I. Einleitung
Das Widerspruchsverfahren ist in § 68 VwGO geregelt. Gemäß § 68 I 1 VwGO ist vor Erhebung der Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies geschieht durch Erhebung eines Widerspruchs bei der zuständigen Behörde. Wenn die Behörde dabei zu dem Ergebnis kommt, dass der erlassene Verwaltungsakt recht- und zweckmäßig ist, kann der Adressat danach die Anfechtungsklage gemäß § 42 I Alt. 1 VwGO erheben. Für die Klausur eignet sich das Vorverfahren so wie auch die Klage, denn es wird materiell der gleiche Stoff abgefragt, nur der Aufbau und insbesondere die Zulässigkeitsprüfung weicht von der Prüfung verwaltungsgerichtlicher Klagen ab.

II. Zulässigkeit
1. Vorliegen einer verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit
Als erste Zulässigkeitsvoraussetzung muss eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit vorliegen.
Da sich das Widerspruchsverfahren gegen den Erlass oder den unterbliebenen Erlass eines Verwaltungsakts richtet, hat die Behörde immer hoheitlich gehandelt, weshalb dadurch eine verwaltungsgerichtliche Streitigkeit vorliegt.
2. Kein Ausschluss des Vorverfahrens
§ 68 I 2 VwGO enthält Ausschlusstatbestände, also Fälle, in denen vor Klageerhebung kein Vorverfahren durchzuführen ist. Die ist der Fall, wenn:
ein Gesetz dies bestimmt (§ 68 I 2 Hs. 1 VwGO)
Beispiel
§ 80 I NJG: Vor Erhebung der Anfechtungsklage bedarf es abweichend von § 68 I 1 VwGO einer Nachprüfung in einem Vorverfahren nicht, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt (§ 68 I 2 Nr. 1 VwGO) - z. B. Ministerielle Entscheidungen.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält (§ 68 I 2 Nr. 2 VwGO)
Beispiel
Gegen eine Baugenehmigung wurde von einem Nachbarn Widerspruch eingelegt. Daraufhin wurde die Baugenehmigung aufgehoben. Gegen die Aufhebung kann der Adressat der Baugenehmigung nicht einen weiteren Widerspruch einlegen, sondern muss sofort klagen.
§ 68 II VwGO regelt, dass für die Verpflichtungsklage Absatz 1 entsprechend gilt, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
Zusammenfassend ist ein Vorverfahren vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage durchzuführen, wenn dieses nicht durch Gesetz ausgeschlossen ist oder ein Fall der § 68 I 2 Nr. 1 oder 2 VwGO vorliegt.
3. Widerspruchsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Äquivalent zur Klagebefugnis bedarf es im Widerspruchsverfahren einer Widerspruchsbefugnis. Diese richtet sich nach § 42 II VwGO analog.
Hier gibt es aber gegenüber der Klagebefugnis eine Abweichung:
Während bei der Klagebefugnis immer die Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung des Klägers bestehen muss, reicht es bei zugrundeliegenden Ermessensverwaltungsakten aus, dass der Widerspruchsführer geltend macht, dass der Verwaltungsakt unzweckmäßig sei und ihn in seinen Interessen beeinträchtige. Die Voraussetzungen der Widerspruchsbefugnis unterscheiden sich also danach, ob es sich um eine Ermessens- oder eine gebundene Entscheidung handelt.
Wenn eine gebundene Entscheidung zugrunde liegt, bedarf es der Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung des Klägers. Diese liegt nach der Adressatentheorie immer vor.
Wenn es sich dagegen um eine Ermessensentscheidung handelt, reicht, dass der Kläger geltend macht, dass der Verwaltungsakt unzweckmäßig sei. Dabei muss wie immer nach der Schutznormtheorie die zugrundeliegende Norm zumindest auch individuelle Interessen des Widerspruchsführers beinhalten.
Merke
Zum Begriff des Ermessens findest du mehr Informationen in diesem Artikel.
4. Frist

a) Monatsfrist, § 70 I VwGO
Nach § 70 I VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts bei der Widerspruchsbehörde zu erheben.
Merke
Es gibt bei der Fristberechnung einen Unterschied zwischen einer Monatsfrist und einer Frist von 4 Wochen!
b) Jahresfrist, § 70 II VwGO i.V.m. § 58 II VwGO
§ 70 II VwGO verweist unter anderem auf § 58 VwGO. § 58 II VwGO ordnet an, dass im Fall einer unterbliebenen oder unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung, die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres möglich ist.
Somit beträgt die Widerspruchsfrist im Falle einer unrichtigen oder vollständig unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 70 II VwGO i.V.m. § 58 VwGO 1 Jahr.
c) Wiedereinsetzung in vorherigen Stand, § 70 II VwGO i.V.m § 60 VwGO
§ 70 II VwGO verweist neben § 58 VwGO auch auf § 60 Abs. I bis IV VwGO.
Demnach kann der Widerspruchsführer gemäß § 70 II VwGO i.V.m. § 60 I VwGO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand stellen, wenn er ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, die Widerspruchsfrist einzuhalten.
5. Form
Der Widerspruch ist schriftlich, in elektronischer Form, schriftformersetzend oder zur Niederschrift bei der Ausgangsbehörde zu erheben, § 70 I 1 VwGO.
6. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn das Ziel des Widerspruchsverfahrens erreicht wurde.
III. Begründetheit
Die Widerspruchsbehörde überprüft die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts.
Wie im Rahmen der Widerspruchsbefugnis ist im Rahmen der Begründetheit zwischen Ermessensentscheidungen und gebundenen Entscheidungen zu differenzieren.
Daraus ergibt sich folgende Formulierung für den Obersatz:
Zitat
Der Widerspruch ist begründet,
(bei gebundenen Entscheidungen) soweit der angefochtene Verwaltungsakt (oder die Ablehnung oder Unterlassung des beantragten Verwaltungsakts) rechtswidrig ist und der Widerspruchsführer dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO analog (oder § 113 V 1 VwGO analog)
oder
(bei Ermessensentscheidungen) soweit der Verwaltungsakt unzweckmäßig ist und die Ermessensentscheidung zumindest auch individuelle Interessen des Widerspruchsführers beinhaltet.
1. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts
Hier ergeben sich keine Unterschiede im Vergleich zur Klage.
2. Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts
Die Behörde ist bei der Prüfung nicht auf Ermessensfehler nach § 114 S. 1 VwGO beschränkt, sondern trifft eine eigene Ermessensentscheidung im Rahmen ihrer umfassenden Kontrollbefugnis.
Merke
Nur bei Ermessensverwaltungsakten erfolgt eine Prüfung der Zweckmäßigkeit.