Dieser Artikel behandelt die Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises nach § 192 StGB. § 192 StGB besitzt hohe Examensrelevanz. Ehrdelikte sind vielfach Examensstoff und bieten sich für einen eigenen Tatkomplex an. § 192 StGB sticht dabei wegen seines tatbestandserweiternden Charakters heraus und wird häufig übersehen.
I. Allgemeines
Hinsichtlich des Abschnitts Allgemeines kann auf die generellen Ausführungen zu den Ehrdelikten im Artikel zu § 185 StGB verwiesen werden.
II. Prüfungsschema

III. Formalbeleidigung, § 192 StGB
§ 192 StGB stellt die sogenannte Formalbeleidigung unter Strafe.
Definition
Eine Formalbeleidigung liegt vor, wenn eine an sich wahre Äußerung allein aufgrund der Form, des Tons oder des Kontexts beleidigenden Charakter hat.
Die Ehrverletzung ergibt sich hier nicht aus dem Inhalt, sondern aus der herabsetzenden Art und Weise, in der etwas gesagt oder dargestellt wird – etwa durch höhnischen Tonfall, beleidigende Gestik, übertriebene Betonung oder aggressive Verpackung einer sonst sachlichen Aussage.
Merke
Das Wort “Formalbeleidigung” meint dabei also nicht, dass damit (”formale”) Schimpfwörter gemeint sind, sondern, dass sich die Beleidigung nicht aus dem Gesagten, sondern der “Form” des Gesagten (v.a. der Art und Weise) ergibt.
IV. Anwendungsbereich
Hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 192 StGB sind vor allem zwei Anwendungsfälle genauer zu betrachten. Die wahre, aber beleidigende Tatsachenbehauptung gegenüber (1.) dem Betroffenen und (2.) gegenüber Dritten.
1. Gegenüber Betroffenen selbst, §§ 185, 192 StGB
Hauptfall des Anwendungsbereichs des § 192 StGB sind Fälle wahrer, aber beleidigender Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen selbst. Also eine Tatbestandserweiterung des § 185 StGB:
Beispiel
Der Angeklagte sagt in einem klar spöttisch und verachtenden Tonfall:
“Na Sie sind mir ja ein ganz besonders kompetenter Fachmann, was?”
In diesem Beispiel handelt es sich bei der Aussage weder um ein Werturteil noch um eine unwahre Tatsache. Vielmehr ergibt sich die Beleidigung hier aus der Art und Weise der Äußerung (Tonfall und begleitende Umstände).
Vernetztes Lernen
§ 192 StGB verweist ausdrücklich auf § 185 StGB. Allerdings kann von den drei einschlägigen Tatmitteln (1. Werturteil gegenüber dem Betroffenen, 2. Werturteil gegenüber Dritten, 3. Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen) nur die 3. gemeint, da nur Tatsachen erwiesen Wahr sein können.
2. Gegenüber Dritten, §§ 186, 187, 192 StGB
Obwohl nur § 185 StGB ausdrücklich im Wortlaut des § 192 StGB erwähnt ist, erstreckt sich der Anwendungsbereich auf alle Beleidigungsdelikte, die durch die Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen verwirklicht werden können. Daher sind auch §§ 186, 187 StGB erfasst, also die Äußerung einer wahren, aber beleidigenden Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir die §§ 186, 187 StGB an den § 192 StGB zitieren, um dich daran zu erinnern, dass sie vom Anwendungsbereich des § 192 StGB umfasst sind.
Besonders relevant sind hier die Fälle des sogenannten “Publikationsexzesses”:
Definition
Von einem Publikationsexzess spricht man, wenn eine ehrenrührige Tatsache in einer Weise öffentlich gemacht wird, dass der Betroffene die Veröffentlichung nicht mehr hinnehmen muss, weil es an einem öffentlichen Informationsinteresse fehlt.
Beispiel
Die Ehefrau F des M hat erfahren, dass M sie über Jahre betrogen hat. Kurzum veröffentlicht die F die ehebrecherischen Verfehlungen des M über ein Inserat in der lokalen Tageszeitung, damit auch alle Nachbarn Bescheid wissen.
In diesem Beispiel ist die Art und Weise der Tatsachenäußerung der F klar mit einem beleidigenden - also ehrverletzenden und rufschädigenden - Charakter (§ 186 StGB) behaftet. Trotz der erweislich wahren Tatsache der ehebrecherischen Beziehungen handelt es sich wegen der Umstände der Verbreitung um eine Formalbeleidigung nach §§ 192, 186 StGB.
V. Rechtswidrigkeit
Im Rahmen der Rechtswidrigkeit ist auf den Artikel zu § 193 StGB zu verweisen.
VI. Schuld
Im Rahmen der Schuld sind keine Besonderheiten zu beachten.
VII. Strafantragserfordernis (§ 194 StGB)
Zu beachten ist, dass alle Ehrdelikte sogenannte absolute Antragsdelikte sind, sodass ein Strafantrag vom Betroffenen gestellt worden sein muss.