Dieser Artikel beschäftigt sich mit den im BGB geregelten Rechtfertigungsgründen. Aufgrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung sind die Rechtfertigungsgründe im BGB, die etwa eine Schadensersatzpflicht ausschließen können, auch im Strafrecht anwendbar. Von besonderer Bedeutung sind die Selbsthilferechte.
I. Notwehr und rechtfertigende Notstände im BGB
Auch im BGB hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen, in § 227 BGB die gebotene Notwehrhandlung zu legalisieren. Nicht widerrechtlich und damit auch im Rahmen des Zivilrechts folgenlos ist jede Handlung, die durch Notwehr geboten ist. § 227 BGB spielt in der strafrechtlichen Fallbearbeitung keine Rolle, vielmehr sollte man immer mit § 32 StGB arbeiten.
Gleiches gilt für den in § 228 BGB geregelten Defensivnotstand, sowie für den Aggressivnotstand gemäß § 904 BGB. Auch hier gilt vorrangig die Anwendbarkeit des § 34 StGB. Der in § 228 BGB durch die Negativformulierung des Gesetzgebers (”nicht außer Verhältnis”) verankerte Rechtsgedanke, dass das Eingriffsgut weniger schützenswert ist, wenn die Gefahr von diesem ausgeht, ist auch auf § 34 StGB übertragbar und muss entsprechend im Rahmen der dortigen Argumentation um die Angemessenheit der Notstandshandlung aufgegriffen werden.
II. Selbsthilfe nach § 229 BGB
Für die Klausurbearbeitung von deutlich höherer Relevanz ist die Selbsthilfe zur Anspruchssicherung nach §§ 229, 230 BGB. Sie stellt eine Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols durch einen Privaten dar, der unter strengen Voraussetzungen zur Sicherung einer gefährdeten Forderung befugt ist. Wie alle Rechtfertigungsgründe setzt sich die Selbsthilfe nach § 229 StGB aus der Rechtfertigungslage (Selbsthilfelage), der Rechtfertigungshandlung (Selbsthilfehandlung) und dem subjektiven Rechtfertigungselement zusammen.

1. Einredefreier zivilrechtlicher Anspruch
Zunächst muss ein tatsächlich einredefreier zivilrechtlicher Anspruch vorliegen. Ist der in Selbsthilfe Handelnde nicht der Anspruchsinhaber, muss er rechtsgeschäftlicher Vertreter sein.
Klausurtipp
Das bedeutet, dass an dieser Stelle eine Stellvertreterprüfung nach den BGB AT-Regeln vorgenommen werden muss, wenn Anspruchsinhaber und Handelnde auseinanderfallen.
2. Gefahr der Vereitelung oder Erschwerung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs
Zweite Voraussetzung ist die Gefährdung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs. Typische Anwendungsfälle sind hier die Flucht nach der Verursachung eines Schadens, wenn der Angriff also bereits nicht mehr gegenwärtig ist.
3. Staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen
Ferner darf obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen sein. Ist etwa die Polizei in der Nähe oder ist eine einstweilige Verfügung ohne weitergehende Gefährdung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu erreichen, muss das Gewaltmonopol des Staates geachtet werden.
4. Selbsthilfehandlung
Hauptfälle der Selbsthilfehandlung sind die Wegnahme einer Sache (etwa Wegnahme von Autoschlüsseln, um die Flucht zu verhindern) sowie die Festnahme bei Fluchtverdacht durch physische Gewalt.
Allerdings stellt § 230 BGB strenge Grenzen der Selbsthilfe auf, in denen sich die Selbsthilfehandlung bewegen muss. Die Selbsthilfe darf niemals weiter gehen, als zur Abwendung der Gefahr erforderlich. Da es sich im Rahmen des § 229 BGB um die Gefahr der Vereitelung der Anspruchsdurchsetzung handelt, ist immer nur die Sicherung des Anspruchs erlaubt, nicht die eigenmächtige Befriedigung durch den Selbsthilfeübenden.
Beispiel
So darf der Radfahrer, der eine Schramme in das Auto gefahren hat, zwar festgehalten werden, allerdings darf sich an seinem Eigentum nicht befriedigt werden (etwa Wegnahme der Geldscheine aus Geldbörse etc.).
5. Subjektives Rechtfertigungselement
Zuletzt muss das subjektive Rechtfertigungselement in Form des Selbsthilfewillens vorliegen. Der Täter muss Kenntnis von den Voraussetzungen der Selbsthilfe haben, also die Selbsthilfelage erkennen und zusätzlich nur zum Zwecke der Anspruchssicherung gehandelt haben.
Merke
Ist zwischen den Parteien streitig, ob oder in welcher Höhe ein Anspruch besteht (etwa der Fahrpreis der Taxifahrt), liegt zunächst kein Fall der Selbsthilfe vor. Vielmehr hat der Betroffene ein Hilfsanspruch aus § 242 BGB auf Mitteilung von Name und Anschrift. Insofern sich die andere Partei jedoch etwa durch Flucht diesem Hilfsanspruch entziehen will, kann der Betroffene im zweiten Schritt Selbsthilfe zur Sicherung der Durchsetzung dieses Anspruchs üben.
III. Besitzwehr und Besitzkehr
Von größerer Bedeutung im Strafrecht ist auch die Selbsthilfe des Besitzers (§ 859 BGB) in Form der Besitzwehr (§ 859 I BGB) und der Besitzer (§ 859 II BGB).

Merke
Näheres zum Besitzschutz, sowie Beispielfälle findest du in diesem Artikel.