Dieser Artikel beschäftigt sich mit der objektiven Zurechnung. Die objektive Zurechnung ist wegen ihrer besonderen Fallgruppen, Ausnahmen und Rückausnahmen von besonderer Klausurrelevanz.
I. Allgemeines
Die objektive Zurechnung schränkt die Kausalität ein, indem sie einen wertenden Aspekt in die Verknüpfung von Tathandlung und Taterfolg einbringt. Die Kausalität ist durch die Conditio-sine-qua-non-Formel sehr weit gefasst, sodass auch entfernte Ursachen kausal für den Erfolgseintritt sind. Den Artikel zur Kausalität kannst du dir in diesem Artikel durchlesen.
Auch die objektive Zurechnung behandelt also die Frage, ob der Taterfolg der Täterhandlung zuzurechnen ist. Hinsichtlich des Prüfungsstandortes beim vollendeten Begehungsdelikt sowie beim versuchten Begehungsdelikt kann auf die Ausführungen zur Kausalität verwiesen werden.
Definition
Eine Handlung ist dann objektiv zurechenbar, wenn sie eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolgseintritt realisiert und sich somit die Tat wertend betrachtet als Werk des Täters darstellt.
Die objektive Zurechnung setzt einerseits ein rechtlich missbilligtes Risiko voraus und andererseits einen Risikozusammenhang. Beide Voraussetzungen haben unterschiedliche Fallgruppen sowie entsprechende Besonderheiten, die unbedingt beherrscht werden müssen.
II. Fallgruppen und Besonderheiten

1. Rechtlich missbilligte Gefahr
Die rechtlich missbilligte Gefahr liegt immer dann vor, wenn der Täter eine Gefahr schafft, die von der Rechtsordnung nicht mehr toleriert wird.
Die Verletzung eines Rechtsguts durch einen anderen wird in aller Regel von der Rechtsordnung nicht toleriert. Dennoch gibt es einige Fallgruppen, die im Zusammenhang mit der Frage, ob ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen wurde, beachtet werden müssen.
a) Keine menschliche Steuerbarkeit
Will der Täter einen Taterfolg herbeiführen und tritt der Taterfolg ein, liegt das rechtsgutschädigende Ereignis aber außerhalb menschlicher Steuerungskontrolle, kann der Erfolg nicht objektiv zugerechnet werden.
Beispiel
T will seinen Bruder O tot sehen, um alleiniger Erbe zu sein. Er überredet den O zu einer Flugreise nach Australien, in der Hoffnung, dass das Flugzeug abstürzt und O stirbt. Tatsächlich stürzt das Flugzeug ab und O stirbt.
In diesem Beispiel ist der T zwar nach der Conditio-sine-qua-non-Formel kausal für den Tod des O geworden, weil der Eintritt des Taterfolges aber nicht seiner menschlichen Steuerungskontrolle unterlag, ist T nicht wegen Mordes strafbar.
b) Sozialadäquates Verhalten
Der Begriff der Sozialadäquanz beschreibt ein Verhalten, das von der Rechtsordnung toleriert wird, weil es gesellschaftlich anerkannt ist. Eine genaue Definition gibt es nicht, sodass die Sozialadäquanz ein ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff ist, der einer Wertung im Einzelfall unterliegt.
Beispiel
Waffenhersteller W stellt Schusswaffen her. T kommt in den Besitz einer von W hergestellten Pistole, mit der er den O tötet. W ist kausal geworden für den Tod des O, allerdings, sind Schusswaffen Teil des alltäglichen Lebens und in bestimmten Bereichen - etwa für Jäger und Polizeibeamte - sogar von der Rechtsordnung vorausgesetzt, sodass die Herstellung von Schusswaffen gesellschaftlich toleriert und sozial adäquat ist.
c) Risikoverringerung
Verursacht der Täter einen Taterfolg, stellt sich aber heraus, dass dieser Taterfolg eine im Vergleich mit einem unmittelbar zusammenhängenden alternativ eintretenden Risiko geringere Gefahr ist, scheidet die objektive Zurechnung ebenfalls aus.
Definition
Der Täter schwächt oder schiebt einen drohenden Erfolg zeitlich hinaus, ohne dass er eine neue, andersartige Gefahr begründet.
Beispiel
T will den O mit einem Schlag auf den Kopf töten. Retter R lenkt den Schlag vom Kopf O ab, sodass dieser an der Schulter getroffen wird und einen Schulterbruch erleidet.
Im obigen Beispiel hat R keine andersartige, völlig neue Gefahr geschaffen. Vielmehr hat er den lebensbedrohlichen Erfolg abgeschwächt, sodass O nur einen Schulterbruch erleidet. Der Erfolg kann R nicht objektiv zugerechnet werden.
2. Risikozusammenhang
Die objektive Zurechnung setzt weiter voraus, dass zwischen der Tathandlung und dem Taterfolg ein Risikozusammenhang besteht, der den Schutzzweck der Norm widerspiegelt. Auch hier gibt es Fallgruppen und Ausnahmen, die den Risikozusammenhang ausschließen.
a) Atypischer Kausalverlauf
Ist der Geschehensablauf der konkreten Tat oder der eingetretene Schaden derart ungewöhnlich und aus objektiver Sicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, kann der Risikozusammenhang nicht bejaht werden.
Beispiel
T und O haben Streit in einer Diskothek. T zückt ein Messer und sticht auf O ein und nimmt dabei den Tod des O billigend in Kauf. T trifft aber nur die Schulter des O. O verblutet, weil er ein Bluter ist.
Der Tod des O ist in diesem Beispiel dem T nicht objektiv zurechenbar, weil auch aus einer objektiven Perspektive die Wahrscheinlichkeit auf einen Bluter zu treffen derart gering ist, dass der Täter nicht damit zu rechnen brauchte.
Vernetztes Lernen
Im Rahmen des atypischen Kausalverlaufs wird regelmäßig der sogenannte Jauchengrubenfall relevant:
T will O töten. Er schlägt O nieder und erdrosselt ihn. T geht davon aus, dass O tot ist und will sich nunmehr um die Leiche kümmern. Er versenkt den Körper in der Jauchegrube auf seinem Hof. Später stellt sich heraus, dass O nicht durch das Würgen gestorben, sondern in der Jauchegrube ertrunken ist. Liegt ein atypischer Kausalverlauf vor, der die objektive Zurechnung ausschließt?
Hier wird der Taterfolg zwar nicht durch die Erdrosselungshandlung des T herbeigeführt, sondern durch das anschließende Versenken der vermeintlichen Leiche in der Jauchegrube. Es liegt aber nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass eine vermeintliche Leiche ohne ärztliche Untersuchung gar keine ist. Darüber hinaus ermöglichte das Würgen bis zur Bewusstlosigkeit das Ertrinken erst, sodass sich das rechtlich missbilligte Risiko auch zurechenbar im Erfolgseintritt realisierte. Dieser Kausalverlauf ist in Summe also nicht arg außergewöhnlich und verdient keine andere Bewertung der Tat. Die Tat stellt sich weiterhin wertend betrachtet als Werk des Täters dar.
Der Jauchegruben-Fall - oder verallgemeinert, die Fälle des unbewussten Herbeiführens des Taterfolges durch eine Zweithandlung des Täters - spielen nicht nur beim Regressverbot im Rahmen der Kausalität und beim atypischen Kausalverlauf im Rahmen der objektiven Zurechnung eine Rolle, sondern auch in der Frage zur Behandlung des dolus generalis im Rahmen des Vorsatzes und dem damit verbundenen Tatbestandsirrtum wegen eines Irrtums über den Kausalverlauf.
b) Dazwischentreten Dritter
aa) Grundsatz
Ein weiterer Ausschlussgrund für das Vorliegen des Risikozusammenhangs ist das Dazwischentreten eines Dritten. Ist der Erfolg dem Ersttäter durch seine Ersthandlung zwar kausal zurechenbar, weil der Dritte etwa an die vorgefundene Situation anknüpft, muss der Risikozusammenhang als Einschränkung der Kausalität verneint werden.
Beispiel
T will O töten. T schießt dem O nachts auf einem einsamen Waldweg aus einem Gebüsch heraus in den Rücken. O wird an der Schulter getroffen, stürzt und bleibt schwer verletzt liegen. T flüchtet in dem Glauben, den O getötet zu haben. P kommt zufällig vorbei, erkennt die Situation und verpasst dem am Boden liegenden O den “Gnadenschuss”.
Im obigen Fall ist der Erfolg dem T zwar kausal zurechenbar, weil P an die von T geschaffene vorgefundene Situation anknüpft. Allerdings scheitert die objektive Zurechnung am Risikozusammenhang, weil sich das von T geschaffene rechtlich missbilligte Risiko nicht mehr konkret im Erfolg realisiert.
Vernetztes Lernen
Liegt ausnahmsweise ein Fall der überholenden Kausalität vor, wird die objektive Zurechnung nicht mehr angesprochen, weil die Prüfung bereits an der Kausalität scheitert. Den Unterschied zwischen dem Grundsatz “Kein Regressverbot” mit anschließender Prüfung der objektiven Zurechnung und den Fällen der überholenden Kausalität kannst du dir in diesem Artikel noch einmal durchlesen.
bb) Sonderfall: Retterfälle
Einer besonderen Behandlung bedürfen die sogenannten Retterfälle. Ist der Dritte ein Retter und schafft dieser eine neue Gefahr, ist der hierdurch eingetretene Erfolg dem Täter ausnahmsweise doch zuzurechnen, wenn die neue Gefahr auf einen fahrlässigen Fehler des Retters zurückzuführen ist, der aber gerade deshalb geschah, weil er die vom Ersttäter geschaffene ursprüngliche Gefahr abwenden wollte.
Beispiel
T will O töten. Er schlägt derart auf O mit einem Knüppel ein, dass dieser lebensgefährlich verletzt wird. Dem herbeigerufenen Notarzt A unterläuft ein leicht fahrlässiger Behandlungsfehler, ohne den der O überlebt hätte.
Im obigen Beispiel ist T trotzdem wegen Totschlags schuldig, weil der Behandlungsfehler direkt an die von T geschaffene Situation anknüpft und der Fehler nur leicht fahrlässig verursacht wurde.
Merke
Schafft der Retter hingegen eine grob fahrlässige Gefahr, schafft er ein derart völlig neues Risiko, dass dieses dem Ersttäter nicht mehr objektiv zuzurechnen ist. Der Risikozusammenhang fehlt. Hierfür müssen im Sachverhalt aber klare Anzeichen erkennbar sein.
c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers
aa) Grundsatz
Nicht nur ein Dritter, sondern auch das Opfer selbst kann dazwischentreten und sich dadurch eigenverantwortlich selbst gefährden. Entscheidungskriterium für die Beurteilung, ob eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt, ist die Ausführungsherrschaft im Moment des Eintritts des tatbestandlichen Erfolges.
Definition
Ausführungsherrschaft hat derjenige, der die Tat planvoll lenkend in den Händen hält und die Tatausführung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann.
Vernetztes Lernen
Die Tatherrschaft in Form der Ausführungsherrschaft wird auch im Rahmen des Rücktritts bei mehreren Tatbeteiligten nach § 24 II StGB relevant. Den Artikel zum Rücktritt kannst du dir hier noch einmal durchlesen.
Beispiel
T und O sind ein Paar. T ist mit HIV infiziert, was die O auch weiß. Dennoch drängt sie T dazu, mit ihr ungeschützten Geschlechtsverkehr zu haben. O infiziert sich mit HIV.
In diesem Beispiel ist T zwar die Gefahrenquelle, allerdings tritt O durch ihr Verhalten eigenverantwortlich dazwischen, weil sie die Tatbestandsverwirklichung nach ihrem Belieben auch hätte beenden können, indem sie sich dazu entscheidet, den Geschlechtsverkehr nur geschützt zu vollziehen.
bb) Sonderfall: Retterfälle
Besonderes Augenmerk muss auch bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auf die Retterfälle gelegt werden. So kann es vorkommen, dass ein Retter sich eigenverantwortlich selbst in Gefahr begibt, um die durch die Handlung des Täters geschaffene Gefahr abzuwenden und ihm dabei ein Fehler unterläuft. Das Entscheidungskriterium für die Frage, ob der Risikozusammenhang der objektiven Zurechnung vorliegt, ist in solchen Fällen aber nicht die Fahrlässigkeit, sondern die Unvernunft. Ist die Entscheidung des Retters, sich selbst in Gefahr zu begeben, nicht völlig unvernünftig, liegt der Risikozusammenhang vor.
Merke
Eine einheitliche Definition für die “Unvernunft” gibt es nicht. Hier muss eine Abwägung stattfinden, in der hinterfragt wird, ob das durch den Retter eingegangene Risiko aus Sicht eines objektiven Dritten offensichtlich unverhältnismäßig hoch ist und sich folglich aus einer objektiven ex ante Betrachtung als gänzlich unvertretbares Risiko darstellt.
Beispiel
T legt am Wohnhaus des O ein Feuer, das auf weite Teile des Hauses übergreift. Der herbeigerufene Feuerwehrmann F erkennt, dass weite Teile des Hauses in Flammen stehen, entscheidet sich nach Rücksprache mit seinem Zugführer aber dazu, mit Feuerschutzanzug und Atemmaske den noch im Haus befindlichen O zu retten, weil beide davon ausgehen, die Statik des Hauses sei bisher nicht beeinträchtigt. F erleidet beim Rettungsversuch schwere Verletzungen, weil Teile des Hauses entgegen den Erwartungen einstürzen.
Im obigen Fall ist die Verletzung des F dem T zuzurechnen, weil die Entscheidung des F nicht völlig unvernünftig ist. Zu den Aufgaben eines Feuerwehrmannes gehört es, sich auch in konkrete Gefahrensituationen zu begeben. Es liegt nicht fernab jeglicher Lebensrealität, dass sich auch Feuerwehrleute in der ex-ante Einschätzung der Gefahrenlage täuschen. Das durch den F eingegangene Risiko war nicht unverhältnismäßig hoch und damit nicht gänzlich unvertretbar, weil er mit Rettungsausrüstung und nach Absprache mit seinem Zugführer in das Haus des O einstieg, um dessen Leben zu retten.
cc) Sonderfall: Fluchtfälle
Eine weitere Fallgruppe des Ausschlusses des Risikozusammenhangs stellen die sogenannten Fluchtfälle dar. Die Fluchtfälle zeichnen sich dadurch aus, dass das Opfer aus Angst oder Panik vor einer angedrohten Rechtsgutsverletzung die Flucht antritt und sich dabei verletzt oder getötet wird. Entscheidungskriterium für die Beurteilung, ob eine freiverantwortliche Selbstgefährdung oder eine zurechenbare Fremdgefährdung vorliegt, ist hier zum einen die Frage,
wie wahrscheinlich eine riskante Flucht vor dem Hintergrund der Gefährlichkeit des angedrohten Risikos aus einer objektiven ex ante Perspektive ist und
zum anderen die Unvernunft.
Beispiel
T schikaniert den O regelmäßig durch Prügelattacken. Eines Tages, als O abends auf dem Heimweg ist, taucht T vor ihm auf und droht dem O mit einem Knüppel bewaffnet erneut körperliche Misshandlungen an. Als T zum Schlag ausholt, tritt der O die Flucht an. In Panik rennt er hastig vor dem O weg, rutscht dabei aus und schlägt sich den Kopf an einer Bordsteinkante an. O erleidet eine Platzwunde.
Im obigen Beispiel liegt es nahe, den Erfolg dem T zuzurechnen.
Zum einen stellt sich das durch T angedrohte Risiko als sehr gefährlich dar, weil er sogar mit einem Knüppel bewaffnet zum Schlag ausholt, sodass die hastige Flucht nicht als unverhältnismäßig hohes Risiko erscheint.
Zum anderen war die Verwirklichung des Risikos sehr wahrscheinlich, weil O schon in der Vergangenheit immer wieder von T verprügelt wurde.
Der Erfolg (Platzwunde) ist dem T objektiv zurechenbar. Beachtet werden muss hier allerdings, dass dieser konkrete Erfolg wohl nicht vom Vorsatz des T umfasst ist, sodass hinsichtlich des Ausholens eine versuchte gefährliche Körperverletzung (§§ 223 I, II, 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22 StGB) und hinsichtlich der erlittenen Platzwunde eine fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) in Frage kommt, die in Tateinheit zueinander stehen.
Vernetztes Lernen
Die sogenannten “Fluchtfälle” werden auch bei den Erfolgsqualifikationen im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs relevant. Den Artikel zu den Erfolgsqualifikationen kannst du dir hier noch einmal durchlesen.
Merke
Sowohl bei den Retterfällen im Rahmen des Dazwischentretens durch Dritte und im Rahmen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung als auch bei den Fluchtfällen, werden regelmäßig nur Fahrlässigkeitsdelikte oder Erfolgsqualifikationen mit einer fahrlässig hervorgerufenen schweren Folge (§§ 222, 226, 227, 229 StGB) in Frage kommen, weil die Prüfung der Vorsatzdelikte (§§ 211, 212 StGB) am subjektiven Tatbestand scheitert:
Die objektive Zurechnung der Vorsatzdelikte liegt vor, weil dem Täter der Erfolg zugerechnet wird.
Der Täter rechnet regelmäßig aber nicht mit dem konkret eingetretenen Kausalverlauf, sodass er diesbezüglich keinen Vorsatz aufweist.
Im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte setzt der subjektive Tatbestand hingegen keinen Vorsatz voraus, sondern neben der Sorgfaltswidrigkeit nur die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolges. Diese können nach Feststellung der objektiven Zurechenbarkeit in aller Regel bejaht werden, weil auch dem Täter klar sein muss, dass sich eine Person, die aus Angst oder Panik flüchtet, weitergehend verletzen kann. Den Artikel zu den Fahrlässigkeitsdelikten kannst du dir hier durchlesen.
d) Erfolg außerhalb des Schutzzwecks der Norm
Auch wenn der Erfolg außerhalb des von der Norm bezweckten Schutzbereichs liegt, scheidet eine objektive Zurechnung aus. So liegen etwa Schockschäden und Spätfolgen außerhalb des Schutzzwecks von §§ 211 ff. bzw. 223 ff. StGB.
aa) Schockschäden
Merke
T verletzt den O lebensgefährlich und wird um sein Leben kämpfend ins Krankenhaus eingeliefert. Die sehr sensible Mutter des O erfährt an der Haustür von zwei Polizeibeamten von den Geschehnissen, fällt in Ohnmacht und erleidet einen Herzinfarkt. Die Mutter kann gerettet werden.
In diesem Beispiel sogenannter Schockschäden wird klar, dass der Schutzbereich der §§ 223 ff. StGB nicht so weit reicht, dass auch die in Ohnmacht fallende Mutter des O geschützt ist.
bb) Spätfolgen
Merke
T verletzt den O mithilfe eines Knüppels schwer, indem er ihm aus Rache die Knie zertrümmert. Trotz vollständiger Ausheilung der Verletzung bleibt O am rechten Knie sehr anfällig für Verletzungen. Als O eines Tages wegen des Fehlverhaltens eines Radfahrers umknickt, bricht er sich erneut das rechte Knie.
T haftet nicht mehr für die Spätfolgen des O, die trotz vollständiger Ausheilung der Verletzung auf eine mit der ursprünglichen Verletzung einhergehenden verminderten Widerstandskraft zurückzuführen sind.
e) Hypothetisch rechtmäßiges Alternativverhalten
Die letzte zu behandelnde Fallgruppe, die den Risikozusammenhang ausschließt, ist das hypothetisch rechtmäßige Alternativverhalten. Der Täter schafft eine rechtlich missbilligte Gefahr, die sich auch in einem Erfolgseintritt realisiert. Weil der Erfolg aber auch bei einem unterstellten rechtmäßigen Alternativverhalten des Täters eingetreten wäre, stellt sich die Tat wertend betrachtet, nicht mehr als Werk des Täters dar. Diese Fallgruppe ist in der Regel nur bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant und wird dort auch als gesonderte Fallgruppe Pflichtwidrigkeitszusammenhang genannt.
Vernetztes Lernen
Herausgehobene Bedeutung erlangt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang auch beim fahrlässigen Begehungsdelikt sowie fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikt, da sich hier der Prüfungsstandort der objektiven Zurechnung verändert. Näheres dazu findest du hier.
Beispiel
T fährt auf einer Landstraße mit seinem Pkw mit einem zu geringen Seitenabstand an Radfahrer O vorbei. Der O kommt ins Straucheln, wird vom Pkw erfasst und stirbt. Im Nachhinein wird festgestellt, dass der O mit 2,9‰ unterwegs war. Ein Gutachter stellt zudem fest, dass O auch vom Pkw erfasst worden wäre, hätte dieser den Seitenabstand eingehalten, weil der O infolge seiner Alkoholisierung stark auf die Fahrbahn schwankte.
In diesem Beispiel ist der Erfolg (Tod des O) dem T nicht objektiv zurechenbar, weil sich die Tat wertend betrachtet nicht als Werk des Täters darstellt. Der Risikozusammenhang scheidet aus.
Merke
In Fällen der alternativen Kausalität scheidet der Risikozusammenhang hingegen nicht aus. Hier hängt es vom Zufall ab, welche von beiden gesetzten erfolgsgeeigneten Ursachen den Erfolg letztlich herbeiführt, sodass sich die Tat wertend betrachtet als Werk beider Täter darstellt. Mehr zur alternativen Kausalität kannst du dir in diesem Artikel noch einmal durchlesen.
Klausurtipp
Du kannst dir immer Eselsbrücken bauen, um dir die Fallgruppen besser zu merken. Hier bietet sich der etwas außergewöhnliche Name “Desha” an:
D = Dazwischentreten Dritter
E = Eigenverantwortliche Selbstgefährdung
S = Schutzzweck der Norm
H = Hypothetisches Alternativverhalten
A = Atypischer Kausalverlauf