Die betriebliche Übung ist ein beliebtes Problem in Klausuren mit arbeitsrechtlichem Einschlag. Du solltest sie also kennen und verstanden haben - in der Sache ist sie aber nicht komplex.
I. Definition
Definition
Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus der die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweise gewährten Leistungen oder Vergünstigungen auch künftig auf Dauer gewährt werden sollen.
II. Voraussetzungen
1. Rechtsgrundlage
Die Vornahme einer betrieblichen Übung stellt ein Angebot des Arbeitgebers dar, das gemäß § 151 BGB durch den Arbeitnehmer auch ohne Erklärung angenommen werden kann. Der Anspruch ergibt sich dann aus § 611a II BGB i.V.m. den Grundsätzen der betrieblichen Übung.
Merke
Dies ist die sogenannte Vertragstheorie des BGH. Teilweise wird in der Literatur das Entstehen der betrieblichen Übung auch durch § 242 BGB begründet. Hiernach setzt der Arbeitgeber durch eine mehrmalige Leistung einen Vertrauenstatbestand, den er nicht willkürlich aufheben kann. Dieser Konstruktion bedarf es jedoch nicht, wenn sich schon ein konkludenter Vertragsschluss herleiten lässt.
2. Entstehen
Eine betriebliche Übung führt dann zu einem Anspruch des Arbeitnehmers, wenn
aus Sicht eines objektiven Arbeitnehmers
ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers vorzuliegen scheint.
Merke
Die Rechtsprechung hat dabei im Kontext von Weihnachtsgeldzahlungen einen Zeitraum von 3 Jahren geprägt. Nach 3-maliger Leistung kann der Arbeitnehmer also davon ausgehen, dass sich der Arbeitgeber verpflichten will und auch im vierten Jahr eine Zahlung leisten wird. Außerdem muss die Leistung „gleichförmig“ sein, das heißt ungefähr den gleichen Betrag haben, da andernfalls kein Verpflichtungswille bezüglich einer konkreten Höhe angenommen werden kann. Zudem muss die Leistung einen „kollektiven Bezug“ aufweisen - das heißt an die ganze Belegschaft oder an eine aufgrund von nachvollziehbaren Kriterien abzugrenzende Teilgruppe gezahlt werden.
Kein Verpflichtungswille kann angenommen werden, wenn sich der Arbeitgeber
die Freiwilligkeit seiner Leistung vorbehält oder
wenn er diese „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ vornimmt.
III. Beispiele
1. Betriebliche Übung
Beispiel
Sachverhalt
Arbeitgeber zahlt bereits im dritten Jahr in Folge Weihnachtsgeld an seine Arbeitnehmer. Im nächsten Jahr will der Arbeitgeber nichts mehr von der Zahlung des Weihnachtsgelds wissen. Haben die Arbeitnehmer auch im vierten Jahr einen Rechtsanspruch auf das Weihnachtsgeld?
Lösung
I. Anspruch entstanden
Durch dreimalige Zahlung des Weihnachtsgelds ohne Vorbehalt gibt der Arbeitgeber ein Angebot im Sinne des § 151 BGB ab. Somit entsteht aufgrund stillschweigender Vertragsänderung ein arbeitsvertraglicher Anspruch auf künftige Leistung (§ 611a II BGB i.V.m. den Grundsätzen der betrieblichen Übung).
II. Anspruch erloschen
Der Anspruch auf die betriebliche Übung könnte erlöschen, wenn der Arbeitgeber einen Anfechtungsgrund hat. Dieser könnte darin liegen, dass er sich über die bindende Wirkung der betrieblichen Übung geirrt hat. Darin liegt jedoch lediglich ein unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt.
2. 2. Aufhebung einer betrieblichen Übung
Problem
Kann eine betriebliche Übung durch gegenläufige betriebliche Übung aufgehoben werden?
Grundsätzlich (+), aber nur im Wege der Vertragsänderung (Vertragstheorie). Wird etwa Weihnachtsgeld nach Entstehen einer betrieblichen Übung unter Freiwilligkeitsvorbehalt bezahlt, stellt die widerspruchslose dreimalige Entgegennahme keine (konkludente) Annahme der geänderten betrieblichen Übung dar (§ 308 Nr. 5 BGB).
Vielmehr muss der Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent der Aufhebung der betrieblichen Übung zustimmen. Eine Fiktion der widerspruchslosen Entgegennahme als Erklärung wäre nur dann denkbar, wenn der Arbeitnehmer eindeutig und nachweisbar auf den Erklärungsinhalt des Schweigens hingewiesen worden wäre.
Eine Betriebsvereinbarung, die betriebliche Übungen aufhebt, scheitert am Günstigkeitsprinzip, da sie nachteiliger ist für den Arbeitnehmer als der Arbeitsvertrag, aus dem sich ja gerade ein Anspruch auf die betriebliche Übung ergibt.