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Störung der Geschäftsgrundlage

Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

Teilgebiet

Schuldrecht AT

Thema

Störung der Geschäftsgrundlage

Tags

Störung der Geschäftsgrundlage
Wirtschaftliche Unmöglichkeit
Faktische Unmöglichkeit
§ 313 BGB
§ 314 BGB
§ 119 BGB
§ 275 BGB
Gliederung
  • I. Einführung

  • II. Tatbestand des § 313 I, II BGB

    • 1. Reales Element

      • a) Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 I BGB)

      • b) Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 II BGB)

    • 2. Hypothetisches Element

    • 3. Normatives Element

  • III. Rechtsfolgen

    • 1. Grundsatz: Vertragsanpassung, § 313 I BGB

    • 2. Ausnahme: Rücktritt beziehungsweise Kündigung, § 313 III BGB

  • IV. Konkurrenz zu anderen Rechtsinstituten

    • 1. Auslegung

    • 2. Anfechtungsrecht

    • 3. Unmöglichkeit, § 275 I BGB

    • 4. Leistungserschwerung § 275 II, III BGB

  • V. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, § 314 BGB

I. Einführung

Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, können sich nach Vertragsschluss so schwerwiegend verändern, dass ein Festhalten am Vertrag für die Parteien unzumutbar ist. Oder diese Umstände können bei Vertragsschluss schon gefehlt haben und erst nachträglich bekannt geworden sein (§ 313 II BGB). Um den geänderten Umständen Rechnung zu tragen, wurde das Institut zur Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt. Mittlerweile ausdrücklich in § 313 I BGB normiert, folgt daraus vorrangig ein Anspruch der Parteien auf Vertragsanpassung. Insofern handelt es sich um eine Abweichung vom Grundsatz „pacta sunt servanda“.

II. Tatbestand des § 313 I, II BGB

Neben dem Vorliegen eines wirksamen Vertrages hat § 313 I, II BGB drei Tatbestandsvoraussetzungen (sogenanntes reales, hypothetisches und normatives Element).

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1. Reales Element

Zunächst muss entweder ein Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 I BGB) oder ein Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 II BGB) vorliegen.

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a) Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 I BGB)

Ein Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn sich die vertragsgrundlegenden Umstände außerhalb der Grenzen der Risikozuweisung nachträglich schwerwiegend geändert haben.

Definition

Vertragsgrundlegend sind Umstände, die eine Partei bei Abschluss des Vertrages als wesentlich vorausgesetzt hat und auf die sich die andere Partei redlicherweise hätte einlassen müssen.

Beispiel

  • Mietvertrag über Geschäftsräume, wenn die Nutzung durch behördliche Erlaubnis pandemiebedingt untersagt wird

  • Vorverkauf von Konzertkarten, die ein Recht auf Teilnahme verschaffen, wenn das Konzert pandemiebedingt abgesagt wird

Die weggefallenen Umstände dürften aber nicht bereits Inhalt des Vertrages geworden sein. In diesem Fall wäre die Vertragsauslegung beziehungsweise die Regelungen zur Leistungsstörung vorrangig (§§ 275 ff., 280 ff. BGB).

Beispiel

  • Wenn Kinokarten durch den Betreiber verkauft werden, ist die Filmvorführung Vertragsinhalt. Wenn der Film aufgrund eines behördlichen Verbots nicht gezeigt werden kann, ist § 275 BGB einschlägig.

  • Ein Zimmer mit Balkon wird vermietet, damit eine Parade verfolgt werden kann. Die Durchführung der Parade gehört nicht zum Vertragsinhalt. Wenn die Parade wetterbedingt abgesagt wird, ist § 313 BGB anwendbar.

b) Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage (§ 313 II BGB)

Nach § 313 II BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn sich wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, als falsch herausstellen.

Beispiel

  • Beidseitiger Motivirrtum (berechtigt nicht zur Anfechtung)

  • Fehlvorstellungen nur einer Partei, wenn die andere Partei diesen Irrtum ohne eigene Vorstellungen hinnimmt

2. Hypothetisches Element

Anschließend ist zu ermitteln, ob die Parteien bei Voraussehen der vorgenannten Änderungen den Vertrag nicht oder nur mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten. Hierzu ist der mutmaßliche Wille der Parteien durch Auslegung zu ermitteln.

Klausurtipp

An dieser Stelle sollte eine umfassende Sachverhaltsverwertung vorgenommen werden, aus denen sich Rückschlüsse auf den Willen der Parteien ziehen lassen.

3. Normatives Element

Schließlich ist zu prüfen, ob der benachteiligten Partei ein Festhalten am unveränderten Vertrag unter Berücksichtigung der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung nicht zumutbar ist. Das ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn das Festhalten zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Die wesentlich veränderten Umstände dürfen nicht aus der Sphäre der benachteiligten Partei herrühren, die einen Anspruch aus § 313 I BGB geltend macht. Zu beachten ist ferner, ob bewusst ein riskantes Geschäft eingegangen wurde.

Beispiel

  • Das Ausbleiben eines Gewinnes ist in der Regel das Risiko des Verkäufers. Sofern der Gewinn aber aufgrund einer Handelssperre ausbleibt, ist das mangels Vorhersehbarkeit gegebenenfalls anders zu bewerten.

  • Bei Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners kann sich der Bürge nicht ohne Weiteres darauf berufen, dass er nicht zahlen werde, da er nicht vom Eintritt des Sicherungsfalls ausging. Der Bürge hat vielmehr ein bewusstes Risiko übernommen (unterstellt, dass er nicht vom Hauptschuldner getäuscht wurde).

Klausurtipp

In einer Klausur sollte zunächst abstrakt die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung dargestellt werden. Anschließend ist zu subsumieren.

III. Rechtsfolgen

§ 313 BGB sieht zwei unterschiedliche Rechtsfolgen vor.

1. Grundsatz: Vertragsanpassung, § 313 I BGB

Grundsätzlich besteht die Rechtsfolge in der Vertragsanpassung (§ 313 I BGB). § 313 I BGB ist als Anspruchsgrundlage formuliert, damit die Parteien über die Anpassung verhandeln und eine für sie subjektiv interessengerechte Lösung finden können.

Beispiel

Anpassung eines Mietvertrages über Geschäftsräume, die während der Corona-Pandemie aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen wurden. Für die Vertragsanpassung (Reduzierung der Miete) war insbesondere maßgeblich, inwiefern die wirtschaftlichen Nachteile durch staatliche Leistungen kompensiert wurden, sodass die Mietvertragsparteien regelmäßig einen individuellen Verhandlungsspielraum hatten.

Aber: Im Prozess dürfte der Anspruchsinhaber unmittelbar auf die angepasste Leistung klagen.

Klausurtipp

Das heißt: Es besteht materiell-rechtlich ein Anspruch auf Anpassung. Richtet sich die Frage in der Klausur auf die Begründetheit eines Klagebegehrens aus § 313 I BGB direkt auf einen Anspruch aus dem angepassten Vertrag, so wäre diese Klage begründet, wenn die Voraussetzungen des § 313 I BGB vorliegen und ein Anspruch auf Vertragsanpassung gegeben ist.

Der Anspruch kann im Übrigen auch einredeweise geltend gemacht werden und ist sodann unter „Anspruch durchsetzbar“ zu prüfen. Dabei ist zu beachten, dass die Störung der Geschäftsgrundlage nicht von Amts wegen beachtet wird, sondern nur, wenn sie geltend gemacht wird.

2. Ausnahme: Rücktritt beziehungsweise Kündigung, § 313 III BGB

Falls eine Vertragsanpassung nicht möglich oder einem Teil unzumutbar ist, kann der benachteiligte Teil ausnahmsweise zurücktreten (§ 313 III 1 BGB). Bei § 313 III BGB handelt es sich somit um ein gesetzliches Rücktrittsrecht.

Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechts das Recht zur Kündigung gemäß § 314 BGB (§ 313 III 2 BGB). Der maßgebliche Unterschied besteht darin, dass die Kündigung nur zur Beendigung des Dauerschuldverhältnisses für die Zukunft führt. Eine Rückabwicklung der bereits ausgetauschten Leistungen nach §§ 346 ff. oder §§ 812 ff. BGB erfolgt nicht

IV. Konkurrenz zu anderen Rechtsinstituten

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1. Auslegung

Die Auslegung ist immer vorrangig. Sofern die Parteien den Wegfall oder das Fehlen der Geschäftsgrundlage bedacht und eine Vereinbarung getroffen haben, kommt § 313 BGB nicht zur Anwendung.

2. Anfechtungsrecht

Das Anfechtungsrecht nach §§ 119 ff. BGB geht dem § 313 BGB grundsätzlich vor.

Bei einem beidseitigen Irrtum liegt eine Störung der subjektiven Geschäftsgrundlage und gleichzeitig ein Irrtum vor. Hier ist strittig, ob sich die Rechtsfolgen nach dem Anfechtungsrecht oder nach § 313 II BGB (Vertragsanpassung) bestimmen.

Problem

Beidseitiger Irrtum - Vorrang von §§ 119 ff. BGB oder § 313 BGB

  • T.v.A.: Das Anfechtungsrecht ist nach §§ 119 ff. BGB vorrangig anwendbar, da das Anfechtungsrecht spezieller ist. Das Argument der h.M., dass die Rechtsfolge vom Zufall abhänge, greift nicht, da regelmäßig nur derjenige anfechten wird, der einen Schaden erlitten hat.

  • H.M.: § 313 II BGB ist einschlägig. Die Schadensersatzverpflichtung des Anfechtenden (§ 122 I BGB) passt nicht, wenn sich beide Parteien geirrt haben, da die Rechtsfolge dann vom Zufall abhängt, wer zuerst anficht. Außerdem erlaubt § 313 II BGB eine flexiblere Anpassung der Vertragsbedingungen, statt des „Alles oder nichts“, das sich aus dem Anfechtungsrecht ergibt.

3. Unmöglichkeit, § 275 I BGB

Eine Vertragsanpassung kommt nur in Betracht, wenn die Leistung nicht schon nach § 275 I BGB unmöglich ist.

4. Leistungserschwerung § 275 II, III BGB

In den Fällen der Leistungserschwerung geht § 275 II, III BGB dem § 313 BGB vor. Zur schwierigen Frage der Abgrenzung der faktischen Unmöglichkeit nach § 275 II BGB von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit im Sinne des § 313 BGB siehe den Artikel zu den Grundlagen der Unmöglichkeit.

Klausurtipp

Bei Dauerschuldverhältnissen ist dies an sich problematisch, weil die Anpassung einen geringeren Eingriff in das Schuldverhältnis bedeutet. Der Vorrang entspricht aber herrschender Meinung, sodass dieser Ansicht aus klausurtaktischen Gründen gefolgt werden sollte.

V. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, § 314 BGB

Sofern ein Dauerschuldverhältnis vorrangig beendet und nicht nur angepasst werden soll, verdrängt die Kündigung nach § 314 BGB den § 313 BGB. Die Voraussetzungen des Kündigungsrechts entsprechen dabei den Tatbestandsvoraussetzungen, die auch im Rahmen von § 313 BGB zu prüfen sind.

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