Neben § 985 BGB und den Ansprüchen aus dem EBV gemäß §§ 987 ff. BGB, kann aus dem Eigentum ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 I BGB bestehen. Dieser wird als actio negatoria bezeichnet und gilt bei Beeinträchtigungen von Eigentum und dinglichen Rechten, teilweise in Verbindung mit den entsprechenden Verweisen auf § 1004 BGB in den Normen spezifischer dinglicher Rechte (§§ 1065, 1134, 1227 BGB). Demgegenüber gilt bei Störungen von Name und Besitz die actio quasi negatoria gemäß §§ 12, 862 BGB.
I. Zweck
Der Zweck des § 1004 BGB besteht darin, den Schutz des Eigentümers vor Beeinträchtigungen des Eigentums, die nicht in einer Besitzentziehung bestehen, zu gewährleisten. Auch sollen bestehende Beeinträchtigungen beseitigt werden.
Das heißt:
Besteht die Beeinträchtigung des Eigentums in der Entziehung des Besitzes, ist § 985 BGB einschlägig.
Bei sonstigen Beeinträchtigungen des Eigentums stellt § 1004 I BGB die richtige Anspruchsgrundlage dar.

Dem § 1004 I BGB sind zwei Anspruchsgrundlagen zu entnehmen:
§ 1004 I 1 BGB zielt auf die Aufhebung eines bestehenden Zustands (Beseitigung)
§ 1004 I 2 BGB zielt auf die Vermeidung künftiger Beeinträchtigungen (Unterlassung)
II. Aktiv- und Passivlegitimation
Aktivlegitimiert ist der jeweilige Eigentümer, beziehungsweise der jeweilige Inhaber der beeinträchtigten Rechtsposition bei einer analogen Anwendung des § 1004 I BGB. Es handelt es sich um einen dinglichen Rechtsverwirklichungsanspruch.
Passivlegitimiert ist der Störer. Es sind zwei Arten von Störern zu unterscheiden: der Handlungs- und der Zustandsstörer.
Definition
Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung unmittelbar oder mittelbar verursacht hat. Zustandsstörer ist, von wessen Willen die Beseitigung der Beeinträchtigung oder ihre künftige Unterlassung abhängt.
Naturkräfte allein begründen die Störereigenschaft noch nicht. Vielmehr muss menschliches Verhalten die Gefahr der Beeinträchtigung geschaffen haben und bei wertender Betrachtung die Haftung rechtfertigen.
Beispiel
Jemand hat durch seine Grundstücksnutzung oder ein Unterlassen (etwa einen morschen Baum zu fällen) die Schädigung durch Naturkräfte ermöglicht.
Bei mehreren Störern entsteht gegen jeden ein separater (unabhängiger) Abwehranspruch.
Beispiel
Abwehransprüche gegen den lärmenden Mieter (unmittelbarer Handlungsstörer) und seinen Vermieter (mittelbarer Handlungsstörer), wenn er das Verhalten seines Mieters nach dem Inhalt des Mietvertrags verhindern könnte.
III. Beseitigungsanspruch, § 1004 I 1 BGB
1. Voraussetzungen
Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB (analog) setzt
eine aktuelle Beeinträchtigung des Eigentums (oder einer durch § 823 I BGB geschützten Rechtsposition) und
einen rechtswidrigen Störerzustand voraus.
Ein Verschulden des Störers ist nicht erforderlich.
Definition
Eine Beeinträchtigung des Eigentums (Störerzustand) liegt vor, wenn ein tatsächlicher Zustand dem Inhalt des Eigentumsrechts im Sinne des § 903 BGB zuwiderläuft.
Demgegenüber steht die sogenannte Usurpationstheorie. Hiernach liegt eine Beeinträchtigung des Eigentums vor, wenn jemand eine fremde Rechtsposition usurpiert. Dies geschieht dadurch, dass ein Dritter eine Herrschaftsposition im Verhältnis zu der Sache einnimmt, die ihm nicht zusteht, indem er auf die Sache einwirkt oder die Einwirkungen Dritter nicht verhindert. Der Usurpationstheorie wird jedoch entgegengehalten zu inkonsistenten Ergebnissen zu führen und den Eigentumsschutz einzuschränken.
Sogenannte negative Einwirkungen, stellen keine Eigentumsbeeinträchtigung dar und begründen damit auch keinen Anspruch aus § 1004 I 1 BGB. Mit negativen Einwirkungen ist gemeint, dass jemand durch ein Verhalten auf seinem eigenen Grundstück einem anderen Grundstück Vorteile entzieht. Die Hauptfälle negativer Einwirkungen bestehen in der Entziehung von Licht und Luft, der Beeinträchtigung der Aussicht oder der Störung des Fernsehempfangs durch den „Schatten“ von Hochhäusern. Sie sind in der Regel Folge einer zulässigen Nutzung des „störenden“ Grundstücks.
Außerdem muss es sich um eine aktuelle Beeinträchtigung handeln. Beseitigt der Eigentümer die Beeinträchtigung selbst (Selbstvornahme), endet die Störung. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB scheidet aus.
Da es sich bei der Beseitigung, zu der ein anderer verpflichtet ist, um ein auch-fremdes Geschäft aus Sicht des Eigentümers handelt, schuldet der ehemalige Störer, sofern ein Fremdgeschäftsführungswillen des Eigentümers besteht, nach GoA-Vorschriften Aufwendungsersatz (§§ 683 S. 1, 670 BGB) oder den Ersatz der ersparten Aufwendungen (§§ 684 S. 1, 818 II BGB). Liegen die Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht vor, schuldet der Störer dem Eigentümer aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB den Ersatz der ersparten Aufwendungen (Aufwendungskondiktion).
IV. Rechtsfolge
Sind die Voraussetzungen des § 1004 I 1 BGB erfüllt, richtet sich der Anspruch auf der Rechtsfolgenseite auf die Ursachenbeiseitigung. Er zielt auf die Beseitigung der Ursache einer fortdauernden Störung. Demgegenüber zielt ein (verschuldensabhängiger!) Schadensersatzanspruch auf die Kompensation oder Rückgängigmachung der bereits eingetretenen Folgen einer Störung im Wege der Naturalrestitution. Probleme können auftreten, wenn die Folge einer Beeinträchtigung ihrerseits die Ursache weiterer Beeinträchtigungen ist.
Beispiel
Beispiel
Durch einen Dammbruch wird Land unter Wasser gesetzt und Erdreich abgeschwemmt. Wegen der Vernichtung seiner Ernte hat ein Bauer Einkommensverluste.
Was kann er aus § 1004 I BGB verlangen?
Der Beispielfall verdeutlicht, dass die Abgrenzung zwischen Ursachen und Folgen äußerst schwierig sein kann. Unstreitig hat der Bauer keinen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns. Ein solcher könnte lediglich im Wege des verschuldensabhängigen Schadensersatzes geltend gemacht werden, da es sich um die Folge einer Störung handelt. Er könnte einerseits nur Anspruch auf die Schließung der Dammlücke haben. Teilweise wird nämlich vertreten, dass der Störer nur den actus contrarius des störenden Verhaltens schuldet.
Andererseits könnte man aber auch überlegen, ob darüber hinaus auch die Trockenlegung des Landes und/ oder die Erneuerung des Erdreichs geschuldet ist. Dagegen spricht jedoch, dass es sich hierbei schon eher um die Beseitigung von Folgen handelt.
V. Unterlassungsanspruch, § 1004 I 2 BGB
Dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB kommt eine hohe Praxisrelevanz zu.
1. Voraussetzungen
Der Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB (analog) setzt eine drohende Beeinträchtigung des Eigentums (oder einer durch § 823 I BGB geschützten Rechtsposition) voraus. Außerdem muss die Störungshandlung rechtswidrig sein. Wie beim Anspruch aus § 1004 I 1 BGB ist auch im Rahmen des § 1004 I 2 BGB kein Verschulden erforderlich.
Nach dem Wortlaut des § 1004 I 2 BGB kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen, wenn „weitere“ Beeinträchtigungen seines Eigentums zu besorgen sind. Dies impliziert, dass der Anspruch ebenfalls voraussetzt, dass bereits eine Beeinträchtigung eingetreten ist. Der Unterlassungsanspruch ist jedoch entgegen des Wortlauts des § 1004 I 2 BGB auch schon vor der ersten Beeinträchtigung einschlägig. Dies folgt aus dem Zweck des § 1004 I 2 BGB, der darin besteht einen möglichst wirksamen Schutz des Eigentümers vor Beeinträchtigungen zu gewährleisten.
Da § 1004 I 2 BGB bereits vor der ersten Beeinträchtigung Anwendung finden kann, ist zwischen zwei Anspruchsrichtungen zu differenzieren:
a) Verletzungsunterlassungsanspruch
Der Verletzungsunterlassungsanspruch ist einschlägig, wenn bereits Beeinträchtigungen eingetreten sind. Er setzt eine Wiederholungsgefahr voraus.
Definition
Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn eine in der Vergangenheit erfolgte Beeinträchtigung die tatsächliche Vermutung dafür begründet, dass sich die Beeinträchtigung wiederholt.
Sie entfällt in der Regel durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Eine solche wird häufig bei Beleidigung, Verleumdung oder illegalem Streaming versendet. Der Schädigen erklärt, ein bestimmtes Verhalten künftig zu unterlassen und stimmt zu, dass ihm andernfalls eine Vertragsstrafe droht.
b) Vorbeugender Unterlassungsanspruch
Der vorbeugende Unterlassungsanspruch findet Anwendung, wenn objektive Umstände darauf hindeuten, dass eine erste Beeinträchtigung unmittelbar bevorsteht. Er setzt damit eine Erstbegehungsgefahr voraus.
Die Erstbegehungsgefahr muss im Einzelfall konkret dargetan werden.
Beispiel
Der Störer nimmt eine Befugnis zu der fraglichen Verhaltensweise für sich in Anspruch, sodass mit ihrer Verwirklichung zu rechnen ist (sogenannte „Berührung“).
2. Rechtsfolge
Liegen die Voraussetzungen des § 1004 I 2 BGB vor, richtet sich der Anspruch auf der Rechtsfolgenseite auf die Unterlassung der bevorstehenden Beeinträchtigung.
3. Ausschluss nach § 1004 II BGB
Sowohl der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB als auch der Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB ist nach § 1004 II BGB ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
a) Duldungspflichten

b) Nachbarrechtliche Duldungspflichten
Besonders klausurrelevant sind die nachbarrechtlichen Duldungspflichten aus:
§§ 906 I 1, 909, 910 II, 912 I, 917 I 1 BGB,
§ 14 BImSchG,
Nachbarrechtlichem Gemeinschaftsverhältnis sowie
Überragenden Allgemeinwohlbelangen.
Beachte dabei, dass das nachbarrechtliche oder auch nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis kein gesetzliches Schuldverhältnis darstellt. Es begründet lediglich die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen den Nachbaren aus § 242 BGB. Dieses Gebot der Rücksichtnahme zwischen den Nachbarn, kann etwa dazu führen, dass zum Zwecke der Vermeidung von Beeinträchtigungen durch Tabakrauch vereinbart werden muss, wann auf dem Balkon geraucht werden darf. Im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist außerdem zu beachten, dass §§ 906 ff. BGB und etwaige Hausordnungen vorrangig sind.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir die §§ 906 I 1, 909, 910 II, 912 I, 917 I 1 BGB als relevante Duldungspflichten neben den § 1004 II BGB kommentieren.
Beispiel
Fall 1
E und N sind Eigentümer zweier Grundstücke. Auf dem Grundstück des N steht ein Baum, dessen Wurzeln in das Grundstück des E wachsen,
ohne weitere Schäden anzurichten
und dort eine Abwasserleitung zerstören.
Was kann E tun?
Lösung
E könnte die Wurzeln, die in sein Grundstück wachsen im Rahmen eines Selbsthilferechts nach § 910 I 1 BGB abschneiden. Nach § 910 II BGB steht ihm dieses Recht jedoch nicht zu, wenn die Wurzeln die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen.
E könnte gegen N einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB, gerichtet auf die Beseitigung der Wurzeln geltend machen. Dies setzt eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Eigentums voraus. Eine solche ist in Gestalt der Wurzeln, die in das Grundstück des E wachsen gegeben. Der Anspruch aus § 1004 I 1 BGB ist jedoch nach § 1004 II BGB ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist. Eine Duldungspflicht ergibt sich hier aus § 910 II BGB.
E könnte gegen N einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB, gerichtet auf die Beseitigung der Wurzeln, haben. Die Wurzeln, die in das Grundstück des E wachsen und dort eine Abwasserleitung zerstören, begründen eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Eigentums des E an der Abwasserleitung. Der Anspruch ist auch nicht nach § 1004 II BGB ausgeschlossen. Er richtet sich auf die Beseitigung der Wurzeln im Rahmen einer Ursachenbeseitigung. Ein darüber hinaus gehender Anspruch des E auf Reparatur der Abwasserleitung kann sich nur aus dem (verschuldensabhängigen) Deliktsrecht ergeben.
Beispiel
Fall 2
E und N sind Eigentümer zweier Grundstücke. Auf dem Grundstück des N steht ein Baum, der regelmäßig Laub abwirft, das auf das Grundstück des E fällt.
Besteht eine Duldungspflicht des E?
Lösung
Eine Duldungspflicht des E könnte sich aus § 906 I 1 BGB ergeben. Hiernach ist der Eigentümer zur Duldung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnlicher von einem Grundstück ausgehender Einwirkungen verpflichtet, soweit sie die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen.
Die Laubblätter könnten „ähnliche Einwirkungen“ im Sinne des § 906 I 1 BGB sein. Bei den aufgezählten Einwirkungen handelt es sich um unkörperliche Einwirkungen (sogenannte Imponderabilien). Laubblätter sind zwar körperliche Stoffe, sie haben jedoch nur ein geringes Gewicht.
Letztlich ist für § 906 I 1 BGB entscheidend, dass die Einwirkungen unkontrollierbar sind und sich nicht beherrschen lassen. Der Laubfall lässt sich nicht beherrschen. Laubblätter sind unkontrollierbare, körperliche Stoffe geringen Gewichts. Damit sind Laubblätter Immissionen im Sinne des § 906 I 1 BGB.
Nach objektivem Maßstab unter umfassender Interessenabwägung ist zu bestimmen, ob die Immissionen unwesentlich sind. Hiernach stellt ein gewöhnlicher Laubfall eine unwesentliche Einwirkung dar. Er ist gemäß § 906 I 1 BGB zu dulden.
Weitere Bespiele für „ähnliche Einwirkungen“ im Sinne des § 906 I 1 BGB sind Bienen, Staub, Nadeln, Blüten und elektromagnetische Felder.
Beispiel
Fall 3
E und N sind Eigentümer zweier Grundstücke. Auf dem Grundstück des N ist es ohne dessen Verschulden zu einem Wasserbruch gekommen. Das Grundstück des E wird überschwemmt.
Hat E gegen N einen Anspruch aus § 1004 I 1 BGB?
Lösung
Ein Beseitigungsanspruch des E gegen N aus § 1004 I 1 BGB setzt voraus, dass eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt. Diese besteht in der Überschwemmung des Grundstücks. Der Anspruch könnte jedoch nach § 1004 II BGB ausgeschlossen sein. Dies ist der Fall, wenn eine Duldungspflicht des E besteht.
Eine solche könnte sich aus § 906 I 1 BGB ergeben. Dies setzt voraus, dass es sich bei Wasser um einen unwägbaren, unbeherrschbaren Stoff handelt. Wasser ist, wenn auch begrenzt körperlich, beherrschbar. Damit handelt es sich um einen wägbaren Stoff, auf den § 906 I 1 BGB keine Anwendung findet. Eine Duldungspflicht aus § 906 I 1 BGB scheidet aus.
E hat einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB gegen N.
Beispiel
Fall 4
N baut auf seinem Grundstück ein Haus. Dem Vermessungsingenieur unterläuft ein Messfehler, sodass das Haus - für N unerkennbar - in das Grundstück des E hineinreicht.
Stehen E Ansprüche zu?
Lösung
E könnte gegen N einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB gegen E haben. Der Überbau stellt eine aktuelle, rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung dar. Auch ist E Störer, sodass die Voraussetzungen des § 1004 I 1 BGB erfüllt sind.
Der Beseitigungsanspruch könnte jedoch nach § 1004 II BGB ausgeschlossen sein. Dies ist der Fall, wenn eine Duldungspflicht besteht. Eine solche könnte sich aus § 912 I BGB ergeben.
Hiernach hat der Nachbar den Überbau zu dulden, wenn dieser ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit errichtet wurde. Man spricht dann von einem entschuldigten Überbau.
Da der Messfehler für den N unerkennbar war, fallen ihm weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last. Damit ist E gemäß § 912 I BGB zur Duldung verpflichtet. Aufgrund der Duldungspflicht scheidet ein Beseitigungsanspruch des E nach § 1004 II BGB aus.
E hat aber aus § 912 II 1 BGB einen Anspruch auf eine Geldrente und aus § 915 I BGB einen Anspruch auf Abkauf. Deliktische Ansprüche werden durch § 912 II 1 BGB verdrängt.
Bei einem entschuldigten Überbau wird der Überbauende gemäß § 95 I 2 BGB analog Eigentümer des Überbaus. Der entschuldigte Überbau ist von dem unentschuldigten Überbau abzugrenzen. Dieser entsteht vorsätzlich oder infolge grober Fahrlässigkeit und begründet dementsprechend keine Duldungspflicht nach § 912 I BGB. Mangels Duldungspflicht besteht ein Beseitigungsanspruch des Grundstückseigentümers, in dessen Grundstück der Überbau ragt, aus § 1004 I 1 BGB. Auch wird der schuldhaft Überbauende nicht Eigentümer des Überbaus.
VI. Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB
Der Nachbar, der die Beeinträchtigung seines Eigentums dulden muss und damit wegen § 1004 II BGB keinen Beseitigungsanspruch hat, erhält als Ausgleich einen Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB.
Beispiel
Fall
E und N sind Eigentümer zweier Grundstücke. Auf dem Grundstück des N ist es ohne dessen Verschulden zu einem Wasserrohrbruch gekommen. Das Grundstück des E wird überschwemmt. Als E Kenntnis hiervon erlangt, ist das Rohr bereits abgedichtet und das Wasser versickert.
Welche Ansprüche hat E gegen N?
Lösung
Ein Beseitigungsanspruch des E gegen N aus § 1004 I 1 BGB scheidet aus, da es an einer aktuellen Beeinträchtigung des Eigentums fehlt. Die Störung ist nämlich schon durch Abdichtung des Rohrs beseitigt. Die Störungsquelle kann nicht mehr stören. E könnte einen Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB gegen N haben. Ein solcher setzt voraus, dass eine Pflicht zur Duldung des Wassers bestand. Da § 906 I 1 BGB bei Störungen durch Wasser nicht einschlägig ist, ist keine Duldungspflicht des E ersichtlich. E hat somit keinen Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB gegen N.
Da E jedoch bis zur Beseitigung der Störung einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB hatte, den er jetzt nicht mehr geltend machen kann, erscheint dieses Ergebnis nicht sachgerecht. Aus diesem Grund kommt ein Entschädigungsanspruch des E gegen N aus § 906 II 2 BGB analog in Betracht. E war nämlich nicht in der Lage den Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB rechtzeitig geltend zu machen. Er war faktisch zur Duldung verpflichtet. Auf einen solchen faktischen Duldungszwang ist § 906 II 2 BGB analog anwendbar. Bei Unzumutbarkeit des Wasserzuflusses hat E gegen N damit einen Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB analog. Dieser richtet sich auf einen angemessenen Ausgleich in Geld.
Der Entschädigungsanspruch aus § 906 II 2 BGB analog ergibt sich ferner:
Bei Einwirkungen durch Grobimmissionen, zum Beispiel Steinbrocken
Wenn die Störungsbeseitigung aus rechtlichen Gründen, zum Beispiel wegen einer besonderen Duldungspflicht, ausscheidet.
Der Anspruch aus § 906 II 2 BGB analog setzt voraus:
Von einem Grundstück gehen rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück aus,
Die der Eigentümer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss
Aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 I BGB unterbinden kann,
Sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.
Beispiel
Fall
Handwerker H führte am Haus des E mithilfe eines Brenners Heißklebearbeiten durch und verursachte schuldhaft die Entstehung eines Glutnestes unter den aufgeschweißten Bahnen. Der alarmierten Feuerwehr gelang es nicht, das Haus zu retten. Es brannte vollständig nieder. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde das Haus des Nachbarn N erheblich beschädigt.
Hat N gegen E einen Anspruch aus § 906 II 2 BGB analog?
Lösung
N hat gegen N einen Anspruch auf Entschädigung aus § 906 II 2 BGB analog, wenn er ursprünglich einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB gehabt hätte, aber faktisch zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet war. Ein Anspruch des N gegen E aus § 1004 I 1 BGB setzt voraus, dass E Störer war. Da der Brand durch den H verursacht wurde, ist die fraglich. Anders als im Polizeirecht folgt die Störereigenschaft nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Grundstückseigentümer nach wertender Betrachtung für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist. Der Grundstückseigentümer ist verantwortlich, wenn ihm die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks zurechenbar ist. Wesentliche Zurechnungskriterien liegen hierbei in der Veranlassung, der Gefahrenbeherrschung und der Vorteilsziehung.
Da E den H beauftragt hat, liegt eine Veranlassung vor. Damit hat E die Beeinträchtigung des N durch den H in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht, ist mittelbarer Handlungsstörer.
VII. Konkurrenzen
Die Ansprüche aus § 1004 I BGB werden durch andere Anspruchsgrundlagen oder Rechtsbehelfe im Wege der Spezialität verdrängt.
Spezieller sind:
§ 985 BGB auf Herausgabe
§ 894 BGB auf Zustimmung zur Grundberichtigung
§ 771 ZPO als Drittwiderspruchsklage
§ 805 I Hs. 2 ZPO als Klage auf vorzugsweise Befriedigung.