Dieser Artikel behandelt die Untreue nach § 266 StGB. In Klausuren bis zum Ersten Staatsexamen ist dieser Straftatbestand immer wieder relevant. So sind die Abgrenzung zur Unterschlagung nach § 246 StGB sowie zivilrechtliche Bezüge häufig wichtig in der Klausur (insbesondere im Examen). Letztere kommen in Betracht, wenn sich die strafrechtlichen Sanktionen aus zivilvertraglichen bzw. zivilgesetzlichen Pflichtverletzungen ergeben.
Es ist sinnvoll, vor diesem Artikel den Artikel zum Betrug nach § 263 StGB durchzuarbeiten. Dabei ist insbesondere der Abschnitt zur Systematik relevant, um die Differenzierung von Eigentums- und Vermögensdelikten zu verstehen.
Zur Verdeutlichung, um welche Art von Fällen es bei dem § 266 StGB geht, dient folgender Beispielsfall (mit bewusst sehr kurzer Lösung!):
Beispiel
P ist Prokurist eines Unternehmens und darf das Unternehmen nach außen voll vertreten.
Er hat die Aufgabe, für die Firma Rohstoffe zu marktüblichen Preisen einzukaufen.
Um einem befreundeten Händler einen Vorteil zu verschaffen, kauft P bei diesem Ware zu einem deutlich überhöhten Preis, obwohl günstigere Angebote vorliegen.
Das Unternehmen muss den Vertrag erfüllen und erleidet dadurch einen Vermögensnachteil.
P verletzt seine Vermögensbetreuungspflicht, indem er seine Prokura für ein objektiv nachteiliges Geschäft missbraucht.
Dadurch fügt er dem Unternehmen einen Vermögensnachteil zu.
P macht sich folglich nach § 266 StGB strafbar.
I. Allgemeines
Die Untreue steht im 22. Abschnitt des StGB “Betrug und Untreue”. Das geschützte Rechtsgut ist (nur) das Vermögen. Dieses wird geschädigt, indem der Täter eine besondere Vertrauensstellung, welche ihm gerade zur Betreuung des Vermögens des Geschädigten eingeräumt wurde, ausnutzt.
Bei der Untreue handelt es sich um ein Vergehen i.S.d. § 12 II StGB und nicht um ein Verbrechen i.S.d. § 12 I StGB, sodass sich die Versuchsstrafbarkeit nicht aus § 12 I StGB i.V.m. § 23 I Hs. 1 StGB ergibt. Auch eine extra angeordnete Versuchsstrafbarkeit ist in § 266 StGB nicht geregelt. Der Versuch ist folglich nicht strafbar.
1. Systematik
§ 266 StGB ist ein eigener Grundtatbestand.
Der Tatbestand besteht aus zwei Varianten: der Missbrauchstatbestand (Var. 1) und der Treubruchstatbestand (Var. 2). In der Klausur sollte immer zunächst die erste Tatvariante geprüft werden, da diese spezieller ist und (nach herrschender Meinung) als lex specialis zur zweiten Tatvariante gilt. Auf den Treubruchstatbestand muss folglich ohnehin nur eingegangen werden, wenn der Missbrauchstatbestand nicht erfüllt ist.
SR_BT_§ 266_1_Schaubild
Ansonsten wird die Systematik der verschiedenen Straftatbestände im 22. Abschnitt des StGB bereits im Artikel zu § 263 StGB dargestellt.
2. Prüfungsschema
SR_BT_§ 266_2_Schema
II. Tatbestand
1. {{a}} Objektiver Tatbestand
Wie schon oben ausgeführt muss zunächst eine der beiden Tatvarianten des § 266 StGB (Missbrauch oder Treubruch) erfüllt sein. Dazu muss ein Taterfolg, der Eintritt eines Vermögensschadens vorliegen.
2. {{aa}} Tathandlung: § 266 I Var. 1 StGB: Missbrauchstatbestand
3. {{aaa}} Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis für fremdes Vermögen
Zunächst muss eine Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis für fremdes Vermögen vorliegen.
Definition
Eine Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis ist eine nach außen wirkende Rechtsmacht, rechtsgeschäftlich oder hoheitlich auf fremdes Vermögen einzuwirken oder eine schuldrechtliche Verpflichtung zu schaffen.
Verfügung ist jede Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung einer Rechtsposition.
Verpflichtung ist die Begründung eines Schuldverhältnisses.
Eine solche Befugnis kann dem Täter durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt worden sein.
Beispiel
des Bevollmächtigten (§§ 164 ff. BGB),
des Vereinsvorstands (§ 26 BGB),
der Eltern (§ 1626 BGB),
des Betreuers (§ 1902 BGB),
des GmbH-Geschäftsführers (§ 35 GmbHG) oder
des Prokuristen (§ 49 HGB)
Beachte, dass eine tatsächliche Befugnis vorliegen muss. Wenn der Täter aufgrund von gutem Glauben den Dritten in die Lage versetzt, faktisch über Vermögen zu verfügen, reicht das nicht aus.
Beispiel
Haushälterin H veräußert den ihr zur Aufbewahrung während einer Weltreise ihrer Arbeitgeber überlassenen Schmuck an den gutgläubigen X.
4. {{bbb}} Missbrauch dieser Befugnis
Dazu müsste diese Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis über fremdes Vermögen auch durch rechtsgeschäftliches oder hoheitliches Handeln missbraucht worden sein.
Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Täter nach außen hin eine rechtlich wirksame Erklärung abgibt, durch die das betreute Vermögen belastet wird, er dabei jedoch im Innenverhältnis die ihm gesetzten Befugnisse überschreitet.
Typischerweise handelt es sich damit um Konstellationen mit drei Beteiligten.
Möglich ist aber auch ein Fall, in dem der Täter, etwa als Prokurist einer GmbH, ein Geschäft mit sich selbst abschließt und dadurch gegen § 181 BGB verstößt. In solchen Fällen tritt der Täter zugleich als Vertreter der geschädigten Gesellschaft und als sein eigener Vertragspartner auf.
Definition
Ein Missbrauch ist ein Überschreiten des rechtlichen Dürfens im Rahmen des rechtlichen Könnens.
Entscheidend ist, dass der Täter im Außenverhältnis wirksam handeln kann, dies aber im Innenverhältnis nicht darf.
Zur Prüfung dieses Missbrauchs eignet sich die folgende Check-Liste:
SR_BT_§ 266_3_Schaubild
5. {{ccc}} Vermögensbetreuungspflicht (str.)
Darüber hinaus ist umstritten, ob der Täter einer Vermögensbetreuungspflicht unterliegen muss.
Dieses Merkmal muss unstrittig bei dem Treubruchstatbestand nach § 266 I Var. 1 StGB erfüllt sein. Dies folgt aus dem Wortlaut “und dadurch dem, dessen Vermögensinteresse er zu betreuen hat …”.
Fraglich ist jedoch, ob dieses Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht auch bei dem Missbrauchstatbestand nach § 266 I Var. 1 StGB vorliegen muss.
Problem
Erfordernis einer Vermögensbetreuungspflicht
Nach herrschender Meinung handelt es sich bei dem Missbrauchstatbestand (§ 266 I Var. 1 StGB) um einen Spezialfall des Treubruchstatbestands (§ 266 I Var. 2 StGB). Das führt dazu, dass auch bei Variante 1 eine Vermögensbetreuungspflicht erforderlich ist. Der Relativsatz im letzten Halbsatz („dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat“) wird grammatikalisch beiden Alternativen zugeordnet und zeigt, dass der Täter in jedem Fall Vermögensinteressen zu betreuen haben muss.
Nach einer anderen Ansicht handelt es sich bei Missbrauchs- und Treubruchstatbestand um zwei selbstständige Tatbestände (dualistischer Ansatz). Der Relativsatz („dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat“) wird dabei nur der Treubruchvariante zugeordnet, sodass für § 266 I Var. 1 StGB das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht nicht erforderlich sein soll.
Sinn und Zweck der Vermögensbetreuungspflicht: Sie wirkt als zentrales Begrenzungskriterium eines sehr weit gefassten Tatbestands und sichert so dessen Konturen im Lichte des Art. 103 II GG durch eine restriktive Auslegung
Warum der Streit selten relevant ist:
Die Frage, ob bei § 266 I Var. 1 StGB eine Vermögensbetreuungspflicht erforderlich ist, hat in der Klausurbearbeitung kaum Bedeutung. Der Missbrauchstatbestand setzt voraus, dass dem Täter eine rechtliche Vertretungs- oder Verfügungsbefugnis eingeräumt wurde, die er im Außenverhältnis wirksam ausüben kann. Solche Befugnisse werden typischerweise nur Personen übertragen, die ohnehin in einem besonderen Pflichtenkreis zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen stehen. Fälle, in denen jemand eine wirksame Vertretungsmacht besitzt, ohne zugleich eine Vermögensbetreuungspflicht zu tragen, kommen praktisch nicht vor. Daher führt selbst die zweite Auffassung, die bei Variante 1 keine Vermögensbetreuungspflicht verlangt, regelmäßig nicht zu abweichenden Ergebnissen.
Klausurtipp
In der Klausur liegt somit in den meisten Fällen, in denen eine Vertretungs- oder Verfügungsbefugnis vorliegt, ohnehin auch eine Vermögensbetreuungspflicht vor. Die beiden Meinungen sollten daher kurz dargestellt werden. Anschließend kann aber gesagt werden, dass das Merkmal ohnehin erfüllt ist und eine Stellungnahme mithin entbehrlich ist.
6. {{bb}} Tathandlung: § 266 I Var. 2 StGB: Treubruchstatbestand
Bei Variante 2 der Untreue handelt es sich um einen deutlich weiter gefassten Tatbestand. Hier genügt es, wenn der Täter eine ihm obliegende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verletzt.
7. {{aaa}} Vermögensbetreuungspflicht
Zunächst müsste daher eine Vermögensbetreuungspflicht bestehen.
Grundsätzlich kann sich eine solche Pflicht aus denselben Gründen, wie bei der Variante 1 ergeben (z. B. Stellvertretung, Prokura). Es ist im Unterschied zu Variante 1 jedoch auch ausreichend, wenn sich die Vermögensbetreuungspflicht aus faktischen Umständen ergibt.
Definition
Eine Vermögensbetreuungspflicht liegt vor, wenn aufgrund einer Gesamtwürdigung ein besonderes Treueverhältnis besteht, dessen wesentlicher Inhalt in der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen besteht. Dies kann sich aus Rechtsgrundlagen oder aus der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit ergeben.
Beispiel
M, langjähriger Mitarbeiter eines Handwerksbetriebs, verwaltet seit Jahren eigenständig die Betriebskasse. Eine formelle Vollmacht besteht nicht. Eines Tages entnimmt er 1.500 € für private Zwecke.
Die langjährige, eigenverantwortliche Verwaltung der Betriebskasse ohne formelle Vollmacht spricht dafür, dass eine solche faktisch begründete Vermögensbetreuungspflicht vorliegt.
8. {{bbb}} Verletzung dieser Pflicht
Definition
Eine Verletzung dieser Vermögensbetreuungspflicht liegt vor, wenn der Täter den Interessen des Vermögensinhabers zuwiderhandelt.
Grundsätzlich kann auf die obigen Ausführungen unter “Missbrauch dieser Befugnis” verwiesen werden.
Problematisch ist, ob eine Vermögensbetreuungspflicht verletzt werden kann, wenn das zugrunde liegende Geschäft gesetzes- oder sittenwidrig ist.
Beispiel
A betreibt ein illegales Online-Sportwettenportal. B ist als Kassenverwalter angestellt und soll für A die Einsätze der Spieler entgegennehmen und an A weiterleiten. B behält jedoch regelmäßig einen Teil der Einsätze für sich, ohne A zu informieren. Als A dies entdeckt, verlangt er Strafanzeige wegen Untreue (§ 266 StGB) zu stellen.
Vernetztes Lernen
Zur Entwicklung eines entsprechenden Maßstabs kann auf die Problematik zu dem strafrechtlich geschützten Vermögen im Artikel zum § 263 StGB verwiesen werden.
Eine Tatbegehung ist ebenfalls durch Unterlassen möglich. Nach herrschender Meinung wird eine entsprechende Garantenpflicht bereits aus dem Tatbestand durch die Vermögensbetreuungspflicht des Täters begründet. Ein Rückgriff auf § 13 StGB ist demnach nicht erforderlich und bei § 266 StGB handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.
9. {{cc}} Taterfolg: Vermögensnachteil
Bei beiden Varianten des § 266 StGB muss durch die Handlung (bzw. das Unterlassen) ein Vermögensnachteil entstanden sein. Dieser entspricht dem Vermögensschaden des § 263 StGB. Es wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
10. {{b}} Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss vorsätzlich gehandelt haben, dabei genügt dolus eventualis.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
Es sind die allgemeinen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zu beachten.
IV. Strafantrag
Durch den Verweis in § 266 II StGB ist in den Fällen der §§ 247, 248a StGB ein Strafantrag erforderlich.
V. Strafzumessung (Besonders schwerer Fall)
Durch den Verweis in § 266 II StGB gelten § 243 II StGB und § 263 III StGB entsprechend. Liegen deren Regelbeispiele vor, indiziert dies auch bei § 266 StGB das Vorliegen eines besonders schweren Falls mit erhöhtem Strafrahmen.
1. Konkurrenzen
Wenn der Tatbestand der veruntreuenden Unterschlagung nach § 246 II StGB ebenfalls erfüllt ist, tritt dieser hinter der Untreue gemäß § 266 StGB zurück (h.M.).
Zwischen Betrug und Untreue kann Idealkonkurrenz angenommen werden. Es sei denn, der Vermögensgegenstand wurde durch einen Betrug erlangt: Dann tritt Untreue als mitbestrafte Nachtat zurück.
Zwischen Untreue und Diebstahl (§ 242 StGB) sowie Hehlerei (§ 259 StGB) besteht Idealkonkurrenz.


