Dieser Artikel behandelt den besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 StGB. § 243 StGB hat - wie § 242 StGB auch - besonders hohe Examensrelevanz. Hinsichtlich der normierten besonders schweren Fälle müssen vor wesentliche Definitionen beherrscht werden.
Da es sich bei § 243 StGB um Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Diebstahls handelt, wird empfohlen, zunächst den Artikel zu § 242 StGB zu bearbeiten.
I. Allgemeines
§ 243 StGB ist wie auch der Grundtatbestand des “normalen” Diebstahls gemäß § 242 StGB dem 19. Abschnitt des StGB „Diebstahl und Unterschlagung“ zugeordnet.
Bei § 243 StGB handelt es sich um ein sogenanntes Regelbeispiel. Regelbeispiele gehören nicht zum Tatbestand einer Norm. Sie sind Abwandlungen nicht tatbestandlicher Art. Anders als Abwandlungen tatbestandlicher Art (Qualifikationen, Privilegierungen) werden sie in der Prüfung nicht dem objektiven Tatbestand zugeordnet, sondern werden nach der Schuld gesondert als Strafzumessungsaspekt geprüft. Wird ein Regelbeispiel nämlich erfüllt, wirkt sich das straferhöhend aus.
Bei Regelbeispielen muss der Täter etwa einen sogenannten “Quasi-Tatbestand” erfüllen und einen “Quasi-Vorsatz” haben. Daher stellt sich auch die Frage, ob ein Regelbeispiel versucht werden kann, wenn der Täter einen Quasi-Tatentschluss hat.
Vernetztes Lernen
Mehr zu den Regelbeispielen findest du im Artikel zu den Regelbeispielen.
1. Prüfungsschema

II. Die einzelnen Regelbeispiele
1. § 243 I 2 Nr. 1 StGB
Definition
Ein Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest verbundenes und zum Betreten durch Menschen geeignetes Bauwerk, das Unbefugte abhalten soll.
Dienstraum ist jeder Raum, der überwiegend für öffentliche Aufgaben von Behörden oder sonstigen Einrichtungen bestimmt ist.
Geschäftsraum ist jeder Raum, der einer selbstständigen, auch nur vorübergehend ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit dient.
Ein umschlossener Raum ist ein Raumgebilde, das (mindestens auch) dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden, und das mit künstlichen Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen.
Einbrechen ist das gewaltsame Öffnen der äußeren Umschließung, wobei der Täter den Raum nicht betreten muss, sondern ein Hineingreifen genügt.
z. B.: Auftreten einer Tür.
Einsteigen meint das ****Betreten des Raumes auf einem dafür nicht bestimmten Wege unter der Überwindung von Hindernissen.
z. B.: Schornstein hinunterklettern klettern - 🎅🏻
Ein Schlüssel ist falsch, wenn der Schlüssel vom Berechtigten zur Tatzeit nicht zur Öffnung bestimmt ist. Die danach entscheidende „Bestimmung“ (Widmung) kann der Berechtigte dem Schlüssel entziehen (Entwidmung).
z. B.:
Vormieter gibt bei Wohnungsübergabe nicht alle Schlüssel ab, um später mit diesen einzusteigen.
Bei Abhandenkommen liegt Entwidmung des Schlüssels jedenfalls erst ab Bemerken des Verlustes durch den Berechtigten vor.
Werkzeug i.S.d. § 243 I 2 Nr. 1 StGB ist jeder körperliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung geeignet ist, einen Verschlussmechanismus ordnungswidrig zu überwinden oder zu umgehen.
z. B.: Dietrich
Eindringen bedeutet, dass der Täter den Schutzzweck der verschlossenen Räumlichkeit derart mit einem falschen Schlüssel oder Werkzeug durchbricht, dass er mit zumindest einem Teil seines Körpers in den geschützten Raum gelangt.
Verborgenhalten bedeutet, dass der Täter sich bewusst so verhält, dass er von den Berechtigten nicht bemerkt wird, um sich den Zutritt zu einer Räumlichkeit zu verschaffen oder um nach dem Zutritt dort unentdeckt zu bleiben.
2. § 243 I 2 Nr. 2 StGB
Definition
Verschlossenes Behältnis meint ein zur Aufnahme von Sachen dienendes Raumgebilde, welches nicht zum Betreten von Menschen geeignet ist und dessen Inhalt aufgrund von Sicherheitsvorkehrungen nicht ohne Weiteres zugänglich ist.
z. B.: Geldautomaten, Geldkoffer, Schaukästen, Registrierkassen.
Andere Schutzvorrichtungen sind alle Vorrichtungen, die eine Sache gegen Wegnahme schützen, ohne sie zu umhüllen.
z. B.: Drahtseilsicherung von ausgestellten Handys im Elektronikgeschäft
Besondere Wegnahmesicherung meint eine künstliche Vorrichtung, deren Zweck es ist, die Wegnahme erheblich zu erschweren.
Merke
Elektromagnetische Sicherungsetikette in Warenhäusern sind nach herrschender Meinung keine (!) Vorrichtung, die gegen Wegnahme schützen soll.
Dies wird damit begründet, dass elektromagnetische Sicherungsetikette erst beim Verlassen des Ladens auslösen.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Wegnahme aber meistens bereits vollendet (nicht: beendet)!
Stichwort: Gewahrsamsenklave (siehe hierzu Artikel zu § 242 StGB)
Elektromagnetische Sicherungsetikette bezwecken also nicht die Verhinderung der Wegnahme, sondern die Wiedererlangung (des Gewahrsams).
Problematisch wird es bei der Frage, ob das Regelbeispiel auch dann erfüllt ist, wenn der Täter die Sache samt Sicherungsvorkehrung wegnimmt. Hierzu zwei Beispiele:
Beispiel
Beispiel 1: T sieht auf dem Flohmarkt die kleine, verschlossene Geldkassette des O.
Beispiel 2: T schafft es nicht, den im Kleiderschrank eingebauten Safe des O aufzubrechen, und reißt diesen kurzerhand mit einem Brecheisen und unter erheblichem Kraftaufwand aus der Wand.
Ob § 243 I Nr. 2 StGB in solch einem Fall erfüllt ist, ist umstritten:
Problem
§ 243 I 2 Nr. 2 StGB bei Wegnahme der Sache samt Sicherungsvorkehrung?
Eine erste Mindermeinung lehnt die Anwendung des § 243 I 2 Nr. 2 StGB generell ab. Der Schutzzweck des Regelbeispiels sei auf das „Überwinden“ von Sicherungen zugeschnitten; wer die Sache samt Sicherung wegnimmt, umgeht diese vielmehr, sodass das Merkmal nicht erfüllt sei.
Eine zweite Mindermeinung bejaht die Anwendung ausnahmslos. Es mache keinen Unterschied, ob der Täter die Sicherung überwindet oder sie mitsamt der Sache entfernt – in beiden Fällen wird die Sicherung überwunden.
Die herrschende Meinung differenziert: Entscheidend sei, ob die Sicherung nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, eine Wegnahme insgesamt zu verhindern oder jedenfalls erheblich zu erschweren.
Bei kleineren Sicherungen (z. B. Geldkassetten), die sich ohne nennenswerten Aufwand mitsamt Inhalt wegtragen lassen, greift das Regelbeispiel nicht ein.
Bei fest installierten oder nur unter erheblichem Kraftaufwand lösbaren Sicherungen (z. B. eingemauerter Tresor, fest verschraubter Safe) greift hingegen das Regelbeispiel ein, da schon das Gewicht und die feste Einbindung Teil der Wegnahmesicherung sind.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Nur so wird der Normzweck – der Schutz besonders gesicherter Sachen – sachgerecht berücksichtigt. Eine pauschale Lösung greift zu kurz.
Für obige Beispiele bedeutet das:
Beispiel 1:
Erste Mindermeinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (-)
Zweite Mindermeinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (+)
Herrschende Meinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (-), da die Kassette leicht mitsamt Inhalt weggetragen werden kann und die Sicherung damit nicht wirksam überwunden wird.
Beispiel 2:
Erste Mindermeinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (-)
Zweite Mindermeinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (+)
Herrschende Meinung: § 243 I 2 Nr. 2 StGB (+), da die Sicherung (Einbau, Gewicht, Befestigung) gerade die Wegnahme erschweren soll und der Täter diese durch erheblichen Kraftaufwand überwindet.
3. § 243 I 2 Nr. 3 StGB
Definition
Gewerbsmäßig handelt, wer sich aus wiederholter Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einer gewissen Dauer verschaffen will.
4. § 243 I 2 Nr. 4 StGB
Definition
Eine Kirche ist ein dem Gottesdienst oder einem religiösen Zweck dienendes Gebäude oder ein abgrenzbarer Gebäudeteil, unabhängig von der jeweiligen Glaubensrichtung, wobei die Widmung zu kultischen Zwecken, nicht die architektonische Gestaltung entscheidend ist.
5. § 243 I 2 Nr. 5 StGB
Definition
Eine Sache von bedeutendem Wert ist ein Gegenstand, dessen Erhaltungsinteresse der Allgemeinheit deutlich über dem reinen Vermögenswert liegt.
Merke
Gemeint sind also Kulturgüter, Kunstwerke, historische Sammlungsstücke oder sonstige Sachen mit herausragendem wissenschaftlichem, künstlerischem oder geschichtlichem Wert.
6. § 243 I 2 Nr. 6 StGB
Definition
Hilflos ist ein Mensch, der aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Verfassung nicht in der Lage ist, sich gegen eine ihm drohende Wegnahme zu wehren oder sich ohne Hilfe eines Dritten gegen eine Gefahr für sein Eigentum zu schützen.
Ein Unglücksfall ist jedes plötzliche Ereignis, das erheblichen Schaden an Menschen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht.
Eine gemeine Gefahr liegt vor, wenn aus ex ante Sicht eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben einer unbestimmten Zahl von Menschen oder für bedeutende Sachwerte in einem nicht mehr kontrollierbaren Umfang besteht oder droht.
Ein Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die hilflose Lage, den Unglücksfall oder die gemeine Not bewusst erkennt und diese für die Tatbegehung gezielt instrumentalisiert.
III. Besonderheiten der Täterschaft und Teilnahme bei Regelbeispielen
Es entspricht der allgemeinen Ansicht, dass für die Voraussetzungen der besonders schweren Fälle die Akzessorietätsregeln entsprechende Anwendung finden. Das bedeutet, es muss zwischen tatbezogenen und täterbezogenen Regelbeispielen unterschieden werden:
Tatbezogene Regelbeispiele wie das Einbrechen, der falsche Schlüssel oder die Wegnahme aus Kirchen (Nr. 1, 2, 4–7) wirken auch für den Teilnehmer strafschärfend, sofern er die Umstände kennt (§ 28 I StGB). Fehlt ihm diese Kenntnis, ist er nur wegen Teilnahme am einfachen Diebstahl strafbar.
Bei der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 I 2 Nr. 3 StGB) handelt es sich um ein täterbezogenes Regelbeispiel. Dieses Merkmal beschreibt kein äußeres Tatgeschehen, sondern eine persönliche Eigenschaft des Täters: den Willen, sich aus wiederholten Taten eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. Damit liegt ein täterspezifisches Merkmal vor, vergleichbar mit täterbezogenen persönlichen Merkmalen i.S.d. §§ 28 II, 14 I StGB.
Merke
Da § 243 StGB aber nur eine Strafzumessungsregel enthält und kein eigener Tatbestand ist, fehlt es an einer unmittelbaren Anwendbarkeit von § 28 StGB.
Um dennoch Wertungswidersprüche zu vermeiden, wird § 28 II StGB analog angewendet:
Nur wenn auch der Teilnehmer selbst gewerbsmäßig handelt, kann er wegen Teilnahme an einem gewerbsmäßigen Diebstahl bestraft werden.
Anderenfalls beschränkt sich seine Strafbarkeit auf die Teilnahme am einfachen Diebstahl.
Beispiel
T begeht regelmäßig Einbrüche, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Gehilfe G fährt ihn einmalig zum Tatort, ohne selbst eine Einnahmequelle durch Diebstähle anstreben zu wollen.
In diesem Beispiel handelt T gewerbsmäßig, G nicht. G ist wegen § 28 II StGB analog nur Teilnehmer am einfachen Diebstahl.
IV. Geringwertigkeitsklausel des § 243 II StGB
Nach § 243 II StGB ist ein besonders schwerer Fall trotz Verwirklichung der objektiven Quasi-Tatbestandsmerkmale ausgeschlossen, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt.
Merke
Faustformel:
Entscheidend sind zwei Punkte
Die gestohlene Sache muss objektiv geringwertig sein (Richtwert: ca. 50 €).
Der Tätervorsatz muss sich bei Verwirklichung des Regelbeispiels gerade auf diese geringwertige Sache beziehen.
Im Einzelnen gilt es, drei Konstellationen zu unterscheiden:
1. Ursprünglicher Vorsatz auf geringwertige Sache – Wegnahme einer hochwertigen Sache (Vorsatzerweiterung)
Geht der Täter zunächst nur von einer geringwertigen Sache aus (z. B. er will eine Billiguhr stehlen), nimmt dann aber tatsächlich eine hochwertige Sache weg (z. B. Rolex), so gilt § 243 II StGB nicht.
Für die Beurteilung einer einheitlichen Tat ist es nach herrschender Meinung unerheblich, ob der Täter sein ursprüngliches Vorhaben aufwertet und die Wegnahme auf höherwertige Sachen erstreckt.
Am Ende liegt ein Diebstahl einer hochwertigen Sache vor – und der Bagatellschutz kann hier nicht greifen.
2. Ursprünglicher Vorsatz auf hochwertige Sache – Wegnahme einer geringwertigen Sache (Vorsatzverengung)
Plant der Täter, eine hochwertige Sache zu stehlen (z. B. eine Rolex), nimmt dann aber tatsächlich nur eine geringwertige Sache mit (z. B. Billiguhr), greift § 243 II StGB ebenfalls nicht.
Im Zeitpunkt der Verwirklichung des Regelbeispiels (z. B. Aufbrechen eines verschlossenen Safes) war der Vorsatz noch auf eine hochwertige Sache (Rolex) gerichtet.
Dass am Ende „nur“ etwas Geringwertiges gestohlen wurde, ändert daran nichts.
3. Endgültige Vorsatzaufgabe – Neue Tat (wesentliche Zäsur)
Anders liegt der Fall, wenn der Täter zunächst eine hochwertige Sache im Auge hat, die Sicherungseinrichtung überwindet, sich dann aber entscheidet, von diesem Plan abzusehen. Erst später, auf Grundlage eines neuen Tatentschlusses, entwendet er eine geringwertige Sache.
Beispiel
T bricht nachts das Fenster eines Juweliers auf, um eine wertvolle Halskette zu stehlen. Als er das Geschäft betritt, bemerkt er jedoch, dass überall Alarmanlagen installiert sind und die Vitrine der Halskette mit zusätzlichem Sicherheitsglas versehen ist. T gibt seinen ursprünglichen Plan endgültig auf.
Auf dem Rückweg entdeckt er am Tresen jedoch eine offenliegende Schachtel mit billigen Modeschmuckringen im Wert von je 10 €. Spontan entschließt er sich, einen dieser Ringe einzustecken, und verlässt den Laden.
Hier greift § 243 II StGB: Da die erste Tat durch Rücktritt nicht mehr strafbar ist, kann die zweite Tat isoliert betrachtet werden.
Sie betrifft dann nur eine geringwertige Sache – und damit scheidet die Annahme eines besonders schweren Falls aus.