I. Einleitung
Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ist eines der weitreichendsten Grundrechte des Grundgesetzes und schützt die Freiheit jedes Einzelnen, „zu tun und zu lassen, was er will“. Dieses Grundrecht ist in der Verfassungsdogmatik ein sogenanntes Auffanggrundrecht, das dann greift, wenn kein spezielleres Grundrecht einschlägig ist. Es gewährleistet einen umfassenden Schutz der persönlichen Freiheit, indem es grundsätzlich jede Art von Verhalten (so die herrschende Meinung) umfasst, solange es nicht gegen die Rechte anderer oder die verfassungsmäßige Ordnung verstößt.
II. Schutzbereich

1. Persönlicher Schutzbereich
Dem Wortlaut nach handelt es sich bei Art. 2 I GG um ein Jedermannsrecht.
2. Sachlicher Schutzbereich
Es werden verschiedene Auffassungen dazu vertreten, wie der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit zu bestimmen ist.
a) Persönlichkeitskerntheorie
Nach der Ansicht der Persönlichkeitskerntheorie werden nur Verhaltensweisen vom Schutzbereich erfasst, die zum Kernbereich der Persönlichkeit gehören.
b) Persönlichkeitsrelevanztheorie
Nach der Persönlichkeitsrelevanztheorie sind nur Verhaltensweisen erfasst, die genauso relevant sind wie von anderen Freiheitsrechten geschützten Verhaltensweisen.
c) Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit
Die heute herrschende Meinung ist die Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit.
Definition
Nach der Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit ist vom Schutzbereich jegliches menschliches Verhalten erfasst.
Problem
Die Entwicklung der Lehre der allgemeinen Handlungsfreiheit geht maßgeblich auf das sogenannte Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1957 zurück. Das Urteil (BVerfGE 6, 32) stellte einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit dar und prägte dessen Verständnis bis heute.
Im Fall Elfes wurde einem deutschen Staatsbürger (Wilhelm Elfes) von der Regierung die Ausreise verweigert, da er angeblich staatsfeindliche Absichten hegte. Elfes sah sich in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt und klagte. Das BVerfG entschied, dass Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht für sämtliche Verhaltensweisen dient, die nicht durch spezielle Freiheitsrechte geschützt sind.
Das Gericht entwickelte in diesem Urteil das Prinzip, dass Art. 2 Abs. 1 GG die „Freiheit des Menschen, zu tun und zu lassen, was er will“ gewährleistet, solange keine spezifischeren Grundrechte greifen.
Exkurs: Die Freizügigkeit aus Art. 11 GG war nicht im Schutzbereich betroffen, da diese nicht die Ausreise aus dem Staatsgebiet schützt.
In der Klausur reicht es aus, wenn du den Schutzbereich direkt anhand der Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit definierst. In Hausarbeiten oder bei ähnlichen Ausführungen kann es aber notwendig sein, diesen Streit und die Entwicklung der Lehre der allgemeinen Handlungsfreiheit (”Elfes-Urteil”) darzustellen.
III. Einschränkungsmöglichkeiten
Bei der allgemeinen Handlungsfreiheit bestehen die Einschränkungsmöglichkeiten in Form der sogenannten Schrankentrias. Schrankentrias bedeutet, dass es drei Einschränkungsmöglichkeiten (Schranken) des Grundrechts gibt. Diese sind:
1. Die verfassungsmäßige Ordnung
Die verfassungsmäßige Ordnung umfasst die gesamte Rechtsordnung, also alle geltenden Rechtsnormen. Nach der herrschenden Meinung ist zudem auch Gewohnheitsrecht umfasst.
Merke
Wiederholung:
Geltende Rechtsnormen meint alle Gesetze im materiellen Sinne, also auch untergesetzliche Rechtsvorschriften wie Rechtsverordnungen oder Satzungen.
Gewohnheitsrecht ist eine ungeschriebene Rechtsquelle, die durch eine langjährige, einheitliche Praxis (consuetudo) und die Überzeugung ihrer rechtlichen Verbindlichkeit (opinio iuris) entsteht. Es ergänzt das geschriebene Recht, indem es Rechtsnormen schafft, die auf allgemeiner Anerkennung und kontinuierlicher Anwendung beruhen.
2. Die Rechte anderer
Rechte anderer meint alle subjektiven Rechte anderer Menschen.
Beispiel
Wenn eine Person ihre allgemeine Handlungsfreiheit dahingehend ausübt, dass sie ohne Einwilligung Fotos von anderen Personen in der Öffentlichkeit macht und veröffentlicht, könnte dies das allgemeine Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Personen verletzen.
3. Das Sittengesetz
Das Sittengesetz bezeichnet die Gesamtheit der grundlegenden moralischen und ethischen Normen und Wertvorstellungen, die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind.
Gemeint ist damit ist eine Kombination der rechtlichen Begriffe der “guten Sitten” und “Treu und Glauben”.
Die Rechte anderer und das Sittengesetz haben dabei letztendlich keine eigenständige Bedeutung, da sie beide auch Teil der verfassungsmäßigen Ordnung sind und damit vollständig in diesem Punkt mit enthalten sind.

Merke
Der allgemeinen Handlungsfreiheit kommt auch im Kontext der Frage nach der Anwendbarkeit von Freiheitsrechten auf EU-Ausländer eine gesteigerte Bedeutung zu.
Siehe dazu hier.
IV. Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Bedeutung haben im Kontext der Anwendbarkeit von Art. 2 I GG vor allem auch die konkurrenzrechtlichen Regeln in der grundrechtlichen Dogmatik.
Siehe dazu hier.