I. Einleitung
Mit dem gesetzlichen Widerrufsrecht nach § 312g BGB wird dem Verbraucher für bestimmte Situationen das Recht eingeräumt, den Vertragsschluss nochmals zu überdenken und sich gegebenenfalls durch die Ausübung des Widerrufsrechts vom Vertrag zu lösen.
Es handelt sich um Konstellationen, in denen der Unternehmer dem Verbraucher entweder zu nahe oder zu fern ist, was letzteren schutzbedürftig macht.
Während gesetzliche Verbraucher-Widerrufsrechte an verschiedenen Stellen im Gesetz geregelt sind, ergibt sich die einheitliche Rechtsfolge aus § 355 I 1 BGB. § 355 I BGB wird zudem als Zentralnorm in Verbindung mit dem jeweiligen Verbraucher-Widerrufsrecht zitiert.
Das Widerrufsrecht nach § 312g BGB ist im Übrigen Teil des Verbraucherschutzrechts, das auf der europäischen Verbraucherrichtlinie (VRRL) beruht, sodass hier stets an eine richtlinienkonforme Auslegung zu denken ist (mehr dazu findest du hier).
II. Voraussetzungen
1. Bestehen eines Widerrufsrechts
Ein Widerrufsrecht nach § 312g I BGB (in Verbindung mit § 355 I BGB) setzt neben dem Vorliegen eines der beiden genannten Vertragstypen (§ 312b oder 312c BGB) die grundsätzliche Anwendbarkeit der Normen gemäß § 312 BGB voraus.
Außerdem darf keine Ausnahme nach § 312g BGB vorliegen.
a) Anwendbarkeit
Gemäß § 312 I BGB sind die Vorschriften der Kapitel 1 und 2 des Untertitels über Verbraucherverträge (wozu insbesondere § 312b, 312c und 312g BGB gehören) nur auf Verbraucherverträge anzuwenden, bei denen der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet ist.
Zudem darf die Anwendung dieser Normen nicht nach § 312 II bis VIII BGB ausgeschlossen sein.
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Detailkenntnis benötigst du hier nicht. Die Ausnahmen sollten aber in einer Klausursituation überflogen werden.
b) Vorliegen eines der in § 312g I BGB genannten Vertragstypen
aa) Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (§ 312b BGB)
aaa) Hintergrund
Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen besteht die Gefahr, dass dem Verbraucher die Bedeutung seines Handelns verborgen bleibt und er dadurch überrumpelt oder unter Einsatz psychischen Drucks zu einer übereilten Handlung verleitet wird. Der Unternehmer ist dem Verbraucher in diesen Fällen zu nahe.
Dem Verbraucher soll daher ermöglicht werden, den Vertragsschluss nochmals zu überdenken, um sich gegebenenfalls wieder vom Vertrag zu lösen.
bbb) Legaldefinition
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Voraussetzungen sind:
gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist,
ein Angebot des Verbrauchers
Abschluss in den Räumlichkeiten des Unternehmers oder mit Fernkommunikationsmitteln, wenn Geschäft außerhalb der Geschäftsräume eingeleitet wurde oder auf einem von dem Unternehmer organisierten Ausflug
Lies dir die Norm in der Klausursituation aufmerksam durch!
ccc) Gehilfen des Unternehmers (§ 312b I 2 BGB)
Dem Unternehmer stehen Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln.
ddd) Helfer des Verbrauchers
Bei Helfern des Verbrauchers nach dem Rechtsgedanken des § 166 I BGB kommt es nicht darauf an, ob sich der Verbraucher selbst, sondern ob sich der Helfer in einer der in § 312b BGB genannten Situationen befand.
bb) Fernabsatzverträge (§ 312c BGB)
aaa) Hintergrund
Bei Fernabsatzverträgen kann der Verbraucher im Zeitpunkt des Vertragsschlusses typischerweise weder die Ware oder Dienstleistung noch seinen Vertragspartner überprüfen. Hier ist der Unternehmer dem Verbraucher zu fern.
Da der Verbraucher durch psychische Drucksituationen in Form von zeitlich begrenzten Sonderangeboten und nur begrenzt verfügbaren Stückzahlen zu übereilten Handlungen verleitet wird, soll ihm ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, den Vertragsschluss zu überdenken.
bbb) Legaldefinition (§ 312c I BGB)
Definition
Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragshandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel (Legaldefinition in § 312c II BGB) verwenden.
Entscheidend ist, dass diese Verträge ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien geschlossen werden können.
Kein Fernabsatzvertrag liegt vor, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt, vgl. § 312c I a.E..
Beispiel
Entgegennahme telefonischer Bestellungen in einem Ladengeschäft
Telefonische Terminvereinbarung.
ccc) Mischfälle
Problematisch ist die Beurteilung bei sogenannten "Mischfällen".
Beispiel
Wird ein Vertrag über Fernkommunikationsmitteln angebahnt und letztlich in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen, ist das Fernabsatzrecht nicht anwendbar (Erwägungsgrund 20 VRRL)
Wird der Vertrag im Ladengeschäft schon weitgehend verhandelt und dann über Fernkommunikationsmittel geschlossen, ist das Fernabsatzrecht anwendbar (Erwägungsgrund 20 VRRL).
Informiert sich der Verbraucher im Ladengeschäft nur über das gewünschte Objekt, bestellt er dann aber später online, ist das Fernabsatzrecht anwendbar. Insoweit ist zwischen bloß informatorischen (Vor-)Gesprächen und echten Vertragsverhandlungen abzugrenzen. Das Stadium der Vertragsverhandlungen ist erreicht, wenn eine „echte“ Beratung stattfindet, die über bloße Mindestinformationen (technische Daten, Preis, Lieferzeit) hinausgeht.
cc) Informationspflichten (§ 312d BGB)
Der Unternehmer hat den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246a EGBGB zu unterrichten (§ 312d I 1 BGB).
Die in Erfüllung dieser Pflicht gemachten Angaben werden Inhalt des Vertrages (§ 312d I 2 BGB).
Ein Verletzung der Informationspflichten kann einen Schadensersatzanspruch nach §§ 311 II, 280 I, 241 II BGB wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten begründen.
Zudem beginnt die Widerrufsfrist in diesen Fällen nicht zu laufen (§ 356 III 1 BGB).
c) Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g II, III BGB
Das Widerrufsrecht dürfte ferner nicht nach § 312g II, III BGB ausgeschlossen sein.
aa) Kein Ausnahmetatbestand nach § 312g II BGB
§ 312g II BGB regelt den Ausschluss des Widerrufsrechts, wenn eine unverhältnismäßige Belastung des Unternehmers droht und/oder ein Missbrauchspotential für den Verbraucher vorliegt.
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Nachfolgend werden einige der wichtigsten Tatbestände dargestellt. In Klausuren sollte die Norm aufmerksam gelesen werden.
Ein Widerrufsrecht besteht nicht bei
aaa) Nr. 1:
Verträgen über die Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind, sofern
- für ihre Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist
- oder sie eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind
- und dadurch dem Unternehmer „besondere Nachteile“ entstehen (ungeschriebenes TBM).
Beispiel
Ein Hersteller setzt seine PCs je nach Kundenwunsch aus unterschiedlichen Standardbauteilen zusammen. Sofern die Bauteile nicht ohne verhältnismäßig geringen Aufwand wieder getrennt werden können, werden sie nach Kundenspezifikationen angefertigt.
Ein Werkvertrag über den Einbau eines Lifts ist kein Vertrag zur Lieferung von Waren, da es sich europarechtlich um einen Dienstleistungsvertrag handelt.
bbb) Nr. 10
Verträgen, die mit einem persönlich anwesenden Verbraucher geschlossen werden.
Nicht erfasst sind Online-Auktionen wie bei ebay, sondern Versteigerungen im Sinne des § 156 BGB.
ccc) Nr. 11:
Verträge, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen um dringende Reparaturen oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen.
bb) Kein spezielleres Widerrufsrecht nach anderen Vorschriften, § 312g III BGB
§ 312g III BGB schließt das Widerrufsrecht nach § 312g I BGB aus, wenn speziellere Widerrufsrechte eingreifen. Allerdings nur, wenn dem Verbraucher im konkreten Fall nach den genannten Vorschriften (§§ 495, 506-513 BGB; § 305 I-VI KAGB) ein Widerrufsrecht zusteht.
Beispiel
Verbraucherdarlehensvertrag, § 495 I BGB
Verträge über entgeltlichen Zahlungsaufschub oder sonstige entgeltliche Finanzierungshilfen, § 506 BGB
Existenzgründer, § 513 BGB
d) Erlöschen des Widerrufsrechts
Das Widerrufsrecht dürfte auch nicht nach §§ 356 IV, V BGB erloschen sein.
aa) Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, § 356 IV BGB
In § 356 IV BGB ist geregelt, wann das Widerrufsrecht bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen erlischt.
Beispiel
Der Begriff der Dienstleistungen ist weit zu verstehen und umfasst auch Rechtsgeschäfte, welche nach deutschem Verständnis als Werk-, Miet- und Geschäftsbesorgungsverträge zu qualifizieren sind.
bb) Verträge über digitale Inhalte, § 356 V BGB
§ 356 V BGB regelt, wann das Widerrufsrecht bei Verträgen über digitale Inhalte erlischt.
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Die Normen sollten in einer Klausur immer kurz durchgelesen werden, um die Tatbestände ausschließen zu können.
Gesetzesverweis
§ 356 IV, V BGB stellen Ausschlussgründe im Sinne des § 312g dar und sind daher systematisch falsch im Rahmen des § 356 BGB verortet (bei § 356 BGB handelt es sich um eine Fristenregelung). Soweit es in deinem Bundesland zulässig ist, kannst du dir die Normen daher neben den § 312g BGB zitieren, um in der Klausur an diese Ausschlussgründe zu denken.
2. (Fristgemäße) Ausübung des Widerrufsrechts
a) Widerrufserklärung (§ 355 I 2 - 4 BGB)
Der Widerruf erfolgt durch empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Unternehmer(§ 355 I 2 BGB). Er muss nicht begründet werden (§ 355 I 4 BGB) und ist zudem formfrei möglich. Entscheidend ist, dass aus der Erklärung der Entschluss des Erklärenden zum Widerruf des Vertrages eindeutig hervorgeht(§ 355 I 3 BGB).
Beispiel
Die Rücksendung der Waren (§ 355 III 1 BGB) allein reicht nicht aus. Schließlich wird dadurch nicht klar, ob es sich um eine Anfechtung, um einen Rücktritt oder Widerruf handelt. Die Rücksendung muss daher von einer eindeutigen Erklärung (beispielsweise Widerrufserklärung) begleitet werden.
b) Widerrufsfrist (§ 355 II BGB)
Der Widerruf ist fristgerecht zu erklären (§ 355 I 1 BGB).
aa) Dauer
Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage (§ 355 II 1 BGB) und beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 355 II 2 BGB). Insbesondere beim Verbrauchsgüterkauf wird der Fristbeginn nach § 356 II Nr. 1 BGB modifiziert.
Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung (§ 355 I 5 BGB), das heißt, es kommt nicht auf den rechtzeitigen Zugang der Willenserklärung beim Unternehmer an. Der Unternehmer trägt insofern zwar das Verspätungsrisiko (Risiko, dass die Erklärung verspätet ankommt), der Verbraucher aber weiterhin das Verlustrisiko (Risiko, dass die Erklärung nicht ankommt).
bb) Fristberechnung
Die Fristberechnung richtet sich nach den §§ 187 ff. BGB (vergleiche Erwägungsgrund 41 der VRRL). Lies dir hierzu den Artikel zur Fristberechnung durch.
cc) Sonderregeln für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträge

aaa) Fristbeginn nach § 356 II Nr. 1 BGB
Beim Verbrauchsgüterkauf beginnt die Frist mit Erhalt der Ware zu laufen.
Beispiel
Der Empfänger ist im Urlaub und holt die Ware erst nach Wochen ab. Weil der Verbraucher die Ware testen können soll, beginnt die Frist erst zu laufen, wenn er sie tatsächlich erhält und nicht analog § 130 I BGB mit dem Zugang der Benachrichtigung.
bbb) Ordnungsgemäße Information nach § 356 III BGB
Die Frist beginnt nicht bevor der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular informiert hat. Verstöße gegen sonstige Informationspflichten schaden nicht.
Beispiel
Unzureichend ist es, wenn eine Widerrufsbelehrung auf einer Website oder mittels eines Links ausgedruckt oder heruntergeladen werden kann, da eine Website oder ein Link jederzeit veränderlich und damit kein „dauerhafter Datenträger“ ist (Art. 5 I Richtlinie 97/7/EG).
Um die Informationspflichten zu erfüllen, kann der Unternehmer das Muster nach § Art. 246a § 1 II 2 EGBGB verwenden.
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, kommentiere dir den Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB neben § 356 III BGB, um an die Widerrufsbelehrung zu denken.
III. Rechtsfolgen des Widerrufs
1. Keine Bindung an Vertragsabschlusserklärungen, § 355 I 1 BGB
Nach dem Wortlaut des § 355 I 1 BGB sind die Parteien an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Erklärungen nicht mehr gebunden. Gemeint ist damit, dass mit Ausübung des Widerrufsrecht die Verpflichtungen der Vertragsparteien enden. Soweit die Pflichten noch nicht erfüllt sind, erlöschen sie ex lege.
2. Rückgewährschuldverhältnis, § 355 III 1 BGB
Soweit Pflichten bereits erfüllt sind, entsteht ein Rückgewährschuldverhältis (h.M.). Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen also unverzüglich zurückzugewähren.
a) § 355 III 2 BGB
Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese
-für den Unternehmer mit dem Zugang und
-für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung.
Der Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren (§ 355 III 3 BGB).
b) Gefahr der Rücksendung der Ware (§ 355 III 4 BGB)
Nach § 355 III 4 BGB trägt der Unternehmer die Gefahr der Rücksendung der Ware.
c) Transportkosten (§ 357 II, VI BGB)
aa) Hinsendekosten
Im Falle des Widerrufs muss der Unternehmer auch etwaige Zahlungen des Verbrauchers für die Lieferung zurückgewähren (§ 357 II 1 BGB).
Ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn sich der Verbraucher für eine andere Art der Lieferung als die vom Unternehmer angebotene günstigste Standardlieferung entschieden hat (§ 357 II 2 BGB)
bb) Rücksendekosten
Die Rücksendekosten trägt der Verbraucher, wenn ihn der Unternehmer davon unterrichtet hat (§ 357 V 1 BGB). Andernfalls trägt sie der Unternehmer.
Des Weiteren trägt der Unternehmer die Kosten, wenn er sich dazu bereit erklärt hat (§ 357 V 2 BGB).
d) Modalität der Rückzahlung (§ 357 III BGB)
Für die Rückzahlung muss der Unternehmer gemäß § 357 III 1 BGB dasselbe Zahlungsmittel verwenden, das der Verbraucher bei der Zahlung verwendet hat.
Unzulässig ist es daher, dem Kunden eine Gutschrift oder einen Gutschein auszustellen. Es kann aber etwas anderes vereinbart werden, wenn dem Verbraucher dadurch keine Kosten entstehen, vergleiche § 357 III 2 BGB.
3. Wertverlust der Ware (§ 357a I BGB)
Der Verbraucher hat nach § 357a I BGB Wertersatz für einen Wertverlust der Ware zu leisten, wenn
der Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Waren nicht notwendig war, und
der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB unterrichtet hat.
Diese Regelung ist abschließend, das heißt es bestehen keine Wertersatzansprüche für den Wertverlust der Ware über die Vorschrift hinaus, § 361 I BGB.
a) Sinn und Zweck
Durch § 357a I BGB sollen Gefahren kompensiert werden, die sich daraus ergeben, dass keine physische Begegnung von Anbieter und Verbraucher stattfindet und dass in der Regel keine Möglichkeit besteht, die Ware oder Dienstleistung vor Vertragsschluss in Augenschein zu nehmen.
b) Prüfung der Beschaffenheit
Es ist zwischen der bloßen Prüfung der Beschaffenheit und dem Gebrauch beziehungsweise der Nutzung der Ware abzugrenzen. Letzteres begründet eine Wertersatzpflicht.
Außerdem ergeben sich aus dem Erwägungsgrund 47 der VRRL zusätzliche Restriktionen. Danach darf der Verbraucher mit den Waren nur so umgehen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. Es soll keine Begünstigung erzielt werden, sondern nur ein Ausgleich dafür, dass dem Verbraucher nicht die im Ladengeschäft zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten vorliegen.
Beispiel
Wer im Fernabsatz ein Wasserbett gekauft hat, schuldet im Falle des Widerrufs keinen Ersatz für die Wertminderung, die dadurch eintritt, dass er die Matratze des Bettes zu Prüfzwecken mit Wasser befüllt.
Die Prüfung eines Kfz erfordert nicht die Zulassung des Fahrzeugs.
Wer im Fernabsatz einen Katalysator kauft, diesen anschließend in sein Kraftfahrzeug eingebaut und sodann eine Probefahrt durchgeführt hat, schuldet im Falle des Widerrufs Ersatz der Wertminderung. Denn im Ladengeschäft hätte der Käufer den Katalysator ebenfalls nicht auf seine Funktion im Rahmen der Gesamtsache überprüfen dürfen.
c) Unterrichtung
Der Unternehmer muss den Verbraucher formgerecht über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts unterrichten (§ 357a I BGB i.V.m. Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB). Sofern diese Widerrufsbelehrung unzureichend ist, ist der Verbraucher nicht zum Wertersatz verpflichtet.
Problem
Strittig ist, ob der Unternehmer den Verbraucher auch über die Wertersatzpflicht unterrichten muss.
Teilweise wird dies verneint, da weder § 357a I BGB noch die VRRL eine solche Unterrichtung vorsieht.
Andererseits lässt sich aus dem Hinweis auf das „Verfahren über die Ausübung des Widerrufs“ in Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB die Notwendigkeit eines entsprechenden Hinweises mittelbar ableiten. Auch das - nicht zwingend vorgeschriebene - Musterformular enthält unter Nr. 5 lit. c der Gestaltungshinweise einen Hinweis auf die mögliche Haftung bei Wertverlust.
d) Dienstleistungen (§ 357a II BGB)
§ 357a II BGB regelt, wann der Verbraucher Nutzungswertersatz für die vom Unternehmer bis zum Widerruf erbrachten Dienstleistungen (oder erfolgte Lieferung von Wasser, Strom oder Gas in nicht bestimmten Mengen) zu leisten hat.
Dies ist nur der Fall, wenn sämtliche in Nr. 1 - 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Vorrangig ist zu klären, ob das Widerrufsrecht nach § 356 IV BGB erloschen ist.
Bei der Berechnung des Wertersatzes ist nach § 357a II 2 BGB der vereinbarte Gesamtpreis zugrunde zu legen. Sofern es sich um einen überhöhten Gesamtpreis handelt, ist der Wertersatz jedoch auf der Grundlage des Marktwertes der erbrachten Leistung zu berechnen, vergleiche § 357a II 3 BGB.
IV. (Ausführlicher) Klausuraufbau für die Prüfung des Widerrufsrechts
