I. Einleitung
Als Repräsentanten des Volkes wirken die Bundestagsabgeordneten an der politischen Willensbildung und der Gesetzgebung des Bundes mit. Ihre verfassungsrechtliche Stellung ist dabei besonders ausgestaltet, um eine unabhängige und effektive Wahrnehmung des Mandats zu gewährleisten.
Das Grundgesetz garantiert den Abgeordneten dazu spezifische Rechte und schützt sie vor unzulässigen Einflüssen und staatlichen Eingriffen. Diese Rechte sind Ausdruck des freien Mandats nach Art. 38 I 2 GG und werden durch weitere verfassungsrechtliche Garantien, insbesondere in den Art. 46 bis 48 GG, ergänzt. Die dort verankerten Schutzmechanismen, wie Indemnität, Immunität und besondere Zeugnisverweigerungsrechte, dienen der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments und der unabhängigen Arbeit seiner Mitglieder.

II. Das freie Mandat, Art. 38 I 2 GG
Zitat
Art. 38 I 2 GG
“Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.”
Art. 38 I 2 GG bestimmt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes“ sind, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ und „nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Dieses sogenannte freie Mandat ist eine verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsstellung der Abgeordneten und gewährleistet deren Unabhängigkeit bei der Ausübung ihres Mandats und damit deren Effektivität.
1. Die Rechte aus Art. 38 I 2 GG

a) Rechtsnatur
Das freie Mandat ist zum einen ein subjektives öffentliches Recht jedes Abgeordneten, zugleich aber auch eine objektiv-rechtliche Institutsgarantie für die Funktionsfähigkeit des Bundestages und der Demokratie im Sinne des Art. 20 GG. Es unterscheidet sich damit vom imperativen Mandat, bei dem Abgeordnete rechtlich an Weisungen der Wähler oder einer Partei gebunden wären.
b) Inhalt
Aus dem freien Mandat werden bestimmte Rechte der Abgeordneten abgeleitet. Die wichtigsten dieser Rechte sind:
Das Teilnahmerecht
Das Rederecht
Das Antragsrecht
Das Anfragerecht
Abstimmungsrecht
Das Recht der Fraktionsbildung (i.V.m. § 10 GO-BT)
Das Recht auf einen Sitz in einem Ausschuss (aber ohne Stimmrecht)
Diese Rechte können jedoch unter Umständen durch andere Regelungen zum Geschäftsgang (z. B. die GO-BT) eingeschränkt werden.
c) Grenzen
Allgemein ist die Freiheit des Mandats nicht grenzenlos gewährleistet, sondern wird in verschiedener Weise eingeschränkt. Dies geschieht vor allem durch das Parteiprinzip, das Effektivitätsprinzip (und Fraktionsprinzip) und das Prinzip der Spiegelbildlichkeit. Alle Maßnahmen müssen dabei verhältnismäßig sein, womit sie praktische Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind.
aa) Parteiprinzip
In der Realität sind Abgeordnete meist Mitglieder einer Partei und verdanken ihr häufig ihre Kandidatur und Wahl. Das führt zu parteiinternen Bindungen und Erwartungen (Fraktionsdisziplin), die zwar faktisch Einfluss nehmen, rechtlich aber keine strikte Weisungsgebundenheit begründen.
bb) Effektivitätsprinzip / Fraktionsprinzip
Damit der Bundestag arbeitsfähig ist, schließen sich Abgeordnete in Fraktionen zusammen. Diese organisieren den parlamentarischen Ablauf, koordinieren Abstimmungen und stärken die Mehrheitsbildung. Die daraus resultierende Fraktionsdisziplin ist zulässig, solange sie die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten nicht zu stark einschränkt, bzw. vollständig aufhebt.
cc) Prinzip der Spiegelbildlichkeit
Ausschüsse und andere parlamentarische Gremien müssen die Mehrheitsverhältnisse des Bundestags widerspiegeln. Das kann die Freiheit einzelner Abgeordneter begrenzen, da Fraktionszugehörigkeit und Mehrheitsbildung bei der Sitzvergabe maßgeblich sind.
Ergänzende Ausführungen dazu folgen im weiteren Verlauf des Artikels.
2. Fraktionen und Parteien
Im Regelfall sind Abgeordnete des Bundestages sowohl Mitglied in einer Partei als auch Teil einer Fraktion im Bundestag.
a) Parteimitgliedschaft der Abgeordneten
Zunächst soll es dabei um die parteirechtlichen Aspekte bezüglich der Abgeordnetenrechte und der Rechte der Parteien im Allgemeinen gehen.
Abgeordnete sind in der Regel Mitglieder in einer politischen Partei. Was eine Partei ist, regelt § 2 I PartG.
Demnach ist eine Partei ein am Verfassungsleben beteiligter, aber im Innenverhältnis privatrechtlicher Verein.
In der Literatur wird betont, dass die Parteizugehörigkeit keinesfalls die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Abgeordneten beeinträchtigt. Vielmehr geht mit dem freien Mandat aus Art. 38 I 2 GG ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Status einher. Demnach dürfen Abgeordnete nicht an Aufträge oder Weisungen der Partei gebunden sein, sondern sind „nur ihrem Gewissen unterworfen“. Dies schließt eine formale Mitgliedschaft in einer Partei nicht aus, sondern betont deren freiheitliche Basis trotz parteiorientierter politischer Praxis.
b) Parteiausschluss des Abgeordneten
Ein Thema, welches in diesem Kontext relevant werden kann, ist der Parteiausschluss eines Abgeordneten.
Nach § 10 IV PartG kann „ein Mitglied nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt“.
Diese Vorschrift schützt die Mitgliedschaft als Grundlage innerparteilicher Mitwirkung und verhindert willkürliche Parteiausschlüsse.
Für genauere Informationen zum Parteiausschluss siehe hier.
c) Fraktionen
Neben der Mitgliedschaft in einer Partei sind Abgeordnete (bis auf wenige Ausnahmen) Mitglied einer Fraktion im Bundestag.
Die Möglichkeit der Fraktionsbildung ist in § 10 GO-BT normiert.
Nach § 10 I 1 GO-BT sind Fraktionen Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen.
§ 10 I 2 GO-BT regelt ergänzend dazu, dass ein Zusammenschluss, welcher abweichend von Satz 1 erfolgt, der Anerkennung der Fraktion durch den Bundestag bedarf.
aa) Rechtsnatur
Fraktionen sind ein Teilorgan des Bundestages. Es ist aber sehr strittig, welche Rechtsnatur sie haben, da dies bisher nicht rechtlich geregelt ist. Nach wohl herrschender Meinung handelt es sich wohl um einen privatrechtlichen Verein. Argumentiert wird, dass, obwohl Fraktionen im Abgeordnetengesetz (§ 54 AbgG) erwähnt werden, dort keine eigene öffentlich-rechtliche Organisationsform geschaffen wird. Die Vorschrift regelt lediglich, dass sie rechtsfähig sind und klagen/verklagt werden können, ohne ihnen eine hoheitliche Stellung oder besondere öffentlich-rechtliche Rechtsform zuzuweisen. Zudem entstehen Fraktionen durch den freiwilligen Zusammenschluss von Abgeordneten mit gleichgerichteten politischen Zielen. Diese Organisationsform entspricht eher einem Verein als einem staatlich gesteuerten Organ, da Mitglieder Ein- und Austrittsrechte haben und die Struktur auf privatautonomen Entscheidungen basiert.
Teilweise wird demgegenüber vertreten, dass es sich bei Fraktionen um eine öffentlich-rechtliche Vereinigung handle, da § 54 AbgG regelt, dass Fraktionen rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten sind, die klagen und verklagt werden können.
Zitat
§ 54 AbgG:
“(1) Die Fraktionen sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Deutschen Bundestag.
(2) Die Fraktionen können klagen und verklagt werden.
(3) Die Fraktionen sind nicht Teil der öffentlichen Verwaltung; sie üben keine öffentliche Gewalt aus.”
bb) Rechte der Fraktionen
Zitat
§ 55 I AbgG:
“Die Fraktionen wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Deutschen Bundestages mit.”
Die verfassungsrechtliche Basis für die Rechte der Fraktionen bildet vor allem Art. 38 I 2 GG („freies Mandat“) in Verbindung mit dem Demokratie- und Selbstorganisationsprinzip des Parlaments. Das BVerfG hat Fraktionen als „notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens“ und „maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung“ qualifiziert, die „in die organisierte Staatlichkeit eingefügt“ sind und „die parlamentarische Handlungsfähigkeit garantieren“. Daneben finden sich einige Vorschriften in der GO-BT, welche den Fraktionen Aufgaben und Rechte zuweisen.
Die wichtigsten dieser Regelungen in diesem Rahmen sind:
§ 57 GO-BT – Ausschussbeteiligung
§ 75 I i.V.m. § 76 I GO-BT i.V.m Art. 76 GG – Vorlagen und Initiativrechte
§ 85 I GO-BT – Änderungsanträge in der 3. Lesung
§ 89 GO-BT – Anrufung des Vermittlungsausschusses
§ 71 GO-BT – Ältestenrat
cc) Fraktionsdisziplin und -Zwang
Innerhalb des parlamentarischen Alltags unterscheidet man zwischen Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin.
Fraktionszwang bezeichnet formelle Weisungen oder verbindliche Vorgaben, nach denen Abgeordnete ihr Stimmverhalten oder ihre parlamentarischen Aktivitäten unmittelbar an die Mehrheit oder die Führung ihrer Fraktion binden müssen. Ein derartiger Zwang steht jedoch in klarem Widerspruch zum freien Mandat nach Art. 38 I 2 GG, das jede rechtliche Bindung der Abgeordneten durch Fraktionsorgane ausschließt (“nur dem Gewissen unterworfen”). Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass Abgeordnete zwar innerparteiliche Verantwortung tragen, ihre Stimmentscheidung aber ausschließlich ihrem Gewissen und nicht parteiinternen Weisungen unterliegen darf.
Fraktionsdisziplin dagegen beschreibt dagegen das politische Prinzip, nach dem eine Fraktion intern Mehrheitsentscheidungen trifft und ihre Mitglieder zu kollegialem Gehorsam und einheitlicher Mitwirkung motiviert. Hierzu zählen Absprachen über Abstimmungen, Mehrheitsbeschlüsse über Positionen in Ausschüssen oder die Koordinierung gemeinsamer Anträge. Anders als der praktisch verbotene Fraktionszwang durch unzulässige Zwangsmechanismen beruht die Fraktionsdisziplin auf Überzeugungsarbeit, politischer Solidarität und gegebenenfalls dem Androhen innerfraktionärer Sanktionen (etwa Ausschluss aus Postengruppen oder der Spitzenkandidatur), nicht aber auf unmittelbaren rechtlichen Zwangsmechanismen. Auf diese Weise ermöglicht die Fraktionsdisziplin eine funktionierende Kompromissfindung und stärkt die handlungsfähige Einheit der Fraktion, ohne das freie Mandat des Abgeordneten faktisch oder juristisch zu missachten. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu wiederholt betont, dass formelle Zwangsregeln in Parteisatzungen, die Abgeordnete zu einheitlicher Stimmabgabe verpflichten und Sanktionen bis hin zum Mandatsverlust androhen, verfassungswidrig sind, weil sie das freie Mandat unterlaufen. Gleichzeitig hat es klargestellt, dass rein innerparlamentarische Maßnahmen wie der Entzug von Ausschussvorsitzen oder die Nichtnominierung für Listenplätze zwar politisch spürbar, aber nicht rechtsförmig zwingend sind und deshalb das freie Mandat nicht verletzen.
Beispiel
Bei einer Abstimmung zum Klimagesetz ordnet die Fraktionsführung an, dass alle Abgeordneten verpflichtend zustimmen müssen, andernfalls droht der Mandatsverlust. Dies stellt einen Fraktionszwang dar, welcher verfassungswidrig ist.
Diskutiert die Fraktion dagegen intern, beschließt mehrheitlich Zustimmung und überzeugt kritische Abgeordnete durch Argumente oder politische Konsequenzen (z. B. Verlust eines Ausschussvorsitzes), ohne rechtlichen Zwang liegt eine zulässige Fraktionsdisziplin vor.
dd) Fraktionsausschluss
Der Ausschluss eines Abgeordneten aus seiner Fraktion stellt einen besonders tiefgreifenden Eingriff in das freie Mandat dar, da er die wesentlichen Mitwirkungs- und Koordinationsmöglichkeiten innerhalb des Parlaments entzieht. Eine eigenständige Gesetzesgrundlage hierfür existiert nicht, vielmehr leiten Fraktionen ihr Ausschlussrecht aus der Fraktionsautonomie ab, welche wiederum aus Art. 38 I 2 GG (freies Mandat) und Art. 21 GG sowie der Parlamentsautonomie (Art. 40 GG) abgeleitet wird. Auf Bundesebene findet man keine analoge Anwendung der parteirechtlichen Vorschriften (§§ 10 ff. PartG), vielmehr stützen sich die meisten Fraktionen auf eigene Geschäftsordnungen, die sich am Maßstab der verfassungsrechtlich geschützten Parlamentsautonomie orientieren.
aaa) Formelle Voraussetzungen
Formell bedarf ein Fraktionsausschluss stets eines Beschlusses der Fraktionsversammlung, der auf einer vorherigen schriftlichen Ankündigung und der Möglichkeit zur Stellungnahme des Betroffenen beruht. In den meisten Fraktionsordnungen ist zudem eine Frist von mindestens drei Tagen zwischen Bekanntgabe des Ausschlussantrags und der Abstimmung vorgesehen. Häufig ist eine qualifizierte Mehrheit, etwa zwei Drittel der Mitglieder, erforderlich. Diese Vorgaben sollen sicherstellen, dass das Verfahren nicht politischer Willkür, sondern einem nachvollziehbaren und demokratischen Entscheidungsprozess folgt. Diese Voraussetzungen ergeben sich aus der Fraktionsautonomie, der Rechtsprechung und den allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien, vor allem dem Demokratieprinzip.
bbb) Materielle Voraussetzungen
Materiell muss ein „wichtiger Grund“ vorliegen, der den parteiinternen Konsens oder die Vertrauensgemeinschaft der Fraktion in ihrem Kern berührt. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des freien Mandats. Hierzu zählen etwa gravierende Abweichungen von zentralen programmatischen Leitlinien, nachhaltige Blockade innerer Arbeitsabläufe oder schwerwiegende Vertrauensbrüche. Ein bloß politisch unliebsames Abstimmungsverhalten genügt regelmäßig nicht. Das BVerfG betont den Schutz der Funktionsfähigkeit der Fraktion und der gegenseitigen Vertrauensbasis als Kernkriterium. Nicht zuletzt ist klarzustellen, dass ein Parteiausschluss allein keine unmittelbare Grundlage für einen Fraktionsausschluss darstellt; beide Verfahren sind strikt zu trennen und unterliegen jeweils eigenständigen Anforderungen.
Vernetztes Lernen
Die Verfahren des Parteiausschlusses und des Fraktionsausschlusses ähneln sich sehr, aber bedingen sich nicht zwangsweise gegenseitig.
Gegen einen Fraktionsausschluss kann der betroffene Abgeordnete den Rechtsweg des Organstreitverfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG beschreiten. Dabei überprüft das Bundesverfassungsgericht insbesondere, ob die verfahrensrechtlichen Mindeststandards eingehalten und die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes hinreichend festgestellt wurden. Das BVerfG ist dabei bei der materiellen Prüfung sehr zurückhaltend und überprüft primär die Wahrung der Mindeststandards und nimmt keine inhaltliche politische Bewertung vor. Auch ein einstweiliger Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG ist möglich, um während des Hauptsacheverfahrens die Teilhaberechte zu sichern. Dabei können schon formelle Versäumnisse, etwa eine unterbliebene Anhörung oder fehlende Diskussionsmöglichkeit, zum Erfolg des Organstreitverfahrens führen.
ee) Fraktionslose Abgeordnete
Auch Abgeordnete, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören, genießen das volle Rede‑ und Stimmrecht im Plenum, ihre Einflussmöglichkeiten sind aber strukturell reduziert. Die parlamentarische Vorentscheidung erfolgt weit überwiegend in den Ausschüssen (§ 62 I 2 GO‑BT). Dort sind fraktionslose Abgeordnete nach § 57 II 2 GO‑BT lediglich beratende Mitglieder ohne Stimmrecht. Da das Stimmrecht im Ausschuss ein zentrales Teilhaberecht ist, berührt dieser Ausschluss das freie Mandat (Art. 38 I 2 GG) und die aus Wahlrechtsgleichheit und Demokratieprinzip folgende Abgeordnetengleichheit.
Das Bundesverfassungsgericht hält die Differenzierung jedoch für gerechtfertigt: Ausschüsse sollen ein „verkleinertes Spiegelbild“ des Plenums sein. Gäbe man dem einzelnen fraktionslosen Abgeordneten dort eine Stimme, würde er mangels weiterer gleichgesinnter Mitglieder überproportional ins Gewicht fallen, weil er im Ausschuss die gleiche Stimmkraft wie eine ganze Fraktion hätte, obwohl er im Plenum nur eine einzelne Stimme repräsentiert. Das würde das parlamentarische Mehrheitsverhältnis verfälschen Damit besteht zwar ein Eingriff, dieser wird aber durch das legitime Ziel, das Mehrheits‑ und Minderheitsverhältnis des Plenums sachgerecht abzubilden, verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Die praktische Folge ist, dass fraktionslose Abgeordnete ihre Mitwirkungsrechte vor allem durch Redebeiträge, Stellungnahmen und Öffentlichkeitsarbeit wahrnehmen müssen. Ihre Situation verdeutlicht zugleich, weshalb der Zusammenschluss zu einer Fraktion, trotz des freien Mandats, faktisch unerlässlich ist, um im parlamentarischen Prozess vollwertig Einfluss nehmen zu können.
III. Abgeordnetenrechte aus Art. 46 - 48 GG
Neben den Rechten aus dem freien Mandat sowie der Partei- und Fraktionszugehörigkeit werden Abgeordneten vom Grundgesetz noch weitere Rechte zugewiesen. Diese sind vor allem in den Art. 46 - 48 GG normiert.
1. Indemnität und Immunität, Art. 46 GG
In Art. 46 GG sind zwei eigenständige Schutzmechanismen, die Indemnität und Immunität, normiert. Ihr Ziel ist es, die Unabhängigkeit der Abgeordneten sicherzustellen und jeden Anschein politisch motivierter Eingriffe seitens Exekutive oder Judikative auszuschließen.
a) Indemnität, Art. 46 I GG
Die Indemnität gewährt Abgeordneten Schutz davor, für ihre im Bundestag oder in seinen Ausschüssen getätigten Erklärungen und Abstimmungsentscheidungen im Nachgang zivil- oder strafrechtlich belangt zu werden. Dieser Ausschluss betrifft sämtliche gerichtlichen Verfahren, von Schadenersatzklagen bis zu Strafanzeigen, soweit sie sich auf parlamentarische Äußerungen oder Abstimmungen beziehen. Einzig persönlichkeits- oder ehrverletzende Delikte ohne parlamentarischen Bezug bleiben hiervon unberührt. Ihr Wirkungskreis beschränkt sich dabei auf Handlungen im Plenum oder in Ausschüssen, nicht jedoch auf außerdienstliche Äußerungen. Umfasst ist also jede parlamentarische Tätigkeit, die in Ausübung des Mandats erfolgt (kann auch in Fraktionssitzungen oder vorbereitenden Gesprächen sein). Die Indemnität gilt über das Ende der Legislaturperiode hinaus und kann weder durch den Bundestag noch durch ein Gericht aufgehoben werden.
b) Immunität, Art. 46 II - IV GG
Im Gegensatz zur unauflöslichen Indemnität ist die Immunität ein aufgeschobenes Strafverfolgungshindernis: Für strafrechtliche Ermittlungen oder Freiheitsentziehungen ist zuvor die ausdrückliche Erlaubnis des Bundestages einzuholen. Eine Ausnahme besteht nur bei „auf frischer Tat“ ertappten Abgeordneten oder ihrer Festnahme innerhalb des folgenden Tages. Zudem gilt es für zusammenhängende Verwaltungsmaßnahmen (z. B. Hausdurchsuchungen). Das Verfahren zur Aufhebung der Immunität ist innerparlamentarisch geregelt: Die Staatsanwaltschaft informiert den Bundestagspräsidenten, der die Angelegenheit an den zuständigen Ausschuss verweist. Nach Empfehlung durch diesen entscheidet das Plenum, ohne inhaltliche Schuldprüfung, über den Fortgang des Verfahrens.
Merke
Anders als bei der Indemnität findet hier keine Einschränkung statt. Ziel der Immunität ist der Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments, nicht des Abgeordneten als Person.
c) Systematischer Zusammenhang
Während die Indemnität als absoluter Haftungs- und Strafverfolgungsausschluss fungiert, stellt die Immunität eine relative Hemmschwelle dar, die auf Gesuche hin aufgehoben werden kann. Beide Normen ergänzen sich dabei, da die Indemnität das freie Reden und die Willensbildung im Parlament sichert und die Immunität die physische und rechtliche Handlungsfähigkeit der Abgeordneten schützt und verhindert, dass Ermittlungen das Mandat erschweren oder verzögern.
2. Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot, Art. 47 GG
Abgeordnete dürfen über alle Personen und Tatsachen, die ihnen in Ausübung ihres Mandats anvertraut wurden (einschließlich näherer Umstände wie Ort oder Zeit, soweit sie Rückschlüsse auf ihre parlamentarische Tätigkeit zulassen), in jedem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren das Zeugnis verweigern. Entsprechend darf keine Behörde Schriftstücke konfiszieren, die solche vertraulichen Mitteilungen enthalten. Dieser Schutz entsteht mit dem Amtsantritt, gilt bis über das Lebensende hinweg und kann nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden.
IV. Mandatsverlust
Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht in einem Parteiverbotsverfahren führt unmittelbar zum Verlust aller Mandate der Abgeordneten, die dieser Partei zwischen Antragstellung und Urteilsverkündung angehörten. Diese Regelung ist gesetzlich in § 46 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 4 BWahlG verankert. Bei direkt gewählten Mandatsträgern wird in den betroffenen Wahlkreisen nach § 44 II-IV BWahlG eine Neuwahl angesetzt, während Listenmandate ersatzlos entfallen. Formell tritt der Mandatsverlust erst mit dem Beschluss des Ältestenrats nach § 47 I Nr. 2 BWahlG in Kraft. Betroffene können hiergegen im Wahlprüfungsverfahren nach § 47 III BWahlG vorgehen