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Bundespräsident (Art. 54 ff. GG)

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Art. 54 GG
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Art. 56 GG
Art. 1 GG
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Art. 60 GG
Art. 46 GG
Art. 61 GG
Art. 93 GG
Art. 116 GG
Art. 59 GG
Art. 82 GG
Art. 63 GG
Art. 81 GG
Gliederung
  • I. Einleitung

  • II. Rechtliche Stellung

    • a) Stellung im Verfassungsgefüge

    • b) Unabhängigkeit und Neutralität

      • aa) Verfassungsrechtliche Bindungen

      • bb) Verantwortlichkeit und Kontrolle

  • III. Wahl des Bundespräsidenten, Art. 54 GG

    • 1. Persönliche Voraussetzungen, Art. 54 I 2 GG

    • 2. Wahlvorgang

  • IV. Aufgaben und Befugnisse

    • 1. Repräsentations- und Integrationsfunktion

      • a) Repräsentationsfunktion

      • b) Innerstaatliche Angelegenheiten

      • c) Integrationsfunktion

    • 2. Beurkundungsfunktion

      • a) Rolle im Gesetzgebungsverfahren

      • b) Andere Beurkundungsakte

    • 3. Reservefunktion 

      • a) Vorschlag zur Wahl des Bundeskanzlers, Art. 63 I GG

      • b) Entscheidung über die Ernennung des Bundeskanzlers im Fall des Art. 63 IV 3 GG

      • c) Erklärung des Gesetzgebungsnotstands, Art. 81 GG

    • 4. Prüfungsrechte des Bundespräsidenten

      • a) Formelles Prüfungsrecht 

      • b) Materielles Prüfungsrecht 

      • c) Zweckmäßigkeitsprüfung 

I. Einleitung

Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und damit ein zentrales Verfassungsorgan im Regierungssystem. Obwohl seine Befugnisse im Vergleich zu anderen Verfassungsorganen begrenzt erscheinen, nimmt er eine wichtige Rolle im politischen und staatsrechtlichen System ein. Seine Aufgaben sind vor allem repräsentativer und integrativer Natur, daneben erfüllt er jedoch auch rechtlich bedeutsame Funktionen, etwa bei der Ausfertigung von Gesetzen, der Ernennung von Bundesbeamten und der Auflösung des Bundestages unter bestimmten Voraussetzungen.
Die verfassungsrechtliche Stellung des Bundespräsidenten ist geprägt vom Grundsatz der politischen Neutralität und der formalen Zurückhaltung. Seine Kompetenzen können aber in bestimmten Situationen von großer praktischer und verfassungsrechtlicher Bedeutung sein, so etwa bei Regierungskrisen, wenn Gesetze überprüft werden müssen oder im Zusammenhang mit einer Vertrauensfrage.. Die dafür relevanten Vorschriften sind in den Artikeln 54 ff. GG normiert.

II. Rechtliche Stellung

Die Rolle des Bundespräsidenten ist geprägt von der Bindung an die Verfassung, politischer Zurückhaltung und einem begrenzten, aber wichtigen Kompetenzbereich im Regierungssystem.

a) Stellung im Verfassungsgefüge

Der Bundespräsident ist gemäß Art. 54 ff. GG das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und damit eines der obersten Verfassungsorgane. Er verkörpert als Staatsoberhaupt die Einheit des Staates und steht protokollarisch an der Spitze des Staates. 

Eine hierarchische Über- oder Unterordnung zwischen Bundespräsident und anderen Organen besteht jedoch nicht, es gibt keine offizielle Rangordnung zwischen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht und Bundespräsident. Vielmehr hat jedes dieser Organe eigenständige Aufgaben. Der Bundespräsident ist auch keiner der drei klassischen Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) zuzurechnen. Er wird als eine „Gewalt sui generis“ angesehen, die außerhalb der alltäglichen Staatsgewalt steht. Seine Rolle liegt jenseits der Tagespolitik. Entsprechend nimmt er an der laufenden Regierungsarbeit nicht aktiv teil. Diese wird vom Bundeskanzler und der Bundesregierung geführt (Art. 65 GG). Gleichwohl besitzt der Bundespräsident wichtige staatliche Funktionen, insbesondere repräsentativer und integrativer Art.

b) Unabhängigkeit und Neutralität

Der Bundespräsident ist vom Grundgesetz bewusst mit begrenzten politischen Befugnissen ausgestattet worden, als Lehre aus der Weimarer Republik, in der der direkt gewählte Reichspräsident übermäßig mächtig war. 

Der Parlamentarische Rat entschied sich dafür, das Amt beizubehalten, aber dessen Macht zu beschneiden: Der Bundespräsident sollte vor allem als „Repräsentant der Volkseinheit“ fungieren, jedoch möglichst unabhängig von den übrigen Organen gestellt sein und „insbesondere nicht verantwortlich im parlamentarischen Sinne“. So darf er nach Art. 55 GG weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft angehören und keine weiteren besoldeten Ämter ausüben. Diese Unvereinbarkeiten sichern die neutrale Stellung des Amtes. Traditionell lassen alle Bundespräsidenten zudem eine bestehende Parteimitgliedschaft für die Dauer ihrer Amtszeit ruhen, um parteipolitische Neutralität zu gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass der Bundespräsident gegenüber den anderen Verfassungsorganen eine ausgleichende, überparteiliche Rolle einnimmt. Er soll im politischen Prozess Distanz zu parteipolitischen Zielen wahren und als eine neutrale Kraft (pouvoir neutre) wirken. Konkret bedeutet das etwa, dass der Bundespräsident auch einen politischen Gegner zum Bundeskanzler ernennen muss, wenn dieser verfassungsgemäß vom Bundestag gewählt wurde, und dass er die Ausfertigung von Gesetzen nicht aus rein politischen Gründen verweigern darf. Insgesamt kommt dem Bundespräsidenten die Aufgabe zu, den Staat im Gesamten zu repräsentieren und integrativ auf die Gesellschaft einzuwirken, ohne selbst Tagespolitik zu betreiben.

aa) Verfassungsrechtliche Bindungen

Trotz seiner herausgehobenen Stellung ist der Bundespräsident an die Verfassung gebunden wie jedes staatliche Organ. Art. 1 III GG stellt klar, dass die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung unmittelbar binden. Der Bundespräsident als Teil der öffentlichen Gewalt unterliegt also den Grundrechten. Ebenso bestimmt Art. 20 III GG für die Exekutive die Bindung an Gesetz und Recht. Der Bundespräsident schwört bei Amtsantritt (Art. 56 GG), das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen. Dementsprechend unterliegt auch sein Handeln dem Rechtsstaatsprinzip und damit der Bindung an Verfassung und Gesetze. Insbesondere ist der Bundespräsident kein autonomer Gesetzgeber. Er darf Gesetze nicht nach eigenem Ermessen verhindern oder durchsetzen, sondern muss die verfassungsmäßigen Verfahren achten.

bb) Verantwortlichkeit und Kontrolle

Der Bundespräsident ist kein politisch verantwortliches Organ im parlamentarischen Regierungssystem. Anders als die Bundesregierung ist er keiner parlamentarischen Kontrolle durch Misstrauensvotum o. Ä. unterworfen. Er bedarf nicht des kontinuierlichen Vertrauens der Volksvertretung. Diese Unabhängigkeit wird institutionell durch das Instrument der Gegenzeichnung abgesichert: Nach Art. 58 GG müssen alle Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten, damit sie gültig sind, vom Bundeskanzler oder dem zuständigen Bundesminister gegengezeichnet werden. Unter diesen Begriff fallen sämtliche rechtserheblichen Akte des Bundespräsidenten, etwa die Ernennung von Amtsträgern, Gnadenerlasse oder die Ausfertigung von Gesetzen. Durch die Gegenzeichnung wird die Maßnahme in die parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung überführt. Der Bundespräsident selbst bleibt politisch neutral und parlamentarisch nicht verantwortlich, während die Regierung die politische Verantwortung für seine amtlichen Handlungen trägt. Dieses Prinzip stellt sicher, dass der Bundespräsident keine wichtigen Staatsakte ohne Rückbindung an eine demokratisch verantwortliche Instanz vornehmen kann.
Auf der rechtlichen Ebene genießt der Bundespräsident für die Dauer seiner Amtszeit Immunität wie ein Abgeordneter des Bundestages (Art. 60 IV GG i.V.m. Art. 46 GG). Das bedeutet, dass strafrechtliche Ermittlungen oder Klagen gegen ihn während der Amtsausübung nur mit Zustimmung des Bundestages zulässig sind. Damit soll die Würde und Handlungsfähigkeit des Amtes vor unbegründeter Verfolgung geschützt werden. Für Fälle gravierenden Fehlverhaltens sieht das Grundgesetz jedoch das Anklageverfahren nach Art. 61 GG vor: Verletzt der Bundespräsident vorsätzlich das Grundgesetz oder ein anderes Bundesgesetz, können Bundestag oder Bundesrat ihn beim Bundesverfassungsgericht anklagen. Für die Einleitung eines solchen Präsidentenklage-Verfahrens ist ein Antrag von mindestens einem Viertel der Mitglieder von Bundestag oder Bundesrat erforderlich. Zur formellen Erhebung der Anklage bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit in dem antragstellenden Organ. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Anklage und kann, falls es den Verstoß feststellt, den Bundespräsidenten seines Amtes entheben.
Zudem kann er auch Beteiligter in einem Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG) sein, sowohl aktiv- als auch passivlegitimiert.

III. Wahl des Bundespräsidenten, Art. 54 GG

Die Wahl des Bundespräsidenten ist in Art. 54 GG geregelt und stellt einen eigenständigen Wahlvorgang außerhalb des allgemeinen parlamentarischen Prozesses dar. 

1. Persönliche Voraussetzungen, Art. 54 I 2 GG

Welche persönlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um als Bundespräsident gewählt werden zu können, regelt Art. 54 I 2 GG.


Demnach kann für das Amt des Bundespräsidenten gewählt werden, wer Deutscher im Sinne des Art. 116 I GG ist, das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das 40. Lebensjahr vollendet hat. Damit gelten strengere Anforderungen als etwa für das passive Wahlrecht zum Bundestag (dort: Mindestalter 18 Jahre). Ziel ist es, das Amt einer Person mit einem gewissen Maß an Lebenserfahrung und politischer Reife vorzubehalten.

2. Wahlvorgang

Gewählt wird der Bundespräsident von der Bundesversammlung, einem besonderen Verfassungsorgan, das ausschließlich zu diesem Zweck zusammentritt (Art. 54 I 1 GG).

Gemäß Art. 54 III GG besteht die Bundesversammlung aus allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages sowie der gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Landtagen gewählt werden. Die von den Landtagen entsandten Mitglieder müssen keine Abgeordneten sein, häufig werden auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens benannt. Ziel ist eine möglichst breite gesellschaftliche Repräsentation. Die Anzahl der Delegierten eines jeden Landes richtet sich nach seiner Bevölkerungszahl.

Der Bundespräsident wird ohne Aussprache mit mehr als der Hälfte der Stimmen der Bundesversammlung gewählt (Art. 54 VI 1 GG). Wird diese absolute Mehrheit im ersten Wahlgang nicht erreicht, findet ein zweiter Wahlgang statt. Gelingt auch dort keine absolute Mehrheit, so entscheidet im dritten Wahlgang die einfache Mehrheit (Art. 54 VI 2 GG).
Die Amtszeit beträgt fünf Jahre (Art. 54 II GG), eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. Der Bundespräsident darf gemäß Art. 55 GG kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keine Mitgliedschaft in einer Regierung oder gesetzgebenden Körperschaft innehaben, um die Unabhängigkeit des Amtes zu sichern.


Die Wahl des Bundespräsidenten ist damit bewusst vom Tagesgeschäft der Legislative und Exekutive abgekoppelt. Sie soll die parteipolitische Neutralität des Staatsoberhaupts unterstreichen und die besondere Integrationsfunktion des Amtes betonen.

IV. Aufgaben und Befugnisse

Die Aufgaben und Befugnisse des Bundespräsidenten lassen sich im Wesentlichen in 3 Funktionen unterteilen: Die Repräsentations- und Integrationsfunktion, die Beurkundungsfunktion und die Reservefunktion.

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1. Repräsentations- und Integrationsfunktion

Eine der zentralen Aufgaben des Bundespräsidenten besteht in seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion.

a)

Als Staatsoberhaupt verkörpert er die staatliche Einheit der Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen. Diese Rolle ist eng mit seiner verfassungsrechtlich verankerten politischen Neutralität verbunden: Der Bundespräsident steht bewusst außerhalb der tagespolitischen Auseinandersetzungen und ist keinem politischen Lager verpflichtet und ist regelmäßig nicht parteipolitisch aktiv. Diese parteipolitische Distanz ermöglicht es ihm, als Integrationsfigur in einem pluralistischen Gemeinwesen zu wirken und gesellschaftliche Gruppen zu verbinden, anstatt sie gegeneinander zu stellen. Seine Äußerungen und Handlungen sollen das Gemeinwohl fördern und Orientierung stiften, ohne politische Macht im engeren Sinne auszuüben.

b) Repräsentationsfunktion

In der Praxis zeigt sich die Repräsentationsfunktion vor allem in öffentlichen Auftritten, bei der Teilnahme an staatlichen Zeremonien, durch Ansprachen zu besonderen Anlässen und nicht zuletzt durch Auslandsbesuche, bei denen der Bundespräsident die Bundesrepublik völkerrechtlich vertritt. Diese Vertretungskompetenz ergibt sich aus Art. 59 I GG, wobei sie im Sinne des Art. 59 II GG und Art. 65 GG keine eigenständige Außenpolitik umfasst, diese bleibt der Bundesregierung vorbehalten. Der Bundespräsident unterzeichnet völkerrechtliche Verträge, allerdings nur nach vorheriger Zustimmung von Bundestag und gegebenenfalls Bundesrat. Seine Außenwirkung ist somit stark symbolisch, jedoch nicht unwesentlich für das internationale Ansehen der Bundesrepublik.

c) Innerstaatliche Angelegenheiten

Auch im Inneren erfüllt der Bundespräsident eine Vielzahl symbolischer Aufgaben. Dazu zählen etwa die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen sowie die Ausübung des Begnadigungsrechts gemäß Art. 60 II GG. Letzteres ist Ausdruck humanitärer Staatlichkeit und unterstreicht die persönliche Verantwortung des Bundespräsidenten, auch wenn die Entscheidung nicht frei von politischen Implikationen ist. Durch solche Akte zeigt sich das Staatsoberhaupt als moralische Instanz, die über dem politischen Alltagsgeschehen steht.

d) Integrationsfunktion

Seine integrative Wirkung entfaltet der Bundespräsident zudem durch das Einnehmen einer vermittelnden, beruhigenden und mahnenden Rolle in gesellschaftlichen Krisen oder Spannungsphasen. Historisch haben sich Bundespräsidenten wiederholt als Mahnende zur Mäßigung oder Versöhnung in schwierigen politischen Zeiten positioniert. Gerade weil sie keiner politischen Verantwortung im engeren Sinne unterliegen, können sie auf die politische Kultur einwirken, ohne sie aktiv zu steuern.
Insgesamt macht die Repräsentations- und Integrationsfunktion den Bundespräsidenten zu einer Identifikationsfigur des Staates. Durch seine Stellung und seine Aufgaben wahrt er die Kontinuität des Verfassungslebens und verleiht dem staatlichen Handeln einen Rahmen von Würde, Legitimität und Zusammenhalt.

2. Beurkundungsfunktion

Neben seinen integrativen und repräsentativen Aufgaben nimmt der Bundespräsident eine zentrale rechtliche Funktion im Gesetzgebungsverfahren sowie bei der Ernennung von Amtsträgern ein, die Beurkundungsfunktion. Sie umfasst vor allem die Ausfertigung von Gesetzen gemäß Art. 82 I GG, stellt aber auch auf weitere beurkundende und bestätigende Akte wie Ernennungen und Entlassungen ab.

a) Rolle im Gesetzgebungsverfahren

Im Rahmen der Gesetzgebung ist es Aufgabe des Bundespräsidenten, ein nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenes Gesetz formell zu vollenden. Dies erfolgt durch die Ausfertigung durch ihn und die anschließende Verkündung im Bundesgesetzblatt. Voraussetzung ist die vorherige Gegenzeichnung durch den zuständigen Bundesminister oder den Bundeskanzler, gemäß Art. 58 GG. Die Ausfertigung markiert damit die letzte staatliche Instanz im Gesetzgebungsverfahren und verleiht dem Gesetz erst seine verbindliche Geltung.
Allerdings ist die Rolle des Bundespräsidenten in Bezug auf seine Prüfungsrechte dabei nicht unumstritten. Dazu später genauer.
Bei einer Weigerung des Bundespräsidenten, ein Gesetz auszufertigen, kann gegen ihn ein Organstreitverfahren erhoben werden.

b) Andere Beurkundungsakte

Über die Gesetzgebung hinaus umfasst die Beurkundungsfunktion auch die Ernennung und Entlassung von Verfassungsorganen und anderen Amtsträgern, insbesondere die von Bundeskanzler und Bundesministern (Art. 63, 64 GG) sowie von Bundesbeamten, Richtern und Soldaten des Bundes (Art. 60 I GG). Auch diese Akte erfordern in der Regel eine Gegenzeichnung und sind formal ausgestaltet. Der Bundespräsident handelt hier nicht eigeninitiativ, sondern vollzieht verfassungsrechtlich vorgesehene Personalentscheidungen, die durch andere Organe vorbereitet und verantwortet werden.

3. Reservefunktion 

Die Reservefunktion des Bundespräsidenten umfasst eine Reihe von Kompetenzen, die er regelmäßig nur in politischen Ausnahmesituationen oder Verfassungskrisen wahrnimmt. Diese Aufgaben treten also nicht im Rahmen des alltäglichen Regierungshandelns in Erscheinung, sondern stellen eine Art verfassungsrechtliche „Rückfallposition“ dar, die das Funktionieren des Staatsapparats auch in instabilen Phasen sichern soll. Der Bundespräsident fungiert hierbei als eine neutrale Schaltstelle, die in bestimmten Situationen ordnend oder stabilisierend eingreifen kann, stets innerhalb der vom Grundgesetz gezogenen Grenzen.

a) Vorschlag zur Wahl des Bundeskanzlers, Art. 63 I GG

Eine besonders zentrale Ausprägung der Reservefunktion ist das Recht, dem Bundestag gemäß Art. 63 I GG einen Kandidaten zur Wahl des Bundeskanzlers vorzuschlagen. Dieses Vorschlagsrecht ist mehr als ein bloßer Formalakt: In Situationen ohne klare Mehrheitsverhältnisse kommt dem Vorschlag des Bundespräsidenten erhebliche politische Bedeutung zu, da er damit maßgeblich Einfluss auf den weiteren Verlauf der Regierungsbildung nehmen kann. Zugleich ist das Vorschlagsrecht jedoch durch das parlamentarische Wahlverfahren begrenzt, es ist letztlich der Bundestag, der über den Kanzler entscheidet.

b) Entscheidung über die Ernennung des Bundeskanzlers im Fall des Art. 63 IV 3 GG

Noch deutlicher wird die Bedeutung der Reservefunktion im Sonderfall des Art. 63 IV GG. Gelingt es dem Bundestag innerhalb von 14 Tagen nach einem gescheiterten Wahlgang nicht, einen Bundeskanzler mit absoluter Mehrheit zu wählen, kann der Bundespräsident entscheiden, ob er den soeben nur mit einfacher Mehrheit Gewählten zum Bundeskanzler ernennt oder den Bundestag auflöst. Diese Entscheidung eröffnet dem Bundespräsidenten eine echte politische Gestaltungsoption. Sie verlangt ein Abwägen zwischen Regierungsbildung und Neuwahlen. Auch hier zeigt sich die Funktion des Amtes als verfassungsrechtlicher Puffer in Krisensituationen.

c) Erklärung des Gesetzgebungsnotstands, Art. 81 GG

Eine weitere Ausprägung der Reservefunktion ist die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands gemäß Art. 81 GG. Scheitert ein Bundeskanzler in der Vertrauensfrage (Art. 68 GG), kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand ausrufen. In der Folge kann der Bundestag in bestimmten Bereichen durch den Bundesrat ersetzt werden. Diese Regelung sichert die Handlungsfähigkeit des Staates in politischen Blockadesituationen, ist aber zugleich an strenge verfahrensrechtliche Voraussetzungen gebunden. Auch hier zeigt sich die zurückhaltende, aber bedeutsame Rolle des Bundespräsidenten als institutionelle Sicherheitsreserve.

4. Prüfungsrechte des Bundespräsidenten

Bei Ausfertigung der Gesetze gemäß Art. 82 GG stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Bundespräsident ein Prüfungsrecht bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des gegenständlichen Gesetzes hat. Dabei ist zwischen einem formellen - und materiellen Prüfungsrecht zu unterscheiden.

a) Formelles Prüfungsrecht 

Ein formelles Prüfungsrecht der (formellen) Verfassungsmäßigkeit des anzufertigenden Gesetzes des Bundespräsidenten besteht dabei unstreitig. Es wird aus dem Wortlaut des Art. 82 GG hergeleitet. 


Zitat

Art. 82 GG

“Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet.”

Da die Vorschriften zur formellen Verfassungsmäßigkeit klar im Grundgesetz geregelt sind, besteht bei diesen kein großer Wertungsspielraum und formelle Fehler können meist rechtssicher bestimmt werden.

b) Materielles Prüfungsrecht 

Ob daneben auch ein materielles Prüfungsrecht besteht, ergibt sich ebenfalls nicht direkt aus dem Wortlaut des Gesetzes. Im Gegensatz zum formellen Prüfungsrecht besteht dieses aber nicht unstreitig.

Merke

Materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten 

Umstritten ist, ob der Bundespräsident neben dem formellen auch ein materielles Prüfungsrecht innehat.

  • E.A.: Nach einer Ansicht steht dem Bundespräsidenten ein materielles Prüfungsrecht zu. Begründet wird diese Ansicht mit der Bindung aller Staatsorgane an das Grundgesetz nach Art. 1 III GG und Art. 20 III GG. Dies drückt sich auch im Amtseid (Art. 56 GG) aus. Zudem bestehe eine unvermeidbare Verknüpfung von formellen- und materiellen Prüfungsrecht.

  • A.A.: Eine andere Ansicht lehnt ein materielles Prüfungsrecht ab. Hier wird historisch argumentiert und zwar mit einem Vergleich zur Stellung des Reichspräsidenten zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung. Dieser zeigt, dass die Bedeutung der Position heute deutlich geringer ist. Anders als im heutigen Grundgesetz fehlten zudem wirksame “Checks and Balances”: Zwar konnte der Reichstag den Reichskanzler abwählen, doch der Reichspräsident hatte die Macht, diesen jederzeit zu ernennen und zu entlassen, ohne auf ein parlamentarisches Vertrauensverhältnis angewiesen zu sein. Dies wird so ausgelegt, dass die Rechte weniger umfassend sein sollen und in diesem Zuge auch kein materielles Prüfungsrecht bestehe. Zudem wird mit der systematischen Stellung des Art. 82 I GG am Ende des Gesetzgebungsverfahrens argumentiert. Diese systematische Normierung spreche nur für ein formelles Prüfungsrecht. Weiterhin habe nur das Bundesverfassungsgericht die Verwerfungskompetenz für Parlamentsgesetze.

  • H.M.: Die herrschende Meinung stellt eine vermittelnde Ansicht dar: Es soll ein materielles Prüfungsrecht bestehen, aber nur bei evidenten, also klaren und schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Verstößen. Der Bundespräsident darf in diesen Fällen die Ausfertigung verweigern, ist jedoch nicht befugt, eine umfassende inhaltliche Kontrolle vorzunehmen, um das Gleichgewicht der Verfassungsorgane zu wahren. Begründet wird dies mit der Verfassungsbindung des Bundespräsidenten (Art. 1 III, Art. 20 III GG) und der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Ausfertigung als letzte Kontrolle vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes. Zugleich soll durch die Begrenzung auf evidente Fälle verhindert werden, dass der Bundespräsident die Rolle des Bundesverfassungsgerichts übernimmt. Er darf aber gleichzeitig nicht zu Verfassungsverstößen gezwungen sein.

Dieser Meinungsstreit zählt zu den absoluten Standardproblemen und muss beherrscht werden. Gerade in Klausuren im Grundstudium wird dies sehr regelmäßig Gegenstand der Prüfung sein. Stelle die Meinungen und Argumente sauber dar und argumentiere dabei für die herrschende Meinung. Da sich die Positionen der ersten Ansicht und der herrschenden Meinung überschneiden, brauchst du im Wesentlichen nur gegen die zweite Ansicht argumentieren und dann diese mit den Argumenten der herrschenden Meinung auf evidente Verstöße einschränken.

c) Zweckmäßigkeitsprüfung 

Dabei besteht auch keine sachliche oder politische Zweckmäßigkeitsprüfung. Eine solche wird aber teils naturgemäß bei der Erfüllung der Reservefunktion mitverwirklicht.

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