I. Einleitung
In zivilrechtlichen Fällen agieren die Subjekte nicht immer als Privatpersonen, sondern häufig als Unternehmer. Häufig ist dann die Frage relevant, ob ein vom Normalfall abweichender Fall vorliegt, beziehungsweise handelsrechtlich ausgedrückt, ob das handelnde Rechtssubjekt Kaufmann gemäß § 1 ff. HGB ist. In der Klausur kann dies für die weitere Falllösung und Fallaufbau schwere Konsequenzen haben, da insoweit gewisse handelsrechtliche Sondervorschriften anwendbar sind.
Beispiel
Vertragsschluss: Grundsätzlich gilt das Schweigen auf einen Antrag nicht als Annahme. Kaufleuten kann das Schweigen jedoch als Annahme gemäß § 362 I 1 Hs. 2 HGB zugerechnet werden. Mehr dazu findest du auch in Fall 7 im BGB AT.
Ausschluss der §§ 434 ff. BGB: Nach Ablieferung der Kaufsache, kann ein Ausschluss der kaufrechtlichen §§ 434, 437 ff. BGB davon abhängen, ob der Käufer, sollte er Kaufmann sein, seine Untersuchung - und Rügeobliegenheit gemäß § 377 I HGB verletzt hat.
Die ordentliche Gesetzeslektüre der §§ 1-7 HGB hilft beim Erschließen der zugrundeliegenden Systematik. Erstens ist fast jeder Kaufmannsytyp gesetzlich geregelt und zweitens lassen sich die Voraussetzungen hier besonders einfach ablesen:

II. Istkaufmann, § 1 HGB
Istkaufleute sind Kaufleute schon alleine auf der Grundlage, dass sie ein Handelsgewerbe betreiben. Die Zuordnung gemäß § 1 HGB erfolgt automatisch und ist zwingend. Eine Eintragung im Handelsregister hat daher nur deklaratorische Wirkung für den Istkaufmann.
Zitat
§ 1 HGB:
"Kaufmann im Sinne dieses Gesetzes ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt."
Durch die Gesetzeslektüre erschließen sich schon die zu prüfenden Voraussetzungen:
Gewerbe
Handelsgewerbe
Betreiben
1. Gewerbe
Der Gewerbebegriff ist weder im HGB noch in der Gewerbeordnung definiert (die GewO enthält besondere Regelungen, insbesondere zum öffentlichen Gefahrenabwehrrecht im Rahmen des Betriebs von Gewerben). Vielmehr ist der Gewerbebegriff eine Entwicklung der Rechtsprechung und Lehre.
Definition
Gewerbebegriff:
Gewerbe ist jede nach außen gerichtete, selbstständige, nicht freiberufliche, erkennbar planmäßige und auf gewisse Dauer ausgeübte Tätigkeit, die mit Gewinnerzielungsabsicht oder entgeltlich ausgeübt wird, die nicht zu den freien Berufen gehört.
Für die Klausur ergibt sich also folgendes Prüfprogramm.

Merke
Die richtige Schwerpunktsetzung in der Klausur ist für den Erfolg essenziell! Die Voraussetzungen des Gewerbebegriffs bedürfen nur einer ausführlichen Prüfung, wenn diese „problematisch" erscheinen.
a) Nach außen gerichtet
Definition
"Nach außen gerichtet" im Sinne des Gewerbebegriffs:
Die Tätigkeit ist dann nach außen gerichtet, wenn sie nach außen in Erscheinung tritt.
Im Gegenschluss reicht demnach die für einen objektiven Dritten erkennbare Absicht alleine nicht aus.
Klausurtipp
Bis auf wenige Ausnahmen bedarf dieses Merkmal keiner intensiven Auseinandersetzung in der Klausur.
Beispiel
X spekuliert als Privatanleger für sich selbst an der Frankfurter Börse.
X tritt nicht nach außen am Markt auf.
Etwas anderes kann sich ergeben, falls durch einen beträchtlichen Umfang, Komplexität oder Größe der zusammenhängenden Geschäfte ein erheblicher Organisationsmehraufwand erforderlich wird.
b) Selbstständig und nicht freiberuflich
Selbstständig ist der Legaldefinition des § 84 I 2 HGB zufolge „wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten kann und seine Arbeitszeit bestimmen kann".
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, zitiere dir § 84 I 2 HGB an § 1 I HGB.
Hierbei kommt es nicht auf die existenzielle oder wirtschaftliche Abhängigkeit an, sondern auf die rechtliche persönliche Freiheit.
Merke
Arbeitnehmer oder Beamte üben in der Regel keine selbstständige Tätigkeit aus.
§ 1 II PartGG enthält eine Legaldefinition für die „freien Berufe“. Beachte dabei, dass die Auflistung in § 1 II 2 PartGG nicht abschließend ist („und ähnlicher Berufe“). „Nicht freiberuflich“ ist demnach als ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu verstehen.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, zitiere dir § 1 II PartGG neben § 1 I HGB.
c) Planmäßig auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit
Die Tätigkeit darf nicht nur gelegentlich ausgeübt werden. Vielmehr ist erforderlich, dass die Tätigkeit aus Sicht eines objektiven Dritten erkennbar auf eine gewisse Dauer angelegt ist.
Unbeachtlich ist dabei, ob die Tätigkeit ununterbrochen ausgeübt wird oder ob der Betrieb die Haupteinnahmequelle bildet.
Klausurtipp
Handelt es sich um einen Saisonbetrieb oder um eine andere Form der Nebentätigkeit, so sollte diesem Merkmal durch saubere Definition und Subsumtion besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Der zeitlich eng begrenzte Umfang steht der „gewissen Dauer“ nämlich nicht zwingend entgegen, sodass auch ein Skibetrieb die Voraussetzung erfüllen kann.
d) Erlaubt
Ob eine Tätigkeit erlaubt sein muss, ist umstritten:
Nach herrschender Ansicht ist die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit (§§ 134, 138 BGB) für die Einordnung als Betrieb irrelevant. Maßgeblich hierfür sind teleologische Erwägungen dergestalt, dass ein Gewerbetreibender nicht von den handelsrechtlichen (und steuerrechtlichen) Pflichten befreit werden soll und dadurch privilegiert wird, wenn er doch rechts- oder sittenwidrig im Sinne des §§ 134, 138 BGB handelt.
Nach einer Mindermeinung kommt es durchaus darauf an, ob eine Tätigkeit erlaubt ist. Vielmehr sind dann als Korrektiv die Rechtsscheingrundsätze anzuwenden.
Klausurtipp
Falls in der Klausur die tätige Person nicht offensichtlich unerlaubt handelt, so solltest du den Streit nicht ansprechen beziehungsweise das Tatbestandsmerkmal in der Definition weglassen.
e) Gewinnerzielungsabsicht oder Entgeltlichkeit
Klar ist, dass es für das Vorliegen eines Gewerbes nicht darauf ankommt, ob tatsächlich ein Gewinn erzielt wird.
Klausurtipp
Diskussionsbedarf entsteht bei diesem Merkmal insbesondere bei karitativen Tätigkeiten oder wenn lediglich kostendeckend gewirtschaftet wird.
"Umstritten" ist aber, ob ein Gewerbe Gewinnerzielungsabsicht aufweisen oder eine entgeltliche Leistung anbieten muss. Die Rechtsprechung vertritt die erstere Ansicht. Nach der heutigen hL ist vielmehr auf die Entgeltlichkeit der Tätigkeit abzustellen. Dafür spricht eine differenzierte Betrachtung des Gewinnbegriffs durch die moderne Betriebswirtschaftslehre. Ferner soll auch alleine der Verzicht auf Gewinn keine Privilegierung mangels Anwendbarkeit handelsrechtlicher Vorschriften rechtfertigen. Zuletzt wird auch der durch das Handelsrecht intendierte Verkehrsschutz unterlaufen, wenn auf innere Tatsachen abgestellt wird. Richtigerweise ist daher darauf abzustellen, ob die Tätigkeit gegen ein Entgelt am Markt erfolgt.
Merke
Dieser Streit ist nicht nennenswert aufzuführen, da ein gewinnorientiertes Unternehmen auch entgeltliche Leistungen anbietet (und dies auch muss.) Bei privatwirtschaftlichen Unternehmen kann die Gewinnabsicht übrigens ohnehin vermutet werden.
2. Handelsgewerbe, § 1 II Hs. 1 HGB
Ferner müsste der Betrieb ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 II HGB sein. Gemäß § 1 II Hs. 1 HGB ist grundsätzlich jeder Gewerbebetrieb ein Handelsgewerbe. Ausnahmsweise stimmt dieser Grundsatz nicht, wenn das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert, § 1 II Hs. 2 HGB.
Indem das Gesetz durch die Regel-Ausnahme-Formulierung davon ausgeht, dass jeder Gewerbetreibende auch ein Handelsgewerbe betreibt, stellt es eine widerlegliche Vermutung für die Existenz eines Handelsgewerbes auf.
Beispiel
Gegenbeispiel: Erledigt Ehefrau oder Ehemann am Abend kurz nebenbei das Schreiben der Rechnungen, so wird kein „in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb“ vorliegen.
Klausurtipp
Deshalb bedarf es ein Abweichen von dieser Vermutungsregel nur, wenn der Sachverhalt Angaben diesbezüglich enthält - nur dann entsteht also Argumentationsaufwand für dich.
Ist eine Auseinandersetzung mit § 1 II HGB im Sachverhalt angelegt, so hilft auch hier der Wortlaut ab. Die Frage, ob ein Handelsgewerbe vorliegt, orientiert sich maßgeblich an einer Gesamtbetrachtung (h.M.) an „Art oder Umfang“:
- „Art“ ist als qualitatives Kriterium zu verstehen. Gemeint sind z. B. die Komplexität und Vielfalt der Geschäfte oder die Art des Kundenstamms.
- „Umfang“ ist als quantitatives Kriterium zu verstehen. Gemeint sind primär das Umsatzvolumen, jedoch auch die Anzahl der Beschäftigten, etc.
Beispiel
X tauscht in der Nachbarschaft gelegentlich sein altes Werkzeug gegen ein kühles Bier.
Hier fehlt es zunächst am qualitativen Kriterium (Art), denn dieser Tausch ist weder komplex noch besonders vielfältig. Außerdem hat X keinen besonderen Kundenstamm.
Das quantitative Kriterium (Umfang) fehlt, da er keine Mitarbeiter dafür braucht und das kühle Bier X auch nicht über das Geschmackserlebnis hinaus finanziell besonders bereichert oder auch kein nennenswertes Handelsvolumen erreicht wird.
Hinsichtlich der kaufmännischen Einrichtung im Sinne des § 1 II Hs. 2 HGB kommt es nicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten an, sondern auf die sachliche Gebotenheit an. Ist also etwas für die ordentliche und übersichtliche Geschäftsführung nicht notwendig, so ist es in der Gesamtabwägung nicht einzubringen.
3. Betreiben, § 1 I aE HGB
Zuletzt müsste für den der Handelnde das Unternehmen auch betreiben, § 1 I aE HGB.
Maßgeblich ist eine finanzielle Zurechnung. Kaufmann ist also, wer das Gewerbe im eigenen Namen betreibt.
Beispiel
Der Pächter eines Unternehmensgrundstücks kann auch Gewerbetreibender sein.
Der Kommissionär tätigt seine Geschäfte zwar auf fremde Rechnung, jedoch auch auf eigenen Namen und „betreibt“ daher ein Handelsgewerbe.
Gegenbeispiel:
Der Prokurist wird mangels Handeln im eigenen Namen regelmäßig kein Handelsgewerbe betreiben.
III. Kannkaufmann, § 2 HGB
Gemäß § 2 S. 1 HGB sind Kaufleute, welche zwar eine Gewerbebetrieb ausüben, nicht jedoch die Voraussetzungen an Art und Umfang im Sinne des § 1 II HGB erfüllen. Es wird also lediglich ein Kleingewerbe betrieben.
Diesen Betreibern eines Kleingewerbes wird durch § 2 S. 1 HGB die Möglichkeit eröffnet, sich als "Kaufmann kraft Eintragung“ in das Handelsregister eintragen zu lassen.
Im Gegensatz zum Istkaufmann gemäß § 1 I HGB ist die Eintragung also nicht nur deklaratorisch, sondern konstitutiv.
Gemäß § 2 S. 2 HGB ist die Eintragung freiwillig. Die Eintragung kann, soweit nicht mittlerweile ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 II HGB vorliegt, auch wieder auf Antrag rückgängig gemacht werden, § 2 S. 3 HGB. Daher kommt übrigens auch die zutreffende Beschreibung als „Kannkaufmann mit Rückfahrkarte“.
IV. Kannkaufmann in der Land- und Forstwirtschaft, § 3 HGB
Diese besondere Art des Kaufmanns hat wohl keine besondere Bedeutung mehr für die Klausur.
Gemäß § 5 I HGB kann ein Land- oder Forstwirt kein Istkaufmann gemäß § 1 HGB sein.
§ 5 II HGB eröffnet dem Land- oder Forstwirt zwar auch die Eintragung als Kannkaufmann kraft Eintragung, jedoch findet § 2 S. 3 HGB keine Anwendung.
V. Fiktivkaufmann, § 5 HGB
Im Gegensatz zu den Kaufleuten nach §§ 1, 2, 3, 6 und 105 II HGB wird die Kaufmannseigenschaft nach § 5 HGB nur fingiert.
Der Wortlaut des § 5 HGB kann zu Verständnisschwierigkeiten führen. Vereinfacht gesagt ist es gleichgültig, ob unter einer Firma ein Handelsgewerbe betrieben wird, wenn der Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist. Ebenso spielt es auch keine Rolle, ob eine Verpflichtung zur Eintragung bestand. Selbst wenn eine Eintragung falsch erfolgte, wird die eingetragene Firma als Kaufmann zu behandeln sein.
Die Bezeichnung als „Fiktivkaufmann“ entstammt also der Tatsache, dass § 5 HGB eine gesetzliche Fiktion enthält.
Merke
Eines der zentralen Leitmotive des HGB ist, die Leichtigkeit des Handels- und Geschäftsverkehrs zu ermöglichen. Diesem Motiv dient auch die Fiktion des § 5 HGB. Müsste ein Geschäftspartner jedes Mal die Kaufmannseigenschaft besonders nachprüfen, obwohl der Handelnde doch eingetragen ist, so wäre die Geschäftsabwicklung im Handelsverkehr beeinträchtigt. Deshalb muss aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutz auch jemand als Kaufmann behandelt werden, obwohl diese Person kein Kaufmann ist.
Merke dir diese Sinn- und Zweckargumentation. Sie wird dir noch oft dabei weiterhelfen, den Zweck vieler handelsrechtlicher Spezialregelungen zu erschließen.
VI. Formkaufmann, § 6 HGB
Der unmissverständliche Wortlaut des § 6 I HGB ordnet an, dass auf die Personenhandelsgesellschaften des HGB (oHG, §§ 105 ff. HGB und KG, §§ 161 ff. HGB) die für Kaufleute anwendbare Vorschriften, auch anwendbar sind.
Klausurtipp
Für das Vorliegen einer oHG und KG muss grundsätzlich geprüft werden, ob ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 HGB betrieben wird. Erst dadurch oder auch durch Eintragung kann eine oHG oder KG entstehen, §§ 105 I beziehungsweise II HGB oder §§ 161 I beziehungsweise II HGB.
Vereine im Sinne des § 6 II HGB, „welche dem Gesetz ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens die Eigenschaft eines Kaufmanns beilegt“ sind insbesondere die GmbH (§ 13 III GmbHG) und die AG (§ 3 I AktG). Für die eingetragene Genossenschaft (eG) gilt § 17 II GenG.
VII. Scheinkaufmann
Die Rechtsfigur des Scheinkaufmanns ist nicht gesetzlich geregelt. Vielmehr ist der Scheinkaufmann ein Ergebnis der Rechtsfortbildung aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutz.
Tritt nämlich jemand als Kaufmann auf, ohne wirklich Kaufmann gemäß §§ 1-6 HGB zu sein, so kann es u.U. auch geboten sein diese Person ihrem Verhalten entsprechend auch unter den strengeren Vorschriften des HGB zu unterstellen.
Den Scheinkaufmann treffen jedoch dann nur die nachteiligen Pflichten des ordentlichen Kaufmanns, nicht jedoch die Vorteile oder Rechte welche einem Kaufmann sonst zugute kommen.
Beispiel
X erfüllt die Anforderungen an das Handelsgewerbe gemäß § 1 II HGB nicht beziehungsweise ist mangels erfolgter Eintragung auch nicht Kannkaufmann gemäß § 2 HGB.
Bezeichnet sich X dennoch auf Briefkopf, Website oder Visitenkarte als eingetragener Kaufmann (eK), so sind dennoch bei Versäumnis der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gemäß § 377 I HGB die §§ 434 ff. BGB ausgeschlossen.
Schweigt X auf einen Antrag, so kann das Schweigen gemäß § 377 I 1 HGB zulasten X als Annahme gelten.