Dieser Artikel behandelt den Diebstahl nach § 242 StGB. Diese Vorschrift hat eine besonders hohe Examensrelevanz und gehört zum Grundwissen eines jeden Jurastudenten ab dem zweiten Semester. Der Diebstahl ist eines der wichtigsten Eigentumsdelikte und beinhaltet wesentliche Definitionen und Meinungsstreitigkeiten. Die Relevanz ergibt sich auch aus der Abgrenzung zu den Delikten Betrug und Raub.
I. Allgemeines
§ 242 StGB eröffnet den 19. Abschnitt des StGB („Diebstahl und Unterschlagung“) und weist eine doppelte Schutzrichtung auf. Geschützt werden sowohl das Eigentum als auch (nach wohl h.M.) der Gewahrsam. Der zusätzliche Schutz des Gewahrsams wird vor allem mit der gegenüber dem § 246 StGB erhöhten Strafandrohung begründet, die sich nur durch das zusätzliche Merkmal der „Wegnahme“ des § 242 StGB erklären lässt.
Vernetztes Lernen
Der Unterschied zur Unterschlagung nach § 246 StGB ist lediglich, dass diese keine Wegnahme – also den Bruch fremden Gewahrsams – voraussetzt.
Beispiel: Geldbörse
T zieht dem auf der Parkbank sitzenden O die Geldbörse aus der Tasche und nimmt sie mit.
Hier bricht der T das Gewahrsam des O, es liegt ein Diebstahl (§ 242 I StGB) vor.
T sieht, wie dem O die Geldbörse aus der Tasche fällt und sich O von der Parkbank entfernt. T nimmt die Geldbörse mit.
Hier hat der T das Gewahrsam des O nicht gebrochen, allerdings hat er sich die Geldbörse angeeignet, es liegt Unterschlagung vor (§ 246 I StGB).
Bei § 242 StGB handelt es sich um ein Vergehen i.S.d. § 12 II StGB und nicht um ein Verbrechen i.S.d. § 12 I StGB, sodass sich die Versuchsstrafbarkeit gerade nicht aus § 12 I StGB i.V.m. § 23 I Hs. 1 StGB ergibt, sondern aus der extra angeordneten Versuchsstrafbarkeit in § 242 II StGB.
1. Systematik
Um die Systematik der Eigentumsdelikte zu verstehen, muss man sich zunächst die Differenzierung von Eigentums- und Vermögensdelikten vergegenwärtigen.
a) Eigentums- vs. Vermögensdelikte
Bei § 242 I StGB handelt es sich um ein Eigentumsdelikt, nicht um ein Vermögensdelikt!
Während der Bezugspunkt bei den Eigentumsdelikten einzelne Gegenstände (also “Sachen”) sind, ist der Bezugspunkt der Vermögensdelikte das Vermögen als Ganzes, worunter auch “Sachen” zu fassen sind.

b) Eigentums- und Vermögensdelikte mit und ohne Zwang
Ebenfalls kann man die Eigentums- und Vermögensdelikte danach kategorisieren, ob Zwang tatbestandsmäßig ist.

c) Systematik der einzelnen Delikte untereinander
§ 242 I StGB ist der Grundtatbestand für die Regelbeispiele nach § 243 I StGB.
§ 242 I StGB ist zudem der Grundtatbestand für die Qualifikation § 244 StGB (Diebstahl mit Waffen/Bandendiebstahl/Wohnungseinbruchsdiebstahl).
§ 244 I Nr. 2 StGB (Bandendiebstahl) hat eine Doppelfunktion: Er ist sowohl der Qualifikationstatbestand zu § 242 I StGB als auch der Grundtatbestand für den schweren Bandendiebstahl nach § 244a StGB. Das Gleiche gilt für das Verhältnis von § 242 I StGB zu § 244 I Nr. 3 StGB (Wohnungseinbruchsdiebstahl) und § 244 IV StGB (Wohnungseinbruchsdiebstahl in Privatwohnung).
§ 246 I StGB (Unterschlagung) ist der Grundtatbestand für die Qualifikation nach § 246 II StGB (veruntreuende Unterschlagung).
§ 248b StGB (unbefugter Gebrauch eines Kfz) ist ein eigenständiger Tatbestand und stellt die ansonsten straflose reine Gebrauchsanmaßung unter Strafe.

2. Prüfungsschema

II. Tatobjekt
Beim Tatobjekt muss es sich um eine fremde bewegliche Sache handeln.
1. Sache
Definition
Sache ist jeder körperliche Gegenstand i.S.d. § 90 BGB.
Merke
Tiere sind unstreitig Sachen im Sinne des Strafrechts. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 324a I Nr. 1 StGB: “(…) Tiere, Pflanzen oder andere Sachen (…)”.
Ein Rückgriff auf § 90a S. 3 BGB ist hierfür also nicht erforderlich.
Darüber hinaus ist die Sacheigenschaft in einigen Fällen jedoch problematisch:
a) Leiche als Sache?
Auch wenn Leichen körperliche Gegenstände i.S.d. § 90 BGB und damit grundsätzlich „Sachen“ im strafrechtlichen Sinne sind, fehlt ihnen nach ganz herrschender Meinung die Eigentumsfähigkeit. Diese Wertung folgt aus dem besonderen Achtungsanspruch, der dem toten Körper aufgrund grundrechtlicher Überlegungen (Menschenwürde, postmortales Persönlichkeitsrecht) zukommt. Die Folge: Ein Diebstahl scheidet aus, da es am tauglichen Tatobjekt fehlt.
Eine Ausnahme kann allenfalls für Anatomieleichen oder konservierte Museumsleichen bestehen, bei denen die ursprüngliche Menschenwürdebindung durch wissenschaftliche oder museale Zweckbindung überlagert wird.
b) Medizinisches Implantat als Sache?
Fraglich ist, ob medizinische Implantate Sacheigenschaft besitzen und somit taugliches Tatobjekt sein können.
Problem
Implantate als „Sache“ i.S.d. § 242 StGB?
Nach einer Ansicht entfällt die Sacheigenschaft nur, wenn das Implantat einen Körperteil ersetzt und damit dauerhaft in die Körperfunktion eingreift (sog. Substituiv-Implantate, z. B. künstliche Gelenke, Spenderorgane). Implantate, die lediglich unterstützende Funktionen haben (sog. Supportiv-Implantate, z. B. Herzschrittmacher), bleiben dagegen weiterhin Sachen .
Nach einer anderen Ansicht behält der Gegenstand seine Sacheigenschaft generell, unabhängig von seiner Funktion im Körper. Sowohl Substitutiv- als auch Supportiv-Implantate gelten demnach als strafrechtlich taugliches Tatobjekt.
Die herrschende Meinung lehnt die Sacheigenschaft nach der Einpflanzung generell ab: Mit dem Einfügen in den menschlichen Körper wird das Implantat Teil des Körpers – es verliert seine rechtliche Selbstständigkeit und kann damit nicht mehr ohne Weiteres Gegenstand eines Diebstahls sein. Eine Wegnahme wäre in diesem Fall vielmehr eine Körperverletzung, nicht ein Diebstahl.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Die enge Verbindung zwischen Implantat und menschlichem Körper macht eine Trennung nach Sachenrecht künstlich. Wer einem anderen ein Implantat „wegnimmt“, verletzt nicht nur sein Eigentum, sondern greift unmittelbar in die körperliche Integrität ein. Der strafrechtliche Schutz ist hier nicht über § 242 StGB, sondern über die §§ 223 ff. StGB zu gewährleisten.
Für künstliche Körperteile gilt: Prothesen oder Zahngold, die in den Körper eingefügt wurden, verlieren mit der Verbindung zum Körper ihre eigenständige Sachqualität – und damit auch ihre Eigentumsfähigkeit. Nach neuerer Rechtsprechung gilt dies sogar über den Tod hinaus: Wird etwa das Zahngold eines Verstorbenen aus der Asche entnommen, fehlt es an einem tauglichen Diebstahlsobjekt. In einem solchen Fall ist jedoch regelmäßig § 168 StGB (Störung der Totenruhe) einschlägig, da die Asche und damit auch ihre Bestandteile als Überreste des Leichnams geschützt sind.
c) Natürliche Körperteile als Sachen?
Grundsätzlich ist der lebende menschliche Körper und seine mit ihm verbundenen Bestandteile nicht eigentumsfähig (Menschenwürde, Art. 1 I GG). Etwas anderes kann gelten, wenn Körperteile oder -substanzen vom Körper abgetrennt beziehungsweise entnommen werden. Mit der Trennung verlieren sie den strafrechtlichen Körperschutz und können – nach herrschender Meinung – Sachen im Sinne des § 242 StGB sein, sofern sie eine selbstständige körperliche Existenz besitzen und dem Berechtigten zugeordnet werden können.
Typische Beispiele sind entnommene Eizellen oder Spermaproben, etwa in einer Samenbank oder einem Kinderwunschzentrum. Werden diese entwendet, ist grundsätzlich ein Diebstahl möglich.
Zu beachten ist: Körperteile, die allein medizinischen Zwecken dienen und nicht in den Verkehr gelangen sollen, können mangels sozialer Verkehrsfähigkeit ausnahmsweise nicht als „Sachen“ behandelt werden.
Beispiel
M, Mitarbeiter einer Samenbank, entnimmt heimlich mehrere eingefrorene Spermaproben des prominenten Sportlers S, um sie gewinnbringend zu verkaufen.
Für obiges Beispiel gilt: Da die Proben vom Körper getrennt, gelagert und eindeutig einem Berechtigten zugeordnet sind, handelt es sich um Sachen i.S.d. § 242 StGB. M macht sich daher wegen Diebstahls strafbar.
2. Fremd
Weiterhin müsste die Sache für den Täter fremd sein.
Definition
Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist.
Auch hier gibt es einige problematische Fallbeispiele, die näher betrachtet werden müssen:
a) SB-Tankstellen
Besonders klausurrelevant sind die sog. „SB-Tankstellen-Fälle“, in denen der Täter sein Fahrzeug betankt und anschließend ohne Bezahlung wegfährt. Streitentscheidend ist die Frage, ob das eingefüllte Benzin zu diesem Zeitpunkt noch fremd ist.
Hier sind zwei unterschiedliche Fallkonstellationen zu unterscheiden:
Wenn der Täter nur „drauftankt“ (der Tank also größtenteils mit seinem Kraftstoff gefüllt ist), findet ein unüberwindbarer gesetzlicher Eigentumsübergang durch Vermischung mit dem Kraftstoff des Täters als Hauptsache nach §§ 948, 947 BGB statt, sodass mangels Fremdheit kein Diebstahl mehr möglich ist.
Sofern der Tank jedoch größtenteils leer ist (Regelfall), ist jedoch umstritten, worin Angebot und Annahme liegen und wann dementsprechend das Eigentum übergeht.
Problem
Fremdheit des Benzins bei Befüllung an SB-Tankstelle
Nach einer Mindermeinung geht das Eigentum am Benzin bereits mit dem Einfüllen in den Fahrzeugtank über. Begründet wird dies damit, dass der Kunde durch das Herausnehmen des Zapfhahns konkludent ein Angebot auf Abschluss eines schuldrechtlichen und dinglichen Vertrags abgibt, das der Tankstellenbetreiber durch die Gestattung des Tankvorgangs annimmt. Folge: § 242 StGB scheidet mangels Fremdheit aus, eine Strafbarkeit kommt regelmäßig nur nach § 263 StGB in Betracht – und auch nur, wenn der Tankvorgang beobachtet wurde und so ein Irrtum entstehen kann.
Die herrschende Meinung hält dem entgegen, dass das Benzin bis zur Bezahlung im Eigentum des Tankstellenbetreibers bleibt. Dabei wird teilweise ein Eigentumsvorbehalt bis zur Zahlung angenommen, teilweise – ähnlich wie beim Kauf im SB-Laden – eine Einigung und Übereignung erst bei Zahlung an der Kasse bejaht. Damit ist das Benzin beim Einfüllen noch fremd, sodass der Täter durch das Wegfahren regelmäßig einen Diebstahl begeht.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Weder ist ersichtlich, dass der Betreiber bereits vor Bezahlung sein Eigentum vollständig aufgeben will, noch entspricht es der Verkehrsanschauung, dass der Tankvorgang bereits den Eigentumsübergang bewirkt. Das wirtschaftliche Risiko eines Nichtzahlens würde vollständig beim Betreiber liegen, ohne dass er sich absichern könnte.
In den "SB-Tankstellen-Fällen" geht es zusätzlich um die Frage eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses (z. B. durch Beobachten eines Tankstellenmitarbeiters). Da dieses den Bruch fremden Gewahrsams entfallen lassen würde, wird diese Problematik auch erst dort geprüft.
b) Drogen/verbotene Substanzen
Problematisch ist, ob Betäubungsmittel überhaupt fremd sein können, wenn ihr Besitz nach dem BtMG verboten ist.
Problem
Fremdheit von verbotenen Substanzen / Betäubungsmitteln
Nach einer Mindermeinung fehlt es an der Fremdheit, weil kein rechtlich geschütztes Eigentum an Betäubungsmitteln bestehen könne. Der Eigentumsschutz des § 242 StGB setze voraus, dass die Rechtsordnung das Eigentum anerkennt – bei verbotenen Sachen wie Heroin oder Kokain sei dies nicht der Fall.
Die herrschende Meinung sieht das anders: Auch an verbotenen Sachen kann zivilrechtlich Eigentum bestehen, selbst wenn ihr Besitz strafbar ist. § 134 BGB verbietet zwar bestimmte Rechtsgeschäfte, lässt aber das bereits bestehende Eigentum unberührt. Selbst der Hehler von Betäubungsmitteln kann also „Eigentümer“ im rechtlichen Sinn sein. Das bedeutet: Wer Drogen einem anderen wegnimmt, nimmt ihm eine fremde bewegliche Sache i.S.d. § 242 StGB.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Der strafrechtliche Eigentumsschutz dient nicht dazu, nur legale Sachen zu schützen, sondern generell die bestehende Zuordnung von Sachen zu Personen zu sichern. Würde man Betäubungsmittel ausklammern, würden Strafbarkeitslücken entstehen und Täter könnten sich straflos gegenseitig berauben, nur weil die Sache selbst illegal ist.
3. Beweglich
Außerdem müsste die Sache beweglich sein.
Definition
Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortbewegt werden können. Unter Abweichung von §§ 94, 95 BGB sind also auch solche Sachen erfasst, die zum Zwecke der Wegnahme erst beweglich gemacht werden.
Beispiel
T sticht auf einem Moorgrundstück, das dem O gehört, Torfziegel aus dem fest verbundenen Boden. Anschließend lädt er die frisch herausgestochenen Stücke auf seinen Karren und fährt sie weg, um sie zu verkaufen.
Das obige Beispiel macht klar: Vor dem Abstechen war der Torf fest mit dem Boden verbunden und damit wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB) – also keine bewegliche Sache.
Durch das Abstechen löst T ihn aus der Verbindung und macht ihn damit beweglich; das genügt nach h.M. für das Merkmal der Beweglichkeit.
Da das Torfmaterial im Eigentum des O steht, ist es für T auch fremd.
Mit dem Wegfahren bricht T den Gewahrsam des O und verwirklicht damit den Tatbestand des § 242 StGB.
III. Tathandlung: Wegnahme
Die Tathandlung des § 242 StGB ist die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.
Definition
Wegnahme meint den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams.
1. Bruch fremden Gewahrsams
Definition
Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft unter Beachtung der Verkehrsanschauung.
Bruch meint die Aufhebung des Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers.
Beispiel
T zieht dem O in der voll besetzten U-Bahn die Geldbörse aus der Tasche und verlässt die U-Bahn.
Hier hat O unter Beachtung der Verkehrsanschauung tatsächliche Sachherrschaft.
Diese tatsächliche Sachherrschaft ist auch getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen des O.
Indem T die Geldbörse an sich nimmt, hat O keine tatsächliche Sachherrschaft mehr.
T hat das Gewahrsam auch ohne den beziehungsweise gegen den Willen des O aufgehoben und damit den nötigen Gewahrsamsbruch vollzogen.
Vernetztes Lernen
Dieser Gewahrsamsbegriff ist nicht mit dem zivilrechtlichen Besitz gleichzusetzen. Im Strafrecht findet eine rein faktische Betrachtung statt, die sich nach der Verkehrsanschauung richtet (es wird also eine wertende Betrachtung vorgenommen!). Besitz im Sinne des BGB ist hingegen auch etwas Rechtliches, so gilt die Fiktion des § 857 BGB (Erbenbesitz) im Strafrecht nicht (wenn also der T dem toten Jogger J morgens am Strand die Rolex von der Hand nimmt, ist dies nur Unterschlagung nach § 246 StGB, aber mangels Gewahrsamsbruchs – denn die Erben haben Besitz, aber keinen Gewahrsam – nicht § 242 StGB).
Merke
Zu beachten ist hier, dass ein (auch irrtumsbedingtes) Einverständnis tatbestandsausschließend wirkt. Mehr zum tatbestandsausschließenden Einverständnis und der Abgrenzung zur rechtfertigenden Einwilligung findest du im Artikel zur rechtfertigenden Einwilligung.
Einige Fälle des Bruchs fremden Gewahrsams bedürfen jedoch einer genauen Betrachtung:
a) Gelockerter Gewahrsam
Besondere Beachtung verdient etwa der sogenannte gelockerte Gewahrsam. Gewahrsam erfordert nämlich nicht zwingend, dass der Berechtigte die tatsächliche Sachherrschaft jederzeit physisch ausübt.
Gelockerter Gewahrsam liegt vor, wenn eine Sache außerhalb der unmittelbaren Zugriffssphäre liegt, der Berechtigte aber jederzeit ohne wesentliche Hindernisse darauf zugreifen kann und den Gewahrsam auch ausüben will.
Beispiel
Der Gemüsehändler, der seine Waren in einer Verkaufsauslage vor dem Laden auf dem Bürgersteig präsentiert, hat auch dann Gewahrsam daran, wenn er sich innerhalb des Ladens befindet und nicht alle Gurken und Tomaten erblicken kann.
Hierfür ist jedoch notwendig, dass der potenzielle Gewahrsamsinhabers auch einen natürlichen Gewahrsamswillen hat. Dies kann auf den ersten Blick problematisch wirken, da der Inhaber nicht jederzeit alle einzelnen Sachen (etwa jede einzelne Tomate) bewusst wahrnimmt.
Hier müssen der sogenannte generelle Gewahrsamswille und der antizipierte Gewahrsamswille beachtet werden:
aa) Genereller Gewahrsamswille
Definition
Genereller Gewahrsamswille ist der auf einen bestimmten räumlichen Bereich oder eine bestimmte Sachgesamtheit bezogene Wille, die tatsächliche Sachherrschaft über alle darin befindlichen Sachen auszuüben – unabhängig davon, ob sie dem Berechtigten in jedem Einzelfall bewusst sind.
Für obiges Beispiel kann ein Gewahrsamsbruch beim Gemüsehändler bei einer entwendeten Gurke von der Verkaufsfläche vor dem Laden angenommen werden.
Ein genereller Gewahrsamswille kann insbesondere bei vergessenen Sachen eine Rolle spielen und für die Frage entscheidend sein, ob sich der Täter wegen Diebstahls oder “nur” Unterschlagung strafbar gemacht hat:
Beispiel
O vergisst seine Geldbörse im Bus. T nimmt die Geldbörse an sich und türmt aus dem Bus.
bb) antizipierter Gewahrsamswille
Definition
Antizipierter Gewahrsamswille liegt vor, wenn der Berechtigte den Willen hat, eine Sache in Zukunft in seinen Gewahrsam zu nehmen, sobald sie in seinen Herrschaftsbereich gelangt.
Beispiel
Beim Befüllen eines Paketfachs für den Empfänger hat der Zusteller keinen Gewahrsam an der Sendung mehr, dieser geht mit Einlegen in das Fach unmittelbar auf den Empfänger über, weil dieser bereits vorab den Willen hatte, die Sendung in Gewahrsam zu nehmen.
b) Besondere Formen des Gewahrsams
Problematisch können Fallkonstellationen auch dann sein, wenn Mitgewahrsam an der Sache besteht. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen:
gleichgeordneten Mitgewahrsam und
über- und untergeordnetem Mitgewahrsam.
aa) Gleichgeordneter Mitgewahrsam
Definition
Gleichgeordneter Mitgewahrsam liegt vor, wenn zwei Personen nach der Verkehrsauffassung unabhängig voneinander und gleichberechtigt tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ausüben können.
Hier gilt: Jeder kann den Gewahrsam des anderen brechen. Eine Wegnahme ist daher auch zwischen Mitgewahrsamsinhabern möglich.
Beispiel
Ehemann M entwendet den teuren Kronleuchter aus der gemeinsamen Ehewohnung, um durch den Verkaufserlös seine Spielsucht zu befriedigen.
bb) Über- und untergeordneter Mitgewahrsam
Definition
Über- und untergeordneter Mitgewahrsam liegt vor, wenn die Sachherrschaft beider Beteiligten zwar nebeneinander, jedoch in einem hierarchischen Verhältnis, besteht. Der Übergeordnete hat die tatsächliche Sachherrschaft umfassend inne, der Untergeordnete nur im Rahmen seiner Aufgaben oder Befugnisse.
Bricht der Untergeordnete den Gewahrsam des Übergeordneten, liegt eine Wegnahme vor.
Bricht hingegen der Übergeordnete den Gewahrsam des Untergeordneten, fehlt es an einem Gewahrsamsbruch.
Beispiel
Verkäuferin V arbeitet in einem Elektronikmarkt und hat Zugriff auf alle Waren im Verkaufsraum. Marktleiter M hat umfassenden Gewahrsam an allen Waren im Markt. Als V privat ein Smartphone aus dem Verkaufsraum einsteckt, bricht sie den übergeordneten Gewahrsam des M – Diebstahl liegt vor.
c) Einverständnis ohne Willensbildung
Von einem Einverständnis ohne Willensbildung spricht man, wenn der Gewahrsamsinhaber den Gewahrsamswechsel zwar tatsächlich geschehen lässt, sich aber über die betroffene Sache gar keinen Willen gebildet hat. Das Einverständnis setzt nämlich voraus, dass der Betroffene die Gewahrsamsübertragung zumindest erkennt und akzeptiert – fehlt diese bewusste Willensbildung, liegt kein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor.
Beispiel
Kunde K versteckt in einem Supermarkt eine teure Flasche Whiskey zwischen den Windeln im Einkaufswagen. An der Kasse legt er nur die übrigen Waren aufs Band, die Kassiererin A scannt diese ab und lässt ihn passieren.
In diesem Beispiel ist fraglich, ob A durch das Passierenlassen ihr Einverständnis in den Gewahrsamswechsel gegeben hat, sodass kein Gewahrsamswechsel im Sinne der Definition stattfand.
A hat die Flasche aber nie bemerkt und hat sich über deren Mitnahme keinen Willen gebildet.
Ein solcher Wille muss für ein Einverständnis jedoch vorliegen, sodass ein tatbestandsausschließendes Einverständnis ausscheidet.
K hat den Gewahrsam des Supermarktbetreibers gebrochen.
d) Einverständnis bei Diebesfalle
Problematisch sind auch die sogenannten Diebesfallen-Fälle. Von einer Diebesfalle spricht man, wenn eine Sache gezielt so präpariert oder platziert wird, dass der Täter bei der Mitnahme überführt werden kann. Wird die Sache dem Täter bewusst zur Mitnahme „angeboten“, liegt in der Regel ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Gewahrsamsinhabers vor.
Der Täter kann dann mangels Gewahrsamsbruch keinen vollendeten Diebstahl begehen!
Beispiel
Polizist P präpariert in einem Spindraum eines Schwimmbads eine Geldbörse mit einem GPS-Sender, um den notorischen Dieb D zu überführen.
Als D die Geldbörse einsteckt, liegt zwar kein Gewahrsamsbruch vor, da der Polizist sein Einverständnis in die Mitnahme gegeben hat, allerdings macht sich D jedoch wegen eines (untauglichen) Versuchs strafbar!
Hier ist dann allerdings die Konkurrenz zu einem möglichen vollendeten § 246 StGB (Unterschlagung) anzusprechen.
e) Bruch bei Beobachtung (Kaufhausdetektiv-Fälle)
Ein klassischer Streit besteht auch bei den sogenannten Kaufhausdetektivfällen. Fraglich ist, ob ein Gewahrsamsbruch vorliegt, wenn der Bruch fremden Gewahrsams von einem Detektiv beobachtet wird.
Beispiel
Ladendetektiv L beobachtet, wie T eine Armbanduhr einsteckt und ohne zu bezahlen den Laden verlässt.
Problem
Strafbarkeit bei Diebstahl unter Beobachtung durch einen Ladendedektiv
Eine Ansicht: Ein Gewahrsamsbruch setze voraus, dass der Täter den Gewahrsam gegen oder ohne den Willendes Inhabers aufhebt. Beobachtet der Berechtigte den Vorgang und schreitet bewusst nicht ein, liege darin ein tatbestandsausschließendes Einverständnis – zumindest konkludent. Der Täter erlange den Gewahrsam mit dem Wissen und Wollen des Inhabers, sodass es an einem Bruch fehle.
H.M.: Der bloße Umstand, dass der Inhaber den Diebstahl sieht und nicht einschreitet, bedeutet keintatbestandsausschließendes Einverständnis. § 242 StGB ist nach seinem Wortlaut kein heimliches Delikt – die Tat kann auch offen vor den Augen des Inhabers begangen werden. Ein Einverständnis muss positiv festgestellt werden; bloßes Dulden oder Unterlassen reicht nicht aus.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis darf nicht vorschnell unterstellt werden, nur weil der Inhaber den Vorgang sieht. Das bewusste Nichteingreifen ist regelmäßig kein Ausdruck des Willens, den Gewahrsam freiwillig aufzugeben, sondern dient meist der Beweissicherung beziehungsweise Täterüberführung.
Vernetztes Lernen
Die Problematik des beobachteten Gewahrsamsbruch kann auch im Rahmen der SB-Tankstellenfälle relevant werden. Auch hier stellt sich die Frage, ob überhaupt ein Gewahrsamsbruch vorliegt, wenn etwa ein Tankstellenmitarbeiter den Täter beim Befüllen des Tanks und dem anschließenden Wegfahren beobachtet. Die Meinungsstreitigkeiten bauen also aufeinander auf.
f) Warenautomat
Eine weitere klassische Konstellation ist, ob ein Diebstahl auch angenommen werden kann, wenn der Täter eine Sache aus einem Warenautomaten entwendet. Hier muss regelmäßig unterschieden werden, ob der Täter den Automaten ordnungsgemäß bedient oder nicht.
aa) Ordnungswidrige Bedienung
Insofern der Automat technisch ordnungswidrig bedient wird, liegt kein Einverständnis des Automatenbetreibers zur Gewahrsamsübertragung vor.
Beispiel
Eigentümer E stellt an einer Straßenecke einen Warenautomaten auf, an dem Süßigkeiten, sowie Tabakwaren erworben werden können. Täter T bedient den Automaten mit falschen Geldmünzen.
Hier liegt ein Gewahrsamsbruch vor und T macht sich wegen Diebstahls, gemäß § 242 I StGB strafbar.
bb) Ordnungsgemäße Bedienung
Insofern der Täter den Automaten technisch ordnungsgemäß bedient, liegt ein wirksames Einverständnis des Automatenbetreibers vor.
Beispiel
Eigentümer E stellt an einer Straßenecke einen Warenautomaten auf, an dem Süßigkeiten, sowie Tabakwaren erworben werden können. Täter T bedient den Automaten mit einer fremden, gestohlenen Bankkarte per kontaktloser NFC-Zahlung.
In diesem Beispiel bedient der T den Automaten rein technisch ordnungsgemäß.
Ihm fehlt zwar die Berechtigung hinsichtlich der Zahlung mit der fremden Geldkarte, das ist jedoch für das Einverständnis gegenüber dem Inhaber der Waren im Automaten unbeachtlich.
g) Geldautomaten
Höchst examensrelevant sind die sogenannten Geldautomatenfälle. Das liegt zum einen daran, dass grundlegende Fragen über den Gewahrsamsbruch umstritten sind, und daran, dass leichte Abwandlungen des Sachverhalts häufig zu unterschiedlichen Straftaten führen.
Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden:
Täter verwendet die fremde Karte sowie dazugehörige PIN selbst, um Geld abzuheben;
Täter lenkt den Kunden nach der Eingabe der PIN durch diesen ab und entnimmt die Geldscheine aus dem Ausgabefach des Geldautomaten;
Täter wendet Gewalt an, um das Geld aus dem Ausgabefach des Geldautomaten zu entwenden.
aa) Verwendung einer fremden Karte
Fraglich ist zunächst, ob ein Gewahrsamsbruch vorliegt, wenn der nicht berechtigte Täter Geld mit einer fremden EC-Karte abhebt.
Beispiel
T ist Gärtner beim wohlhabenden O. Er beschließt, dass er eine Gehaltserhöhung verdient habe. T weiß, wo O seine Geldbörse deponiert und auch, dass O ein PIN-Heftchen hat, in dem O alle PIN und Passwörter notiert. Er schnappt sich die EC-Karte des O und merkt sich die dazugehörige PIN. Er fährt zum nächstgelegenen Geldautomaten der Sparkasse S und hebt 15.000 € ab.
Fraglich ist hier, ob der T das Gewahrsam der S an den Geldscheinen gegen deren Willen aufhebt – also ein Gewahrsamsbruch vorliegt.
Dabei ist zunächst zwischen der Übereignung des Geldes und dem Einverständnis in den Gewahrsamswechsel zu unterscheiden.
Das Geld bleibt für T fremd, weil S die Geldscheine nur an den Kontoinhaber übereignen will. Insofern fehlt es an einer dinglichen Einigung (§ 929 S. 1 BGB) zwischen S und T.
Hinsichtlich der Frage, ob der Wille der S auch dahinging, das Gewahrsam nur an den Kontoinhaber zu übertragen, ergibt sich jedoch ein anderes Bild.
T bediente den Geldautomaten technisch ordnungsgemäß.
Außerdem gibt es keine über die PIN-Kontrolle hinausgehende Identitätskontrolle zur Entnahme des Geldes.
Daher liegt ein wirksames Einverständnis in den Gewahrsamswechsel vor.
T hat sich nicht gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht.
Allerdings liegt eine Unterschlagung (§ 246 StGB) sowie ein Computerbetrug durch die unbefugte Datenverwendung vor (§ 263 I Mod. 3 StGB).
bb) Entnahme von Geldscheinen aus dem Ausgabefach nach Ablenkung des Karteninhabers
In dieser Konstellation stellt sich die Frage, ob ein Gewahrsamsbruch an den Geldscheinen vorliegt, wenn der Täter diese nach technischer Legitimation durch den Berechtigten, aber ohne dessen Willen, aus dem Ausgabefach entnimmt.
Beispiel
Kunde K hebt an einem Geldautomaten seiner Bank S 500 € ab. Nachdem er die Bankkarte und die PIN eingegeben hat, wird er von T unter einem Vorwand abgelenkt. T gibt einen höheren Betrag ein und entnimmt anschließend die im Ausgabefach liegenden Geldscheine.
In diesem Fall sind zwei Rechtsfragen umstritten:
Besteht überhaupt noch Gewahrsam der Bank S, wenn die Geldscheine “zur freien Verfügung“ im Ausgabefach des Automaten stecken, also ungehindert von jedermann entnommen werden können?
Liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor, weil S an jedermann das Gewahrsam übertragen will, oder will sie nur an den Kontoinhaber übertragen?
Problem
Gewahrsam der Bank an Geldscheinen im Ausgabefach des Geldautomaten?
Nach herrschender Meinung besteht Bankgewahrsam bis zur Entnahme durch den legitimierten Kunden fort. Zwar ist der Gewahrsam „gelockert“, da sich die Scheine nicht mehr unmittelbar im Automaten befinden. Die Bank behält jedoch eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit, etwa durch den programmierten Rückeinzug nach Ablauf einer bestimmten Zeit. Dieser gelockerte Gewahrsam reicht für einen Gewahrsamsbruch aus.
Die Gegenansicht sieht den Gewahrsam der Bank mit dem Transport der Scheine ins Ausgabefach als beendet an. Die Bank habe jede faktische Herrschaft aufgegeben; die Geldscheine stünden nun ausschließlich im Alleingewahrsam des Kunden.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Die tatsächliche Rückholmöglichkeit durch den Automaten zeigt, dass die Bank noch nicht vollständig auf ihre Sachherrschaft verzichtet hat. Auch nach den Anschauungen des täglichen Lebens würde man davon ausgehen, dass das Geld im Ausgabefach bis zur Entnahme weiterhin „unter Kontrolle“ der Bank steht.
Fraglich ist nun, ob das (antizipierte) Einverständnis der Bank in den Gewahrsamswechsel personell beschränkt ist oder allein an die technische Bedienung des Automaten anknüpft.
Problem
Beschränktes Einverständnis in den Gewahrsamwechsel bei Geldscheinen im Ausgabefach eines Geldautomaten?
Die herrschende Meinung beschränkt das Einverständnis personell: Gewahrsam soll nur an diejenige Person übertragen werden, die sich durch Karte und PIN legitimiert hat. Greift dagegen ein Dritter ins Ausgabefach, fehlt es am Einverständnis der Bank in den Gewahrsamswechsel – die Entnahme ist daher als Wegnahme zu qualifizieren. Das Einverständnis ist also an eine äußerlich erkennbare Bedingung geknüpft: vorherige ordnungsgemäße Legitimation und auch Bedienung.
Die Gegenansicht knüpft das Einverständnis allein an die technische Bedienung des Automaten. Wird der Abhebevorgang ordnungsgemäß abgeschlossen, will die Bank den Gewahrsam an den Scheinen auch auf jede Person übertragen, die diese entnimmt – unabhängig davon, wer Karte und PIN eingegeben hat. Greift dann ein Dritter ins Ausgabefach, fehlt es an einem Gewahrsamsbruch; es läge eher eine Unterschlagung vor.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Das Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers kann rechtlich wirksam an äußerlich erkennbare Bedingungen geknüpft werden. Nach lebensnaher Anschauung will die Bank nur an den legitimierten Kunden herausgeben – nicht an beliebige Dritte, die zufällig zugreifen.
Somit hatte in dem uns vorliegenden Fall die Bank S noch Gewahrsam an den Geldscheinen, als diese im Ausgabefach lagen, womit T durch das Herausnehmen der Scheine den Gewahrsam der Bank S gebrochen hat. Auch liegt kein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank S vor, da diese den Gewahrsam nur an denjenigen übertragen will, welcher sich durch Karte und PIN legitimiert hat. Das ist vorliegend aber K, wodurch auch kein tatbestandsausschließendes Einverständnis zugunsten des T vorliegt. Dieser hat sich durch das Herausnehmen der Geldscheine aus dem Ausgabefach des Diebstahls nach § 242 I StGB strafbar gemacht.
cc) Entnahme von Geldscheinen aus dem Ausgabefach nach Nötigung des Kunden
In dieser Konstellation nötigt der Täter den Kunden, die bereits im Ausgabefach liegenden Geldscheine herauszugeben oder sie nicht zu entnehmen, damit er selbst zugreifen kann.
Beispiel
Kunde K hebt an einem Geldautomaten seiner Bank S 1.000 € ab. Nachdem er Karte und PIN eingegeben hat, tritt T an ihn heran, bedroht ihn mit einem Messer und zwingt ihn, sich vom Automaten zu entfernen. T entnimmt anschließend die im Ausgabefach liegenden Geldscheine.
Weil auch der Raub eine Wegnahme voraussetzt, stellen sich auch hier dieselben beiden Vorfragen wie im Rahmen der Wegnahme beim Diebstahl:
Fortbestehen des Bankgewahrsams bis zur Entnahme durch den legitimierten Kunden?
Reichweite des (antizipierten) Einverständnisses der Bank?
Allein die Rechtsfolge ist anders. Denn aufgrund der Gewaltanwendung als Nötigungsmittel, stellt sich hier nicht die Frage, ob Diebstahl oder Unterschlagung vorliegt, sondern ob Raub (§ 249 I StGB) oder räuberische Erpressung (§ 255 StGB) vorliegt.
Vernetztes Lernen
Hier muss allerdings neben den oben aufgeführten Meinungsstreitigkeiten noch der klassische Streit um die Abgrenzung Raub / räuberische Erpressung geführt werden.
Das heißt, dass die oben aufgezeigten Geldautomaten-Fälle gleich drei (!) Meinungsstreitigkeiten beinhalten können. Auch aus diesem Grund sind solche Fälle außerordentlichst beliebt.
Vorliegend entnimmt T die Geldscheine selbst aus dem Ausgabefach. Da die Rechtsprechung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzt, handelt es sich vorliegend um eine Wegnahme und somit um einen Raub nach § 249 I StGB.
h) Abgrenzung Trickdiebstahl und Sachbetrug
Problematisch können auch solche Fälle sein, in denen auf den ersten Blick ein Übergeben der Sache durch das Opfer an den Täter vorliegt.
Diebstahl ist ein sogenanntes Fremdschädigungsdelikt.
Der Täter schädigt also grundsätzlich durch sein direktes Einwirken auf den Gegenstand (das Eigentum des Opfers)
Betrug ist ein sogenanntes Selbstschädigungsdelikt.
Der Täter schädigt also nicht direkt durch sein Einwirken auf den Gegenstand, sondern mittelbar durch Einwirken (Täuschung) auf das Opfer, das wiederum unmittelbar durch eine Vermögensverfügung sein eigenes Vermögen selbst schädigt.
Es liegt daher nahe, bei einem Übergeben der Sache an den Täter einen Betrug anzunehmen, es muss aber beachtet werden:
Die Abgrenzung zwischen Trickdiebstahl (§ 242 StGB) und Sachbetrug (§ 263 StGB) hängt also maßgeblich davon ab, ob das Opfer durch eine Täuschung freiwillig seinen Gewahrsam vollständig aufgibt (dann Sachbetrug) oder ob es den Gewahrsam nur lockert und der Täter diesen anschließend bricht (dann Trickdiebstahl).
Beispiel
T betritt das Juweliergeschäft des O und überzeugt diesen, ihm eine hochwertige Armbanduhr zu geben und sie auch anzulegen. Anschließend fragt T, ob er sich die Uhr einmal im Sonnenlicht ansehen dürfe. O stimmt zu, woraufhin T zur Glastür geht und plötzlich davonrennt.
In diesem Beispiel liegt keine freiwillige Gewahrsamsaufgabe vor.
O wollte die Uhr nicht vollständig aus der Hand geben, sondern sie T nur kurzzeitig überlassen, um sie zu begutachten.
Die Täuschung des T führte daher lediglich zu einer täuschungsbedingten Gewahrsamslockerung – der Juwelier behielt zumindest Mitgewahrsam (siehe oben) an der Uhr.
Als T die Uhr an sich nimmt und flieht, bricht er diesen Mitgewahrsam, sodass eine Wegnahme im Sinne des § 242 StGB vorliegt.
i) Beschlagnahme durch einen falschen Amtsträger
Problematisch wird der Gewahrsamsbruch häufig, wenn der Täter als angeblicher Amtsträger auftritt und dem Opfer vorgibt, eine amtliche Beschlagnahme vorzunehmen.
Beispiel
T gibt sich gegenüber O als Polizeibeamter aus und erklärt, er müsse dessen Computer „wegen einer laufenden Ermittlung“ beschlagnahmen. O, im Glauben an eine echte Maßnahme, händigt den Computer aus. Tatsächlich ist T Privatperson und handelt in reinem Bereicherungsinteresse.
Die streitige Frage ist dabei, ob hier ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des O in den Gewahrsamswechsel vorliegt.
Problem
Liegt trotz Täuschung ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor?
Nach herrschender Meinung fehlt es am Einverständnis, wenn der Gewahrsamsinhaber irrig von einer bestehenden Pflicht zur Herausgabe ausgeht. O wollte den Gewahrsam nicht „frei“ übertragen, sondern handelte in dem Glauben, einem Zwang nachzukommen. Die Gewahrsamsübertragung beruht daher nicht auf seiner freien Willensbildung, sondern auf Zwang, was ein tatbestandsausschließendes Einverständnis ausschließt.
Die Gegenansicht nimmt ein Einverständnis an, weil O den Gegenstand tatsächlich willentlich herausgibt. Der Irrtum über die Rechtslage ändere daran nichts.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Ein Einverständnis setzt eine auf freier Willensbildung beruhende Entscheidung voraus. Wer eine Sache nur herausgibt, weil er glaubt, einer amtlichen Anordnung Folge leisten zu müssen, entscheidet sich nicht „frei“, sondern handelt unter psychischem Zwang. Das Einverständnis ist damit unwirksam – es liegt eine Wegnahme i.S.d. § 242 StGB vor.
Für obiges Beispiel bedeutet das, dass T wegen § 242 I StGB sowie wegen Amtsanmaßung, § 132 StGB, strafbar ist.
2. Begründung neuen Gewahrsams
Definition
Neuer Gewahrsam ist begründet, wenn der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt hat, dass ihrer Ausübung keine weiteren Hindernisse mehr entgegenstehen.
Auch hier ist, anknüpfend an die herrschende Apprehensionstheorie, die Verkehrsanschauung entscheidend. Das bedeutet, dass bereits das Verbringen der Sache in die Gewahrsamsenklave des Täters eine Begründung neuen Gewahrsams darstellt.
Merke
Die Apprehensionstheorie verlangt eine Ansichnahme, damit ein Gewahrsamswechsel angenommen werden kann.
a) Gewahrsamsenklave
Definition
Eine Gewahrsamsenklave ist gegeben, wenn der Täter die Sache in einen Bereich verbringt, über den er ungestört und ohne wesentliche Einwirkungsmöglichkeiten Dritter die tatsächliche Sachherrschaft ausüben kann.
Beispiel
Bei kleinen Gegenständen, wie einem Schlüssel, ist dies bereits mit dem Ergreifen der Fall.
Bei mittelgroßen Gegenständen, wie einer Flasche Wein, ist dies etwa mit dem Einstecken in die Handtasche / den Rucksack der Fall.
Merke
Das bedeutet, dass der Diebstahl im Moment des Ergreifens / Einsteckens vollendet ist. Das wiederum hat vor allem zwei Folgen in der Klausur:
Rücktritt (§ 24 StGB) ist nicht mehr möglich.
Danach kann ein qualifiziertes Nötigungsmittel nicht mehr final eingesetzt werden, weil es am raubspezifischen Finalzusammenhang fehlt (Raub, § 249 StGB liegt dann nicht vor, sollte aber ein qualifiziertes Nötigungsmittel nach der Begründung neuen Gewahrsams eingesetzt werden, ist § 252 StGB möglich, allerdings mit dem gängigen Problem der Beuteerhaltungsabsicht).
b) Nicht notwendigerweise tätereigenes Gewahrsam
Zu beachten ist auch, dass der neu begründete Gewahrsam nicht tätereigen sein muss. Auch wenn der Täter im Normalfall selbst neuen Gewahrsam begründet (etwa indem er die Sache in die eigene Tasche steckt), ist dies nicht zwingend erforderlich. Entscheidend ist allein, dass er durch sein Handeln den Bruch fremden Gewahrsams herbeiführt und dadurch die Begründung neuen Gewahrsams – sei es durch ihn selbst oder durch einen Dritten – ermöglicht.
Ein enger zeitlicher oder räumlicher Zusammenhang zwischen Aufhebung und Neubegründung des Gewahrsams ist ebenfalls nicht erforderlich. So verwirklicht auch derjenige eine Wegnahme, der einen Dritten dazu bringt, die Sache an sich später an einem anderen Ort an sich zu nehmen.
Beispiel
T wirft Pakete von einem Güterzug, welche sein Kollege K später am Abend einsammelt.
In diesem Beispiel begründet der T nicht tätereigenen Gewahrsam.
Vielmehr ermöglicht er die Gewahrsamsbegründung bei einem Dritten.
Ersichtlich wird auch hier, dass der Teilakt der Wegnahmehandlung “Bruch fremden Gewahrsams” und der Teilakt “Begründung neuen, nicht unbedingt tätereigenen Gewahrsams” nicht in einem engen zeitlichen oder räumlichen Zusammenhang stehen müssen.
In diesem Beispiel ist die Wegnahmehandlung und mithin auch der Diebstahl insgesamt erst mit der Begründung des Gewahrsams durch K vollendet.
Vernetztes Lernen
Dieses Beispiel ist im Übrigen ein perfektes Beispiel für eine Mittäterschaft, bei der die Beteiligten (T und K) den Tatbestand (§ 242 I StGB) nur durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gemeinsam erfüllen.
Hier müsste also eine gemeinsame Prüfung der Beteiligten erfolgen.
IV. Subjektiver Tatbestand
Im subjektiven Tatbestand ist neben dem normalen Vorsatzerfordernis hinsichtlich der objektiven Tatbestände die sogenannte überschießende Innentendenz zu beachten.
Definition
Eine überschießende Innentendenz liegt vor, wenn ein Straftatbestand über den Vorsatz hinaus ein besonderes subjektives Merkmal verlangt, das sich auf die innere Einstellung des Täters zu den Tatfolgen oder Tatobjekten bezieht.
Merke
Woran erkennt man Straftatbestände mit überschießender Innentendenz?
Wenn der Tatbestand ausdrücklich “Absicht” verlangt, wird regelmäßig ein zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal vorliegen, das nicht bloßer Vorsatz ist.
Wortlaut § 242 I StGB:
“(...) in der Absicht (...), die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen”
((Dritt-)Zueignungsabsicht)!
1. Vorsatz bzgl. objektiver Merkmale
Hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale ist dolus eventualis ausreichend.
2. (Dritt-)Zueignungsabsicht
Definition
Der Täter hat (Dritt-)Zueignungsabsicht, wenn er mit Aneignungsabsicht und Enteignungsvorsatz handelt.
Merke
Beachte: § 242 I StGB schützt sowohl den Gewahrsamsträger als auch den Eigentümer
Wegnahme: Angriff auf den ursprünglichen Gewahrsamsinhaber!
Zueignung: Angriff auf den Eigentümer!
a) Aneignungsabsicht
Definition
Der Täter hat Aneignungsabsicht, wenn es ihm gerade darauf ankommt, den Gegenstand zumindest vorübergehend in sein eigenes Vermögen oder das eines Dritten einzuverleiben.
Vernetztes Lernen
Hier ist also dolus directus 1. Grades notwendig!
aa) Drittzueignung
Die Zueignungsabsicht erfordert nicht zwingend, dass der Täter sich die Sache selbst aneignen will. Auch eine Drittzueignung ist möglich, wenn der Täter beabsichtigt, die Sache einem Dritten zuzuwenden und den Eigentümer dauerhaft aus seiner Stellung zu verdrängen.
Beispiel
T nimmt dem O im Gedränge der U-Bahn geschickt die Halskette ab und hängt sie seiner danebenstehenden Freundin F um, mit der Erklärung, dieses Schmuckstück gehöre nun ihr ganz allein.
bb) Nur vorübergehende Aneignung
Grundsätzlich genügt die Absicht zur nur vorübergehenden Aneignung. Es reicht also aus, dass es dem Täter gerade darauf ankommt, den Gegenstand nur vorübergehend in sein Vermögen einzuverleiben, mithin nur vorübergehend, wie ein Eigentümer mit der Sache zu verfahren.
Beispiel
T hat einen Surfurlaub an der Atlantikküste Frankreichs gebucht. Zwei Tage vor Abreise bemerkt er, dass sein Surfboard kaputt ist. Er bestellt sich ein neues Surfboard, wobei schnell klar wird, dass dieses nicht mehr rechtzeitig ankommen wird. T weiß, dass sein Nachbar N, der seine Garagentür gerne mal unverschlossen lässt, ein Surfboard in seiner Garage hängen hat. Eines Abends entwendet er das Surfboard, wobei dem T bei der Wegnahme schon klar ist, dass er das Surfboard des N in Frankreich entsorgen wird, da zu Hause ja ein neues auf ihn wartet.
In diesem Beispiel will T nur vorübergehend wie ein Eigentümer über die Sache verfügen, es sich also nur vorübergehend in sein Vermögen einverleiben.
Problematisch wird eine vorübergehende Aneignung jedoch dann, wenn der Täter ein Transportbehältnis nur deshalb wegnimmt, um an den Inhalt zu gelangen.
Beispiel
T sieht die prall gefüllte Geldbörse in der Hintertasche des O. Im Gedränge der engen U-Bahn greift sich T die Geldbörse des O, um sich der darin befindlichen Geldscheine zu bemächtigen. Während der Wegnahme war T bereits klar, dass er die Geldbörse nach Entnahme des Geldes wegschmeißen würde.
Hat sich T wegen Diebstahls an der Geldbörse strafbar gemacht?
Ob sich der T in diesem Beispiel wegen des Diebstahls an der Geldbörse strafbar gemacht hat, hängt davon ab, ob der T sich die Geldbörse zumindest vorübergehend aneignen wollte.
Ob Aneignungsabsicht vorliegt, ist in solchen Fällen umstritten:
Problem
Aneignungsabsicht hinsichtlich des Transportbehältnisses?
Die herrschende Meinung verneint die Aneignungsabsicht. Dem Täter gehe es nur um den Inhalt, nicht aber um die Geldbörse selbst. Da er diese nach Entnahme des Geldes sofort wegwerfen will, fehle es an der Zueignungsabsicht hinsichtlich des Behältnisses. Daher sei nur Diebstahl am Inhalt gegeben.
Eine Mindermeinung bejaht die Aneignungsabsicht. Der Täter nutzt die Geldbörse zumindest vorübergehend als Transportbehältnis und eignet sie sich damit in diesem Zeitraum an. Da auch eine nur vorübergehende Aneignung genügt, liegt Zueignungsabsicht auch an der Geldbörse vor.
Stellungnahme: Die Mindermeinung überzeugt. Wer die Geldbörse zur Mitnahme der Beute verwendet, eignet sie sich zumindest kurzzeitig an. Es wäre künstlich, in diesem Moment zwischen Behältnis und Inhalt zu trennen. Damit liegt Zueignungsabsicht auch hinsichtlich der Geldbörse vor.
b) Enteignungsvorsatz
Definition
Enteignungsvorsatz meint den Willen des Täters, den Berechtigten auf Dauer aus seiner Herrschaftsposition über die Sache zu verdrängen.
Dabei genügt es, wenn der Täter dolus eventualis aufweist, er also zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Berechtigte aus seiner Herrschaftsposition verdrängt wird. Eine Absicht wie im Rahmen der Aneignung braucht es nicht.
Beispiel
A will einen Raubüberfall begehen. A besorgt sich hierfür einen Fluchtwagen, den er vom Hof des O klaut. Wie von Anfang an geplant, lässt A den Wagen nach erfolgreichem Raubüberfall mit dem Schlüssel im Zündschloss auf einer Autobahnraststätte stehen.
In diesem Beispiel könnte der Wagen auch von der Polizei gefunden und an O zurückgegeben werden. Dennoch hat A es zumindest billigend in Kauf genommen, dass ein Dritter den Wagen an sich nimmt und O dauerhaft aus seiner Herrschaftsstellung verdrängt wird.
Problematisch wird es jedoch in folgenden Fallkonstellationen:
aa) Bloße Gebrauchsanmaßung
Zunächst ist der Diebstahl von der bloßen Gebrauchsanmaßung abzugrenzen:
Die Gebrauchsanmaßung (furtums usus, wörtl.: furtum = Diebstahl; usus = Gebrauch; also: „Gebrauchsdiebstahl“) ist grundsätzlich straflos. Ausnahmen bilden nur die speziellen Tatbestände der §§ 248b, 290 StGB.
Abzugrenzen ist sie vom Diebstahl anhand des sog. Rückführungswillens:
Nimmt der Täter die Sache nur weg, um sie zu gebrauchen, und hat er dabei (wenigstens mit dolus eventualis) den Willen, sie dem Eigentümer anschließend in einem für diesen wiederzuerlangenden Zustand zurückzugeben, fehlt es an der Enteignungskomponente – ein Diebstahl scheidet aus.
Anders liegt der Fall, wenn der Täter die Sache zwar zunächst nur nutzen will, es aber dem Zufall überlässt, ob, wann und in welchem Zustand der Eigentümer sie zurückbekommt. Dann fehlt der Rückführungswille und die Wegnahme ist als Diebstahl zu qualifizieren (siehe Fluchtwagenfall oben)
Klausurtipp
Gerade bei Kraftfahrzeugen ist deshalb entscheidend, ob der Täter von vornherein plant, das Fahrzeug nach der Fahrt in der Nähe des Ausgangsortes oder an einem vergleichbaren Ort abzustellen, an dem der Eigentümer es sicher wiederfindet (dann nur § 248b StGB). Fehlt eine solche Rückführungsabsicht, liegt § 242 StGB vor.
Merke
Die Zueignungsabsicht muss bereits im Zeitpunkt der Wegnahme vorliegen. Entwickelt sich die Absicht erst später, kommt nur eine Strafbarkeit nach § 246 StGB in Betracht. Liegt sie zunächst vor, gibt der Täter die Sache aber später zurück, bleibt es dennoch bei § 242 StGB.
bb) Gegenstand der Enteignung
Fraglich ist, worauf sich die Enteignung im Sinne des § 242 StGB überhaupt bezieht. Dies ist umstritten:
Problem
Gegenstand der Enteignung
Substanztheorie: Enteignung bezieht sich allein auf die körperliche Substanz der Sache. Ein Enteignungsvorsatz liegt nur vor, wenn der Täter die Sache dauerhaft vom Eigentümer trennen will – der wirtschaftliche Wert genügt nicht.
Sachwerttheorie: Hier geht es um den in der Sache unmittelbar verkörperten wirtschaftlichen Wert (lucrum ex re). Auch ohne dauerhafte Substanzentziehung liegt eine Enteignung vor, wenn der Täter diesen Wert wirtschaftlich zu eigenen Zwecken dem Opfer entzieht.
Vereinigungstheorie: Die heute herrschende Theorie verbindet beide Ansätze. Enteignung liegt vor, wenn der Täter entweder die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert betrifft.
Stellungnahme: Die Vereinigungstheorie überzeugt. Sie ermöglicht eine flexible, systematisch fundierte Anwendung, die sowohl den Eigentumsschutz als auch die wirtschaftliche Realität berücksichtigt. Gleichzeitig wahrt sie die Grenze zum bloßen Vermögensdelikt durch die Einschränkung auf den Sachwert im Gegenstand selbst (lucrum ex re).
Merke
Exkurs: lucrum ex re vs. lucrum ex negotio cum re
Wörtlich bedeutet lucrum ex re „Gewinn aus der Sache selbst“, während lucrum ex negotio cum re „Gewinn aus einem Geschäft mit der Sache“ meint.
lucrum ex re: Gemeint ist der unmittelbar in der Sache verkörperte Wert.
Beispiel: T entwendet ein Sparbuch und hebt mit ihm das Guthaben ab. Das Guthaben ist der in der Sache verkörperte Wert, sodass Enteignung vorliegt.
lucrum ex negotio cum re: Hier geht es um Gewinne, die nicht aus der Sache selbst, sondern erst aus einem Geschäft mit ihr entstehen.
Beispiel: T nimmt der O ihre Halskette weg, um sie weiterzuverkaufen.
Zur Verdeutlichung folgende Beispiele:
aaa) Sparbuchfall
Beispiel
T entwendet Oma O ihr Sparbuch, um am Schalter Geld abzuheben. Das Sparbuch selbst will er anschließend wieder zurückgeben.
Nach der Substanztheorie fehlt es an einem Enteignungsvorsatz, da T die Sache (Sachsubstanz) selbst zurückgeben will.
Nach der Sachwerttheorie liegt Enteignungsvorsatz vor, da der wirtschaftliche Wert (Auszahlungsanspruch) dem Berechtigten dauerhaft entzogen werden soll.
Nach der Vereinigungstheorie liegt aus gleichen Gründen wie bei der Sachwerttheorie Enteignungsvorsatz vor.
bbb) EC-Karten-Fall
Beispiel
T stiehlt Oma O ihre EC-Karte, um mit dieser Geld abzuheben. Die Karte will T der O anschließend wiederbringen.
Anders als beim Sparbuch ist hier der Wert nicht im körperlichen Gegenstand selbst verkörpert.
Die Codekarte wird weder optisch verändert, noch wird der Karte als körperlichem Gegenstand anderweitig ein geringerer Wert beigemessen. Entscheidend sind anderweitig gespeicherte Ansprüche gegen die Bank hinsichtlich der Auszahlung des Kontoguthabens.
Nach allen Ansichten liegt Enteignung nur vor, wenn der Täter auch die Karte behalten will.
ccc) Geplanter Rückverkauf
Beispiel
T entwendet dem O eine teure Uhr aus seinem Haus, um ihm diese nach einiger Zeit unter Leugnung seiner Eigentümerposition wieder zurückzuverkaufen.
Nach der Substanztheorie liegt kein Enteignungsvorsatz vor, da T die Sachsubstanz nicht auf Dauer entziehen will. Vielmehr will er die Sachsubstanz dem O unverändert wiedergeben.
Nach der Sachwerttheorie liegt der Enteignungsvorsatz vor, da T dem Opfer dessen wirtschaftliche Position dauerhaft bestreitet. Für ihn ist die gewonnene Sachsubstanz i.Z. völlig wertlos, da diesem der Sachwert entzogen wird.
Nach der Vereinigungstheorie liegt aus gleichen Gründen wie bei der Sachwerttheorie Enteignungsvorsatz vor.
cc) Pfandflaschen
Bei Pfandflaschen handelt es sich zunächst unstrittig um fremde bewegliche Sachen, egal in wessen Eigentum (Hersteller oder Gewahrsamsinhaber) die Flasche steht. Fraglich ist jedoch die Zueignungsabsicht, insbesondere ob ein Enteignungsvorsatz vorliegt. Dabei ist zwischen nicht individualisierten und individualisierten Pfandflaschen zu unterscheiden.
aaa) Nicht individualisierte Pfandflaschen
Nach ganz herrschender Meinung gilt: Bei nicht individualisierten Flaschen (etwa Standardbierflaschen ohne Stanzung) erfolgt die Übereignung an den Endverbraucher.
Entwendet der Täter solche Flaschen, tritt er später bei der Rückgabe als vermeintlicher Eigentümer auf – dies genügt für einen dauerhaften Enteignungsvorsatz. Ähnlich wie bei den geplanten Rückverkäufen. Zusätzlich liegt beim Einlösen regelmäßig ein Betrug vor, da wegen § 935 BGB kein Eigentumserwerb erfolgt; dieser tritt jedoch als mitbestrafte Nachtat zurück.
Beispiel
T klaut aus dem Supermarkt einen Sixer Bier in Standardflaschen ohne Stanzung. Bei der Wegnahme weiß T jedoch, dass er die Flaschen nach Leerung wieder zurückbringen will.
In diesem Fall
bbb) Individualisierte Flaschen
Bei individualisierten Flaschen (z. B. eingestanztes Label, Sonderprägung) behält nach h.M. der Hersteller das Eigentum. Der Täter will hier bei Rückgabe nicht eigentümergleich auftreten, sodass ein Enteignungsvorsatz fraglich ist. Teilweise wird gleichwohl ein solcher bejaht, wenn man in den Flaschen eine Art „Quittung“ für den Rückzahlungsanspruch sieht, die der Täter wegnimmt, um diesen eigentümergleich geltend zu machen. In diesem Fall wäre zudem zu prüfen, ob beim Einlösen ein Betrug vorliegt, etwa durch Täuschung über die eigene Berechtigung, wobei der Vermögensnachteil in den Herausgabeansprüchen (§ 1007 BGB) des ursprünglichen Besitzers gesehen werden kann.
Problem
(P) Strafbarkeit, wenn Täter Pfandflaschen entwendet, um diese zurückzugeben
In diesem Fall liegen fremde bewegliche Sachen vor, da diese unabhängig von der sonstigen Eigentumslage an Pfandflaschen, jedenfalls für den Täter fremd sind. Problematisch ist die Zueignungsabsicht, insbesondere der Enteignungsvorsatz. Die Beurteilung hängt von der zivilrechtlichen Lage ab.
Die ganz herrschende Meinung nimmt bei nicht individualisierten Flaschen eine Übereignung an den Käufer (Endverbraucher) an. Dann würde der Täter später als Eigentümer der Flasche auftreten, was ausreichend für einen dauerhaften Enteignungsvorsatz bei der Wegnahme ist. Ferner dürfte beim Einlösen ein Betrug vorliegen, da der Einlösende wegen § 935 BGB nicht Eigentum erlangt. Dieser dürfte jedoch als mitbestrafte Nachtat zurücktreten.
Bei individualisierten Flaschen (wo das Label beispielsweise in die Flasche eingestanzt ist) behält sich der Hersteller nach wohl herrschender Meinung das Eigentum an Flaschen vor (eine Minderansicht lehnt dies ab, da der Endverbraucher nicht zwischen den Flaschentypen differenziert). Dann will der Täter bei der Rückgabe nicht eigentümergleich auftreten, sodass der Enteignungsvorsatz fehlen würde. Jedoch lässt sich auch bei individualisierten Flaschen der Enteignungsvorsatz vertreten, wenn man in den Flaschen zugleich eine „Quittung“ (analog § 370 BGB) für den Rückzahlungsanspruch sieht, die der Täter weggenommen hat, um sie insoweit eigentümergleich zu nutzen. Letztere Problematik wäre auch für das Folgeproblem von Bedeutung, ob ein Betrug (Täuschung über die Berechtigung!) beim Einlösen zum Nachteil des Einlösenden vorliegt. Ein Vermögensnachteil könnte in den Ansprüchen des früheren Besitzers nach § 1007 BGB gegen den Einlösenden zu sehen sein.
c) Rechtswidrigkeit der Zueignung
Die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist ein objektives Tatbestandsmerkmal, das allerdings im subjektiven Tatbestand geprüft wird. Es geht nicht um die generelle Rechtswidrigkeit der Tat im Sinne des klassischen Dreistufenschemas (Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld), sondern spezifisch darum, ob die beabsichtigte Zueignung mit der bestehenden Eigentumsordnung in Einklang steht.
Definition
Rechtswidrig ist die Zueignung, wenn sie im Widerspruch zur bestehenden Eigentumsordnung steht, also wenn dem Täter kein fälliger und durchsetzbarer Anspruch auf die Sache zusteht.
Anders als bei der allgemeinen Rechtswidrigkeitsprüfung werden hier nicht Rechtfertigungsgründe (z. B. Notwehr, § 32 StGB) geprüft, sondern allein die Frage, ob die Zueignung nach der zivilrechtlichen Eigentumslage legitimiert ist.
Besonders relevant und klausurbeliebt sind solche Fallkonstellationen, in denen der Täter Bargeld wegnimmt, weil das Tatopfer Geldschulden beim Täter hat.
aa) Wegnahme von Bargeld wegen Geldschulden
Beispiel
A ist bei O zu Besuch. Als O kurz hinausgeht, geht A an sein Portemonnaie und entwendet einen 100-EUR-Schein und steckt diesen in seine Hosentasche, da O dem A seit geraumer Zeit 100 EUR aus einem Darlehensvertrag schuldet und trotz Fälligkeit nicht zurückgezahlt hat, sodass er der Meinung ist, dass er einen fälligen einredefreien Anspruch auf den Geldschein hat.
Umstritten ist hier, ob die Zueignung rechtswidrig ist, wenn der Täter Geld entwendet, um damit eine fällige und einklagbare Geldschuld gegenüber dem Opfer zu tilgen.
Problem
Rechtswidrigkeit der Zueignung bei eigenmächtiger Bargeldwegnahme und bestehendem fälligen und durchsetzbaren Anspruch
Eine Auffassung in der Literatur verneint in solchen Fällen die Rechtswidrigkeit. Begründet wird dies damit, dass Geldschulden keine Sachschulden, sondern Wertsummschulden seien. Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel stehe im Vordergrund, der strafrechtliche Eigentumsschutz trete zurück. Wer sich also eigenmächtig befriedige, nehme dem Gläubiger letztlich nur das, was ihm ohnehin zustehe – die Schuld werde objektiv getilgt. Folglich fehle es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.
Die herrschende Rechtsprechung hingegen bejaht die Rechtswidrigkeit. Geldschulden stünden im Zivilrecht den Gattungsschulden gleich, sodass der Gläubiger keinen Anspruch auf gerade den konkret entwendeten Geldschein habe. Eigentumserwerb tritt vielmehr erst durch ordnungsgemäße Erfüllung nach § 362 BGB ein. Wer eigenmächtig einen bestimmten Schein entnimmt, greift daher in die Eigentumsordnung ein und verschafft sich etwas, was ihm in dieser Form nicht zusteht. Es liegt ein nicht gerechtfertigter Zustand vor – die Zueignung ist rechtswidrig.
Stellungnahme: Die Auffassung der Rechtsprechung überzeugt. Die strafrechtliche Eigentumsordnung knüpft an die zivilrechtliche an. Auch wenn eine Forderung besteht, hat der Gläubiger gerade keinen Anspruch auf ein bestimmtes Stück Geld, sondern nur auf Leistung „irgendeines“ Geldscheins. Die eigenmächtige Schuldtilgung unterläuft dieses Prinzip und verletzt die Verfügungsbefugnis des Eigentümers. Deshalb ist die Zueignung rechtswidrig.
Zu beachten ist aber, dass die Rechtswidrigkeit der Zueignung zwar objektiv bestimmt wird (siehe oben), der Täter jedoch Vorsatz in Bezug auf die Rechtswidrigkeit haben muss, sodass der Täter auch einem Irrtum über die Rechtswidrigkeit unterliegen kann.
bb) Irrtum über Anspruch auf die Sache
Stellt sich der Täter irrig vor, er habe einen Anspruch auf die weggenommene Sache, fehlt ihm der Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Dies betrifft insbesondere Fälle der eigenmächtigen Schuldtilgung, wie im obigen Beispiel:
Zwar ist eine Geldschuld objektiv eine Gattungsschuld, sodass der Gläubiger gerade keinen Anspruch auf einen bestimmten Geldschein hat.
In der Laiensphäre besteht jedoch weitverbreitet die Vorstellung, der Gläubiger könne sich aus beliebigen, ihm zugänglichen Zahlungsmitteln des Schuldners befriedigen.
Nimmt der Täter in dieser Vorstellung Geld, geht er regelmäßig davon aus, rechtmäßig zu handeln.
Nach der Rechtsprechung liegt dann ein Parallelwertungsausfall in der Laiensphäre vor, sodass der Vorsatz in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt.
Das bedeutet, der Täter kennt einen Umstand (Rechtswidrigkeit der Zueignung) nicht, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, sodass ein Tatbestandsirrtum vorliegt, gemäß § 16 I 1 StGB.
V. Rechtswidrigkeit und Schuld
Hier sind keine Besonderheiten zu beachten. Allerdings sollte die strafrechtliche Irrtumslehre beachtet werden.
VI. Strafzumessung: Regelbeispiele, § 243 StGB
Im Rahmen der Prüfung des § 242 I StGB muss stets an einen besonders schweren Fall des Diebstahls, also an die Verwirklichung eines Regelbeispiels i.S.d. § 243 I StGB, gedacht werden.