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7. Abschnitt: Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten)

Teilgebiet

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Thema

7. Abschnitt: Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Tags

Nichtanzeige geplanter Straftaten
Glaubhafte Kenntnis
Anzeigepflichtiger Personenkreis
Stufenverhältnis
Nemo-tenetur-Grundsatz
In dubio pro reo
Absehen von Strafe
nachträgliche Anzeige
Art. 103 GG
§ 138 StGB
§ 139 StGB
§ 15 StGB
§ 25 StGB
Gliederung
  • I. Allgemeines

  • II. Prüfungsschema

  • III. Vorprüfung

    • 1. Bedrohter

    • 2. Beteiligter der Katalogtat

  • IV. Tatsituation

    • 1. Vorhaben oder Ausführung einer Katalogtat

      • a) Katalogtat

      • b) Vorhaben

      • c) Ausführung der Tat

    • 2. Glaubhaft erfahren

    • 3. Zu einer Zeit, zu der Abwendung der Ausführung möglich

  • V. Tathandlung

    • 1. Unterlassen der Anzeige

    • 2. Rechtzeitigkeit

    • 3. Subjektiver Tatbestand

  • VI. Rechtswidrigkeit

  • VII. Schuld

  • VIII. Straflosigkeit, § 139 StGB

    • 1. Straffreiheit nach § 139 I StGB

    • 2. Straffreiheit nach § 139 II, III StGB

    • 3. Straffreiheit nach § 139 IV StGB

Dieser Artikel behandelt die Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB. Die Nichtanzeige geplanter Straftaten ist vergleichsweise von geringerer Examensrelevanz. Dennoch sollte sich mit dieser Straftat auseinandergesetzt werden, weil sie leicht übersehen wird und daher insbesondere für Examenskandidaten von Relevanz ist, die höhere Notenstufen anstreben.

I. Allgemeines

Systematisch steht § 138 StGB im 7. Abschnitt des StGB, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Als geschütztes Rechtsgut wird teilweise die Rechtspflege als Organ der Verbrechensverhütung angesehen. Zutreffender ist es jedoch, die durch die jeweiligen Strafvorschriften geschützten Rechtsgüter heranzuziehen.

§ 138 StGB stellt nicht jede Nichtanzeige geplanter Straftaten unter Strafe, vielmehr muss es sich um eine in Absatz 1 aufgeführte Katalogtat handeln.

§ 138 StGB ist als echtes Unterlassungsdelikt und als konkretes Gefährdungsdelikt zu qualifizieren, da neben dem Unterlassen der Anzeige auch ein gewisser Gefährdungsgrad in Form einer bereits konkretisierten Schädigungsabsicht hinsichtlich einer Person oder Sache vorliegen muss.

II. Prüfungsschema

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III. Vorprüfung

Im Rahmen der Vorprüfung muss zunächst geprüft werden, ob § 138 StGB überhaupt angewendet werden kann. Ausgenommen sind der Bedrohte oder der an der Katalogtat Beteiligte.

1. Bedrohter

Der Wortlaut des § 138 StGB spricht davon, dass der Täter es unterlassen muss, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu erstatten. Mit Bedrohtem ist also derjenige gemeint, dessen Rechtsgüter durch die geplante Tat gezielt verletzt werden sollen (also das potentiell ausgewählte Opfer). Konsequent ist es daher, dass der Bedrohte selbst nicht Täter des § 138 StGB sein kann, wenn er von dem Vorhaben Kenntnis erlangt und keine Anzeige bei der Behörde erstattet.

Merke

Ausnahmsweise ist auch der durch die Tat Bedrohte anzeigepflichtig, wenn es sich um eine gemeingefährliche Straftat handelt:

A erfährt, dass B einen Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus plant, in dem A mit seiner Familie wohnt. Zwar wäre A und seine Familie individuell betroffen und daher Bedrohter im Sinne des § 138 I StGB – aber der Anschlag würde auch das Leben und die Gesundheit aller Hausbewohner gefährden.

In diesem Fall ist A trotz persönlicher Bedrohung nach § 138 StGB anzeigepflichtig, da es sich um eine gemeingefährliche Straftat handelt, die gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Brandstiftung nach §§ 306 ff. StGB anzeigepflichtig ist.

2. Beteiligter der Katalogtat

Ebenfalls kann nicht Täter des § 138 StGB sein, wer Beteiligter an der geplanten Katalogtat ist. Dies folgt aus dem nemo tenetur-Grundsatz. “Nemo tenetur se ipsum accusare” bedeutet wörtlich übersetzt “niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen”. Beteiligter meint gemäß § 28 II StGB Täter oder Teilnehmer. Wer also Täter/Mittäter/mittelbarer Täter oder Teilnehmer (Anstifter/Gehilfe) der geplanten Katalogtat ist, kann nicht Täter des § 138 StGB sein.

Im Zweifel muss hier zunächst inzident geprüft werden, ob der zu prüfende Täter an der Planung oder Ausführung beteiligt war.

Merke

Hiervon zu unterscheiden ist, dass die Vorschriften über die Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) am § 138 StGB Anwendung finden. D.h. es kann auch zu einer Nichtanzeige einer geplanten Straftat angestiftet werden.

Hiervon zu unterscheiden ist, dass die Vorschriften über die Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) am § 138 StGB Anwendung finden. D.h. es kann auch zu einer Nichtanzeige einer geplanten Straftat angestiftet werden.

Vernetztes Lernen

Nach neuer BGH-Rechtsprechung besteht jedoch zu der Beteiligung an der Straftat ein Stufenverhältnis, sodass wenn die Nichtanzeige tatsächlich feststeht, aber die Beteiligung zweifelhaft ist, eine Verurteilung nach § 138 StGB erfolgen kann (einer echten Wahlfeststellung bedarf es dabei nicht! Bei dieser ist auch die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der Delikte fraglich).

IV. Tatsituation

1. Vorhaben oder Ausführung einer Katalogtat

a) Katalogtat

Zunächst muss es sich bei der Tat um eine im Katalog des Absatzes 1 aufgeführte Tat handeln.

Klausurtipp

Für Examensklausuren von besonderer Relevanz sind vor allem folgende Nummern des Absatzes 1:

  • Nr. 4: Geldfälschung gemäß § 146 StGB,

  • Nr. 5: Mord, § 211 StGB und Totschlag, § 212 StGB,

  • Nr. 6: Erpresserischer Menschenraub, § 239a StGB und Geiselnahme, § 239b StGB,

  • Nr. 7: Raub, §§ 249-251 StGB und räuberische Erpressung, § 255 StGB,

  • Nr. 8: Brandstiftungsdelikte, §§ 306-306c StGB sowie Straßenverkehrsdelikte, §§ 315 III, 315b III StGB und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316a StGB.

b) Vorhaben

Mit dem Vorhaben einer Tat ist nicht der Beginn der Versuchsstrafbarkeit gemeint. Vielmehr setzt das Vorhaben bereits wesentlich früher an.

Definition

Vorhaben im Sinne des § 138 I StGB ist die ernstliche Planung einer bereits konkretisierten Tat, sodass Tatobjekt sowie Art und Weise des Vorgehens bereits feststehen, wobei mit der Tatvorbereitung noch nicht begonnen worden sein muss.

Beispiel

A erzählt seinem Freund B, dass er am kommenden Montag die örtliche Sparkasse mit einer Schusswaffe überfallen will, um seine Spielschulden zu begleichen. Er weiß bereits, welchen Eingang er nutzen, wie er vorgehen und wann er zuschlagen will – mit der Beschaffung der Waffe hat er jedoch noch nicht begonnen.

c) Ausführung der Tat

Auch, wer von der Ausführung einer Tat erfahren hat, ist anzeigepflichtig.

Definition

Mit der Ausführung der Tat ist der Zeitraum gemeint, der mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Tat im Sinne des § 22 StGB beginnt (Versuchsbeginn) und bis zu dem Zeitpunkt reicht, zu dem der letzte tatbestandliche Erfolg noch abgewendet werden kann.

2. Glaubhaft erfahren

Weiterhin muss der Täter des § 138 StGB von der Ausführung beziehungsweise dem Vorhaben glaubhaft erfahren haben.

Bloße Gerüchte, vage Hinweise oder bloße Erkennbarkeit reichen nicht aus, um eine Anzeigepflicht auszulösen. Ebenso entfällt die Pflicht zur Anzeige, wenn der Täter der Mitteilung offensichtlich keinen Glauben schenkt oder sie als nicht ernst gemeint einstuft.

3. Zu einer Zeit, zu der Abwendung der Ausführung möglich

Zuletzt muss der Täter von der Ausführung oder dem Vorhaben der Tat glaubhaft erfahren haben, zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch abwendbar ist.

Solange die Tat also noch nicht beendet oder fehlgeschlagen ist oder die Aufführung endgültig aufgegeben wurde, bleibt die Anzeigepflicht bestehen.

V. Tathandlung

1. Unterlassen der Anzeige

§ 138 I StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt. Die Tathandlung besteht also in der Nichtanzeige gegenüber der Behörde oder dem Bedrohten. Wichtig ist dabei auch, dass eine Nichtanzeige vorliegen kann, auch wenn der Täter eine Anzeige erstattet. Nämlich dann, wenn die Anzeige nicht rechtzeitig erfolgt. Insoweit geht es daher um das Unterlassen einer rechtzeitigen Anzeige.

2. Rechtzeitigkeit

Definition

Die Anzeige ist rechtzeitig erfolgt, wenn die Verhütung der Straftat oder einer ihrer Erfolge noch möglich ist.

Beispiel

T bedroht O mit einer Waffe und zwingt ihn, die PIN der EC-Karte preiszugeben. A beobachtet die Szene aus einem Fenster. Noch während T das Opfer in Schach hält, aber bevor er das Portemonnaie an sich nimmt, erkennt A die Situation und ruft sofort die Polizei, die wenige Minuten später eintrifft und T vor der Wegnahme festnimmt.

Im obigen Beispiel wird klar, dass nicht die gesamte Tat abgewendet werden können muss, sondern dass es für die Rechtzeitigkeit ausreicht, dass ein Taterfolg abgewendet werden kann.

  • So ist der Nötigungserfolg des Raubes (Gewaltandrohung zur Erlangung der PIN) nicht mehr abwendbar,

  • Jedoch ist der Wegnahmeerfolg (also die vollendete Wegnahme) noch abwendbar.

A hat rechtzeitig Anzeige erstattet.

Merke

Absatz 2 verengt den Zeitraum der Anzeigehandlung auf die Unverzüglichkeit. Es geht also nicht mehr um die Rechtzeitigkeit, sondern darum, dass der Täter die Anzeige sofort erbringen muss. Absatz 2 spielt für die Examenssituation jedoch eine geringe Rolle.

3. Subjektiver Tatbestand

Im Rahmen des subjektiven Tatbestands ist zu prüfen, ob der Täter hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens mit dolus eventualis gehandelt hat.

Merke

Durch 138 III StGB ist auch die leichtfertige Nichtanzeige unter Strafe gestellt. Insofern handelt es sich um eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination mit den erhöhten Anforderungen an die Leichtfertigkeit.

In diesem Fall ist im objektiven Tatbestand die objektive Leichtfertigkeit zu prüfen, während im subjektiven Tatbestand der Vorsatz in Bezug auf die Tatsituation vorliegen muss. Der Täter muss die Tatsituation mindestens billigend in Kauf nehmen und im Hinblick auf die Tathandlung leichtfertig handeln.

Leichtfertigkeit kommt in der Regel dann in Betracht, wenn der Täter etwa einem Irrtum über die Erforderlichkeit einer Anzeige unterliegt oder vergisst, die Anzeige abzuschicken. Mit dem Begriff der Leichtfertigkeit kannst du dich hier vertraut machen.

VI. Rechtswidrigkeit

Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit ergeben sich keine Besonderheiten. Hier sind etwaige in Frage kommende Rechtfertigungsgründe zu prüfen.

VII. Schuld

Im Rahmen der Schuld ist die subjektive Leichtfertigkeit zu prüfen, insofern der Täter die rechtzeitige Anzeige bei einer Behörde oder dem Bedrohten nach Absatz 3 leichtfertig unterlassen hat.

VIII. Straflosigkeit, § 139 StGB

Zuletzt muss noch beachtet werden, dass der Gesetzgeber in bestimmten Fällen die Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten anordnet. Absehen von Strafe (§ 139 I StGB).

1. Straffreiheit nach § 139 I StGB

Nach § 139 I StGB kann von Strafe abgesehen werden, wenn die Katalogtat nicht versucht worden ist. Gemeint ist damit, dass die Tat gar nicht ins Versuchsstadium gelangt. Nach obigen Ausführungen kann das nur in Bezug auf das Vorhaben einer Tat gelten, da für die Ausführung einer Tat das Versuchsstadium bereits erreicht worden sein muss.

2. Straffreiheit nach § 139 II, III StGB

Nicht zur Anzeige verpflichtet ist nach Absatz 2 ein Geistlicher, der in seiner Funktion als Seelsorger von dem Vorhaben oder der Ausführung Kenntnis erlangt.

Nach Absatz 3 Satz 1 sind für die meisten Taten auch Angehörige (§ 11 I Nr. 1 StGB) straffrei, wenn sich diese ernsthaft bemüht haben, den Täter von der Tat abzubringen oder den Erfolg anderweitig abzuwenden.

Merke

Unter den gleichen Voraussetzungen wie § 139 III 1 StGB sind gemäß § 139 III 2 StGB auch Rechtsanwälte, Ärzte, Psychologen straffrei.

3. Straffreiheit nach § 139 IV StGB

Weiterhin ist nach Absatz 4 Satz 1 straffrei gestellt, wer die Ausführung oder den Taterfolg der Katalogtat anders als durch Anzeige abwendet, etwa durch Überredungskunst.

Zuletzt ist noch der Fall der fehlenden Verhinderungskausalität in Absatz 4 Satz 2 geregelt. Insofern die Tatausführung ohne Zutun des zur Anzeige Verpflichteten unterbleibt, er also nicht kausal wird für die Verhinderung der Tat, genügt für seine Straflosigkeit das ernsthafte Bemühen, den Erfolg anderweitig abzuwenden.

Vernetztes Lernen

Vergleichbare Regelungen zur fehlenden Verhinderungskausalität gibt es auch im Rahmen des Rücktritts nach § 24 I 2 StGB, § 24 II 2 StGB sowie des Rücktritts vom Versuch der Beteiligung nach § 31 II StGB.

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