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Anfechtung

Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anfechtung

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BGB AT

Thema

Anfechtung

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Anfechtung
Eigenschaftsirrtum
Inhaltsirrtum
Erklärungsirrtum
Drohung
Arglistige Täuschung
Schadensersatz
§ 119 BGB
§ 120 BGB
§ 121 BGB
§ 122 BGB
§ 123 BGB
§ 124 BGB
§ 143 BGB
§ 142 BGB
§ 144 BGB
Gliederung
  • I. Einführung

  • II. Voraussetzungen der Anfechtung

    • 1. Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB

    • 2. Anfechtungserklärung, § 143 I BGB

    • 3. Anfechtungsgrund

      • a) Inhaltsirrtum (§ 119 I Var. 1 BGB) und Erklärungsirrtum (§ 119 I Var. 2 BGB)

      • b) Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

      • c) Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB)

      • d) Arglistige Täuschung (§ 123 I Var. 1 BGB)

    • 4. Kausalität

    • 5. Anfechtungsgegner (§ 143 II, III BGB)

    • 6. Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB)

    • 7. Kein Ausschluss

      • a) Bestätigung (§ 144 BGB)

      • b) Nichtigkeit

  • III. Rechtsfolgen der Anfechtung

    • 1. Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 142 I BGB)

      • a) Verpflichtungsgeschäft

      • b) Erfüllungsgeschäft

      • c) Fehleridentität

      • d) Kennen oder kennen müssen der Anfechtbarkeit (§ 142 II BGB)

    • 2. Schadensersatz nach § 122 I BGB

      • a) Voraussetzungen

      • b) Rechtsfolge

  • IV. Teleologische Reduktion der §§ 119 f. BGB

I. Einführung

Bei einer Willenserklärung können Willensmängel auftreten, die dazu führen, dass eine andere rechtliche Folge herauskommt als ursprünglich vom Erklärenden geplant. Willensmängel können den Erklärenden unter Umständen dazu berechtigen seine mangelbehaftete Erklärung anzufechten und damit die Nichtigkeit des geschlossenen Rechtsgeschäfts gemäß § 142 I BGB herbeizuführen. Um bei Willensmängeln die richtige Vorschrift zu finden, ist danach zu differenzieren, wie der konkrete Willensmangel zustande kam.

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Die Anfechtung ist daher sowohl in der Praxis als auch in der Klausur von höchster Relevanz. Sie kann sehr einfach mit anderen Rechtsgebieten verbunden werden. Denn jede Person kann bei jedem Rechtsgeschäft einen Willensmangel erleiden und somit zur Anfechtung berechtigt sein. Die Anfechtung ist erforderlich, wenn die Erklärung beziehungsweise der Vertragsinhalt vom Gewollten abweicht.

  • Bei Willenserklärungen, ist durch Auslegung der Willenserklärung beziehungsweise des Vertrags zu ermitteln, was gewollt ist - es gilt also: Auslegung vor Anfechtung. Nur wenn durch die Auslegung keine Übereinstimmung ermittelt werden kann, ist an die Anfechtung zu denken.

  • Bei einem Vertragsschluss ist vorrangig zu prüfen, ob ein Vertragsschluss (Konsens) vorliegt. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass mindestens zwei wirksame Willenserklärungen vorliegen. Dafür erforderlich ist deren Zugang, es gilt also: Zugang vor Vertragsschluss vor Auslegung vor Anfechtung. Es muss also zunächst festgestellt werden, dass ein Vertrag geschlossen wurde bevor auf die Anfechtung einzugehen ist.

  • Bei einseitigen Rechtsgeschäften ist vorrangig zu prüfen, ob der jeweilige Tatbestand erfüllt ist (Kongruenz von Willenserklärung und Gestaltungsrecht). Dafür erforderlich ist, dass eine wirksame Willenserklärung vorliegt. Voraussetzung dafür ist wiederum deren Zugang, es gilt also: Zugang vor Auslegung vor Anfechtung. Es muss also zunächst festgestellt werden, dass das einseitige Rechtsgeschäft wirksam ausgeübt wurde, bevor auf die Anfechtung einzugehen ist.

Klausurtipp

Diese Prüfungsreihenfolge muss natürlich nicht in jedem Fall so genau und detailliert befolgt werden. Sie ist aber jedenfalls immer im Hinterkopf zu behalten, wenn es um die Anfechtung geht.

II. Voraussetzungen der Anfechtung

Kommt eine Anfechtung in Betracht, ist nach folgendem Prüfungsschema vorzugehen:

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1. Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB

Kommt eine Anfechtung wegen eines Willensmangels gemäß §§ 119 ff. BGB in Betracht, ist im ersten Schritt stets zu prüfen, ob die §§ 119 ff. BGB überhaupt anwendbar sind.

Merke

  • So kann zum Beispiel ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB gleichzeitig einen Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB darstellen. Aufgrund der kaufrechtlichen Besonderheiten, wie etwa der kürzeren Verjährungsfrist nach § 438 I BGB und dem Vorrang der Nacherfüllung oder dem Haftungsausschluss nach § 442 I 2 BGB, ist bei einem Kaufvertrag die Anfechtung nach § 119 II BGB jedenfalls nach Gefahrübergang ausgeschlossen, soweit das Gewährleistungsrecht gemäß §§ 436 ff. BGB eingreift. Es kommt lediglich zu einem Ausschluss der Anfechtung nach § 119 II BGB, wenn das Fehlen der verkehrswesentlichen Eigenschaft einen Sachmangel darstellt.

  • Demgegenüber wird die Anfechtungsmöglichkeit des Käufers nach § 119 I BGB nicht von den §§ 436 ff. BGB tangiert.

  • Außerdem kann es vorkommen, dass gleichzeitig § 119 BGB und § 123 BGB einschlägig sind, etwa wenn ein Irrtum durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. In einem solchen Fall sind die Anfechtungsgründe nebeneinander anwendbar. Da es aber im Hinblick auf die Anfechtungsfrist (§ 121 BGB und § 124 BGB) einen Unterschied macht, ob wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung angefochten wird, ist durch Auslegung zu ermitteln, weswegen der Anfechtungsberechtigte letztlich die Anfechtung erklärt hat. Ferner ist die Anfechtung wegen § 119 II BGB ausgeschlossen, wenn beide Parteien geirrt haben und damit ein beidseitiger Irrtum vorliegt. Hierfür spricht der Wortlaut des § 313 II BGB, den der Gesetzgeber in Kenntnis des Problems so weit gefasst hat, dass der beidseitige Irrtum unter § 313 II BGB fällt. 

  • Im Hinblick auf die Konkurrenzen von § 123 BGB und anderen Rechtsinstituten gilt: Wer arglistig täuscht oder widerrechtlich droht, verdient keinen Schutz durch Konkurrenzregeln, weshalb § 123 BGB nie durch andere Rechtsbehelfe verdrängt wird. Ebenso verdrängt § 123 BGB weder die §§ 119 ff. BGB noch Schadensersatzansprüche aus c.i.c. oder dem Deliktsrecht.

In der Regel kann jedoch von der Anwendbarkeit ausgegangen und dieser Prüfungspunkt weggelassen werden - die Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB ist nur selten problematisch.

2. Anfechtungserklärung, § 143 I BGB

Die Anfechtung stellt ein Gestaltungsrecht dar, welches durch ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft ausgeübt wird. Der Anfechtungsberechtigte muss eine empfangsbedürftige Willenserklärung abgeben, die aus objektiver Sicht zu erkennen lassen muss

  • welche Erklärung angefochten wird

  • auf welchen Sachverhalt die Anfechtung gestützt wird und

  • dass die Rechtsfolge des § 142 I BGB (rückwirkende Beseitigung eines Rechtsgeschäfts) gewollt ist.

Die Formulierung "anfechten" muss nicht verwendet werden - entscheidend ist, dass im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) erkennbar ist, dass der Berechtigte die Anfechtung erklären möchte. 

Klausurtipp

Ob eine Erklärung als Anfechtung ausgelegt wird, kann sich auch anhand der im Fall zu prüfenden Anspruchsgrundlage orientieren. Wenn die Anfechtung den passenden Anspruch stützt, kann dem möglichen Anspruchsinhaber der Wille unterstellt werden, konkludent die Anfechtung erklärt zu haben. Wenn nicht: nicht.

3. Anfechtungsgrund

Die Anfechtungsgründe des BGB AT befinden sich in den §§ 119, 120, 123 BGB. Sie lassen sich wie folgt systematisieren:

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Irrtümer stellen die häufigsten Anfechtungsgründe dar. 

Definition

Unter einem Irrtum ist jede unbewusste Fehlvorstellung oder Unkenntnis über einen Umstand oder Sachverhalt zu verstehen. 

Wenn jemand nur Zweifel hat, liegt ein Irrtum grundsätzlich nicht vor. Wer ernsthaft zweifelt, irrt nicht.

Keinen Anfechtungsgrund stellt grundsätzlich der Motivirrtum dar.

Definition

Bei einem Motivirrtum handelt es sich um einen Irrtum, der nur den Beweggrund für die Abgabe einer Willenserklärung, nicht aber deren Inhalt betrifft.

Der Motivirrtum fällt in die Erklärungssphäre des Erklärenden und berechtigt aus diesem Grund grundsätzlich auch nicht zur Anfechtung.

Beispiel

A glaubt, dass es sich bei dem Angebot des V zum Verkauf eines Laptops um ein Sonderangebot handelt. Da er denkt, den Laptop zu einem besonders günstigen Preis zu bekommen, nimmt er das Angebot an.

a) Inhaltsirrtum (§ 119 I Var. 1 BGB) und Erklärungsirrtum (§ 119 I Var. 2 BGB)

Alles Wesentliche zu den Anfechtungsgründen aus § 119 I BGB findest du hier.

b) Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

Alles Wesentliche zu dem Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 II BGB findest du hier.

c) Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB)

Alles Wesentliche zur Anfechtung aufgrund eines Übermittlungsirrtums wegen falscher Übermittlung (§ 120 BGB) findest du hier.

d) Arglistige Täuschung (§ 123 I Var. 1 BGB)

Alles Wesentliche zu der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I Var. 1 BGB) sowie Drohung (§ 123 I Var. 2 BGB) findest du hier.

4. Kausalität

Die Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums setzt nach § 119 I Hs. 2 BGB voraus, dass der Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung kausal gewesen ist.

Definition

Kausalität ist gegeben, wenn der Erklärende seine Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. 

Bei der Anfechtung nach § 123 I Var. 1 BGB muss die Täuschung kausal für die abgegebene Willenserklärung gewesen sein. Da die Freiheit der Willensentschließung geschützt wird, reicht eine subjektive Kausalität aus. Es kommt auf die subjektiven Vorstellungen des Getäuschten an.

Im Rahmen des § 123 I Var. 2 BGB genügt die Mitursächlichkeit der Drohung für die Abgabe der Willenserklärung. An dieser mangelt es, wenn der Bedrohte ohnehin entschlossen war, die Erklärung abzugeben.

5. Anfechtungsgegner (§ 143 II, III BGB)

Die Anfechtung muss gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt werden. Gem. § 143 II BGB ist dies bei Verträgen der Vertragspartner. Die Anfechtung einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist gem. § 143 III 1 BGB gegenüber dem Empfänger zu erklären.

6. Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB)

Die Anfechtung muss innerhalb der jeweiligen Anfechtungsfrist erfolgen. Diese hängt von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund ab.

  • § 121 BGB: Die Anfechtung nach § 119, § 120 BGB hat gemäß § 121 I 1 BGB unverzüglich nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes, also ohne schuldhaftes Zögern, zu erfolgen. Nach § 121 I 2 BGB genügt zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Anfechtungserklärung. Nach 10 Jahren ab Abgabe der Willenserklärung ist die Anfechtung gemäß § 121 II BGB ausgeschlossen.

  • § 124 BGB: Gemäß § 124 I, II BGB kann die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung binnen Jahresfrist ab dem Zeitpunkt der Entdeckung der Täuschung beziehungsweise der Beendigung der Drohung erfolgen. Aufgrund der fehlenden Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners ist die Frist viel länger als in § 121 I BGB. Gemäß § 124 III BGB erlischt das Anfechtungsrecht nach 10 Jahren.

Merke

Bei diesen Fristen handelt es sich um sogenannte Ausschlussfristen. Mit ihrem Ablauf erlischt das Anfechtungsrecht.

7. Kein Ausschluss

Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Irrende das Risiko des Irrtums übernommen oder das Rechtsgeschäft nach § 144 BGB bestätigt hat.

a) Bestätigung (§ 144 BGB)

Die Bestätigung des Rechtsgeschäfts im Sinne des § 144 BGB erfolgt durch formlose, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Erklärung muss den Willen zum Ausdruck bringen, das Geschäft trotz Kenntnis der Anfechtbarkeit endgültig als wirksam gelten zu lassen.

Die Bestätigung kann auch konkludent, etwa durch Erfüllung des Rechtsgeschäfts erfolgen, wenn der Anfechtungsberechtigte die Anfechtbarkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet.

b) Nichtigkeit

Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts schließt die Anfechtung nicht aus. Diese Erkenntnis geht auf die Entdeckung von Doppelwirkungen im Recht zurück. Nichtigkeitsgründe wie §§ 125, 134, 138 BGB hindern den Eintritt von Rechtsfolgen. Sie können Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte jedoch nicht "wegzaubern", da sie deren Existenz nicht berühren. Damit schließen Nichtigkeitsgründe die Anfechtung nicht aus. Die Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts kann beispielsweise gewollt sein, wenn sich die Nichtigkeit nicht beweisen lässt.

III. Rechtsfolgen der Anfechtung

1. Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 142 I BGB)

Wird eine Willenserklärung wirksam angefochten, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 142 I BGB das entsprechende Rechtsgeschäft als von Anfang an (= ex tunc) nichtig anzusehen.

Merke

Dies gibt sich aus den Formulierungen der §§ 119 ff. BGB. Willenserklärungen werden angefochten und Rechtsgeschäfte werden dadurch nichtig.

Durch die wirksame Anfechtung wird einem Rechtsgeschäft jegliche Rechtswirkung entzogen. Es kann weder Grundlage für Erfüllungsansprüche noch für Schadensersatzansprüche sein. Die Anfechtung betrifft nur das (schuldrechtliche) Verpflichtungsgeschäft und wirkt sich aufgrund des Abstraktionsprinzips nicht unmittelbar auf das (dingliche) Verfügungsgeschäft aus.

a) Verpflichtungsgeschäft

Da mit dem schuldrechtlichen Grundgeschäft jedoch der Rechtsgrund für den Gütertransfer entfällt, ist jede Partei der anderen nach § 812 I 1 Var. 1 BGB zur Rückgewähr des Empfangenen verpflichtet.

Merke

Gemäß einer Mindermeinung erfolgte die Rückabwicklung über § 812 I 2 Alt. 1 BGB, mit dem Argument, dass die Rechtswirkung der Anfechtung erst später durch die Erklärung ausgelöst wird. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, da sie der ex tunc Wirkung der Anfechtung widerspricht.

b) Erfüllungsgeschäft

Ist auch eine Willenserklärung wirksam angefochten, die das Erfüllungsgeschäft betrifft, erfolgt die Rückabwicklung nach §§ 985, 894 BGB. Hierfür müsste bei der Übereignung ebenfalls ein Anfechtungsgrund vorgelegen haben.

Merke

 Vergreifen des Verkäufers ➝ § 119 I Var. 2 BGB

c) Fehleridentität

Klausurrelevant können auch Fälle der sogenannten Fehleridentität werden. Hierbei sind Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft aufgrund desselben Willensmangels anfechtbar.

Beispiel

Verkäufer irrt über Material aus dem ein Ring besteht ( § 119 II BGB) und übereignet diesen. Der Eigenschaftsirrtum betrifft den Kaufvertrag und setzt sich gleichzeitig bei der Übereignung fort.

Genaueres zur Fehleridentität kannst du hier nachlesen.

d) Kennen oder kennen müssen der Anfechtbarkeit (§ 142 II BGB)

Wurde eine Sache durch eine anfechtbare Übereignung erworben und wird anschließend über diese Sache verfügt, ist § 142 II BGB einschlägig.

Hiernach werden Kenntnis und Kennenmüssen der Anfechtung der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der Nichtigkeit der Übereignung gleichgestellt, weshalb der Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 I 1 Hs. 1 BGB an § 932 II BGB scheitert, wenn der Erwerber die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste.

2. Schadensersatz nach § 122 I BGB

Die Anfechtung hat gemäß § 142 I BGB die rückwirkende Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, etwa eines Vertrags zur Folge. Sie bewirkt damit einen Nachteil bei dem Erklärungsempfänger oder Vertragspartner, der von der Wirksamkeit der angefochtenen Willenserklärung ausgegangen ist. § 122 BGB soll dieses enttäuschte Vertrauen des Erklärungsadressaten in die Gültigkeit der Erklärung kompensieren. § 122 gibt gibt dem Anfechtungsgegner einen Schadensersatzanspruch gegen den Anfechtenden. Es handelt sich um einen Fall der Vertrauenshaftung.

Das heißt: Der Anspruch aus § 122 I BGB richtet sich auf den Ersatz des Vertrauensschadens (auch: negatives Interesse).

Definition

Im Rahmen des Ersatzes des Vertrauensschadens/ des negativen Interesses soll der Erklärungsempfänger muss so gestellt werden, als hätte er nicht auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut.

a) Voraussetzungen

Das Prüfschema ist relativ einfach:

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Zunächst ist eine Nichtigkeit der Willenserklärung nach § 118 BGB oder deren wirksame Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB zu prüfen. Letzteres setzt die vollständige Prüfung der Anfechtung voraus. Auch ist auf der Tatbestandsseite erforderlich, dass die angefochtene Erklärung gegenüber einem anderen abzugeben war.

§ 122 II BGB schließt den Schadensersatzanspruch aus § 122 I BGB aus, wenn der Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). In diesem Fällen fehlt es an einem schutzwürdigen Vertrauen hinsichtlich der Wirksamkeit der Willenserklärung.

b) Rechtsfolge

Auf der Rechtsfolgenseite des § 122 I BGB ist relevant, dass die Höhe der Ersatzpflicht des negativen Interesses durch das positive Interesse begrenzt ist. Das positive Interesse meint den Erfüllungsschaden.

Definition

Im Rahmen des Ersatzes des Erfüllungsschadens oder des positiven Interesses, muss der Erklärungsempfänger so gestellt werden, als wäre die Willenserklärung gültig gewesen.

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Beispiel

Fall

K kauft und erwirbt von V für 5€ einen Goldfisch im Wert von 10€. Für 100€ schafft er dann ein Aquarium an. V ficht den Kaufvertrag wirksam an.

In welcher Höhe besteht ein Schadensersatzanspruch des K aus § 122 I BGB, nachdem er gegen Rückerhalt von 5€ den Goldfisch an V rückübereignet hat??

Lösung

K muss im Rahmen des § 122 I BGB so gestellt werden, als hätte er nicht auf die Gültigkeit der Erklärung des V vertraut.

Zu vergleichen sind zwei Zustände:

  • Ist- Zustand: K hat im Vertrauen auf die Gültigkeit von Vs Erklärung 100€ in das Aquarium investiert, aber auch Eigentum an dem Aquarium erlangt.

  • Soll - Zustand: Hätte K nicht auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, hätte er die 100€ nicht ausgegeben, aber auch kein Aquarium erworben.

Negatives Interesse: 100€ Zug um Zug gegen Übereignung des Aquariums

Grenze des Schadensersatzanspruchs ist gemäß § 122 I a.E. BGB das positive Interesse:

  • Ist- Zustand: K hat nach Rückabwicklung des Vertrags weder Gewinn noch Verlust gemacht.

  • Soll- Zustand: Wäre Vs Willenserklärung gültig gewesen, hätte K einen Gewinn von 5€ realisiert, da der objektive Wert des Goldfischs seinen Preis um 5€ übersteigt.

➝ Positives Interesse: 5€

Ergebnis

Obwohl der Vertrauensschaden bei 100€ liegt, hat K aus § 122 I BGB gegen V nur einen Anspruch auf 5€.

§ 122 I BGB ist analog anwendbar bei: 

  • fehlendem Erklärungsbewusstsein

  • abhanden gekommener Willenserklärung

  • Willenserklärung auf Grund Drohung durch Dritte

  • Versteckter Dissens

  • durch den Tod des Antragenden gem. § 153 a.E. BGB erloschenes Angebot.

Der Schadensersatzanspruch aus § 122 I BGB ist von dem Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo nach §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB abzugrenzen - beide Schadensersatzansprüche kommen in Frage, wenn im Vorfeld eines Vertragsschlusses etwas "schief gelaufen" ist, was dazu geführt hat, dass kein wirksamer Vertrag entstanden ist. Der Anspruch aus c.i.c. richtet sich auf Ersatz des unlimitierten negativen Interesses. Vorteilhaft gegenüber dem Anspruch aus § 122 I BGB ist, dass keine Limitierung des negativen Interesses durch das positive Interesse stattfindet. Im Ergebnis kann also eine höhere Schadenssumme geltend gemacht werden.

IV. Teleologische Reduktion der §§ 119 f. BGB

Merke

Die Anfechtung räumt demjenigen, der einem Willensmangel unterlag das Recht ein, sich von dem Rechtsgeschäft zu lösen. Was ist jedoch, wenn der Anfechtungsgegner die Erklärung mit dem tatsächlich gewollten Inhalt gelten lassen will? Muss der Anfechtungsberechtigte seine Erklärung dann gelten lassen?


Das Gesetz hilft an dieser Stelle nicht weiter. 

Es ist auf Sinn und Zweck der Anfechtung abzustellen. Die §§ 119 f. BGB geben dem Erklärenden kein Reuerecht, also kein Recht sich von vermeintlich ungünstigen Geschäften zu lösen. 

Sie sollen ihn nur so stellen, wie er stünde, wenn er das Gewollte auch erklärt hätte. Die §§ 119 f. BGB stellen keinen Freifahrtschein dar, mit welchem man Rechtsgeschäfte vernichten kann. Sie sollen nur dann greifen, wenn sich der Irrtum im Ergebnis auf das Rechtsgeschäft auswirkt.

Will der Anfechtungsgegner das tatsächlich Gewollte gelten lassen, ist dies nicht der Fall. Die §§ 119 f. BGB sind dann teleologisch zu reduzieren. Es gilt der wirkliche Wille des Erklärenden, sodass sich der Irrtum nicht ausgewirkt hat. Der Erklärende kann sich nicht von dem tatsächlich Gewollten lösen, da §§ 119 f. BGB gerade kein Reuerecht einräumen. Er trägt selbst das Risiko, dass er seine Meinung geändert hat. Da er so steht, wie er stünde, wenn er die Erklärung fehlerfrei vorgenommen hätte ist er nicht schutzwürdig. 

Will der Anfechtungsgegner das tatsächlich Gewollte gelten lassen, gibt es damit keinen Grund dafür, das Rechtsgeschäft anzufechten. Eine Anfechtung ist dann ausgeschlossen. 

Beispiel

M kauft bei Juwelier J einen Ring. Er geht davon aus, dass dieser aus Silber ist. Tatsächlich ist der Ring aus Weißgold. M möchte den Kaufvertrag nach § 119 II BGB anfechten. J erklärt sich aber bereit den tatsächlichen Willen des M, nämlich den Willen zum Kauf eines Rings aus Silber, gelten zu lassen.

Dadurch steht M so, wie er stünde, wenn er seinen Willen ursprünglich fehlerfrei erklärt hätte. Er kann den Kaufvertrag über den Kauf eines Silberrings nicht anfechten.

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