Eine Fremdorganschaft ist daher möglich.
3. Folgen einer Überschreitung
Wird gegen eine Pflicht aus dem Innenverhältnis zwischen oder gegenüber den Gesellschaftern verstoßen, so wirkt sich das nicht auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts mit Dritten aus.
Allerdings kann gegebenenfalls eine Haftung gegenüber der Gesellschaft aus §§ 280 I BGB i.V.m. dem Gesellschaftsvertrag begründet sein.
III. Vertretung
Voraussetzung für eine wirksame Vertretung der Gesellschaft nach außen ist stets die Vertretungsmacht.
Definition
Vertretungsmacht ist die Rechtsmacht zur Bindung der Gesellschaft durch Rechtsgeschäfte mit Dritten.

1. Personengesellschaften
a) GbR, § 720 BGB
Auch in Vertretungsfragen haben Regelungen des Gesellschaftsvertrags Vorrang. Fehlt es an einer gesellschaftsvertraglichen Regelung gilt nach § I 720 BGB, dass alle Gesellschafter gemeinsam zur Vertretung ermächtigt sind („Gesamtvertretung“).
Den Umfang der Vertretungsmacht regelt wiederum § 720 III BGB: Die Vertretungsmacht ist unbeschränkt („… alle Geschäfte der Gesellschaft“, § 720 III 1 BGB) und unbeschränkbar, § 720 III S. 2, S. 3 BGB. Die Geschäftsführungsbefugnis (im Innenverhältnis) bleibt hingegen beschränkbar.
Merke
Eine Kongruenz von Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht ist demnach nicht zwingend. Das ist eine beliebte Examensfalle! Es ist wichtig, dass du den Unterschied zwischen der Vertretungsmacht (im Außenverhältnis) und der Geschäftsführungsbefugnis (im Innenverhältnis) verstanden hast.
b) OHG, § 124 HGB
Für die OHG stellt § 124 I HGB zunächst den Grundsatz auf, dass jeder Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist.
Ausnahmsweise sind diejenigen Gesellschafter nicht zur Vertretung ermächtigt, die durch Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen sind.
Merke
Dies muss gemäß § 106 II Nr. 3 HGB in das Handelsregister eingetragen werden. Andernfalls kann der Ausschluss nach § 15 I HGB „Dritten nicht entgegengesetzt werden“.
Grundsätzlich sind Gesellschafter jeweils einzeln zur Vertretung ermächtigt („Alleinvertretungsmacht“). Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 124 II 1 HGB. Ausnahmsweise kann gemäß § 124 II 1 HGB im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, dass alle oder mehrere Gesellschafter nur gemeinsam zu Vertretung der Gesellschaft befugt sein sollen sowie gemäß Abs. 3, dass einzelvertretungsberechtigte Gesellschafter nur gemeinsam mit einem Prokuristen vertretungsberechtigt sind.

Beachte: Auch die Gesamtvertretung muss gemäß § 106 II Nr. 3 HGB in das Handelsregister eingetragen werden. Andernfalls kann eine bestehende Gesamtvertretungsmacht „Dritten nicht entgegengesetzt werden“, § 15 I HGB.
Die Vertretungsmacht ist im Umfang weder beschränkt („… alle Geschäfte der Gesellschaft“, § 124 IV 1 HGB) noch beschränkbar, § 124 IV S. 2, S. 3 HGB.
Die Geschäftsführungsbefugnis (im Innenverhältnis) ist hingegen weiterhin beschränkbar. Auch hier zeigt sich wie bei der GbR, dass eine Kongruenz von Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht nicht zwingend ist.
c) KG, §§ 170 I, 161 II, 124 HGB
Gemäß §§ 170 I, 161 II, 124 HGB sind nur die Komplementäre (also die unbeschränkt haftenden Gesellschafter) zur Vertretung ermächtigt.
Merke
Zwar kann ein Kommanditist gemäß § 170 I HGB „als solcher“ nicht die KG vertreten, jedoch kann ihm durchaus rechtsgeschäftlich eine Vollmacht (insbesondere als Prokura) erteilt werden.
Gesetzesverweis
Soweit in deinem Bundesland zulässig, solltest du dir unbedingt „als solcher“ unterstreichen und darüber oder daneben § 167 BGB und § 48 HGB notieren. Damit bedenkst du die Möglichkeit einer rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht.
2. Körperschaften
a) Verein, § 26 I BGB
Für den Verein ist der Vorstand vertretungsermächtigt, § 26 I BGB. Der Umfang der Vertretungsmacht kann durch Satzung jedoch mit Wirkung gegenüber Dritten beschränkt werden, § 26 I 3 BGB.
Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so wird der Verein durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vertreten, § 26 II 1 BGB. Einzelne Vorstandsmitglieder sind gemäß § 26 II 2 BGB jedoch auch zur passiven Vertretung ermächtigt.
b) AG, § 78 I AktG
In einer AG ist nur der Vorstand zur Vertretung ermächtigt, § 78 I AktG.
Besteht ein Vorstand aus mehreren Vorstandsmitgliedern, so haben sie gemäß § 78 II 1 AktG nur Gesamtvertretungsmacht. Diese Gesamtvertretungsmacht kann jedoch abbedungen werden.
c) GmbH, § 35 I GmbHG
Gemäß § 35 I GmbHG sind die Geschäftsführer zur Vertretung ermächtigt.
Gibt es mehrere Geschäftsführer, haben sie kraft Gesetzes nur Gesamtvertretungsmacht, § 35 II 1 GmbHG. Dies kann und wird regelmäßig abbedungen.
3. Vertretungsregelungen außerhalb des Gesellschaftsrechts
Die zuvor dargestellten Normen bestimmen, wer „organschaftlich“, also kraft der Stellung als Gesellschaftsorgan, vertretungsberechtigt ist. Aber bei allen Gesellschaften gelten auch die allgemeinen Regelungen sowie (je nach Gesellschaftszweck) die handelsrechtlichen Sondernormen.
So können Gesellschaften nicht nur durch ihre Organe, sondern auch durch ihre rechtsgeschäftlich bestellte, Vertreter vertreten werden - insbesondere durch Erteilung einer Prokura (§ 48 HGB) und Handlungsvollmacht (§§ 54 ff. HGB) oder einfach einer Vollmacht im Sinne des § 167 BGB.
Bedenke außerdem, dass Rechtsscheintatbestände (insbesondere Duldungs- und Anscheinsvollmacht) eine wirksame Vertretung herbeiführen können.