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Strafbarkeitsprobleme

Wahlfeststellung

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Strafbarkeitsprobleme

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In dubio pro reo
Postpendenz
Präpendenz
Rechtssicherheit
Einzelfallgerechtigkeit
Wahlfeststellung
Rechtsstaatsprinzip
Stufenverhältnis
Art. 103 GG
§ 20 StGB
§ 21 StGB
§ 25 StGB
§ 27 StGB
§ 242 StGB
§ 244 StGB
§ 257 StGB
§ 259 StGB
§ 289 StGB
§ 316 StGB
§ 323a StGB
§ 647 BGB
Gliederung
  • I. Grundsatz:

    • 1. Stufenverhältnis

  • II. Problem: Konsequente Anwendung des Grundsatzes

    • 1. Unechte (gleichartige) Wahlfeststellung

    • 2. Echte (ungleichartige) Wahlfeststellung

      • a) Rechtsfolge

      • b) Prüfungsstandort

  • III. Abgrenzung zur Postpendenz und Präpendenz

    • 1. Postpendenz

    • 2. Präpendenz

    • 3. Prüfungsstandort

  • IV. Zusammenfassende Übersichten

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo, der unechten und echten Wahlfeststellung sowie der Post- und Präpendenz. Diese Rechtsinstitute können im Rahmen der Klausurbearbeitung immer dann relevant werden, wenn Unsicherheit über einzelne Sachverhaltsmomente besteht. Die aufgezeigten Rechtsinstitute müssen dabei unterschieden werden, weil nur teilweise über die Anwendung der Institute gestritten wird und sich ihre Rechtsfolgen unterscheiden.

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I. Grundsatz:

Der Grundsatz in dubio pro reo (was wörtlich übersetzt “im Zweifel für den Angeklagten” bedeutet) verbietet eine Verurteilung des Angeklagten, wenn Tatsachen nicht zweifelsfrei und zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden können.

Beispiel

A leiht B seine E-Zigarette zur Benutzung. Nachdem B sich von der E-Zigarette überzeugt hat, holt er sich die baugleiche E-Zigarette, gibt die des A aber trotzdem nicht zurück. Eines Abends beschließt A sich “seine” E-Zigarette zurückzuklappen und entwendet in einem günstigen Moment eine E-Zigarette aus der Jackentasche des B. Es lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob A seine eigene E-Zigarette oder die des B weggenommen hat. In dubio pro reo ist A vom Diebstahlsvorwurf nach § 242 I StGB freizusprechen.

1. Stufenverhältnis

Je nachdem, ob sich die Zweifel auf den gesamten Schuldvorwurf oder nur Teile davon erstrecken, ist der Täter insgesamt freizusprechen oder nur wegen des milderen Delikts zu bestrafen. Insofern sich die Zweifel nur auf Teile des Schuldvorwurfes beziehen, ist es notwendig zu prüfen, ob ein Stufenverhältnis vorliegt, das eine Bestrafung des Täters zulässt. Bis hierhin spielt die Frage der Wahlfeststellung keine Rolle.

  • Kann dem Täter der Vorsatz nicht nachgewiesen werden, bleibt eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat möglich.

  • Kann dem Täter die Tätereigenschaft nicht nachgewiesen werden, bleibt eine Bestrafung wegen Teilnahme (Beihilfe, § 27 StGB) möglich.

  • Kann dem Täter aktives Tun nicht nachgewiesen werden, bleibt eine Bestrafung wegen Unterlassen gemäß § 13 I StGB (bei vorliegender Garantenstellung) möglich.

II. Problem: Konsequente Anwendung des Grundsatzes

Die konsequente Anwendung des in dubio pro reo Grundsatzes kann in bestimmten Fällen aber zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn klar ist, dass der Täter eine von mehreren Alternativen tatsächlich verwirklicht hat.

1. Unechte (gleichartige) Wahlfeststellung

Weitgehend unproblematisch und mit dem in dubio pro reo Grundsatz ohne Diskussion vereinbar sind Fälle, in denen zwar unklar ist, welches Verhalten tatsächlich vorgelegen hat, aber in beiden Sachverhaltsalternativen dieselbe Strafnorm mit demselben Strafmaß verwirklicht sein würde.

D.h.: Der Täter muss entweder Verhalten X oder Y verwirklicht haben, wobei X und Y von der gleichen Strafnorm pönalisiert werden.

Würde man den Grundsatz in dubio pro reo hier uneingeschränkt konsequent anwenden, wäre der Täter straflos, da ihm nicht zweifelsfrei eine Tatbestandsalternative nachgewiesen werden kann. Dieses Ergebnis wäre unbillig, da ja sicher ist, dass der Täter eine von zwei Tatbestandsalternativen verwirklicht haben muss.

Beispiel

  • Es ist klar, dass der Täter T das Handy des O gestohlen hat.

  • Unklar ist, ob T dabei durch das Fenster des O eingestiegen ist (§ 244 I Nr. 3 Var. 2 StGB) oder ob er sich mittels eines falschen Schlüssels (§ 244 I Nr. 3 Var. 3 StGB) Zugang zur Wohnung des O verschafft hat.

In diesem Fall liegt die sogenannte unechte oder gleichartige Wahlfeststellung vor, bei der der Täter eindeutig wegen Wohnungseinbruchsdiebstahl nach § 244 I Nr. 3 StGB, aber auf wahldeutiger Tatsachengrundlage (Einsteigen oder Betreten mittels falschem Schlüssel) verurteilt wird.

2. Echte (ungleichartige) Wahlfeststellung

Sehr problematisch und viel diskutiert sind die Fälle, in denen unklar ist, welches Verhalten tatsächlich vorgelegen hat, wobei die beiden möglichen Sachverhaltsalternativen jeweils einen eigenständigen Straftatbestand verwirklichen.

Einfach: Der Täter muss entweder Verhalten X oder Y verwirklicht haben, wobei X und Y jeweils von einer selbstständigen Strafnorm pönalisiert werden.

Würde man den Grundsatz in dubio pro reo hier uneingeschränkt konsequent anwenden, wäre der Täter straflos, da ihm nicht zweifelsfrei eine der beiden selbstständigen Tatbestände nachgewiesen werden kann. Dieses Ergebnis wird teilweise als unbillig angesehen, da ja sicher ist, dass der Täter eine von zwei selbstständigen Tatbestandsalternativen verwirklicht haben muss.

Vernetztes Lernen

Dieses Problem stellt sich auch im Rahmen des Artikels zur actio libera in causa. Das dortige Beispiel sei hier noch einmal aufgegriffen:

Beispiel

T betrinkt sich auf der Party der F maßlos. Er steigt alkoholisiert ins Auto und fährt nach Hause. Der O verpetzt den T am frühen Morgen auf seinem Heimweg bei einer vorbeifahrenden Streife. Ein Bluttest ergibt, dass der T bei seiner Heimfahrt in der Nacht einen BAK zwischen 1,5 und 3,4 ‰ gehabt haben kann.

  • In diesem Beispiel würde eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB daran scheitern, dass in dubio pro reo eine Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB angenommen werden muss, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass T eine BAK von 3,4 ‰ hatte.

  • Eine Strafbarkeit gemäß § 323a StGB würde auf der anderen Seite daran scheitern, dass in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass T nur eine BAK von 1,5 ‰ hatte, folglich den sicheren Bereich des § 21 StGB nicht erreichte und kein Rausch vorliegt.

Das Problem stellt sich aber auch außerhalb der Trunkenheitsfälle:

Beispiel

Juwelier J besitzt zwei baugleiche Uhren. Eine davon steht im Eigentum des T, der diese zur Reparatur zu J gegeben, aber die Werkrechnung noch nicht bezahlt hat, sodass J ein Werkunternehmerpfandrecht gemäß § 647 BGB an der Uhr des T zusteht. Die andere Uhr hingegen steht im Eigentum des J. Eines Tages nimmt T eine Uhr weg. Es kann nicht aufgeklärt werden, ob T seine eigene Uhr oder die des J weggenommen hat.

  • In diesem Beispiel würde eine Strafbarkeit des T wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB daran scheitern, dass in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass es sich um seine eigene Uhr handelt, sodass nur eine Strafbarkeit wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB in Betracht kommt.

  • Eine Strafbarkeit wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB würde aber daran scheitern, dass in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass es sich um die Uhr des J handelt, sodass nur eine Strafbarkeit wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB in Betracht kommt.

Ähnlich wie bei der unechten Wahlfeststellung wird hier in Erwägung gezogen, den Täter wegen der Verwirklichung des einen oder des anderen Straftatbestandes zu sanktionieren. Ob die echte Wahlfeststellung zulässig ist, ist umstritten.

Problem

Zulässigkeit der echten (ungleichartigen) Wahlfeststellung

  • Eine Ansicht lehnt die unechte Wahlfeststellung in Gänze ab. Es verstoße gegen den in Art. 103 II GG verankerten Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Angeklagter verurteilt wird, obwohl sich der Richter hinsichtlich der Verwirklichung des nicht genau bestimmbaren Verhaltens unsicher ist.

  • Eine andere Ansicht will die unechte Wahlfeststellung uneingeschränkt anwenden. Würde ein Angeklagter wegen der doppelten Anwendung des in dubio pro reo Grundsatzes stets freigesprochen werden müssen, obwohl feststeht, dass er sich in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative strafbar gemacht hat, verstoße das gegen das Rechtsstaatsprinzip und damit gegen den Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit.

  • Die herrschende Meinung differenziert. Insofern zwei Verfassungsprinzipien kollidieren, muss praktische Konkordanz hergestellt werden, sodass kein Prinzip verdrängt wird, sondern beide aufgrund einer Abwägung bestmöglich zur Geltung kommen. Daher sei die echte Wahlfeststellung nur eingeschränkt anwendbar unter folgenden Voraussetzungen:

    1. Strafbarkeit in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative Insofern auch nur eine denkbare Sachverhaltsgestaltung vorliegt, in der der Täter straflos ist, muss in dubio pro reo von dieser ausgegangen werden und der Angeklagte ist freizusprechen.

    2. Kein Stufenverhältnis Zwischen den Delikten darf kein Stufenverhältnis (siehe oben) bestehen. Insofern dies der Fall ist, kann der Angeklagte in dubio pro reo nur wegen des milderen Gesetzes verurteilt werden.

    3. Vergleichbarkeit Die echte Wahlfeststellung darf darüber hinaus nur zwischen vergleichbaren Delikten erfolgen. Welche Anforderungen an die Vergleichbarkeit zu stellen sind, ist umstritten:

      • Die Rechtsprechung verlangt eine rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der in Betracht kommenden Delikte.

        • Die rechtsethische Vergleichbarkeit liege nur vor, wenn der Schuldvorwurf der Delikte annähernd gleich schwer wiegt und sie nach dem allgemeinen Rechtsempfinden sittlich und rechtlich vergleichbar sind.

        • Die psychologische Vergleichbarkeit liege nur vor, wenn die seelisch geartete Einstellung des Täters hinsichtlich der betroffenen Rechtsgüter sowie seine Motivationslage ähnlich sind.

          • Die Rechtsprechung nimmt eine Vergleichbarkeit von Delikten etwa zwischen:

            • Diebstahl, § 242 I StGB und Hehlerei, § 259 StGB,

            • Diebstahl, § 242 I StGB und Begünstigung, § 257 StGB

            • Meineid, § 154 StGB und Falscher Verdächtigung, § 164 StGB an.

      • Die herrschende Literatur hingegen verlangt eine Identität im Unrechtskern der Delikte, die dann vorliegt, wenn:

        • das in den jeweiligen Delikten pönalisierte Verhalten ein zur selben Gattung gehörendes Rechtsgut angreift und

        • der Handlungsunwert der Delikte in etwa gleichwertig ist.

Für die Beispiele bedeutet das:

Beispiel 1:

  • Während § 316 StGB explizit und unmittelbar die Sicherheit des Straßenverkehrs schützt, ist § 323a StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das primär auf die Abwehr von Gefahren ausgelegt ist, die von berauschten Personen ausgehen und somit die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht explizit und nur mittelbar schützt.

  • Während die Kernvorraussetzung des § 316 StGB das Führen eines Fahrzeugs im fahruntüchtigen Zustand ist, ist die Kernvoraussetzung des § 323a StGB der Vollrausch der Person, sodass schon die unterschiedlichen Kernvoraussetzungen eine Vergleichbarkeit ausschließen

  • Auch das Strafmaß ist nicht ähnlich gleich und damit nicht vergleichbar

  • Ergebnis: Eine echte Wahlfeststellung ist nicht zulässig, der Angeklagte wird in dubio pro reo freigesprochen.

Beispiel 2:

  • Beide Delikte schützen Vermögenswerte

  • Die Tathandlung der Delikte ist identisch (wegnehmen)

  • Die Strafrahmen der Delikte sind vergleich

  • Ergebnis: Die echte Wahlfeststellung ist zulässig

a) Rechtsfolge

Insofern die Voraussetzungen der echten Wahlfeststellung vorliegen, wird der Täter immer wegen des einen oder des anderen Delikts verurteilt, wobei sich das Strafmaß stets nach dem milderen Gesetz richtet. Somit erfolgt eine wahldeutige Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage.

Klausurtipp

Für das Beispiel 2 könnte der Ergebnissatz wie folgt lauten: T hat sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB oder wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB strafbar gemacht.

b) Prüfungsstandort

Die Wahlfeststellung muss bereits bei der Prüfung der jeweiligen Delikte angesprochen werden. Im Obersatz muss festgehalten werden, dass zwei denkbare Sachverhaltsalternativen vorliegen, die dazu führen, dass entweder

  • dieselbe Strafnorm (unechte Wahlfeststellung) oder

  • unterschiedliche Strafnormen (echte Wahlfeststellung) verwirklicht wurden.

Sodann muss Sachverhaltsalternative 1 und dann Sachverhaltsalternative 2 geprüft und dann wegen wahldeutiger Tatsachengrundlage bestraft werden.

Beispiel

Juwelier J besitzt zwei baugleiche Uhren. Eine davon steht im Eigentum des T, der diese zur Reparatur zu J gegeben, aber die Werkrechnung noch nicht bezahlt hat, sodass J ein Werkunternehmerpfandrecht gemäß § 647 BGB an der Uhr des T zusteht. Die andere Uhr hingegen steht im Eigentum des J. Eines Tages nimmt T eine Uhr weg. Es kann nicht aufgeklärt werden, ob T seine eigene Uhr oder die des J weggenommen hat.

I. Strafbarkeit des T wegen § 242 I StGB oder § 289 StGB 

T könnte sich durch die Wegnahme der Uhr entweder wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB oder wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB strafbar gemacht haben.

  1. Sachverhaltsalternative Unterstellt man, dass die Uhr im Eigentum des J stand, könnte sich T wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Uhr wegnahm.

    a) (Prüfung Diebstahl)

    b) Ergebnis: Nach der ersten denkbaren Sachverhaltsalternative hat sich T wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht.

  2. Sachverhaltsalternative Unterstellt man, dass die Uhr im Eigentum des T stand, könnte sich T wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Uhr wegnahm.

    a) (Prüfung Pfandkehr)

    b) Ergebnis: Nach der zweiten denkbaren Sachverhaltsalternative hat sich T wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB strafbar gemacht.

  3. Echte Wahlfeststellung

    a) Voraussetzungen der echten Wahlfeststellung

    aa) Strafbarkeit in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative (+)

    bb) Kein Stufenverhältnis (+)

    cc) Vergleichbarkeit (+)

    b) Ergebnis

    T hat sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB oder wegen Pfandkehr gemäß § 289 StGB strafbar gemacht, indem er entweder die Uhr des J oder seine eigene Uhr weggenommen hat.

III. Abgrenzung zur Postpendenz und Präpendenz

Von der Wahlfeststellung sind die Fälle der Postpendenz und der Präpendenz zu unterscheiden. Das liegt daran, dass eine Verurteilung im Wege der Post- oder Präpendenz der Wahlfeststellung stets vorgeht. Gemein haben Postpendenz, Präpendenz und Wahlfeststellung, dass eine konsequente Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes zu unbilligen Ergebnissen führen würde.

Definition

Während bei der Wahlfeststellung beide möglichen Sachverhaltsalternativen nicht sicher nachgewiesen werden können, kann in den Fällen der Postpendenz und Präpendenz eine Sachverhaltsalternative klar nachgewiesen werden. Allerdings hängt die rechtliche Würdigung der klar nachweisbaren Sachverhaltsalternative von der nicht aufklärbaren Sachverhaltsalternative ab.

1. Postpendenz

Bei der Postpendenz kann das zeitlich vorangegangene Geschehen nicht aufgeklärt, dem Täter also nicht nachgewiesen werden. Die Bestrafung aus dem zeitlich nachgelagerten Delikt ist dabei aber vom unaufklärbaren zeitlich vorgelagerten Delikt abhängig.

Beispiel

  • Nachgewiesen werden kann, dass der Täter die Beute aus einem Diebstahl (§ 259 I Var. 1 StGB) erlangt hat.

  • Unklar ist hingegen, ob der Täter als Mittäter (§ 25 II StGB) an diesem Diebstahl beteiligt war (§§ 242 I StGB).

In diesem Beispiel hängt die Bestrafung aus der zeitlich nachgelagerten Hehlerei davon ab, ob der Täter auch am Diebstahl beteiligt war, denn Hehler kann nur sein, wer nicht Täter des Diebstahls war (Merke: “Der Stehler ist niemals Hehler!”).

Für dieses Beispiel bedeutet das bei konsequenter Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes:

  • Der Täter kann nicht wegen Hehlerei gemäß § 259 I StGB verurteilt werden, weil in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass er auch Mittäter des zeitlich vorangegangenen Diebstahls (§§ 242 I, 25 II StGB) ist.

  • Der Täter kann aber auch nicht wegen des Diebstahls in Mittäterschaft (§§ 242 I, 25 II StGB) bestraft werden, weil in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass er nicht am Diebstahl beteiligt war.

Dieses Ergebnis wird als unbillig angesehen, da der Täter straflos davonkommen würde, obwohl die klar nachweisbare zeitlich nachgelagerte Verhaltensweise einen Straftatbestand erfüllt und nur die zeitlich vorgelagerte Tat nicht aufklärbar ist.

Rechtsfolge ist daher, dass der Täter wegen des zeitlich nachgelagerten Delikts bestraft und in dubio pro reo hinsichtlich des unklaren vorgelagerten Delikts freigesprochen wird.

Merke

Wie Du sicherlich bereits bemerkt hast: Bei der Wahlfeststellung geht es um Sachverhaltsalternativen, die sich gegenüberstehen und nicht aufgeklärt werden können, wobei wegen einer von beiden bestraft wird. Bei der Post- und Präpendenz geht es aber nicht darum, dass aus einer von zwei Sachverhaltsalternativen bestraft werden können soll, sondern um die Frage, ob je nach einschlägiger Sachverhaltsalternative wegen eines nachweisbaren pönalisierten Verhaltens auch tatsächlich bestraft werden kann. Das heißt:

  • Wahlfeststellung: 1. Sachverhaltsalternative (strafbares Geschehen) z.B. Diebstahl oder 2. Sachverhaltsalternative z.B. Pfandkehr (strafbares Geschehen)

  • Post- und Präpendenz: Ein strafbares Geschehen z.B. Hehlerei, steht fest. Je nachdem, welche Sachverhaltsalternative vorliegt (1. Sachverhaltsalternative: Täter des vorangegangenen Diebstahls; 2. Sachverhaltsalternative: keine Beteiligung am vorangegangenen Diebstahl), kann wegen des nachweisbaren strafbaren Geschehens bestraft oder nicht bestraft werden.

2. Präpendenz

Fälle der Präpendenz sind der genau umgekehrte Fall der Postpendenz. Bei der Präpendenz kann das zeitlich nachgelagerte Geschehen nicht aufgeklärt, dem Täter also nicht nachgewiesen werden. Die Bestrafung aus dem zeitlich vorgelagerten Delikt ist dabei aber vom unaufklärbaren zeitlich vorgelagerten Delikt abhängig.

Beispiel

Nachgewiesen werden kann, dass der Täter zum Wohnungseinbruchdiebstahl Hilfe geleistet hat, indem er einen falschen Schlüssel beschafft hat (§§ 242 I, 244 I Nr. 3 Var. 3, 27 StGB). Unklar ist hingegen, ob der Täter auch später als Mittäter am Tatort mitgewirkt hat (§§ 242 I, 244 I Nr. 3 Var. 3, 25 II StGB).

In diesem Beispiel hängt die Bestrafung aus der zeitlich vorgelagerten Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl davon ab, ob der Angeklagte auch als Mittäter am Wohnungseinbruchdiebstahl beteiligt war, weil Teilnehmer nur sein kann, wer kein (Mit-)Täter ist (Täterschaft vor Teilnahme).

Merke

Liegt eine Täterschaft vor, fehlt es an der ersten Voraussetzung der Teilnahme: “vorsätzliche rechtswidrige Haupttat eines anderen .

Für dieses Beispiel bedeutet das bei konsequenter Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes:

  • Der Täter kann nicht wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl gemäß §§ 242 I, 244 I Nr. 3 Var. 3, 27 StGB verurteilt werden, weil in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass die zeitlich nachgelagerte Mittäterschaft am Wohnungseinbruchsdiebstahl (§§ 242 I, 244 I Nr. 3 Var. 3, 25 II StGB) vorliegt.

  • Der Täter kann aber auch nicht wegen des Wohnungseinbruchdiebstahls in Mittäterschaft (§§ 242 I, 244 I Nr. 3 Var. 3, 25 II StGB) bestraft werden, weil in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass er nicht am Diebstahl beteiligt war.

Dieses Ergebnis wird als unbillig angesehen, da der Täter straflos davonkommen würde, obwohl die klar nachweisbare zeitlich vorgelagerte Verhaltensweise einen Straftatbestand erfüllt und nur die zeitlich nachgelagerte Tat nicht aufklärbar ist.

Rechtsfolge ist daher, dass der Täter wegen des zeitlich vorgelagerten Delikts bestraft und in dubio pro reo hinsichtlich des unklaren nachgelagerten Delikts freigesprochen wird.

3. Prüfungsstandort

Wie auch bei den Fällen der Wahlfeststellung muss die Postpendenz und Präpendenz bereits in der Prüfung der jeweiligen Delikte berücksichtigt werden. Nachfolgendes Aufbaubeispiel gilt für die Präpendenz entsprechend.

Beispiel

T kauft von A wertvolle Uhren zu einem ungewöhnlich günstigen Preis an. Zertifikate kann der A nicht vorweisen. T nimmt billigend in Kauf, dass diese aus dem Einbruch in das Juweliergeschäft des J von letzter Woche stammen, an dem mehrere Personen beteiligt waren. Später sagt A aus, dass der T Mittäter bei diesem Diebstahl gewesen sei. Er habe die Planung übernommen und sei am Tatort anwesend gewesen und den Ablauf dirigiert. T schweigt. Strafbarkeit des T?

I. Strafbarkeit des T nach unterschiedlichen Sachverhaltsalternativen

  1. Möglichkeit: T war an dem Diebstahl beteiligt

    a) T könnte sich gemäß §§ 242 I, 243 I 2 Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er die Planung des Diebstahls in besonders schwerem Fall übernommen sowie den Ablauf der Tat am Tatort überwacht hat.

    aa) (Prüfung mittäterschaftlicher Diebstahl in besonders schwerem Fall)

    bb) Ergebnis
    Unterstellt man die Möglichkeit der Tatbeteiligung des T an der Vortat, hätte sich T wegen mittäterschaftlichen Diebstahls in besonders schwerem Fall strafbar gemacht.

    b) T könnte sich gemäß § 259 I StGB wegen Hehlerei strafbar gemacht haben, indem er die gestohlenen Uhren von T ankaufte.

    aa) (Prüfung Hehlerei)

    bb) Ergebnis
    Unterstellt man die Möglichkeit der Tatbeteiligung des T an der Vortat, hätte sich T nicht wegen Hehlerei strafbar gemacht, da Hehler nicht sein kann, wer Täter der Vortat war.

  2. Möglichkeit: T war nicht an dem Diebstahl beteiligt

    a) Eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlichen Diebstahls in besonders schwerem Fall kommt nicht in Betracht.

    b) T könnte sich gemäß § 259 I StGB wegen Hehlerei strafbar gemacht haben, indem er die gestohlenen Uhren von T ankaufte.

    aa) (Prüfung Hehlerei)

    bb) Ergebnis
    Unterstellt man, dass T nicht Täter der Vortat war, hätte sich T wegen Hehlerei strafbar gemacht.

II. Rechtliche Behandlung der unterschiedlichen Lösungen 
Fraglich ist, wie die unterschiedlichen Lösungen rechtlich eingeordnet werden und ob eine Möglichkeit der eindeutigen (nicht wahldeutigen) Verurteilung möglich ist.

  1. In dubio pro reo 
    Würde man den in dubio pro reo-Grundsatz hier uneingeschränkt anwenden, käme man zu dem Ergebnis, dass der Vorwurf des Diebstahl und der Hehlerei wegen der Möglichkeit der jeweils anderweitigen Strafbarkeiten entfallen. Dieses Ergebnis ist aber unbillig, da in diesem Fall keine doppelte Sachverhaltsungewissheit vorliegt. Vielmehr ist der nachgelagerte Sachverhalt eindeutig nachweisbar, lediglich seine rechtliche Einordnung ist vom vorgelagerten Geschehen abhängig.

  2. Postpendenz 
    Fraglich ist, ob die Postpendenzfeststellung im vorliegenden Fall möglich ist. Steht ein (nachgelagerter) Sachverhalt fest, der nur für sich genommen schon eine Bestrafung rechtfertigt, hängt aber die tatsächliche Sanktionsmöglichkeit nur von einem nicht klar nachweisbaren (vorgelagerten) Sachverhalt ab, so darf eine Verurteilung des Täters nicht deshalb scheitern, weil ihn möglicherweise noch ein Strafbarkeitsvorwurf treffen könnte. Lediglich klar nachgewiesene (Vor-)Taten bieten Anlass auf die Bestrafung für (Anschluss-) Taten zu verzichten.

    a) Voraussetzungen

    aa) Klar nachgewiesenes nachgelagertes Geschehen ist für sich genommen strafbar (+)

    bb) Lediglich rechtliche Behandlung hängt von einer nicht klar nachweisbaren Vortat ab (+)

    b) Ergebnis 
    T ist wegen Hehlerei gemäß § 259 I StGB zu verurteilen.

IV. Zusammenfassende Übersichten

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