Im folgenden Kapitel geht es um das sogenannte „Factoring“. Für das Verständnis dieser Thematik sind vertiefte Kenntnisse im Recht der Abtretung bzw. Sicherungsabtretung erforderlich.
Lies dir dazu also vorab den Lexikoneintrag zur Abtretung und Sicherungsabtretung durch, falls du hier noch keine Vorkenntnisse hast.
I. Wirtschaftlicher Hintergrund
Zunächst ist es für das rechtliche Verständnis sinnvoll, den wirtschaftlichen Hintergrund und die Bedeutung im Alltagsleben des Factorings zu verstehen.
Das Wort „Factoring“ ist nichts anderes als ein „schönes" Wort für den Forderungskauf. Beachte aber, dass der Begriff des Factorings (Beachte das sachenrechtliche Trennungsprinzip!) nicht nur den Forderungskauf als Verpflichtungsgeschäft meint, sondern auch zugleich die dingliche Abtretung erfasst.
Definition
Factoring ist ein Forderungskauf im Sinne des § 453 BGB. Die Verpflichtung zur Verschaffung der Forderungen wird meistens durch antizipierte Globalzession erfüllt.
Der Kauf von Forderungen geschieht in Deutschland tausendfach täglich, sodass sich hierfür Unternehmen entwickelt haben, die sich hierauf spezialisieren. Das Factoringunternehmen (Zessionar) ist dabei nicht als „böser“ Widersacher zum Zedenten zu verstehen, vielmehr ist das Factoring vom Zedenten sogar erwünscht. Durch den Forderungskauf kommt der Zedent nämlich durch die Kaufpreiszahlung schnell und unkompliziert an Liquidität, welche er für das weitere Wirtschaften braucht, ohne sich um die Realisierung, Inkasso oder das Rechnungschreiben kümmern zu müssen („Umsatzfinanzierung").
Das Factoring ist dennoch rentabel für den Zessionar, denn die Forderung wird unter Wert verkauft, während der Zessionar die Forderung in voller Höhe beim Drittschuldner einzieht. Der Zessionar übernimmt also gegen die Differenz zwischen Verkaufswert und tatsächlicher Forderungshöhe das Risiko der Realisierung der Forderung.
Beispiel
Du gehst zum Zahnarzt zur Zahnreinigung. Später kommt eine Rechnung, welche jedoch nicht vom Zahnarzt stammt, sondern von der XY-Factoring GmbH. Der Zahnarzt hat also, um das für ihn lästige Rechnungsschreiben nicht erledigen zu müssen, seine Forderung auf Zahlung der Vergütung aus dem Behandlungsvertrag/Werkvertrag gegen dich an die XY-Factoring GmbH abgetreten. Zwar bekommt er etwas weniger Geld aus dem Factoringerlös, als wenn er die Forderung selbst realisiert hätte, jedoch kann er sich dann weiter auf seine Behandlungstätigkeit konzentrieren, zumal jetzt die AB-Factoring GmbH dein Insolvenzrisiko trägt und dir wegen des Geldes „hinterherrennen“ darf. Es zeigt sich also, dass es eher unwirtschaftlich wäre, wenn der Zahnarzt kein Factoring betreiben würde, außer alle seine Kunden sind extrem liquide und zuverlässig.

II. Arten des Factorings
1. Echtes Factoring
Beim eben aufgezeigten „echten“ Factoring, also dem endgültigen Forderungskauf (§ 453 BGB), trägt der Factor (meistens eine Bank) das Risiko der Forderungsrealisierung und somit auch das Risiko für die Leistungsfähigkeit (auch: „Delkredererisiko“ oder auch „Bonitätsrisiko“). Die Zahlung an den Gläubiger ist „endgültig“ und kann nicht mehr zurückverlangt werden. Es wird auch als „regressloses Factoring“ bezeichnet, da eben gerade kein Regress durch den Factor erfolgt.
2. Unechtes Factoring
Beim „unechten“ Factoring ist der Forderungskauf nicht endgültig: Kann der Factor die Forderung nicht realisieren, wird der Factor diese Forderung auf den Zedenten rückübertragen und der Zedent mit der ursprünglich gutgeschrieben Geldsumme belastet. Der Factor trägt hier nur das Veritätsrisiko hinsichtlich des Bestehens der Forderung. Der Zedent trägt dann also das Delkredererisiko. Das Entgelt für die Abtretung der Forderung bleibt daher nicht zwingend beim Gläubiger, sondern wirklich nur, wenn die Forderung beim Drittschuldner in Höhe des vereinbarten Betrags realisiert wird. Wie beim Kreditgeschäft wird die Gutschrift von einem ungewissen Ereignis abhängig gemacht - hier ist es jedoch nicht der Eintritt des Sicherungsfalls, sondern die Nichtrealisierbarkeit der Forderung. Das unechte Factoring ist somit eigentlich ein Kreditgeschäft und nicht wie das echte Factoring eine Maßnahme zur endgültigen Liquiditätsbeschaffung.
Merke
Das echte Factoring ist ein endgültiger Forderungskauf - das unechte Factoring (nur) ein Kreditgeschäft.
III. Factoring-Rahmenvertrag
Der Factoring-Rahmenvertrag ist eines von mehreren Rechtsverhältnissen zwischen Factor und Unternehmen (Zedent). Der Factoring-Rahmenvertrag legt die Pflicht des Factors fest, die Forderungen des Unternehmers zu erwerben, wenn die vertraglich festgelegten Voraussetzungen vorliegen.
Der Factoring-Rahmenvertrag entscheidet jedoch grundsätzlich nicht darüber, welche Art des Factorings die beiden Parteien vereinbart haben. Entschieden wird erst, wenn das Unternehmen dem Factor eine Forderung anbietet. Möglich ist daher auch eine Kombination beider Factoringvarianten.
Merke
Dieser Rahmenvertrag wird selten klausurrelevant. Entscheidend ist hier nur für das Verständnis, dass es neben dem konkreten Forderungskauf einen weiteren Vertrag geben kann, der im Allgemeinen die Rechte und Pflichten der Parteien regelt.
IV. Factoring-Globalzession und verlängerter Eigentumsvorbehalt
Zu Problemen in der Klausur führt regelmäßig, wenn durch eine Factoring-Globalzession Forderungen abgetreten werden, die auch durch einen verlängerten Eigentumsvorbehalt abgetreten werden müssten. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es üblich, dass ein Unternehmer Waren nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt kaufen kann, da der Vorbehaltsverkäufer ein legitimes Interesse an Absicherung dergestalt hat, dass der Vorbehaltsverkäufer erst das Eigentum mit vollständiger Kaufpreiszahlung erwirbt. Jedoch wird der Unternehmer regelmäßig seine Forderungen zur Liquiditätsbeschaffung auch vorab schon an eine Bank im Rahmen der Factoring-Globalzession abgetreten haben.
Für das Verständnis der folgenden Probleme ist auch das Verständnis des verlängerten Eigentumsvorbehalts wichtig. Bei Wissenslücken hilft dir unser Lexikoneintrag zum verlängerten Eigentumsvorbehalt weiter.
1. Echtes Factoring und verlängerter Eigentumsvorbehalt
Soweit der Factoring-Kunde, der zugleich Käufer der Ware im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts ist, die Kaufpreiszahlungsforderungen schon vor Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts an den Factor abgetreten hat, kommt es zu einer Kollision der beiden Forderungsabtretungen.
Der Lösung ist zunächst das Prioritätsprinzip (§ 185 II 2 BGB) zugrunde zulegen: Nach dem Prioritätsprinzip würde nur die vorherige Abtretung an den Factor wirksam werden.
Die Abtretung an die Bank könnte jedoch nur vorrangig sein, wenn sie auch wirksam ist! Im Falle der Sicherungsabtretung im Rahmen der Globalzession würde die vorherige Abtretung nach der Vertragsbruchtheorie gemäß § 138 I BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein.
Diese Überlegungen sind für die Factoring-Globalzession nicht übertragbar. Der Factoring-Kunde erhält nämlich vom Factor einen Vorschuss oder wirtschaftlichen Gegenwert, sodass seine Situation mit der Situation vergleichbar ist, als hätte er die Forderung selbst vom Schuldner eingezogen. In beiden Fällen erhält der Zedent den Gegenwert endgültig. Der Vorbehaltsverkäufer steht also nicht schlechter, als wenn die Kunden an den Vorbehaltskäufer direkt gezahlt hätten.
Ferner soll auch der verlängerte Eigentumsvorbehalt den Vorbehaltsverkäufer nicht vor einer vertragswidrigen Verwendung des Gegenwerts der Forderung schützen.
Eine Globalzession in Erfüllung einer Verpflichtung aus echtem Factoring ist nicht sittenwidrig und daher nicht gemäß § 138 I BGB nichtig. Es bleibt also beim Prioritätsprinzip. Der Factor erwirbt die Forderung.
2. Unechtes Factoring und verlängerter Eigentumsvorbehalt
Das unechte Factoring ist ein Kreditgeschäft, weshalb das Delkredererisiko beim Factoring-Kunden verbleibt. Im Unterschied zum echten Factoring erhält der Factoring-Kunde keinen Vorschuss.
Ausnahmsweise greift deshalb das Prioritätsprinzip nicht, denn die Abtretung an den Factor ist gemäß § 138 I BGB sittenwidrig und daher nichtig. Begründet wird die Sittenwidrigkeit mit der Vertragsbruchtheorie und Schuldnerknebelung.
Klausurtipp
Die Situation ist nicht anders, als wenn der Vorbehaltskäufer ein Darlehen aufgenommen hätte. Daher sind die Argumente praktisch übertragbar, welche sich zur Kollision von verlängertem Eigentumsvorbehalt und Globalzession herausgebildet haben (Vertragsbruchtheorie und Schuldnerknebelung)
Letzter Ausweg für den Factor, um eine Sittenwidrigkeit zu vermeiden, ist die Vereinbarung einer sogenannten Teilverzichtsklausel (auflösende Bedingung gemäß § 158 II BGB), welche die Forderungen, welche auch dem verlängerten Eigentumsvorbehalt unterfallen, aus der Globalzession ausnimmt. Eine Teilzession ist wirksam - sie ist nämlich keine Globalzession.
Merke
Der Factor einer gemäß § 138 I BGB nichtigen Globalzession handelt dann als Nichtberechtiger im Sinne des § 816 II BGB. Der gutgläubige Drittschuldner wird übrigens nach § 409 I BGB von seiner Zahlungspflicht befreit.
Übrigens: Zwar gibt es eine Mindermeinung, welche die Sittenwidrigkeit gemäß § 138 I BGB und somit die Nichtigkeit verneint, sodass es beim Prioritätsprinzip bleibt (Forderungserwerb des Factors). Maßgebliches Argument für diese Ansicht ist, dass es nicht Aufgabe des Factors sei, ihre Kunden vor der Verletzung von Verträgen mit Dritten abzuhalten.
Unter Gesichtspunkten der Schuldnerknebelung wird aber dennoch eine Sittenwidrigkeit vorliegen: In der Krise würde nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert werden. Der Vorbehaltskäufer müsste den Globalzessionar vor jedem Kauf dann um „Freigabe“ bitten. Er würde sodann zur Marionette des Sicherungsnehmers werden.