Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Mord gemäß § 211 StGB. Die Tötungsdelikte haben höchste Examensrelevanz und stellen regelmäßig den Schwerpunkt der strafrechtlichen Examensklausur dar. Insbesondere § 211 StGB sticht dabei durch die unterschiedlichen Mordmerkmale heraus, da nicht nur zusätzliches mordmerkmalspezifisches Wissen und Streitstände abgefragt werden können, sondern auch, weil sich schon aus dem gewählten Aufbau der Klausur herleiten lässt, ob der Prüfling die Tötungsdelikte systematisch durchdrungen hat.
Vernetztes Lernen
Trotz der systematischen Stellung (Mord, § 211 StGB vor Totschlag, § 212 StGB) sollte zunächst der Artikel zum Totschlag nach § 212 I StGB durchgearbeitet werden.
I. Allgemeines
§ 211 StGB eröffnet den 16. Abschnitt des StGB „Straftaten gegen das Leben“ und schützt – ebenso wie § 212 StGB – das Rechtsgut Leben.
Bei Betrachtung des Mord-Paragraphen fällt auf, dass dieser anders formuliert ist, als alle anderen Straftatbestände, indem er zunächst im Abs. 1 auf die Bestrafung des Mörders abstellt. Im Abs. 2 wird dann nicht abstrakt eine Handlung des Täters umschrieben, sondern personalisierend an den Mörder angeknüpft. Diese Formulierung ist vor dem Hintergrund des historischen Kontexts zu sehen. § 211 StGB ist 1941 in das StGB eingeführt worden und spiegelt die im Dritten Reich vorherrschende Tätertypenlehre wider.
Aufgrund dieser eigenständigen Formulierung des § 211 ist die Deliktsnatur des § 211 StGB umstritten:
Problem
Verhältnis von § 211 StGB und § 212 StGB
Die Rechtsprechung betrachtet § 211 StGB und § 212 StGB als zwei selbstständige und nebeneinanderstehende Tatbestände. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut („Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein“) sowie der systematischen Stellung des § 211 StGB vor § 212 StGB im Gesetz.
Die herrschende Lehre sieht in § 211 StGB die Qualifikation zu § 212 StGB. Der Totschlag sei der Grundtatbestand für alle vorsätzlichen Tötungsdelikte. Der Wortlaut der Vorschrift lässt sich ausschließlich auf die überholte Tätertypenlehre zurückführen. Auch die systematische Stellung sei historisch bedingt und ändert nichts an der Tatsache, dass das Unrecht (Tötung eines Menschen) des Grundtatbestands Totschlag, § 212 StGB, vollständig in § 211 StGB abgebildet sei.
Stellungnahme: Die herrschende Lehre überzeugt. Beide Vorschriften schützen dasselbe Rechtsgut (Leben) und betreffen denselben Taterfolg (vorsätzliche Tötung). § 211 StGB baut inhaltlich vollständig auf § 212 StGB auf und enthält darüber hinaus zusätzliche Unrechtsmerkmale, was für den Charakter als Qualifikation spricht. Zudem führt die Einordnung als eigenständiger Tatbestand zu dogmatischen Problemen, vor allem bei der Teilnahme (§ 28 I, II StGB)! (hierzu später mehr)
Merke
Exkurs zur Tätertypenlehre:
Die ursprüngliche Fassung des § 211 StGB aus dem Jahr 1941 beruhte auf der sogenannten Tätertypenlehre. Diese unterscheidet nicht nach der Tat, sondern typisiert den Charakter des Täters. Demnach ist nicht jede vorsätzliche Tötung gleich ein Mord, sondern nur die Tötung durch einen „besonders verwerflichen Täter“ – etwa aus Mordlust oder Habgier.
Die moderne Strafrechtsdogmatik hat diese Denkweise längst aufgegeben. Heute gilt der tatbezogene Unrechtsvergleich: Entscheidend ist nicht, wer tötet, sondern wie die Tat begangen wird. Deshalb wird § 211 StGB heute richtigerweise nicht mehr als eigenständiger Täterschafts-Typ, sondern als qualifizierte Form der vorsätzlichen Tötung verstanden – in Abgrenzung zum Totschlag (§ 212 StGB).
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Der Streit um das Verhältnis von § 211 und § 212 StGB betrifft im Übrigen auch § 216 StGB. Auch hier bleibt sich die Rechtsprechung treu und will § 216 StGB als eigenständigen Tatbestand erkennen. Die h.L. hingegen sieht § 216 I StGB als Privilegierung zum Grundtatbestand des § 212 I StGB.

1. Tatbezogene und täterbezogene Mordmerkmale
Um § 211 StGB und mit ihm zusammenhängende Probleme vollständig zu durchdringen, ist es zunächst notwendig, sich den Unterschied von tatbezogenen und täterbezogenen Mordmerkmalen vor Augen zu führen.

a) Tatbezogene (objektive) Mordmerkmale
Die tatbezogenen Mordmerkmale kennzeichnen die besondere Verwerflichkeit der Art und Weise der Tatbegehung. Sie sind daher im objektiven Tatbestand zu prüfen, auch wenn sie subjektive Komponenten enthalten (Heimtücke, Grausamkeit).
Tatbezogene Mordmerkmale finden sich ausschließlich in der 2. Gruppe der Mordmerkmale:
Heimtücke (§ 211 II Gr. 2 Var. 1 StGB)
Grausamkeit (§ 211 II Gr. 2 Var. 2 StGB)
Gemeingefährliche Mittel (§ 211 II Gr. 2 Var. 3 StGB).
b) Täterbezogene (subjektive) Mordmerkmale
Die täterbezogenen Mordmerkmale kennzeichnen die besondere Verwerflichkeit der inneren Einstellung des Täters zur Tat. Sie betreffen also nicht die Tatausführung, sondern das persönliche Tatmotiv. Dementsprechend werden sie dem subjektiven Tatbestand zugeordnet.
Täterbezogene Mordmerkmale finden sich in der 1. und 3. Gruppe der Mordmerkmale:
Mordlust (§ 211 II Gr. 1 Var. 1 StGB)
Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (§ 211 II Gr. 1 Var. 2 StGB)
Habgier (§ 211 II Gr. 1 Var. 3 StGB)
Sonstige niedrige Beweggründe (§ 211 II Gr. 1 Var. 4 StGB)
Absicht der Ermöglichung einer Straftat (§ 211 II Gr. 3 Var. 1 StGB)
Absicht der Verdeckung einer anderen Straftat (§ 211 II Gr. 3 Var. 2 StGB)
c) Auswirkungen des Streits um die Deliktsnatur auf die Teilnahmestrafbarkeit
Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Prüfung des Teilnehmers an einem Mord. Bei der Teilnahme (Anstiftung, § 26 StGB und Beihilfe, § 27 StGB) zu den §§ 211, 212 StGB kann es zu Einschränkungen des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät kommen, da es sich bei den täterbezogenen Mord-Merkmalen um besondere persönliche Merkmale (i. S. d. § 14 I StGB) handelt. Dabei kann sich dann der Meinungsstreit zwischen der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre um die Deliktsnatur des Mordes prüfungsrelevant auswirken, zumindest wird dieser Streit in einer Klausur typischerweise darzustellen sein.
Merke
Der Grundsatz der limitierten Akzessorietät (§ 28 StGB) besagt im Strafrecht, dass die Strafbarkeit des Teilnehmers (Anstifter oder Gehilfe) grundsätzlich von der rechtswidrigen und schuldhaften Haupttat des Täters abhängt (Akzessorietät), aber nur in begrenztem Umfang („limitiert“):
Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld der Haupttat müssen vorliegen – nicht aber alle täterbezogenen Merkmale.
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Zur grundsätzlichen Einordnung von § 28 StGB sowie der Unterscheidung von § 28 I, II StGB, siehe den Artikel zur Mittäterschaft.
Da der BGH § 211 StGB gegenüber § 212 StGB als selbstständigen Tatbestand ansieht, setzt er die täterbezogenen Mordmerkmale mit strafbegründenden Merkmalen i.S.d. § 28 I StGB gleich. Nach h.L. kommt ihnen jedoch nur strafschärfende Wirkung zu, da Mord eine Qualifikation des Totschlags sei. Insofern wäre § 28 II StGB einschlägig.
Wichtig: Bei der Teilnahme ist es immer erforderlich, dass der Teilnehmer im Rahmen des doppelten Teilnehmervorsatzes Vorsatz bzgl. der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat hat. Dies ist der entscheidende Punkt bei der Strafbarkeit des Teilnehmers, wenn der Täter nur objektive Mordmerkmale der 2. Gruppe verwirklicht. Begeht der Täter nämlich einen Mord nur durch die Verwirklichung von objektiven (tatbezogenen) Mordmerkmalen, so ist eine Teilnahme am Mord nur gegeben, wenn der Teilnehmer zumindest dolus eventualis bzgl. der Verwirklichung der objektiven (tatbezogenen) Mordmerkmale beim Täter hat. Bei tatbezogenen Mordmerkmalen spielt § 28 I oder II StGB niemals eine Rolle, da die tatbezogenen Mordmerkmale keinesfalls persönliche Merkmale i.S.d. §§ 28, 14 I StGB sind.
Beispiel
A stiftet den Killer K an, den O zu töten. K tötet in der Folge O heimtückisch. Eine Anstiftung zum § 211 StGB durch A liegt nur vor, wenn er billigend in Kauf nimmt, dass K heimtückisch tötet. Sofern dies nicht vorliegt, bleibt eine Strafbarkeit gem §§ 212, 26 StGB.
Bei den subjektiven (täterbezogenen) Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe (nur bei diesen!) stellt sich hingegen die Problematik der Anwendung von § 28 I b II StGB:
Problem
Täterbezogene Mordmerkmale als strafbegründende (§ 28 I StGB) oder strafschärfende (§ 28 II StGB) besondere persönliche Merkmale
Nach dem BGH sind die subjektiven (täterbezogenen) Mordmerkmale strafbegründende besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 I StGB. Dabei ist der Grundsatz, dass der Teilnehmer gemäß §§ 26, 27 StGB grundsätzlich wie der Täter bestraft wird, sofern er zumindest dolus eventualis bzgl. der vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat beim Täter in diesem Fall bzgl. eines Mordes hat. Das bedeutet, dass der Teilnehmer zumindest dolus eventualis hinsichtlich der subjektiven (täterbezogenen) Mordmerkmale beim Täter haben muss. Eigene subjektive Mordmerkmale braucht der Teilnehmer grundsätzlich nicht. Liegt jedoch das subjektive Mordmerkmal des Täters nicht auch beim Teilnehmer vor, so wird die Strafe des Teilnehmers gemäß §§ 28 I, 49 StGB gemildert.
Nach der Literatur kommt den subjektiven Mordmerkmalen hingegen nur strafschärfende Wirkung zu, sodass § 28 II StGB einschlägig wäre. Nach § 28 II StGB wird jeder Beteiligte (Täter oder Teilnehmer) nur nach seinen eigenen subjektiven Mordmerkmalen bestraft. Völlig irrelevant ist nach der herrschenden Literatur hingegen, ob der Teilnehmer Vorsatz hinsichtlich der subjektiven Mordmerkmale beim Täter hat.
Es sind folgende Konstellationen denkbar:
aa) Täter hat keine subjektiven (täterbezogenen) Mordmerkmale; Teilnehmer hat auch keine subjektiven Mordmerkmale
Beispiel
A stiftet T an den O zu töten.
BGH:
Täter: § 212 StGB,
Teilnehmer: §§ 212, 26 oder 27 StGB
H.L.:
Täter: § 212 StGB,
Teilnehmer: §§ 212, 26 oder 27 StGB
bb) Täter hat subjektive (täterbezogenen) Mordmerkmale (etwa Habgier); Teilnehmer hat aber keine subjektiven Mordmerkmale
Beispiel
Täter T will an das Erbe seiner Oma O kommen. A stiftet den T an, die O umzubringen.
BGH:
Täter: § 211 StGB,
Teilnehmer: §§ 211, 26 oder 27 StGB, sofern er nur zumindest dolus eventualis bzgl. des subjektiven Mordmerkmals beim Täter hat. Da jedoch das subjektive Mordmerkmal beim Teilnehmer fehlt, wird seine Strafe gemäß §§ 28 I, 49 I StGB obligatorisch gemildert.
H.L.:
Täter: §§ 211, 212 StGB,
Teilnehmer: §§ 212, 26 oder 27 StGB, da er kein subjektives Mordmerkmal hat (28 II StGB)
cc) Täter hat keine subjektiven (täterbezogenen) Mordmerkmale; Teilnehmer hat aber subjektive Mordmerkmale (etwa Habgier)
Beispiel
Anstifter A will an das Erbe seiner Oma O kommen. A stiftet den T an, die O umzubringen.
BGH:
Täter: § 212 StGB,
Teilnehmer: §§ 212, 26 oder 27 StGB. § 28 I StGB spielt nun keine Rolle, das subj. MM beim Teilnehmer findet keine Berücksichtigung (allenfalls bei Strafzumessung)
H.L.:
Täter: § 212 StGB,
Teilnehmer §§ 211, 212, 26 oder 27 StGB, da er selbst subjektive Mordmerkmale hat (28 II StGB)
dd) Täter hat subjektive (täterbezogene) Mordmerkmale; Teilnehmer hat auch subjektive Mordmerkmale
In dieser Konstellation sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
Täter und Teilnehmer haben beide das gleiche subjektive Mordmerkmal
Täter und Teilnehmer haben jeweils unterschiedliche subjektive Mordmerkmale
aaa) Täter und Teilnehmer haben dasselbe subjektive (täterbezogene) Mordmerkmal (etwa Habgier)
Beispiel
Die Enkel A und T wollen jeweils an das Erbe der Oma O. A stiftet T an, die O umzubringen.
BGH:
Täter: § 211 StGB,
Teilnehmer: §§ 211, 26 oder 27 StGB, sofern er nur zumindest dolus eventualis bzgl. des subjektiven Mordmerkmals beim Täter hat. Da dasselbe subjektive Mordmerkmal aber beim Teilnehmer auch vorliegt, wird seine Strafe nicht gemäß §§ 28 I, 49 I gemildert.
HL:
Täter: §§ 211, 212 StGB,
Teilnehmer: §§ 211, 212, 26 oder 27 StGB, da er selbst ein subjektives Mordmerkmal hat (28 II StGB)
bbb) Täter und Teilnehmer haben unterschiedliche subjektive (täterbezogene Mordmerkmale (etwa Täter: Mordlust, Teilnehmer: Habgier)
Beispiel
A will an das Erbe seiner Oma und stiftet den T an, die O zu töten, von dem er weiß, dass er schon immer mal jemanden töten wollte. T tötet O, weil er schon immer mal einen Menschen “in real life” töten wollte und nicht nur in GTA.
BGH:
Täter: § 211 I, II Gr. 1 Var. 1 StGB,
Teilnehmer: §§ 211, 26 oder 27 StGB, sofern er nur zumindest dolus eventualis bzgl. des subjektiven Mordmerkmals (Mordlust) beim Täter hat. Da jedoch das subjektive Mordmerkmal des Täters beim Teilnehmer nicht vorliegt, müsste seine Strafe eigentlich gemäß §§ 28 I, 49 I StGB gemildert werden.
Bei dieser Konstellation der sog. „Gekreuzten Mordmerkmale“ korrigiert der BGH - wenn es sich um ein gleichartiges Mordmerkmal handelt - die eigentlich zwingende Strafmilderung gemäß §§ 28 I, 49 I StGB wird durch die Annahme der Gleichartigkeit ausgeschlossen.
H.L.:
Täter: §§ 211 I, II Gr. 1 Var. 1, 212 StGB
Teilnehmer: §§ 211 I, II Gr. 1 Var. 3, 212, 26 oder 27 StGB, da er selbst das subjektive Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat (28 II StGB)

ee) Subjektive Mordmerkmale und Mittäterschaft beziehungsweise mittelbarer Täterschaft
Keine unterschiedlichen Ergebnisse zwischen den Ansichten ergeben sich im Rahmen der mittelbaren Täterschaft oder der Mittäterschaft. Keinesfalls erfolgt hier eine Zurechnung von subjektiven Mordmerkmalen, da nur objektive Tathandlungen zugerechnet werden.
Ferner ist § 28 I StGB (Rechtsprechung) hier nicht einmal anzusprechen, da dieser sich nur auf Teilnehmer bezieht. Insofern wird jeder Mittäter beziehungsweise der mittelbare Täter nur nach seinen eigenen subjektiven Mordmerkmalen bestraft.
Die h. L. kommt zu diesem Ergebnis über § 28 II StGB, der auch für Täter gilt, weil nach § 28 II StGB die jeweiligen Mordmerkmale nur für den Mittäter/mittelbaren Täter (oder Teilnehmer) gelten, bei dem sie vorliegen.
ff) Schlussfolgerung für den Meinungsstreit um die Einordnung der subjektiven Mordmerkmale als strafbegründend oder strafschärfend
Problem
Im Einklang mit dem eingangs dargestellten Meinungsstreit um die Deliktsnatur des § 211 StGB sollte der h. L. gefolgt werden:
Die h. L. erkennt, dass die vorsätzlichen Tötungsdelikte systematisch aufeinander bezogen sind und überzeugt durch klare widerspruchsfreie Ergebnisse. Sie ist nicht auf schwer begründbare Korrekturen aus Billigkeitsgründen angewiesen. Sie kommt insbesondere auch dann zu sachgerechten Ergebnissen, wenn beim Teilnehmer ein persönliches Merkmal vorliegt und beim Täter keines.
Für die Rechtsprechung sprechen nur die (schwachen) systematischen Argumente, dass § 211 StGB vor § 212 StGB steht und Mord nicht als schwerer Totschlag gekennzeichnet wird. Auch im Bereich der Mittäterschaft hat die konsequente Literaturansicht keine Probleme, während die Rechtsprechung die Unanwendbarkeit des § 25 II StGB bei täterbezogenen Merkmalen heranziehen muss, um zu begründen, warum es trotz jeweiliger Kenntnis der Mittäter wegen des persönlichen Nichtvorliegens des Merkmals zu einem Auseinanderfallen der Strafbarkeit kommen kann.
gg) Klausursituation
Grundsätzlich gilt in der Klausur, dass die beiden Meinungsstreitigkeiten nur dort angesprochen werden sollten, wo sie auch relevant werden.
Klausurtipp
Für die konkrete Klausursituation bedeutet das:
Prüfung des Haupttäters
Haupttat ist ein Totschlag:
Der Streit um die Deliktsnatur des § 211 StGB (Grundtatbestand oder Qualifikationstatbestand zu § 212 StGB) sollte hier nicht angesprochen werden
Der Streit um § 28 I StGB und § 28 II StGB ist hier nicht anzusprechen
Haupttat ist ein Mord wegen Verwirklichung subjektiver Mordmerkmale:
Der Streit um die Deliktsnatur des § 211 StGB (Grundtatbestand oder Qualifikationstatbestand zu § 212 StGB) kann angesprochen werden
Der Streit um § 28 I StGB und § 28 II StGB ist hier nicht anzusprechen, es sind schlicht die subjektiven Mordmerkmale des Täters zu prüfen
Prüfung des Teilnehmers
Haupttat ist ein Totschlag:
Der Streit um die Deliktsnatur des § 211 StGB (Grundtatbestand oder Qualifikationstatbestand zu § 212 StGB) muss nur angesprochen werden, wenn der Teilnehmer im Gegensatz zum Täter subjektive Mordmerkmale hat.
Der Streit um § 28 I StGB und § 28 II StGB ist hier nur anzusprechen, wenn der Teilnehmer im Gegensatz zum Täter subjektive Mordmerkmale hat.
Haupttat ist ein Mord:
Der Streit um die Deliktsnatur des § 211 StGB (Grundtatbestand oder Qualifikationstatbestand zu § 212 StGB) muss angesprochen werden.
Der Streit um § 28 I und § 28 II StGB muss angesprochen werden.

2. Prüfungsschema

II. Grundtatbestand
Für Ausführungen zum Grundtatbestand des § 212 StGB schaue dir den Artikel zum Totschlag an.
III. Tatbezogene Merkmale
1. Heimtücke
Definition
Heimtückisch tötet, wer die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers bewusst in feindlicher Willensrichtung zur Tötung ausnutzt.
Arglos ist das Opfer, wenn es nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Dies ist nie der Fall bei konstitutionell Arglosen (Bewusstlose, Kleinkinder), denen die Fähigkeit zum Argwohn fehlt. Schlafende können dagegen ihre Arglosigkeit nach h.M. mit in den Schlaf nehmen.
Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit in seiner Abwehrbereitschaft und -fähigkeit erheblich eingeschränkt ist.
Die Arg- und Wehrlosigkeit nutzt der Täter bewusst aus, wenn er die taterleichternden Umstände willentlich zur besseren Durchführung der Tat ausnutzt.
Die Mordmerkmale des § 211 StGB – insbesondere die Heimtücke – erfassen zahlreiche Fallkonstellationen und führen in der Praxis oft zur lebenslangen (!) Freiheitsstrafe. Das erscheint regelmäßig als unverhältnismäßig hart. Daher beschäftigt die Frage, wie restriktiv insbesondere das Mordmerkmal der Heimtücke auszulegen ist, seit Jahrzehnten Rechtsprechung und Literatur. Hintergrund ist, dass nahezu jede Überraschungstötung vom Tatbestand erfasst wird und zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe zur Folge hat, unabhängig davon, ob der Täter tatsächlich mittels eines niederträchtigen Anschlags aus dem Hinterhalt oder aus verständlichen Motiven oder einer menschlich begreifbaren Konfliktsituation heraus gehandelt hat.
Beispiel
Der Haustyrannenfall:
F wird von ihrem Ehemann M über Jahre beleidigt und schwer misshandelt. Auch die gemeinsamen Kinder sind seiner Gewalt ausgesetzt. M droht F, den Kindern etwas anzutun, falls sie ihn verlässt, und warnt sie vor einer Anzeige, da seine Rockerfreunde sie bestrafen würden.
F weiß um die bestehende Gefahr durch M und geht davon aus, dass sie ihn töten kann, ohne bestraft zu werden, weil es aus ihrer Sicht keinen anderen Ausweg gibt. Verzweifelt und der Situation nicht mehr gewachsen, beschließt sie also, M zu töten. Während er schläft, schießt sie mehrfach mit einem Revolver auf ihn. M stirbt.
Strafbarkeit wegen heimtückischen Mordes nach § 211 II Gr. 2 Var. 1 StGB?
Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, ob der Tatbestand des § 211 II Gr. 2 Var. 1 StGB nicht einschränkend auszulegen ist. Konkret umstritten ist etwa, ob zusätzlich ein besonders verwerflicher Vertrauensbruch vorliegen muss, damit das Mordmerkmal Habgier ausreichend restriktiv angewendet wird.
Problem
Streit um die restriktive Aslegung des Heimtückemordmerkmals
Lehre von der negativen Typenkorrektur: Diese Auffassung will das starre System des § 211 StGB aufbrechen und setzt bereits auf der Tatbestandsebene an. Zwar wird formal ein Mordmerkmal – zum Beispiel Heimtücke – bejaht, dennoch soll nicht automatisch von Mord ausgegangen werden. Entscheidend sei nämlich, ob die Tat insgesamt die besondere Verwerflichkeit aufweist, die den Mord ausmachen soll.
Fehlt diese besondere Verwerflichkeit in der konkreten Situation – etwa weil die Heimtücke nur knapp erfüllt ist oder die Beweggründe nachvollziehbar erscheinen – dann soll trotz erfülltem Mordmerkmal nur wegen Totschlags (§ 212 StGB) verurteilt werden.Vertrauensbruchlösung: Diese Auffassung will das Mordmerkmal der Heimtücke teleologisch reduzieren. Heimtückisches Verhalten soll demnach nur dann zur Annahme von Mord führen, wenn es einen besonders krassen Vertrauensbruch darstellt – also etwa, wenn das Opfer dem Täter besonders nahe stand oder sich bewusst auf ihn verlassen hat. Die Einschränkung erfolgt hier schon auf der Ebene des Tatbestands, also nicht erst über die Strafzumessung.
Rechtsfolgenlösung (BGH): Der BGH bleibt beim traditionellen Verständnis des Mordtatbestands und wendet ihn grundsätzlich strikt an. Gleichzeitig erkennt er aber an, dass es in Einzelfällen – etwa bei einer objektiv heimtückischen, aber subjektiv nur schwach verwerflichen Tötung – unangemessen hart sein kann, zwingend auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. Um dieses Spannungsverhältnis zu entschärfen, greift der BGH auf Rechtsfolgenseite ein: In Extremfällen kann § 49 I StGB analog angewendet und die Strafe gemildert werden. Die Einzelfallgerechtigkeit wird also durch eine flexible Strafzumessung sichergestellt – ohne den Tatbestand künstlich zu verbiegen.
Stellungnahme:
Keine der ersten beiden Ansichten vermag vollends zu überzeugen. Die Lehre von der negativen Typenkorrektur durchbricht das Trennungsprinzip von Tatbestand und Rechtsfolge, weil sie moralische Wertungen bereits in die Frage einfließen lässt, ob der Mordtatbestand überhaupt erfüllt ist. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen dem „ob“ und „wie“ der Bestrafung. Außerdem ist unklar, wann genau eine Tat „nicht besonders verwerflich“ sein soll – was das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG) verletzt.
Auch die Vertrauensbruchlösung überzeugt nicht: Ein verwerflicher Vertrauensbruch findet sich im Wortlaut des § 211 StGB schlicht nicht. Zudem führt sie bei anonymen oder überraschenden (aber klar heimtückischen) Tötungen zu Ergebnissen, die dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widersprechen.
Die Rechtsfolgenlösung des BGH ist zwar dogmatisch nicht ganz unproblematisch, weil § 49 I StGB eigentlich nur bei Strafrahmen unterhalb von lebenslänglich gilt. Aber sie ist in der Praxis die ausgewogenste Lösung: Sie wahrt den klaren Aufbau des Gesetzes, lässt den Mordtatbestand unangetastet – und ermöglicht trotzdem eine flexible, gerechte Strafzumessung in extremen Ausnahmefällen. Auch ein Verstoß gegen das Analogieverbot liegt nicht vor, da es sich nicht um eine täterbelastende Analogie, sondern eine tätermildernde Analogie handelt.
Vernetztes Lernen
Trennungsprinzipien werden dir in den verschiedenen Rechtsgebieten immer wieder in anderen Kontexten begegnen. Es gibt nicht das eine Trennungsprinzip! Zum Beispiel:
Trennungsprinzip im Erbrecht
Trennungsprinzip im Gesellschaftsrecht
Vertretungsrechtliches Trennungsprinzip
Trennungs - und Abstraktionsprinzip im Rahmen der Unterscheidung von schuldrechtlichem geschäft und dinglichem Geschäft
Für die Lösung des Haustyrannenfalls bedeutet das:
Nach der Lehre von der negativen Typenkorrektur wäre F nur wegen Totschlags gemäß § 212 StGB strafbar. Zwar war der schlafende M arg- und wehrlos, und die F nutzte dies in feindseliger Willensrichtung aus. Allerdings weist die Tat in der Gesamtbetrachtung die besondere Verwerflichkeit nicht auf, da die Motivationslage der F angesichts der fortlaufenden schweren Misshandlungen hinsichtlich ihrer Person und auch gegenüber der gemeinsamen Kinder sowie der Drohung, weiterer schwerer körperlicher Gewalt gegenüber den Kindern, sollte die F sich an Strafverfolgungsorgane wenden, menschlich nachvollziehbar ist.
Nach der Vertrauensbruchlösung liegt ebenfalls wohl kein besonders verwerflicher Vertrauensbruch und damit kein Mord vor. Zwar standen M und F in einem ehelichen Verhältnis, allerdings war das hierauf beruhende besondere Vertrauensverhältnis durch die fortlaufenden schweren Misshandlungen der F und der gemeinsamen Kinder sowie der Drohungen seitens des M schon lange zerrüttet.
Der BGH kommt zur Annahme eines Heimtückemordes, weil die F die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des F in feindseliger Willensrichtung bewusst ausnutzte. Allerdings führen die besonderen Umstände zu einer Strafmilderung bei F gemäß § 49 I StGB analog.
Im konkreten Fall (BGHSt 48, 255) wurde die F wegen heimtückischen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Im konkreten Fall aber nicht wegen der (subsidiären) Strafmilderung gemäß § 49 I StGB analog i. R. d. Rechtsfolgenlösung, sondern wegen der vorrangigen Strafmilderung gemäß §§ 35 II 2, 49 I Nr. 1 StGB. Das erstinstanzliche LG Lechtingen hatte einen vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum der F angenommen.
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Die Frage, ob F einem vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum unterlag wird im Artikel zu den strafrechtlichen Irrtümer aufbereitet.
2. Grausamkeit
Definition
Grausam ist die Tötung, wenn der Täter aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung dem Opfer besondere Schmerzen und Qualen zufügt, welche über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen.
Beispiel
Typische “Folterfälle”
3. Gemeingefährliches Mittel
Definition
Gemeingefährlich sind Mittel, die der Täter in der konkreten Situation nicht sicher beherrschen kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat und deren Einsatz geeignet ist, eine Vielzahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden.
Entscheidend ist, ob die Verwendung des Mittels in der konkreten Situation abstrakt in der Lage ist, eine Vielzahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden. Es muss also darauf abgestellt werden, ob der Täter in der konkreten Tatsituation und unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten die Wirkung des Tatmittels unter Kontrolle hat.
Hierfür muss auf die Umstände des Einzelfalls eingegangen werden. Zur Veranschaulichung dienen regelmäßig die sogenannten Autobombenfälle.
Beispiel
O ist Politiker geworden, was den T aufregt. Er will “ein politisches Zeichen” setzen und den O mit einer Sprengfalle öffentlichkeitswirksam töten. T, der von Beruf Sprengmeister ist und sich bestens mit der Sprengwirkung etwaiger Bomben auskennt, präpariert den Wagen des O nachts mit einer Fernzündbombe. T legt sich am morgen auf die Lauer und wartet bis O sich am Morgen in sein am Straßenrand parkendes Auto setzt und lässt die Bombe aus der Ferne detonieren, als die Straße frei war. O stirbt.
In diesem Beispiel ist der Mord mit gemeingefährlichen Mitteln gemäß § 211 II Gr. 2 Var. 3 StGB wohl abzulehnen, weil:
T die maximale Sprengwirkung aufgrund seiner beruflichen Qualifikation genau kannte und
er die Situation genau beobachtete, sodass er die Opferanzahl durch die Wirkweise des Tötungsmittels unter Kontrolle hatte.
Beispiel
O ist Politiker geworden, was den T aufregt. Er will “ein politisches Zeichen” setzen und den O mit einer Sprengfalle öffentlichkeitswirksam töten. Hobbypyromane T präpariert den Wagen des O derart, dass eine Betätigung des Zündschlüssels die Bombe automatisch auslöst. O setzt sich eines Morgens in sein am Straßenrand parkendes Auto, dreht den Zündschlüssel als die Straße befahren war und stirbt durch die Explosion.
In diesem Beispiel ist der Mord mit gemeingefährlichen Mitteln gemäß § 211 II Gr. 2 Var. 3 StGB wohl anzunehmen, weil:
T die maximale Sprengwirkung aufgrund mangelnder Kompetenz nicht einschätzen konnte und
er die Situation aus der Hand gab, sodass er die Opferanzahl gar nicht kennen konnte. Vielmehr waren durch das automatische Zünden in der konkreten Situation Passanten und auf der Straße fahrende Kfz‑Führer abstrakt gefährdet.
Beispiel
Die Autobombenfälle haben darüber hinaus Bedeutung im Rahmen der:
mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt. 2 StGB und
strafrechtlichen Irrtümer (aberrratio ivtus /error in persona)
Natürlich kommen auch gängigere gemeingefährliche Mittel in Betracht:
Beispiel
T will seine Expartnerin sowie deren neuen Lebensgefährten töten, indem er ein mit mehreren Familien bewohntes Mehrfamilienhaus in Brand steckt.
Auch eine Geisterfahrt auf der Autobahn mit bedingten Tötungsvorsatz kann ein gemeingefährliches Mittel nach BGH darstellen.
IV. Subjektiver Tatbestand
Im Rahmen des objektiven Tatbestandes ist einerseits der Vorsatz hinsichtlich des objektiven Tatbestandes zu untersuchen und andererseits sind die subjektiven Mordmerkmale anzusprechen.
1. Vorsatz hinsichtlich objektivem Tatbestand
Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes benötigt der Täter mindestens dolus eventualis hinsichtlich:
dem objektiven Tatbestand des Grundtatbestandes, § 212 StGB (Tathandlung: töten, Taterfolg: Tod eines anderen Menschen, Kausalität, objektive Zurechnung)
den einschlägigen objektiven (tatbezogenen) Mordmerkmalen.
2. Subjektive (täterbezogene) Mordmerkmale
a) Mordlust, § 211 II Gr. 1 Var. 1 StGB
Definition
Mordlust liegt vor, wenn die Tötung aus dem führenden Wunsch des Täters resultiert, andere Menschen sterben zu sehen.
Beispiel
Profi-Ego-Shooter-Spieler T erschießt willkürlich einen zufällig vorbeikommenden Jogger – einfach nur, um zu sehen, wie es ist, einen echten Menschen zu töten.
b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, § 211 II Gr. 1 Var. 2 StGB
Der unstrittige Fall des Lustmords ist der Fall, dass der Täter die geschlechtliche Befriedigung durch den Tötungsakt selbst empfindet. Nach ganz herrschender Meinung ist auch der Täter erfasst, der das Opfer allein aus dem Grund tötet, um sich an der Leiche vergehen zu können.
Ebenfalls von der herrschenden Meinung erfasst wird auch der in der Praxis wohl häufigste Fall dieses Mordmerkmals, bei dem der Sexualverbrecher insbesondere im Rahmen einer Vergewaltigung den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt.
Dieser Fall ist nicht unumstritten, da es keine direkte Verknüpfung zwischen Tod und sexueller Befriedigung gibt. Nach h. M. ist es allerdings ausreichend, dass die Tötungshandlung (etwa Würgen des Opfers, um die Vergewaltigung durchzusetzen) zur Befriedigung des Sexualtriebs vorgenommen wird.
Vernetztes Lernen
Eine dogmatisch ähnliche Problematik findet sich bei den Merkmalen Ermöglichungsabsicht und Verdeckungsabsicht. Auch hier ist es ausreichend, dass die Tötungshandlung mit der entsprechenden Absicht vorgenommen wird, auch wenn der Tod nur billigend in Kauf genommen wird (siehe unten).
Merke
Nach umstrittener Rechtsprechung des BGH soll es ausreichen, wenn der Täter von vornherein plant, die Befriedigung erst später beim Anschauen von Filmmaterial der Tötung zu empfinden (Kannibale von Rothenburg).
c) Habgier, § 211 II Gr. 1 Var. 3 StGB
Definition
Habgier ist das rücksichtslose Streben nach Gewinn um jeden Preis.
Es genügt, wenn der Täter die Ersparnis von Aufwendungen bezweckt. Allerdings muss der materielle Vorteil unmittelbar der Tötung entspringen, sodass nicht jedwede Absicht, einen Vermögensvorteil zu erzielen, zur Bejahung der Habgier führt.
Beispiel
H lebt mit seiner Mutter O in seinem Zweifamilienhaus zusammen. Als die Demenz der O immer stärker wird, zeichnet sich ab, dass diese in ein Pflegeheim muss. Da die Rente der O für Heimkosten nicht ausreicht, muss H aufgrund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht Geld beisteuern. H, der gar nicht erst einsieht, dass er für die Heimkosten für seine griesgrämige Mutter O aufkommen soll, entschließt sich kurzer Hand die O mit einem Kissen im Schlaf zu ersticken. O stirbt und dem H bleiben die Heimkosten erspart.
d) Niedrige Beweggründe, § 211 II Gr. 1 Var. 4 StGB
Dem Merkmal „Niedrige Beweggründe“ kommt innerhalb der 1. Gruppe eine Auffangfunktion zu. Die anderen Merkmale der 1. Gruppe sind vertypte niedrige Beweggründe.
Definition
Sonstige niedrige Beweggründe liegen vor, wenn der Tatantrieb sittlich und moralisch auf niedrigster Stufe steht und als besonders verachtenswert erscheint.
Beispiel
Typisches Beispiel für einen sonstigen niedrigen Beweggrund sind Tötungen aus Rache.
Diskussionswürdige Beispiele sind:
Eifersucht
kommt dann als sonstiger niedriger Beweggrund in Frage, wenn diese auf krasser Eigensucht und Triebhaftigkeit beruht
Ehrenmorde
Nach der Rechtsprechung kann hier das kulturelle Umfeld des Täters und eine entsprechende Drucksituation aus dem Umfelds des Täters dazu führen, dass vor dem Hintergrund der restriktiven Handhabung der Mordmerkmale die niedrigen Beweggründe abzulehnen sind.
e) Ermöglichen/Verdecken einer Straftat, § 211 Gr. 3 Var. 1 und 2 StGB
Bei der Ermöglichungsabsicht soll die Tötungshandlung als Mittel zur Begehung weiteren kriminellen Unrechts dienen. Bei der Verdeckungsabsicht soll die Tat der Verdeckung einer anderen Straftat dienen.
Zu beachten ist, dass die zu verdeckende Tat dabei nicht einmal das Versuchsstadium erreicht haben muss:
Beispiel
A erfährt über einen Bekannten, dass B in einer Woche einen großangelegten Raubüberfall auf eine Bank starten will. Als B hiervon Kenntnis erlangt, fährt er zu A und tötet ihn noch am selben Abend, um jedwedes Risiko eines Leaks im Keim zu ersticken.
Darüber hinaus ist sogar die Tätervorstellung einer strafbaren Tat ausreichend, sodass in Wahrheit gar keine Straftat vorliegen muss, da nur die bloße Absicht erforderlich ist und die Strafschärfung rechtfertigt. Der Täter geht also nur irrtümlich von einer anderen Straftat aus. Ferner muss es sich bei der „anderen“ Tat nicht um eine eigene handeln, etwa wenn Straftaten von Angehörigen durch die Tötung verdeckt werden sollen.
Beispiel
A erfährt, dass sein Bruder B den C zusammengeschlagen haben soll und dieser nun Anzeige erstatten will. A, der weiß, dass sein Bruder B “auf Bewährung ist”, fürchtet, dass B nun einer Haftstrafe nicht mehr entgehen kann, wenn C Anzeige erstattet. Daher fährt A noch am selben Abend zu C und tötet ihn. In Wahrheit hatte es sich nur um Gerüchte gehandelt, der B hatte sich nichts zu schulden kommen lassen.
Überzeugenderweise muss aber zumindest der (ggf. auch irrtümlich) vorgestellte Sachverhalt eine Straftat darstellen, sodass kein reines Wahndelikt verdeckt werden darf.
Beispiel
Hobbysatanisten S und A sind “streng religiös” und glauben, mit Satan in Kontakt zu stehen. Sie wollen den örtlichen Priester P tot sehen und beten zu Satan. Am nächsten Tag erfahren die beiden, dass der P tot Zuhause aufgefunden wurde. S fürchtet, dass die nicht ganz so robuste A “einknicken” und sie bei der Polizei verpfeifen werde. Am Abend fährt sie zu A und tötet diese, damit ihre Straftat (Totbeten) nicht auffliegt.
aa) Verhältnis von Tötungsvorsatz und Ermöglichungs- beziehungsweise Verdeckungsabsicht
Der Wortlaut der Norm weist durch die Formulierung “um (…) zu“ Parallelen zu anderen Normen mit überschießender Innentendenz auf (etwa § 242 StGB: Zueignungsabsicht).
Auch im Rahmen der Mordmerkmale muss der Täter gerade töten, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. Der Täter benötigt daher dolus directus 1. Grades.
Diskutiert wird, ob die Verdeckung beziehungsweise Ermöglichung stets durch den Tod des Opfers herbeigeführt werden muss. Wäre dies der Fall, wäre die Konsequenz ein Gleichlauf von Tötungsabsicht und Verdeckungsabsicht. D. h., dem Täter kommt es gerade auf den Tod des Opfers an, um so eine andere Straftat zu verdecken.
Dies sind die typischen Fälle, in denen der Täter davon ausgeht, dass das Opfer ihn und seine Tat erkannt hat und aufdecken könnte, und das Opfer deswegen tötet.
Beispiel
Der O beobachtet, wie der T den A in einem abgelegenen Waldgrundstück erschießt. Als der T den O erblickt rennt er diesem hinterher und tötet ihn, weil er fürchtet von O erkannt worden zu sein.
Andererseits sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Täter zwar in der Absicht handelt, eine Straftat zu verdecken, es ihm aber nicht auf den Tod der Opfer ankommt. Vielmehr nimmt er den Taterfolg (Tod der Opfer) nur billigend in Kauf. Es muss also zwischen der Tathandlung und dem Taterfolg unterschieden werden.
Beispiel
T hatte vor einigen Wochen den O in dessen Wohnung im Streit erschlagen, die Wohnung gesäubert und die Leiche im Wald vergraben. Als die Polizei nach mehreren Tagen bei dem Vermisstenfall des O öffentlich von einem Gewaltverbrechen ausgeht, bekommt es der T mit der Angst zu tun. Er fürchtet, dass nun die “SpuSi” (Spurensicherung) anrücken und seine DNA in der Wohnung des O finden werde. Daher begibt er sich noch in derselben Nacht zu dem Mehrfamilienhaus des O und legt ein Feuer, um die Spuren zu vernichten. Dabei ist ihm bewusst, dass in dem Mehrfamilienhaus weitere Menschen wohnen, nimmt aber deren Tod billigend in Kauf.
In diesem Fall kommt es dem Täter also gerade nicht auf den Tod der Opfer an, vielmehr handelt er, um die Tötung des ersten Opfers zu verdecken (die Tathandlung (Feuer legen) ist “blöderweise” auch die Tathandlung “töten”). Den Tod der Opfer nimmt der Täter mithin nur billigend in Kauf.
Problem
Verhältnis von Tötungsvorsatz und Ermöglichungs- bzw. Verdeckungsabsicht
Nach früherer Rechtsprechung kam „Verdeckungsabsicht“ nur in Betracht, wenn der Tod gerade das Mittel zur Verdeckung war.
Nach der mittlerweile h.M. ist aber zu differenzieren.
Mittel der Verdeckung ist der vom Täter in Gang gesetzte Ursachenverlauf. Anknüpfungspunkt ist also primär die Tötungshandlung und nicht der Tötungserfolg! Handelt der Täter, um eine Tat zu verdecken und tötet er dabei einen Menschen, so ist es grds. egal, wer das Opfer ist.
Richtet sich die Tat jedoch gegen eine Person, von der die Aufdeckung der Tat offensichtlich zu befürchten ist, muss Tötungsabsicht vorliegen, um das Mordmerkmal zu bejahen. Ansonsten ist ein widerspruchsfreies Nebeneinander von Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht möglich. Die Tötung muss dann Mittel zur Verdeckung der Tat sein. Sie darf nicht bloß als Folge der Tathandlung eintreten.
Ist hingegen keine Aufdeckung von der betroffenen Person zu erwarten und gerät diese bei Vornahme der eigentlichen Verdeckungshandlung in Todesgefahr, so genügt es, wenn der Täter den Tod der eigentlich unbeteiligten Person billigend in Kauf nimmt (BGHSt 41, 358/360f.). Gerade in der Gefährdung Unbeteiligter liegt die bes. Verwerflichkeit.
Ein widerspruchsfreies Nebeneinander von Ermöglichungs- bzw. Verdeckungsabsicht und bedingtem Tötungsvorsatz ist also möglich, wenn der Tod des Opfers nicht unabdingbare Voraussetzung der Ermöglichung oder Verdeckung ist.
Nach obigem Gesagtem fallen also solche Fälle aus der Anwendung des Mordmerkmals heraus, in denen vom Opfer zwar eine unmittelbare Aufdeckungsgefahr ausgeht, der Täter aber keine Tötungsabsicht hat.
Beispiel
Schutzgelderpresser P ist zu Ohren gekommen, dass sein Opfer O vor der Polizei aussagen will. P ist erbost, fürchtet Strafverfolgung und will dem O eine ordentliche Lektion erteilen, damit O sein Vorhaben aufgibt und nicht nochmal auf eine solche Idee kommt. Er geht zu O und schlägt ihn zu Boden. Sodann beginnt er den O mit einem Baseballschläger mit gezielten Schlägen gegen Kopf und Torso zu malträtieren. Dabei nimmt er den Tod des O billigend in Kauf. Als sich O schon nach wenigen Schlägen nicht mehr rührt, lässt der P von ihm ab, weil er der Meinung ist, dass O seine lektion nun gelernt habe. O erleidet schwere Hirnblutungen und verstirbt zwei Tage später.

bb) Mord durch Unterlassen in Verdeckungsabsicht
Ferner ist problematisch, ob Mord in Verdeckungsabsicht durch Unterlassen denkbar ist.
Beispiel
T fährt betrunken nachts um 3 auf einer abgelegenen Landstraße Radfahrer R an und schleudert diesen dann schwerverletzt in den Straßengraben. Obwohl T die Möglichkeit des Todes erkennt (und billigend in Kauf nimmt), entscheidet er sich gegen eine Rettungshandlung, damit er wegen der Trunkenheitsfahrt nicht belangt werden kann.
Das Problem liegt hier in der Entsprechungsklausel (Modalitätenäquivalenz) des § 13 StGB. Klassischerweise ist es eine Entscheidung zum aktiven Tun, wenn man jemanden tötet, um eine Straftat zu verdecken. Fraglich ist, ob dies durch ein Unterlassen äquivalent herbeigeführt werden kann. Dies ist nach inzwischen ganz herrschender Meinung zu bejahen. Auch wenn das Opfer nicht stirbt, ist in jedem Fall ein versuchter Mord in Verdeckungsabsicht durch Unterlassen zu prüfen.
Merke
Das Opfer ist verletzt, der Täter verlässt den Tatort und es ist an versuchten Mord durch Unterlassen zu denken!
cc) Verdeckung eigener Tötungshandlungen
Die zu verdeckende Straftat kann auch die zuvor lediglich versuchte Tötung des Opfers sein, sofern zwischen zunächst erfolgloser und erneuter Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt (also quasi Tatmehrheit vorliegt).
So etwa, wenn der Täter zunächst beim aktiven Handeln nur Körperverletzungsvorsatz gehabt hat und dann erkennt, dass er das Opfer lebensgefährlich verletzt hat, und es sodann mit Tötungsvorsatz unterlässt, dem Opfer zu helfen, um seine Körperverletzung zu verdecken. In diesem Fall ist Mord in Verdeckungsabsicht einschlägig (ähnlich den o.g. betrunkenen Anfahr-Fällen).
Beispiel
Schutzgelderpresser P ist zu Ohren gekommen, dass sein Opfer O nicht mehr zahlen will. P ist erbost und fürchtet finanzielle Einbußen. Er will dem O eine ordentliche Lektion erteilen. Er geht zu O und schlägt ihn zu Boden und tritt mehrmals mit Körperverletzungsvorsatz auf ihn ein. Als sich O schon nach kurzer Zeit nicht mehr rührt, lässt der P von ihm ab, weil er der Meinung ist, dass P seine Lektion nun gelernt habe. Sodann beginnt P die Wohnung des O nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Als er nach einer halben Stunde fündig wird, erkennt er auch, dass sich der O durch den Fall eine schwere Kopfverletzung zugezogen hat und lebensgefährlich verletzt ist. Er unterlässt es, Hilfe zu holen, weil er Strafverfolgung fürchtet. P hätte gerettet werden können, verstirbt aber vor Ort an Blutverlust.
Von diesen Fällen sind solche zu unterscheiden, bei denen das bloße Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als weiteres Tötungsmotiv die vorherigen Tathandlungen nicht zu einer „anderen Straftat“ macht. Hat der Täter zunächst die Tötung des Opfers mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz versucht und unterlässt es anschließend, Hilfe zu holen, damit die vorherigen Tathandlungen unentdeckt bleiben, so ist der Täter allein wegen Totschlags zu bestrafen. Selbst wenn zwischen aktiver (aber zunächst erfolgloser) Tötungshandlung und dem Entschluss, keine Hilfe zu holen, um die vorherige Handlung zu verdecken, eine deutliche zeitliche Zäsur liegt, so ist die vorherige aktive Tötungshandlung keine „andere Straftat“, da der Täter keine neue Kausalkette in Gang setzt, sondern es bloß unterlässt, von der vorherigen versuchten Tötung zurückzutreten.
Beispiel
Schutzgelderpresser P ist zu Ohren gekommen, dass sein Opfer O nicht mehr zahlen will. P ist erbost und fürchtet finanzielle Einbußen. Er will dem O eine ordentliche Lektion erteilen. Er geht zu O und schlägt ihn zu Boden und beginnt den O mit einem Baseballschläger durch gezielte Schläge auf den Kopf zu malträtieren. Dabei nimmt er den Tod des O billigend in Kauf. Als sich O schon nach kurzer Zeit nicht mehr rührt, lässt der P von ihm ab, weil er der Meinung ist, dass P seine Lektion nun gelernt habe. Sodann beginnt P die Wohnung des O nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Als er nach einer halben Stunde fündig wird, erkennt er auch, dass der O wohl doch lebensgefährlich verletzt hat. Er unterlässt es, Hilfe zu holen, weil er Strafverfolgung fürchtet. P hätte gerettet werden können, verstirbt aber vor Ort an Blutverlust.

V. Rechtswidrigkeit und Schuld
Im Rahmen von Rechtswidrigkeit und Schuld sind keine Besonderheiten zu beachten. Es gelten die allgemeinen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sowie die Grundsätze zu strafrechtlichen Irrtümern.