Dieser Artikel behandelt die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB. Die Examensrelevanz ist wie bei nahezu jedem Körperverletzungsdelikt als sehr hoch einzustufen. Gerade im Rahmen des § 224 StGB sind viele grundlegende Definitionen und Meinungsstreitigkeiten zu beherrschen, die zum Grundwissen von Examenskandidaten, aber auch Jurastudenten ab dem zweiten Semester gehören.
Es wird empfohlen, zunächst den Artikel zu § 223 StGB durchzuarbeiten.
I. Allgemeines
§ 224 StGB ist direkt nach dem Grundtatbestand des § 223 StGB ebenfalls dem 17. Abschnitt des StGB „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ zugeordnet und schützt ebenfalls das Rechtsgut körperliche Unversehrtheit.
Bei § 224 StGB handelt es sich wie beim Grundtatbestand des § 223 StGB auch um ein Vergehen i.S.d. § 12 II StGB und nicht um ein Verbrechen i.S.d. § 12 I StGB, sodass sich die Versuchsstrafbarkeit gerade nicht aus § 12 I StGB i.V.m. § 23 I Hs. 1 StGB ergibt, sondern aus der gesetzlich angeordneten Versuchstrafbarkeit in § 224 II StGB.
Die gefährliche Körperverletzung ist dabei der Qualifikationstatbestand zur einfachen Körperverletzung nach § 223 StGB. § 224 StGB hebt sich dabei aufgrund der besonderen Gefährlichkeit von der Tatbegehung oder dem Täter vom Grundtatbestand ab.
1. Prüfungsschema

II. Grundtatbestand (§ 223 StGB)
Zunächst muss der Grundtatbestand des § 223 StGB erfüllt sein. Es muss also eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung vorliegen. Diesbezüglich kann vollständig auf die Ausführungen im Artikel zu § 223 StGB verwiesen werden.
III. Qualifikationstatbestand (§ 224 StGB)
Sodann muss der objektive Tatbestand der Qualifikation geprüft werden. Hier sind vor allem:
1. Nr. 1: Beibringung von Gift oder anderer gesundheitsschädlicher Stoffe
Der Tatbestand des § 224 I Nr. 2 StGB setzt eine Körperverletzung durch das Beibringen von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen voraus. Aus der Formulierung “oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen” ergibt sich, dass die erste Tatbestandsalternative der Nr. 1 ein Unterfall der zweiten Tatbestandsalternative ist, sodass das Gift (Alt. 1) schon begriffsnotwendig eine gesundheitsschädliche Wirkung beinhalten muss.
Definition
Beibringen meint, dass der Täter das Tatmittel derart mit dem Körper des Opfers in Verbindung bringt, dass dieser seine gesundheittschädigende Wirkung entfaltet.
Merke
Erfasst sind sowohl äußere (z. B. Auftragen auf die Haut, Verbrühen, Verbrennen) als auch innere (z. B. Einführen in den Körper, Verschlucken) Anwendungen.
Es genügt nicht, dass der Stoff nur in der Nähe des Opfers ist – er muss tatsächlich auf oder in den Körper gelangen.
a) Alt. 1: Gift
Definition
Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen.
Merke
Auch Drogen sind von der Definition umfasst, da sie dazu geeignet sind die Gesundheit des Opfers zu beschädigen.
Wichtig sind hier vor allem die K.O.-Tropfen-Fälle, in denen der Täter dem Opfer unbemerkt K.O.-Tropfen in das Getränk mischt, meist zur Gefügigmachung des Opfers.
Beispiel
Pflanzliche Gifte: Nikotin, Fingerhut, Eisenhut, Tollkirsche, etc.
Tierische Gifte: Bienengift, Schlangengift, Skorpionengift, etc.
Sonstige Gifte: Alkohol, Ammoniak, Arsen, Kohlenstoffmonoxid, Schwermetalle, Säuren
b) Alt. 2: Anderen gesundheitsschädliche Stoffen
Definition
Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind solche Substanzen, die mechanisch, thermisch oder biologisch wirken und geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen.
Diese Fallgruppe ist nicht auf tote Substanzen beschränkt, sondern es werden auch lebende erfasst, wie etwa Krankheitserreger (insbesondere AIDS, Hepatitis-Viren)! Darüber hinaus sind auch sogenannte Stoffe des täglichen Bedarfs von der Definition umfasst, da es um den konkreten Einsatz des Stoffes geht.
Es muss zwischen “anderen gesundheitsschädlichen Stoffen” und “anderen gefährlichen Werkzeugen” i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB unterschieden werden.
Merke
Ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB liegt vor, wenn das verwendete Tatmittel physikalisch von außen auf den Körper des Opfers einwirkt und gerade zur Verstärkung der Verletzungsenergie des Täters eingesetzt wird.
Beispiel
T schüttet O einen Topf mit kochend heißem Wasser über den Oberkörper, um ihn zu verletzen.
Das heiße Wasser wirkt hier thermisch auf die Haut ein und verursacht schwere Verbrühungen. Es entfaltet also eine eigenständige, nicht mechanische Schädigungswirkung, sodass ein anderer gesundheitsschädlicher Stoff im oben genannten Sinne vorliegt. Da es sich nicht um einen Stoff handelt, der chemisch wirkt, handelt es sich auch nicht um ein Gift.
Beispiel
T schleudert O einen Topf mit heißem Wasser mit voller Wucht gegen den Kopf, wobei es zu einer Platzwunde kommt. Das Wasser selbst trifft O nicht.
Hier dient der Topf – mit oder ohne Inhalt – vor allem als harter Schlaggegenstand, der durch äußere mechanische Kraftübertragung die Verletzung verursacht.
Noch ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung dafür, dass Stoffe des täglichen Bedarfs andere gesundheitsschädliche Stoffe i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB sein können:
Beispiel
Mutter M zwingt ihren 4 jährigen Sohn S als Sanktionierung dazu für schlechtes Benehmen einen stark versalzenen Pudding aufzuessen. S erleidet eine schwere Dehydrierung.
2. Nr. 2: Mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs
§ 224 I Nr. 2 StGB qualifiziert eine solche Körperverletzung, die mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs hervorgerufen wird. Fraglich ist dabei zunächst, wann eine Körperverletzung mittels einer Waffe (Alt. 1) oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Alt. 2) verursacht wird. Auch hier wird aus der Formulierung ersichtlich, dass die erste Tatbestandsalternative (Waffe) ein typisierter Unterfall der zweiten Tatbestandsalternative (anderesgefährliches Werkzeug) ist.
Definition
Die Körperverletzung wird nur dann mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs hervorgerufen, wenn der Verletzungserfolg unmittelbar aus der konkreten Gefährlichkeit des Werkzeugs resultiert.
Merke
“Mittels” wird also sehr eng ausgelegt. Es braucht einen direkten, unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Waffe bzw. des gefährlichen Werkzeugs und der Verletzung.
Beispiel
T will seinen Konkurrenten O einschüchtern, der schon mehrfach Kunden abgeworben hat. Er begibt sich mit seiner Pistole zu O und drückt ihm schmerzhaft den Pistolenlauf ins Gesicht um seine Entschlossenheit zu demonstrieren.
Hier resultiert der Verletzungserfolg (körperliche Misshandlung) gerade nicht aus der konkreten Gefährlichkeit der Pistole als Waffe, vielmehr hätte der Verletzungserfolg auch durch die Hand des Täters oder durch einen Stock etc. hervorgerufen werden können.
a) Alt. 1: Waffe
Definition
Waffe ist jeder körperliche Gegenstand, der schon nach seiner objektiven Beschaffenheit dazu bestimmt ist, als Angriffs- oder Verteidigungsmittel gegen Menschen eingesetzt zu werden und bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.
Merke
Es kommt also nicht auf die konkrete Verwendung im Einzelfall an, sondern auf die objektive Zweckbestimmung und Geeignetheit des Gegenstandes. (Allerdings muss die Körperverletzung mittels der Waffe herbeigeführt worden sein → siehe oben!)
Beispiel
Kampfmesser, Stichwaffen (Dolch), Schlagringe, geladene und funktionstüchtige Schusswaffen jeder Art (auch Gaspistolen), Schlagwaffen.
Problematisch ist, ob auch Schreckschusswaffen unter den Waffenbegriff fallen.
Problem
Schreckschusswaffen als Waffe i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 1 StGB
Der BGH bejaht die Waffeneigenschaft auch bei Schreckschusspistolen. Schreckschusswaffen seien bestimmungsgemäß als Verteidigungsmittel gegen Menschen konzipiert und könnten beim Einsatz in unmittelbarer Nähe zum Körper erhebliche Verletzungen beim Menschen herbeiführen, indem der Explosionsdruck nach vorne austritt.
Die h.L. verneint Schreckschusswaffen als Waffe i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 1 StGB. Zwar liege die objektive Zweckbestimmung als Verteidigungsmittel gegen Menschen vor, allerdings sei der Einsatz in umittelbarer Körpernähe nicht die bestimmungsgemäße Verwendung.
Stellungsnahme: Die zweite Ansicht überzeugt. Der Gegenstand muss gerade bei bestimmungsgemäßer Verwendung dazu geeignet sein, erhebliche Verletzungen beim Menschen hinzuzufügen. Insofern man auf den Explosionsdruck nach vorne abstellt, kann eine solche Geeignetheit nur bejaht werden, wenn die Waffe direkt in unmittelbarer Nähe zum Körper eingesetzt wird, etwa durch Auflegen der Waffe auf die Haut. Eine Schreckschusspistole ist aber gerade nicht als Nahkampfmittel konzipiert, vielmehr liegt die bestimmungsgemäße Verwendung in dem Einssatz auf Distanz zur Abschreckung. Bei dieser bestimmungsgemäßen Verwendung kann eine Geeignetheit zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen nur verneint werden.
b) Alt. 2: Anderes gefährliches Werkzeug
Definition
Ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 StGB ist jeder körperliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.
Vernetztes Lernen
Anders als im Rahmen der §§ 244 und 250 StGB ist die Definition des gefährlichen Werkzeugs nicht umstritten, da man auf die konkrete Art der Benutzung (Wortlaut: “mittels”) abstellen kann. Dies ist bei §§ 244 und 250 StGB nicht möglich ist, da dort ein „Beisichführen“ ausreicht, der Gegenstand also gar nicht erst verwendet werden muss.
Beispiel
Typische Beispiele bei entsprechender Verwendung sind:
Schraubenschlüssel, Schraubendreher, Hammer, Steine, Schaufel, Schere, Gabel, Bratpfanne, brennende Zigarette etc.
Allerdings ist nicht jedes Beispiel derart unproblematisch:
aa) Körperteile des Täters
Fraglich ist, ob Körperteile des Täters gefährliche Werkzeuge i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB sein können. Dieser Gedanke ist insbesondere dann nicht abwegig, wenn es bei dem Täter um einen professionellen Kampfsportler handelt, der seine Körperteile (etwa Fäuste) speziell zu Angriffszwecken trainiert hat, oder dann, wenn es sich um den Einsatz besonders geeigneter Körperteile wie der Schneidezähne handelt.
Allerdings ist hier die Wortlautgrenze der Vorschrift zu beachten. Es muss sich um ein “Werkzeug“ handeln. Der Körper eines Menschen ist aber bereits kein Werkzeug im strafrechtlichen Sinne. Eine Annahme von Körperteilen als gefährliches Werkzeug würde daher gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen (Art. 103 II GG).
Etwas anderes gilt bei einer stofflichen Verstärkung der Körperteile, etwa bei einem besohlten Schuh.
Beim Tritt mit dem beschuhten Fuß ist nach dem Strafzweck des § 224 StGB auf die erhöhte Gefährlichkeit gegenüber dem blanken Fuß abzustellen, welcher bei einem „soften“ Turnschuh i.d.R. nicht gegeben ist, da dieser ja eher weicher als der blanke Fuß ist. Hingegen wäre § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB bei einem Springerstiefel gegebenenfalls sogar mit Stahlkappe unproblematisch zu bejahen.
bb) Unbewegliche Gegenstände
Umstritten ist, ob starre oder unbewegliche Gegenstände gefährliche Werkzeuge i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB sein können.
Beispiel
T und O geraten in Streit. T ist dermaßen in Rage, dass er den Kopf des O nimmt und mehrfach gegen eine Wand schlägt. O erleidet mehrere Platzwunden und eine schwere Gehirnerschütterung.
Problem
Unbewegliche Gegenstände als gefährliche Werkzeuge
Eine Mindermeinung will auch unbewegliche Gegenstände – wie Mauern, Türrahmen oder Bodenplatten – als gefährliche Werkzeuge erfassen. Es mache keinen Unterschied, ob der Täter mit einem festen Stein zuschlägt oder den Kopf des Opfers gegen die feste Steinwand schlägt. In beiden Fällen werde durch einen harten Gegenstand Verletzungsenergie auf den Körper übertragen. Maßgeblich sei also die konkrete Verletzungswirkung, nicht die Beweglichkeit des Gegenstandes.
Die herrschende Meinung lehnt das ab: Nur bewegliche Gegenstände können gefährliche Werkzeuge im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB sein. Begründet wird das vor allem mit dem Wortlaut, der von einem „Gegenstand“ spricht – also etwas, das der Täter selbst in der Hand hält oder aktiv zur Verstärkung seiner Kraft einsetzt. Wird dagegen der Körper des Opfers gegen etwas Festes bewegt, wird die Verletzung allein durch die Körperkraft des Täters erzeugt, nicht durch das Werkzeug selbst.
Stellungnahme:
Die herrschende Meinung überzeugt. Der Begriff „Werkzeug“ setzt voraus, dass der Gegenstand vom Täter bewusst als Mittel zur Kraftverstärkung eingesetzt wird. Unbewegliche Objekte sind dabei nicht vom Täter geführt, sondern Teil der Umgebung – sie „wirken“ also nicht selbstständig mit. Zudem spricht der systematische Vergleich mit der Waffe (§ 224 I Nr. 2 Alt. 1 StGB) dafür, dass es beim gefährlichen Werkzeug gerade um vom Täter genutzte oder gebrauchte Gegenstände geht – und nicht um eine abstrakte Gefährlichkeit des Umfelds. Der Täter macht sich hier zwar strafbar – aber eben nicht wegen eines gefährlichen Werkzeugs, sondern z. B. wegen einfacher oder gegebenenfalls gefährlicher Körperverletzung in anderer Hinsicht (etwa durch lebensgefährdende Behandlung, § 224 I Nr. 5 StGB → dazu weiter unten!).
cc) Medizinische Instrumente
Zu beachten ist, dass medizinische Instrumente in der Hand eines Arztes bei der Durchführung eines ärztlichen Heileingriffs keine gefährlichen Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB darstellen.
Die ganz herrschende Meinung geht davon aus, dass zwar grundsätzlich auch Skalpelle, Spritzen, Katheter oder andere medizinische Geräte objektiv geeignet sein können, erhebliche Verletzungen zuzufügen – sie verlieren diesen Charakter aber im Rahmen eines lege artis (kunstgerecht) durchgeführten Heilverfahrens. Der Arzt verwendet das Instrument hier nicht zur Verletzung, sondern zur Heilung. Insofern etwa keine rechtfertigende Einwilligung des Patienten vorliegt, liegt nur eine einfache Körperverletzung vor, wenn nicht eine mutmaßliche oder hypothetische Einwilligung vorliegt.
Erst wenn ein solches Instrument zweckentfremdet oder missbräuchlich eingesetzt wird – etwa bei einer körperlichen Misshandlung oder einem nicht indizierten Eingriff – kann es ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 StGB sein!
3. Nr. 3: Mittels hinterlistigen Überfalls
Im Rahmen der Nummer 3 ist zu beachten, dass zwischen Überfall und Hinterlist unterschieden werden muss:
Definition
Ein Überfall ist ein plötzlicher, unerwarteter Angriff auf einen Ahnungslosen.
Definition
Hinterlist liegt vor, wenn der Täter seine wahren Absichten planmäßig berechnend verdeckt, um gerade hierdurch dem Angegriffenen die Abwehr zu erschweren.
Ein Überfall ist geprägt durch das Überraschungsmoment. Allerdings ist nicht jeder Überraschungsangriff zugleich hinterlistig. Hinterlist setzt eine gewisse Planung und Berechnung voraus – sie liegt in der Regel nicht vor, wenn der Angriff auf einem spontanen Entschluss beruht.
Beispiel
A und B geraten in einen Streit. Nach einer kurzen Handgreiflichkeit wendet sich B auf den mahnenden Zuruf seiner Freundin F von A ab und will der Situation aus dem Weg gehen. Kaum hat B A den Rücken zugewandt, sieht A seine Chance und nutzt diesen Moment und schlägt B mit der Faust von hinten nieder.
In diesem Fall liegt zwar ein Überfall vor, weil der Angriff überraschend kommt. Hinterlistig handelt A aber nicht: Er hat nichts getan, um seine Angriffsabsicht zu verbergen, sondern lediglich den Moment spontan ausgenutzt, als B nicht mehr mit einem Angriff rechnete.
Beispiel
A und B geraten erneut in Streit. Nach einer kurzen Rangelei wirkt A plötzlich beschwichtigend und reicht B scheinbar versöhnlich die Hand. Dann wendet er sich ab, als wäre die Situation geklärt. In Wahrheit will A B täuschen. Sobald sich B ebenfalls abwendet, rennt A los und schlägt B, wie von Anfang an geplant, mit der Faust von hinten nieder.
Auch in diesem Fall liegt ein Überfall durch einen Überraschungsangriff vor, allerdings ist dieser auch hinterlistig. Indem der A dem B in vermeintlich gutem Willen die Hand reicht und sich abwendet, verdeckt er planmäßig und berechnend seine wahren Absichten. A wollte von den B von Anfang an nur in Sicherheit wiegen, um B die Abwehr seines Überraschungsangriffs zu erschweren.
Merke
Ein hinterlistiger Überfall ist daher nicht mit der Heimtücke i.S.d. § 211 II Gr. 2, Var. 1 StGB zu verwechseln!
Hinterlistiger Überfall und Heimtücke ähneln sich, weil beide einen Überraschungsmoment ausnutzen. Der entscheidende Unterschied liegt aber im Vorgehen des Täters: Bei der Heimtücke nutzt der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst aus – also eine schon bestehende Schutzlosigkeit. Beim hinterlistigen Überfalldagegen verursacht der Täter die Schutzlosigkeit erst, indem er seine Angriffsabsicht gezielt verschleiert, um das Opfer zu überrumpeln. Heimtücke setzt also planmäßige Verdeckung voraus, der hinterlistige Überfall schon.
Hinterlistig handelt der Täter im Übrigen erst recht, wenn er heimlich vorgeht. Besonders deutlich wird das bei den typischen K.O.-Tropfen-Fällen:
Beispiel
T möchte O mithilfe von K.O.-Tropfen gefügig machen. Er begibt sich zu ihr an die Theke, beginnt ein freundliches Gespräch und wartet gezielt auf den richtigen Moment, um die Tropfen unbemerkt in ihr Getränk zu geben. O erleidet anschließend Schwindelattacken.
In dieser Konstellation liegt klar ein hinterlistiger Überfall vor: T täuscht bewusst ein harmloses Verhalten vor und verschleiert seine wahren Absichten, um O in eine wehrlose Lage zu bringen und seine Tat ungehindert ausführen zu können.
4. Nr. 4: Gemeinschaftliche Tatbegehung
Für die strittige Frage, wann eine Tatbegehung gemeinschaftlich erfolgt, lohnt zunächst ein Blick auf den genauen Wortlaut der Vorschrift:
Zitat
§ 224 I Nr. 4 StGB:
“Wer die Körperverletzung (…) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (…) begeht (…).”
Ins Auge fallen hier zwei Begriffe:
Der Begriff „Beteiligter“ findet sich auch im Wortlaut des § 28 II StGB wieder und umfasst damit Täter und Teilnehmer, also auch Anstifter und Gehilfen. Daraus ließe sich ableiten, dass bereits das Zusammenwirken mit irgendeinem Beteiligten – nicht nur mit einem Mittäter – ausreicht.
Der Begriff „gemeinschaftlich“ wiederum erinnert an den Wortlaut des § 25 II StGB und ist typisches Merkmal der Mittäterschaft. Das spricht dafür, dass nicht jeder Beteiligte genügt, sondern bestimmte Anforderungen an das gemeinsame Handeln gestellt werden müssen.
Einigkeit besteht zumindest darin, dass eine gemeinschaftliche Tatbegehung vorliegt, wenn zwei Mittäter gemeinsam am Tatort handeln. Denn dann kommt die typische erhöhte Gefährlichkeit zum Tragen: Die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers sind eingeschränkt, es entsteht psychischer Druck – und vor allem kann sich die Situation durch gegenseitiges Anstacheln leicht hochschaukeln („Gewaltspirale“).
Umstritten ist jedoch, ob es auch genügt, wenn ein Täter mit einem bloßen Teilnehmer (z. B. einem Gehilfen oder Anstifter) am Tatort zusammenwirkt:
Problem
Ist eine gemeinschaftliche Tatbegehung auch dann gegeben, wenn ein Täter gemeinsam mit einem Teilnehmer (z. B. Gehilfen) am Tatort agiert?
Eine Mindermeinung stellt auf das Merkmal „gemeinschaftlich“ ab und versteht dieses streng im Sinne der Mittäterschaft (§ 25 II StGB). Danach liegt gemeinschaftliche Begehung nur vor, wenn mindestens zwei Täteram Tatort gemeinsam handeln. Der Einsatz bloßer Teilnehmer genüge nicht.
Die herrschende Meinung stellt dagegen auf den Begriff „Beteiligter“ ab. Da dieser auch Teilnehmer umfasst, sei § 224 I Nr. 4 StGB bereits erfüllt, wenn etwa ein Täter und ein Gehilfe gemeinsam am Tatort auftreten und aktiv mitwirken. Entscheidend sei allein, dass das Opfer mehreren Angreifern gegenübersteht – unabhängig davon, ob alle Beteiligten Täter oder nur Gehilfen sind.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Der Zweck der Vorschrift liegt darin, der besonderen Gefährlichkeit durch gruppendynamische Eskalation entgegenzuwirken. Diese Gefahr besteht aber nicht nur bei Mittätern. Auch ein Gehilfe, der den Täter verbal oder physisch unterstützt, kann zur Eskalation beitragen, das Opfer einschüchtern und die Abwehrmöglichkeiten einschränken. Es wäre daher künstlich, den Anwendungsbereich auf Mittäter zu beschränken.
5. Nr. 5: Mittels lebensgefährlicher Behandlung
Im Rahmen der Nummer 5 ist traditionell umstritten, ob die lebensgefährliche Behandlung abstrakt oder konkret lebensgefährlich sein muss.
Problem
Abstrakte oder konkrete Lebensgefahr?
Eine enge Mindermeinung verlangt eine konkrete Lebensgefahr. Danach ist § 224 I Nr. 5 nur erfüllt, wenn das Leben des Opfers im konkreten Fall ernsthaft in Gefahr war und nur dem Zufall überlassen war, ob das Opfer stirbt oder nicht. Begründet wird dies mit dem eindeutigen Wortlaut – „lebensgefährlich“ sei kein bloßes Gefährdungspotenzial, sondern setze eine tatsächlich eingetretene Gefährdungssituation voraus.
Die herrschende Meinung lässt hingegen eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung ausreichen. Entscheidend sei, ob die angewandte Behandlung nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz objektiv geeignet war, das Leben zu gefährden – selbst wenn es im Einzelfall glimpflich ausgegangen ist. Es kommt also nicht darauf an, ob das Opfer beinahe gestorben wäre, sondern ob die angewandte Gewaltform grundsätzlich lebensbedrohlich ist.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Der Zweck des § 224 I Nr. 5 StGB liegt darin, besonders gefährliche Misshandlungsformen unter eine erhöhte Strafandrohung zu stellen. Gerade bei objektiv lebensbedrohlichen Gewaltakten kann es nicht darauf ankommen, ob das Opfer durch Zufall oder Robustheit überlebt. Eine einschränkende Auslegung würde dazu führen, dass das gleiche Verhalten je nach Ausgang unterschiedlich bewertet würde.
IV. Subjektiver Tatbestand
1. Vorsatz
Hinsichtlich des Grundtatbestands (§ 223 StGB) und der Qualifikationsvarianten § 224 I Nr. 1-4 StGB ist dolus eventualis ausreichend.
2. Gefährdungsvorsatz (§ 223 I Nr. 5 StGB)
In Bezug auf § 223 I Nr. 5 StGB (lebensgefährliche Behandlung) ist ebenfalls dolus eventualis ausreichend. Allerdings ist hier zu beachten, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, bei dem der Täter den sogenannten Gefährdungsvorsatz aufweisen muss.
Definition
Der Täter hat Gefährdungsvorsatz, wenn er diejenigen Umstände mindestens für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit ergibt.
V. Rechtswidrigkeit
Im Rahmen der Rechtswidrigkeit ist insbesondere die rechtfertigende Einwilligung zu beachten, die für Eingriffe in die körperliche Integrität ausdrücklich in § 228 StGB geregelt ist. Darüber hinaus sind alle weiteren Rechtfertigungsgründe zu beachten.
VI. Schuld
Im Rahmen der Schuld sind insbesondere alle allgemeinen Entschuldigungsgründe zu beachten.