I. Einleitung
Das Gesetzgebungsverfahren des Bundes ist das zentrale Verfahren zum Erlass von Normen auf Bundesebene. Es bildet den Kernbereich der staatlichen Willensbildung in der Legislative und ist damit Ausdruck demokratischer Legitimation im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Verfassungsrechtlich ist es in den Art. 76 bis 82 GG geregelt und folgt einem streng formalisierten Ablauf, der die Mitwirkung mehrerer Verfassungsorgane, insbesondere Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, voraussetzt.
Die Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens reicht aber über die bloße Normsetzung hinaus, indem es Transparenz, Kontrolle und Machtverteilung im demokratischen Rechtsstaat gewährleistet. Zugleich verdeutlicht es das Zusammenspiel von Bund und Ländern im föderalen System, etwa durch die Beteiligung des Bundesrats.
II. Das Gesetzgebungsverfahren, Art. 76 - 82 GG
Das Gesetzgebungsverfahren besteht aus mehreren einzelnen Verfahrensschritten.

1. Einleitungsverfahren
Das Gesetzgebungsverfahren beginnt mit dem Einleitungsverfahren.
Ausgangspunkt ist dabei die Frage, welche Organe oder Institutionen überhaupt berechtigt sind, einen Gesetzesvorschlag einzubringen.
Nach Art. 76 I GG können Gesetzesvorlagen durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht werden. Ergänzend regelt § 76 I GO-BT, dass Gesetzesanträge aus dem Bundestag entweder von einer Fraktion oder von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten unterzeichnet sein müssen.
Problem
Einbringung eines Gesetzentwurfs durch einen einzelnen Abgeordneten
Umstritten ist, ob auch ein einzelner Abgeordneter ein Initiativrecht zur Einbringung eines Gesetzentwurfs hat.
e.A.: Nach einer Ansicht steht dem einzelnen Abgeordneten kein Initiativrecht zu.
h.M.: Nach herrschender Meinung kann auch ein einzelner Abgeordneter eine Gesetzesinitiative einbringen. Argumentiert wird mit dem Wortlaut des Art. 76 I GG “Mitte des Bundestages”. Dieser enthält keine Mindestanzahl von Abgeordneten für die Einbringung. Zudem wird auch mit den Abgeordnetenrechten aus Art. 38 I 2 GG argumentiert. Ein Abgeordneter hat demnach ein freies Mandat, er ist bei der Erfüllung seines Mandats nur seinem Gewissen unterworfen.
In der Klausur solltest du die beiden Meinungen kurz darstellen, aber mit den genannten Argumenten relativ schnell der herrschenden Meinung folgen.
Merke
§ 76 I GO-BT wird in diesem Zusammenhang nicht als Ausschluss einzelner Initiativen, sondern lediglich als formale Ordnungsvorschrift für die Beratungsreife im Bundestag interpretiert.
Je nachdem, wer das Gesetz einbringt, unterscheidet sich der weitere Verfahrensablauf:
a) Gesetzentwurf durch die Bundesregierung
Bringt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf ein, so muss sie diesen zunächst dem Bundesrat zuleiten (Art. 76 II GG). Der Bundesrat hat dann innerhalb einer Frist von sechs Wochen (in eilbedürftigen Fällen verkürzt auf drei Wochen) Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Bundesregierung kann daraufhin eine Gegenäußerung verfassen und leitet den Entwurf anschließend an den Bundestag weiter. Dieses Verfahren stellt sicher, dass der Bundesrat frühzeitig in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden wird, auch wenn er nicht selbst Initiator ist.
Problem
Fehlende Beteiligung des Bundesrats
Ein Klausurklassiker ist die Frage, ob eine Umgehung der Beteiligung des Bundesrats zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führt. Eine solche Umgehung ist möglich, indem die Bundesregierung Gesetzesinitiativen durch Mitglieder ihrer Fraktionen, also aus der Mitte des Bundestages, einbringen, geht dieses direkt dem Bundestag zu, ohne vorherige Stellungnahme des Bundesrats. Dies führt aber aus zwei Gründen nicht zur Verfassungswidrigkeit: Erstens können Abgeordnete nicht daran gehindert werden, sich den Entwurf einer anderen Stelle zu eigen zu machen. Zweitens wird der Bundesrat später im Verfahren beteiligt (Art. 77 II, 78 GG).
b) Gesetzentwurf durch den Bundesrat
Gesetzentwürfe, die vom Bundesrat selbst eingebracht werden, sind gemäß Art. 76 III GG zunächst der Bundesregierung zur Stellungnahme zuzuleiten, bevor sie dem Bundestag zugehen. Auch dies dient der Wahrung eines kooperativen, föderalen Dialogs.
Wird ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages eingebracht, entfällt die vorherige Beteiligung des Bundesrats oder der Bundesregierung. Der Antrag wird direkt in den Bundestag eingebracht, wo er in der Regel zunächst zur Beratung auf die Tagesordnung einer Plenarsitzung gesetzt und dann zur ersten Lesung aufgerufen wird.
c) Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages
Wenn ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages kommt, wird dieser direkt dem Bundestag zugeleitet, ohne vorherige Stellungnahme des Bundesrats oder der Bundesregierung.
2. Hauptverfahren
Nach dem Einleitungsverfahren folgt das Hauptverfahren.
Dieses besteht aus der ordnungsgemäßen Beratung durch den Bundestag, dem Gesetzesbeschluss und der ordnungsgemäßen Beteiligung des Bundesrates.
a) Ordnungsgemäße Beratung
Nach Stellungnahme des Bundesrates oder der Bundesregierung (je nachdem, wer die Gesetzesinitiative hatte) berät der Bundestag gemäß §§ 78 ff. GO-BT in drei Lesungen über die Gesetzesvorlage.
Merke
Die GO-BT ist reines Innenrecht mit Satzungscharakter. Es bindet nur die Abgeordneten des Bundestags. Da die GO-BT in der Normenhierarchie unterhalb des Grundgesetzes steht, führt ein Verstoß gegen die GO-BT damit nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.
Ein Verstoß gegen die GO-BT kann ausnahmsweise verfassungsrechtlich relevant sein, wenn zugleich eine Verletzung von Vorschriften des Grundgesetzes vorliegt oder sich der Verstoß auf die Willensbildung des Bundestages in substantieller Weise ausgewirkt hat.
b) Wirksamer Gesetzesbeschluss
Gemäß Art. 77 I 1 GG beschließt der Bundestag über die Gesetzesvorlage. Dabei ist in der Regel eine einfache Mehrheit ausreichend, welche nach Art. 42 II 1 GG vorgesehen ist. Nach Art. 77 I 2 GG muss der Präsident des Bundestages das angenommene Gesetz anschließend unverzüglich an den Bundesrat weiterleiten.
aa) Beschlussfähigkeit
Damit ein wirksamer Gesetzesbeschluss erfolgen kann, muss der Bundestag beschlussfähig sein.
Der Grundsatz der Beschlussfähigkeit ist § 45 I GO-BT normiert. Demnach ist der Bundestag grundsätzlich beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Dabei wird das Vorliegen der Beschlussfähigkeit vermutet, solange kein Antrag einer Fraktion oder von 5 % der Abgeordneten auf Feststellung der Beschlussfähigkeit gestellt wird (§ 45 II GG). Wenn die Beschlussfähigkeit festgestellt wird, hebt der Bundestagspräsident die Sitzung auf.
Merke
Wenn offensichtlich ist, dass weniger als die Hälfte der Mitglieder des Bundestags anwesend ist gilt dies ebenfalls.
Merke
Die Beschlussfähigkeit ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz geregelt, sondern nur in der GOBT. Da aber ein Gesetzesbeschluss mit zu wenigen Abgeordneten gegen das Demokratieprinzip verstoßen würde, steht diese in der Normenhierarchie auf gleicher Ebene wie das Grundgesetz (Verfassungsrang).
bb) Erforderliche Mehrheiten
Nach Art. 42 II GG ist grundsätzlich eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Enthalten werden neutral gewertet.
Zitat
Art. 42 II GG
“Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.”
Bei verfassungsändernden Gesetzen ist gemäß Art. 77 II GG eine Mehrheit von zwei Dritteln erforderlich.
Beispiel
Ein aktuelles Beispiel für ein verfassungsänderndes Gesetz ist die Grundgesetzänderung vom Juni 2022, mit der der Bund ein 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen Bundeswehr“ einrichten durfte. Dazu wurde in Art. 87a ein neuer Absatz 1a eingefügt, der ausdrücklich gestattet, dieses Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung aufzulegen und dabei die Schuldenbremse der Art. 109 III GG und 115 II GG außer Kraft zu setzen. Dieser Eingriff wäre ohne den qualifizierten Mehrheitsvorbehalt des Art. 79 II GG nicht möglich gewesen wäre. Am 3. Juni 2022 stimmten im Bundestag 567 Abgeordnete (weit mehr als die erforderlichen zwei Drittel) für die Änderung. Eine Woche später erteilte auch der Bundesrat mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit seine Zustimmung. Politisch war die Reform eine unmittelbare Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine („Zeitenwende“) und soll langfristig die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr sichern.
c) Ordnungsgemäße Beteiligung des Bundesrates

aa) Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz
Für die ordnungsgemäße Beteiligung des Bundesrates kommt es darauf an, ob es sich um ein Einspruchs- oder ein Zustimmungsgesetz handelt.
Zustimmungsbedürftige Gesetze bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates, ohne diese kommt das Gesetz nicht zustande (Art. 77 II GG). Bei Einspruchsgesetzen hingegen kann der Bundesrat lediglich Einspruch gegen das Gesetz einlegen, der jedoch vom Bundestag zurückgewiesen werden kann (Art. 77 III, IV GG).
Ob es sich um ein Zustimmungsgesetz oder ein Einspruchsgesetz handelt, bestimmt sich nach den materiellen Vorgaben des Grundgesetzes. Zustimmungsbedürftig sind insbesondere Gesetze, die im Grundgesetz ausdrücklich als solche bezeichnet sind.
Beispiel
Art. 84 I 6 GG (Regelung des Verwaltungsverfahrens der Länder durch Bundesgesetz) oder Art. 104a ff. GG (finanzverfassungsrechtliche Bestimmungen)
Im Fall eines Zustimmungsgesetzes ist die ausdrückliche und fristgerechte Zustimmung des Bundesrates erforderlich (Art. 77 II GG). Wird sie verweigert, ist das Gesetz gescheitert. Dagegen kann der Bundestag bei einem Einspruchsgesetz einen etwaigen Einspruch des Bundesrates (Art. 77 III GG) nach Maßgabe des Art. 77 IV GG mit einfacher Mehrheit (bzw. im Fall eines qualifizierten Einspruchs mit absoluter Mehrheit oder Zweidrittelmehrheit) zurückweisen. Das Gesetz kann dann dennoch in Kraft treten.
bb) Vermittlungsverfahren
Zur Vermeidung solcher Blockaden sieht Art. 77 II GG die Einschaltung eines Vermittlungsausschusses vor. Dieser besteht aus je 16 Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. Er kann entweder vom Bundesrat, von der Bundesregierung oder vom Bundestag angerufen werden und hat die Aufgabe, eine Kompromissformel auszuarbeiten. Der Ausschuss hat dabei keine gesetzgeberische Entscheidungsbefugnis, sondern formuliert lediglich Änderungsvorschläge. Diese müssen dann von beiden Seiten (Bundestag und Bundesrat) angenommen werden, um wirksam zu werden.
Damit stellt die Beteiligung des Bundesrates einen zentralen Mechanismus der föderalen Gewaltenteilung dar. Sie gewährleistet die Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung und sichert damit das Prinzip des Bundesstaates nach Art. 20 I GG.
d) Abschlussverfahren
Zuletzt folgt das Abschlussverfahren.
Ein Bundesgesetz, das gemäß den Vorgaben des Grundgesetzes zustande gekommen ist, wird gemäß Art. 82 I 1 GG vom Bundespräsidenten ausgefertigt und anschließend im Bundesgesetzblatt verkündet. Voraussetzung für die Ausfertigung ist die vorherige Gegenzeichnung, die nach Maßgabe von Art. 58 S. 1 GG durch den Bundeskanzler oder den zuständigen Bundesminister zu erfolgen hat.