I. Einleitung
Der Erbschein ist ein amtliches Zeugnis des Nachlassgerichts über das Erbrecht einer Person (§ 2353 BGB). Er dient dem Zweck, im Rechtsverkehr Klarheit über die Person des Erben, das Bestehen und den Umfang des Erbrechts sowie etwaige Anordnungen wie Testamentsvollstreckung zu schaffen. Der Erbschein ist insbesondere erforderlich, wenn der Erbe gegenüber Banken, Grundbuchämtern oder anderen Dritten seine Erbenstellung nachweisen muss.
II. Allgemeines
Die Legaldefinition des Erbscheins findet sich in der Ausgangsnorm des § 2353 BGB.
Zitat
§ 2353 BGB:
“Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht und, wenn er nur zu einem Teil der Erbschaft berufen ist, über die Größe des Erbteils zu erteilen (Erbschein).”
Der Antrag auf Erteilung des Erbscheins kann nur von einem (vermeintlichen) Erben gestellt werden (§ 2353 BGB). Zuständig ist das Nachlassgericht (§ 343 FamFG). Im Verfahren prüft das Gericht das Erbrecht von Amts wegen (§ 26 FamFG), wobei es insbesondere die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge sowie eventuelle Testamente oder Erbverträge berücksichtigt.
Der Erbschein hat eine starke Beweiswirkung: Er entfaltet eine widerlegbare Vermutung für die Richtigkeit der bezeugten Angaben (§ 2365 BGB). Dritte, die im guten Glauben auf den Erbschein vertrauen, sind geschützt (§ 2366 BGB), selbst wenn sich später herausstellt, dass der im Erbschein genannte Erbe tatsächlich nicht erbberechtigt war.
Wird der Erbschein zu Unrecht erteilt, kann er eingezogen oder für kraftlos erklärt werden (§ 2361 BGB).
III. Der Anspruch auf Ausstellung des Erbscheins
Ein Anspruch auf Ausstellung des Erbscheins besteht, wenn die beantragende Person die formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt.
1. Formelle Voraussetzungen
Auf formeller Seite muss von der beantragenden Person ein Antrag an das Nachlassgericht gestellt werden, § 2353 BGB i.V.m. § 343 FamFG.
Gesetzesverweis
Sofern in deinem Bundesland erlaubt, kannst du dir den § 343 FamFG an den § 2353 BGB zitieren, um dich an die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts zu erinnern.
2. Materielle Voraussetzungen
Auf materieller Seite muss ein Erbrecht des Antragstellers bestehen. Dieses kann sich entweder aus gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge ergeben.
An dieser Stelle findet dann zumeist der Hauptteil der Prüfung statt. Die Frage nach dem Anspruch auf Erteilung des Erbscheins ist nur der Rahmen und Einstieg für diesen Teil der Prüfung.
IV. Rechtswirkungen des Erbscheins
1. Ansprüche des wirklichen Erben, §§ 2362 f. BGB
Gemäß § 2362 I BGB kann der wirkliche Erbe vom Besitzer des unrichtigen Erbscheins die Herausgabe an das Nachlassgericht verlangen. Nach § 2362 II BGB hat dabei der Empfänger des unrichtig erteilten Erbscheins den wirklichen Erben auch über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände Auskunft zu erteilen.
§ 2363 BGB stellt bezüglich dieses Anspruchs klar, dass dem Nacherben und dem Testamentsvollstrecker der gleiche Anspruch (§ 2362 I BGB) zusteht.
2. Öffentlicher Glaube des Erbscheins, §§ 2362, 2363 BGB
Der Erbschein genießt im Rechtsverkehr, ähnlich wie das Grundbuch, öffentlichen Glauben. Die Regelungen der §§ 2366, 2367 BGB entsprechen in Struktur und Zweck den §§ 892, 893 BGB und dienen dem Schutz des gutgläubigen Rechtsverkehrs. Entscheidend ist, dass die Rechtswirkungen unabhängig von der Kenntnis des Dritten vom Erbschein eintreten. Eine positive Kenntnis des Erwerbers vom Erbschein ist also nicht erforderlich.
a) Gutgläubiger Erwerb vom Scheinerben, § 2366 BGB
§ 2366 BGB schützt den gutgläubigen Erwerb eines Nachlassgegenstands von einem Erbscheinserben durch Rechtsgeschäft. Er überwindet das Abhandenkommen der Sache i.S.v. § 935 BGB.
Merke
Die Regelung des § 2366 BGB überwindet nur das Abhandenkommen der Sache gegenüber dem wirklichen Erben. Stand der Gegenstand demgegenüber nicht im Eigentum des Erblassers, so sind neben der Vorschrift des § 2366 BGB bei einem Erwerb von dem Erbscheinserben noch die §§ 932 ff. BGB zu prüfen. War die Sache dem tatsächlichen Eigentümer abhandengekommen, ist ein gutgläubiger Erwerb des Dritten nicht möglich.

aa) Erwerb durch Rechtsgeschäft
Der Erwerber muss einen Nachlassgegenstand durch Verfügungsgeschäft (z. B. Übereignung nach § 929 BGB) vom Erbscheinsbesitzer erwerben. Verpflichtungsgeschäfte sind nicht geschützt. Kein Schutz besteht außerdem bei rein internen Abwicklungen, z. B. bei Rechtsgeschäften zwischen Miterben oder ohne Verkehrsgeschäft.
bb) Erbschein als Rechtsscheinträger, § 2365 BGB
Gemäß § 2365 BGB wird vermutet, dass demjenigen, der in dem Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zusteht. Durch diese Vermutung besteht der Rechtsschein durch die Angaben des Erbscheins beim gutgläubigen Erwerb.
cc) Gutgläubigkeit des Erwerbers
Zuletzt darf der Erwerber keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Erbscheins oder eines Einziehungsbeschlusses haben. Fahrlässige Unkenntnis schadet dabei allerdings nicht, nur positive Kenntnis. Allerdings muss der Erwerber wissen, dass es sich bei dem erworbenen Gegenstand um einen Nachlassgegenstand handelt. Dies ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.
Beispiel
Ein von einem Scheinerben veräußertes Auto kann durch § 2366 BGB gutgläubig erworben werden, obwohl § 935 BGB wegen des Abhandenkommens der Sache normalerweise entgegenstünde.
Merke
§ 2366 BGB greift bei Grundstücken nur, solange der Scheinerbe nicht im Grundbuch eingetragen ist. Nach Voreintragung im Wege der Grundbuchberichtigung gelten ausschließlich die §§ 873, 892 BGB. Die öffentliche Glaubenswirkung richtet sich dann nach dem Grundbuchrecht, wobei ein Widerspruch (§ 899 BGB) diese Wirkung durchbrechen kann.
3. Leistung an den Scheinerben, § 2367 BGB
§ 2367 BGB schützt auch den gutgläubigen Schuldner, der an einen im Erbschein ausgewiesenen Erben leistet. Er wird trotz tatsächlicher Unrichtigkeit des Erbscheins von seiner Leistungspflicht befreit. Die Gutgläubigkeit richtet sich nach denselben Maßstäben wie bei § 2366 BGB.
Beispiel
Ein Schuldner begleicht eine Forderung gegenüber dem vermeintlichen Erben, der durch einen unrichtigen Erbschein ausgewiesen ist. Ist der Schuldner gutgläubig, ist seine Verpflichtung erloschen (Erfüllung gemäß §§ 2367, 362 BGB). Der wahre Erbe hat nur einen Bereicherungsanspruch gegen den Scheinerben gemäß § 816 II BGB.
Auch verfügungsähnliche Handlungen wie Aufrechnung, Anfechtung, Genehmigung oder der Verzicht auf Rechte werden von § 2367 BGB erfasst. Ebenso können dingliche Rechtsänderungen (z. B. Vormerkung, Grundschuld) unter den Schutz des § 2367 BGB fallen, sofern kein Grundbuchvorrang (z. B. bei vorheriger Eintragung des Scheinerben) besteht.