I. Einleitung
Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zählt zu den fundamentalsten Garantien der Verfassung und ist in Art. 2 II 1 GG verankert. Es schützt die essentiellen Bedingungen menschlichen Daseins: das Leben als höchstrangiges Gut und die körperliche Integrität als Grundlage für ein selbstbestimmtes und freies Leben. Diese Grundrechte stellen nicht nur Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen dar, sondern begründen auch umfassende Schutzpflichten des Staates, die im Alltag spürbar werden, z. B. durch den Schutz vor Gewalt, die Gewährleistung von Gesundheitssicherheit oder die rechtlichen Vorgaben zur Verhinderung lebensbedrohlicher Gefahren.
II. Schutzbereich

1. Persönlicher Schutzbereich
Dem Wortlaut nach handelt es sich bei Art. 2 I GG um ein Jedermannsrecht.
2. Sachlicher Schutzbereich
Der Schutzbereich umfasst den Schutz der Rechtsgüter, Leben und körperliche Unversehrtheit.
Definition
Leben ist das körperliche Dasein.
Definition
Körperliche Unversehrtheit ist die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne sowie die geistig-seelische Gesundheit.
Aus dieser Abgrenzung des Schutzbereichs werden verschiedene Gewährleistungen des Grundrechts abgeleitet:
a) Positive Freiheit
Die positive Freiheit umfasst das Recht zu leben und durch die hoheitliche Gewalt nicht verletzt zu werden.
b) Negative Freiheit
Die negative Freiheit, also das Recht nicht zu leben, wird nicht durch Art. 2 II 1 GG geschützt.
c) Recht auf menschenwürdigen Tod
Dieses Recht auf einen menschenwürdigen Tod ist rechtlich und ethisch hochumstritten. Der Staat muss einerseits das Leben schützen und darf andererseits Tötungshandlungen nicht fördern. Andererseits muss er die Würde und Autonomie des Einzelnen respektieren, was bedeutet, dass unzumutbare Leiden am Lebensende verhindert werden dürfen. Diese Abwägung zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung stellt eine der größten Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Grundrechtsschutz und ethischen Grundfragen dar. Entscheidend ist bei der Abwägung im Einzelfall letztendlich der Maßstab des Art. 1 I GG.
d) Schutzpflicht des Staates
Aus den vorherigen Gewährleistungen und dem Schutzbereich an sich lässt sich eine allgemeine aktive Schutzpflicht des Staates ableiten. Hier hat das Grundrecht also nicht nur eine Funktion als Abwehrrecht gegen den Statt, sondern auch eine Funktion als Leistungsrecht.
III. Eingriff
Beim Eingriff ist zwischen den beiden geschützten Rechtsgütern zu differenzieren.
1. Leben
Ein Eingriff in das Rechtsgut Leben liegt bei einer staatlich veranlassten Tötung vor.
2. Körperliche Unversehrtheit
In die körperliche Unversehrtheit wird eingegriffen, wenn der Staat die körperliche Integrität des Betroffenen verletzt.
Beispiel
Menschenversuche, Zwangssterilisation, Folter (körperlich oder seelisch), Impfzwang, Blutentnahme bei Verkehrskontrolle
IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Dem Wortlaut nach besteht bei Art. 2 II 1 GG nach Art. 2 II 2 GG ein einfacher Gesetzesvorbehalt. Hier gilt aber das Gleiche wie bei dem Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 2 II 2 GG. Demnach besteht hier nach herrschender Meinung ebenfalls entgegen dem Wortlaut ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt in Form des Erfordernisses eines Parlamentsgesetzes (= formelles Gesetz).
V. Besonderheiten und Probleme
Zudem gibt es im Kontext von Art. 2 II 1 GG einige Besonderheiten und Probleme, die in der Klausur relevant werden können:
1. Wiedereinführung der Todesstrafe
Ein Problem, welches dir begegnen kann, ist die Frage, ob eine Wiedereinführung der Todesstrafe möglich ist.
Ein Argument dafür ist, dass Art. 2 II 1 GG (beziehungsweise Art. 2 an sich) nicht Teil der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 III GG) ist und daher eine Änderung nicht dadurch gehindert ist.
Dagegen spricht aber, dass eindeutig Art. 1 I GG betroffen ist, welcher zum Teil der Ewigkeitsgarantie ist. Zudem muss dabei auch Art. 8 IRG beachtet werden.
Zitat
Art. 8 IRG:
„Ist die Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit der Todesstrafe bedroht, so ist die Auslieferung nur zulässig, wenn der ersuchende Staat zusichert, daß die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt werden wird.”
Dieser ist ebenfalls Ausdruck des Grundsatzes, dass nach den Wertevorstellungen der deutschen Rechtsordnung die Todesstrafe und damit auch die Beteiligung Deutschlands daran konsequent abzulehnen ist.
2. Art. 104 I 2 GG
Eine weitere Konkretisierung der Gewährleistungen des Grundrechts findet sich in Art. 104 I 2 GG. Demnach ist die Misshandlung festgehaltener Personen verboten.
3. Tötung Unschuldiger zur Rettung anderer Menschen
Die Frage, ob die Tötung unschuldiger Menschen zur Rettung anderer Menschenleben verfassungsrechtlich zulässig ist, berührt den absoluten Schutz des Lebens nach Art. 2 II 1 GG und die damit verbundenen Abwägungen zwischen individuellen Grundrechten und übergeordneten Schutzpflichten des Staates. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung, insbesondere im Kontext des Luftsicherheitsgesetzes, klargestellt, dass das Leben eines unschuldigen Menschen nicht gegen dessen Willen geopfert werden darf, um andere Leben zu retten.
Konkret entschied das Gericht, dass eine staatlich angeordnete Tötung Unschuldiger, wie etwa das Abschießen eines von Terroristen entführten Flugzeugs mit unschuldigen Passagieren, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, selbst wenn dies zur Abwehr einer noch größeren Katastrophe geschehen soll. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde aus Art. 1 I GG und der absolute Lebensschutz machen eine Abwägung zwischen verschiedenen Leben unzulässig. Ein Mensch darf nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert werden, selbst zur Rettung einer Vielzahl anderer Menschen.
Merke
Dieser Grundsatz besteht auch so im Strafrecht. Das Leben ist ein nicht disponibles Rechtsgut. Vergleiche hier zum Beispiel die die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB): Hiernach ist selbst bei ausdrücklichem Wunsch des Opfers die Tötung strafbar.