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16. Abschnitt: Straftaten gegen das Leben

§ 212 StGB (Totschlag)

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Thema

16. Abschnitt: Straftaten gegen das Leben

Tags

Totschlag
Leben
Tod
Mensch
Unterlassen
Minder schwerer Fall
§ 212 StGB
§ 13 StGB
§ 213 StGB
Gliederung
  • I. Allgemeines

    • 1. Prüfungsschema

  • II. Tatopfer: Anderer Mensch

    • 1. Beginn des Menschseins

    • 2. Ende des Menschseins

  • III. Tathandlung: Töten

  • IV. Taterfolg: Tod eines anderen Menschen

  • V. Kausalität und Objektive Zurechnung

  • VI. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

  • VII. Rechtswidrigkeit und Schuld

  • VIII. Strafzumessungsregel

Dieser Artikel befasst sich mit dem Totschlag nach § 212 I StGB. Die Tötungsdelikte haben höchste Examensrelevanz und stellen regelmäßig den Schwerpunkt in entsprechenden strafrechtlichen Examensklausuren dar. Regelmäßig dient § 212 StGB als Ausgangspunkt für die weitere Prüfung anderer Tötungsdelikte, wie Mord, § 211 StGB, Tötung auf Verlangen, § 216 StGB oder die fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.

I. Allgemeines

§ 212 I StGB ist dem 16. Abschnitt des StGB “Straftaten gegen das Leben” zugeordnet. Er schützt wenig überraschend das Rechtsgut Leben.

Obgleich § 212 StGB den 16. Abschnitt nicht anführt – dieser beginnt mit dem Mord, § 211 StGB - so ist § 212 StGB doch als grundlegender und einführender Tatbestand anzuerkennen.

Nach herrschender Meinung ist § 212 I StGB nämlich der Grundtatbestand zu § 211 StGB und § 211 StGB der Qualifikationstatbestand zu § 212 StGB. Dies lässt sich auch am Wortlaut des § 212 StGB erkennen: “Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein (…).” Der Wortlaut der Norm macht klar, dass bestimmte Umstände zur Tötung eines Menschen hinzutreten müssen, damit jemand als Mörder zu qualifizieren ist.

Merke

Das Wortlautargument lässt sich im Übrigen auch ins Gegenteil verkehren. Siehe hierzu den Meinungsstreit zur Einordnung des Verhältnisses von § 211 StGB und § 212 StGB im Artikel zu § 211 StGB.

Die durchaus fragwürdige systematische Stellung des § 211 StGB lässt sich allerdings historisch begründen, die noch klar zwischen den Tätertypen Totschläger und Mörder unterschied. Nach heute herrschender Auffassung ist das in § 212 I StGB enthaltene Unrecht aber in § 211 StGB mitenthalten.

Bei § 212 StGB handelt es sich um das klassische vorsätzliche verhaltensneutrale Erfolgsdelikt, was bedeutet, dass Taterfolg, Kausalität und objektive Zurechnung geprüft werden müssen.

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1. Prüfungsschema

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II. Tatopfer: Anderer Mensch

Zunächst musste es sich beim Tatobjekt um einen anderen Menschen gehandelt haben. “Anderer” deshalb, weil die eigenverantwortliche Selbsttötung, also der Suizid(-versuch), nicht strafbar ist.

Grundlegend muss man sich zunächst vor Augen führen, wann das “Menschsein” beginnt und wann es endet, da hiervon abhängig ist, ob der Tatbestand des § 212 I StGB überhaupt einschlägig sein kann.

1. Beginn des Menschseins

Für das “Menschsein” gelten im Strafrecht eigene Anforderungen. Sie sind nicht vergleichbar etwa mit der Frage, wann im öffentlichen Recht die Menschenwürde greift oder wann im Zivilrecht Verletzungsfähigkeit gegeben ist.

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Öffentliches Recht:

  • Die Menschenwürde nach Art. I 1 GG greift nach h.M. auch schon vor Geburt des Kindes. Demnach ist auch der Leibesfrucht das Recht auf Menschenwürde zuzuschreiben. Dies wird besonders in Fällen des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff. StGB) relevant, in denen das Recht auf Leben und die Menschenwürde der Leibesfrucht zu schützen ist, während gleichzeitig der Selbstbestimmungsanspruch der Frau berücksichtigt werden muss.

Zivilrecht: Im Zivilrecht gilt im Grundsatz vergleichbares zum Strafrecht: Gemäß § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit mit der “Vollendung der Geburt”.

  • Hinsichtlich Schadensersatzansprüchen aus § 823 I StGB gilt aber:

    • Es ist zwischen Rechtsfähigkeit und Verletzungsfähigkeit zu unterschieden. Insofern die Leibesfrucht durch ein deliktisches Verhalten geschädigt wird, liegt eine Verletzung i.S.d. § 823 I BGB vor. Ab Vollendung der Geburt ist das Kind dann rechtsfähig und hat etwa bei dauerhaften Schäden durch die vorgelagerte deliktische Handlung einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger.

  • Hinsichtlich des Erbrechts gibt es eine Fiktion in § 1923 II BGB:

    • Grundsätzlich gilt auch hier gemäß § 1923 I BGB, dass nur erbfähig ist, wer “vollendet” geboren ist.

    • Ausnahmsweise gilt gemäß § 1923 II BGB allerdings auch derjenige als vor dem Erbfall geboren und damit als erbfähig, der zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht geboren, aber gezeugt war. Dadurch wird die Erbfähigkeit der Leibesfrucht fingiert.

Im Strafrecht gibt es solche Ausnahmen nicht! An den §§ 218 ff. StGB sowie den §§ 211 f. StGB ist die klare Trennung zwischen Schädigung der Leibesfrucht und der Tötung eines Menschen klar zu erkennen.

Definition

Nach ganz herrschender Meinung beginnt der strafrechtlich Schutz des Lebens über die §§ 211 ff. StGB ab dem Beginn der Geburt. Die Geburt beginnt wiederum mit den Eröffnungswehen, bei einer operativen Entbindung mit der Öffnung des Uterus.

Zu beachten ist, dass der entscheidende Zeitpunkt nicht im Eintritt des Taterfolgs liegt, sondern im Moment der Vornahme der Tathandlung (§ 8 StGB).

Beispiel

Der gewalttätige Ehemann (M) der F schlägt der hochschwangeren F in den Bauch. Hierdurch werden die Eröffnungswehen ausgelöst. Kurz nach Beginn der Eröffnungswehen verstirbt das Kind infolge des Schlages.

In dem Beispiel hat M die Tathandlung noch vor Eintritt der Eröffnungswehen vorgenommen. Auch wenn der Tod des Kindes erst nach Beginn der Geburt eintrat und damit strafrechtlicher Lebensschutz nach §§ 211 ff. StGB bestand, bleibt eine Bestrafung wegen Tötungsdelikten ausgeschlossen – denn maßgeblich ist der Zeitpunkt der Handlung (§ 8 StGB), und zu diesem Zeitpunkt war das Kind noch nicht „Mensch“ im strafrechtlichen Sinne. M ist daher lediglich nach den §§ 218 f. StGB strafbar.

2. Ende des Menschseins

Auch das Ende des Menschseins und damit des Lebens ist klar geregelt. Hierzu kann auf die Legaldefinition in § 3 II Nr. 2 Transplantationsgesetz (TPG) verwiesen werden:

Zitat

“Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn

  1. (…),

  2. nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.”

Definition

Das Menschsein endet mit dem Tod der Person, also dem endgültigen, vollständigen Ausfall aller Hirnfunktionen (sog. Gesamthirntod).

Klausurtipp

Besonderes Augenmerk muss bei solchen Fällen auf die Frage eines tauglichen Tatobjekts geworfen werden, in denen ein Angehöriger ohne Patientenverfügung lebenserhaltende Maschinen abstellt: Lag bereits ein Hirntod vor?

III. Tathandlung: Töten

§ 212 I StGB ist ein sogenanntes verhaltensneutrales Erfolgsdelikt. Die Art und Weise der Erfolgsherbeiführung sind also nicht näher benannt, sodass grundsätzlich jedes geeignete Verhalten taugliche Tathandlung i.S.d. § 212 I StGB sein kann.

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Hat der Täter eine Garantenstellung inne, kann die Tathandlung auch in einem Unterlassen i.S.d. § 13 I StGB liegen. Dann muss das Schema zum unechten Unterlassungsdelikt mit dem Schema des § 212 I StGB kombiniert werden.

Mehr zum modularen Lernen findest du hier.

IV. Taterfolg: Tod eines anderen Menschen

Der Tod eines anderen Menschen muss eingetreten sein. D. h., das Menschsein muss nach obigen Maßstäben beendet worden sein (Eintritt des Gesamthirntodes).

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Es spielt keine Rolle, ob jemand nach einem schweren Angriff etwa nur noch gelähmt und nicht ansprechbar bettlägerig ist. Es geht also niemals darum was der Einzelne als lebenswürdig empfindet oder nicht. Vielmehr schreibt die schwere Körperverletzung, § 226 StGB als Erfolgsqualifikation bei Eintritt des Siechtums des Opfers harte Strafen vor, auch dann wenn diese Folge nur fahrlässig hervorgerufen wurde.

V. Kausalität und Objektive Zurechnung

Wie bereits erwähnt, müssen Kausalität und Objektive Zurechnung im Rahmen des Tatbestandes des § 212 I StGB geprüft werden, weil es sich um ein Erfolgsdelikt handelt.

VI. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

Hier ist dolus eventualis ausreichend.

Im Rahmen der Tötungsdelikte ist aber die sogenannte “Hemmschwellen-Theorie” zu beachten.

Merke

Die Hemmschwellen-Theorie spricht grundsätzlich immer zunächst gegen eine voreilige Annahme des Vorsatzes (in Form des dolus eventualis). Sie besagt, dass die Tötung eines Menschen das größte Unrecht ist, so dass dieser aufgrund einer damit verbundenen natürlichen Hemmschwelle i.d.R. vom Täter nicht billigend in Kauf genommen wird.

Hier müssen Sachverhaltsangaben genau untersucht und subsumiert werden, bevor der Vorsatz angenommen wird.

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Nicht selten muss diese Hemmschwellenüberschreitung i.R.d. Abgrenzung dolus eventualis von bewusster Fahrlässigkeit festgestellt werden und bildet dabei ein Schwerpunkt des Falles.

Lies dir zur Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und dolus eventualis diesen Artikel durch.

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Aufbautipp: Sofern man den Tötungsvorsatz verneint, bitte zwingend (!) die Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB danach prüfen und nicht vorschnell auf die fahrlässige Tötung nach § 222 StGB eingehen, da hinsichtlich der Todesfolge gemäß § 18 StGB fahrlässiges Verhalten ausreicht, die Mindeststrafe aber wesentlich höher ist (Geldstrafe bei § 222 StGB / Freiheitsstrafe nicht unter 3 (!) Jahren bei § 227 StGB).

VII. Rechtswidrigkeit und Schuld

Im Rahmen von Rechtswidrigkeit und Schuld sind keine Besonderheiten zu beachten. Es gelten die allgemeinen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sowie die Grundsätze zu strafrechtlichen Irrtümern.

VIII. Strafzumessungsregel

Hinsichtlich § 212 I StGB sind zwei Strafzumessungsregeln zu beachten:

  • § 212 II StGB schreibt einen höheren Strafrahmen (bis lebenslange Freiheitsstrafe) in besonders schweren Fällen des Totschlags vor.

    • Voraussetzung ist ein besonders hohes Maß an Unrecht, das in seiner Intensität der Tötung durch einen Mörder (§ 211 StGB) vergleichbar ist.

    • Das „Minus“ im Tatbestand (fehlende Mordmerkmale) muss durch ein „Plus“ an tatbezogenem Schuldunrecht ausgeglichen werden.

  • § 213 StGB wiederum schreibt einen niedrigeren Strafrahmen für minderschwere Fälle vor.

    • Dabei benennt § 213 Alt. 1 StGB ausdrücklich den Fall, dass der Täter ohne Schuld von dem Getöteten misshandelt oder schwer beleidigt wurde, dadurch zum Zorn gereizt und unmittelbar zur Tat hingerissen wurde.

    • § 213 Alt. 2 StGB eröffnet die Möglichkeit anderer unbenannter minder schwerer Fälle

Die Verbindung von minderschwerem Fall (§ 213 Alt. 1 StGB), Rechtfertigungsgründen und Entschuldigungsgründen bietet sich für eine Examensklausur geradezu an:

Beispiel

A ist mit seiner Clique in der Stadt unterwegs und fühlt sich besonders cool. Seit 20 Minuten läuft er hinter B und dessen Freundin F her, bleidigt und bespuckt die beiden. B, der erfahrener Kampfsportler ist, kann sich noch zurückhalten, allerdings steigt mächtig Wut in ihm auf. Als A dann von hinten ansprintet und B einen deftigen “Nackenklatscher” gibt, rastet B aus, schnappt sich den fliehenden A blitzschnell und schlägt derart wiederholt hart auf das Gesicht des A ein, dass dieser später im Krankenhaus an einer Hirnblutung verstirbt. Dabei nahm der B den Tod des A in seinem Zorn billigend in Kauf.

An diesem Beispiel ist das Parallellaufen der Prüfung von Rechtfertigungsgrund, Entschuldigungsgrund und minder schwerem Fall besonders gut zu erkennen:

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1. Notwehr, § 32 StGB

Zunächst wäre nach Bejahung des objektiven und subjektiven Tatbestandes von § 212 I StGB auf Rechtswidrigkeitsebene zu prüfen, ob B in Notwehr gehandelt hat.

  • Dies wird nicht der Fall gewesen sein, da zum einen der Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des A durch den einmaligen “Nackenklatscher” bereits beendet war und der Angriff auf die Ehre (Tätliche Beleidigung, § 185 Alt. 2 StGB durch Anspucken) ein deutlich geringwertigeres Rechtsgut als das Rechtsgut Leben ist. Hierdurch war die Notwehrhandlung in Bezug auf den Angriff auf die Ehre nicht mehr geboten.

2. Notwehrexzess, § 33 StGB

Sodann wäre es sinnvoll, auf der Entschuldigungsebene den Notwehrexzess zu prüfen.

  • Allerdings wird auch dieser nicht einschlägig sein:

    • Zwar überschreitet der B die Grenzen der Gebotenheit der Notwehr, aber

    • er überschreitet sie nicht aufgrund eines asthenischen Affekts (Gemütsregungen aus einer Situation der Schwäche - etwa Panik, Angst, Verwirrung), sondern aufgrund eines sthenischen Affekts (Gemütsregungen aus einer Situation der Stärke heraus - Zorn, Wut, Hass).

3. Minder schwerer Fall, § 213 Alt. 1 StGB

Nach Bejahung der Rechtswidrigkeit und Schuld sollte sodann auf den minder schweren Fall des § 213 Alt. 1 StGB eingegangen und festgestellt werden, dass der Getötete (A) den Täter (B) misshandelte (Körperverletzung: ”Nackenklatscher”), schwer beleidigte (tätliche Beleidigung: “bespuckt”) und so zum Zorn gereizt sowie hierdurch auf der Stelle (”blitzschnell”) zur Tat hingerissen wurde.

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