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Rechtswidrigkeit

Notwehr (§ 32 StGB)

Teilgebiet

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Thema

Rechtswidrigkeit

Tags

Notwehrlage
Putativnotwehr
Notwehrprovokation
Verteidigungsabsicht
Rechtfertigungselement
Beschützergarantenpflicht
Bagatellangriff
Notwehr
Notwehrexzess
Gebotenheit
3-Stufen-Theorie
§ 32 StGB
§ 33 StGB
Gliederung
  • I. Notwehr und Nothilfe

  • II. Prüfungsstandort

  • III. Notwehrlage

    • 1. Angriff

      • a) Rechtsgüter

      • b) Bedrohung

      • c) Menschliches Verhalten

    • 2. Gegenwärtigkeit

      • a) Unmittelbares Bevorstehen

      • b) Fortdauern

    • 3. Rechtswidrigkeit des Angriffs

  • IV. Notwehrhandlung

    • 1. Verteidigungshandlung

    • 2. Erforderlichkeit

      • a) Geeignetheit

      • b) Relativ mildestes Mittel

        • aa) Sonderfall: Tödlich wirkende Waffen

        • bb) Rückausnahme

    • 3. Gebotenheit

      • a) Krasses Missverhältnis

      • b) Enge persönliche Beziehung

      • c) Bagatellangriffe

      • d) Angriff offensichtlich Schuldloser

      • e) Provokation

        • aa) Notwehrprovokation

        • bb) Absichtsprovokation

        • cc) Abwehrprovokation

  • V. Notwehrwille

    • 1. Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der rechtfertigenden Notwehr. Das Recht zur Notwehr gemäß § 32 StGB ist ein das Unrecht der Tat ausschließender Rechtfertigungsgrund. Durch das Notwehrrecht wird es dem Angegriffenen und sogar Dritten erlaubt, sich gegen einen akuten und rechtswidrigen Angriff mit angemessenen Mitteln zur Wehr zu setzen, ohne dafür strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Notwehr ist daher eine Form des Verteidigungsrechts, das dem Grundsatz folgt, dass das Recht dem Unrecht nicht weichen muss (Rechtsbewährungsprinzip). Der § 32 StGB hat jedoch bestimmte Voraussetzungen: Der Angriff muss gegenwärtig und rechtswidrig sein, und die Verteidigung muss erforderlich und geboten sein. Die folgenden Abschnitte erläutern die einzelnen Voraussetzungen.

Vernetztes Lernen

Aufgrund ähnlicher Prüfungsschemata sowie Überschneidungen der typischen Fallkonstellationen wird empfohlen, die Artikel zur Notwehr (§ 32 StGB), zum rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB), zum entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB) und zum übergesetzlichen Notstand (§ 35 StGB analog) nacheinander zu bearbeiten.

  1. Artikel zur Notwehr, § 32 StGB

  2. Artikel zum rechtfertigenden Notstand, § 34 StGB (baut auf dem Artikel zur Notwehr auf)

  3. Artikel zum entschuldigenden Notstand, § 35 StGB (baut auf dem Artikel zum rechtfertigenden Notstand auf)

  4. Artikel zum übergesetzlichen entschuldigenden Notstand, § 35 StGB analog (baut auf dem Artikel zum entschuldigenden Notstand auf)!

I. Notwehr und Nothilfe

Zitat

§ 32 StGB:

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Das Notwehrrecht umfasst sowohl die Notwehr (§ 32 I, II Alt. 1 StGB) als auch die Nothilfe (§ 32 I, II Alt. 2 StGB). Während der Begriff Notwehr den Angriff auf den Verteidigenden selbst meint, beschreibt die Nothilfe die Abwehr eines Angriffs, der sich gegen eine andere Person richtet. In beiden Fällen ist das Ziel, einen rechtswidrigen und gegenwärtigen Angriff abzuwehren und dabei die Verteidigungshandlung auf das notwendige Maß zu beschränken. Die Prüfungsschemata sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen des Prüfungspunktes “Angriff” muss aber herausgestellt werden, dass sich der Angriff auf die Bedrohung von Rechtsgütern einer anderen Person bezieht.

II. Prüfungsstandort

Die Notwehr wird, wie alle Rechtfertigungsgründe, im Prüfungspunkt der Rechtswidrigkeit der Tat geprüft. Das Modul “Schema Notwehr” ist dann vollständig in die Prüfung des Deliktes eingebunden. Kommt die Notwehr für mehrere zeitgleich begangene Delikte in Betracht, kann regelmäßig nicht auf die Prüfung der Notwehr verwiesen werden, weil das Notwehrrecht für jedes Rechtsgut getrennt geprüft werden muss. Das Schema der Notwehr besteht aus den objektiven Rechtfertigungselementen Notwehrlage und Notwehrhandlung sowie dem subjektiven Rechtfertigungselement des Notwehrwillens.

Vernetztes Lernen

Was wir mit “modularem Arbeiten” meinen, kannst du dir hier durchlesen.

III. Notwehrlage

Als erste Voraussetzung muss eine objektive Notwehrlage vorliegen. Die Notwehrlage setzt einen rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff eines anderen voraus.

1. Angriff

Definition

Angriff meint jede Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten.

a) Rechtsgüter

Grundsätzlich sind alle Individualrechtsgüter notwehrfähig. Das bedeutet, dass jede Bedrohung eines Rechtsguts eines anderen das Notwehrrecht begründen kann.

Eine Ausnahme macht die herrschende Meinung bei der Gefährdung der Durchsetzung schuldrechtlicher Forderungen. Das Vermögen als solches ist isoliert, also nicht vom Notwehrrecht umfasst. Anderenfalls würde das Zwangsvollstreckungsmonopol des Staates und das Selbsthilferecht aus § 229 BGB leerlaufen. Daher muss § 229 StGB als Rechtfertigungsgrund geprüft werden, wenn eine Gefährdung eines schuldrechtlichen Anspruchs vorliegt.

Merke

Rechtsgüter der Allgemeinheit sind ebenfalls nicht von § 32 StGB umfasst. Die Allgemeinheit ist nicht nothilfe-, aber jedenfalls notstandsfähig! Mehr dazu kannst du dir hier durchlesen.

b) Bedrohung

Die Frage, ob eine Bedrohung vorliegt, muss objektiv betrachtet werden. Sie muss also aus der ex post Perspektive eines objektiven Dritten beurteilt werden.

Geht der Verteidigende nur irrtümlich von einer Bedrohungslage aus (etwa bei einem offensichtlichen Scheinangriff oder untauglichen Versuch), handelt es sich um die sogenannte Putativnotwehr, bei der eine Strafbarkeit wegen Vorsatztat ausscheidet, wenn ein Erlaubnistatbestandsirrtum (ETBI) vorliegt.

c) Menschliches Verhalten

Ein menschliches Verhalten setzt zunächst ein Bewusstsein voraus. Es muss folglich auf eine aktive Willenssteuerung zurückzuführen sein. Daher sind Automatismen, aber keine Reflexe umfasst.

Vernetztes Lernen

Die Abgrenzung von Automatismus und Reflex spielt auch eine Rolle für die vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine strafrechtliche Handlung vorliegt. Die Abgrenzung kannst du dir im Grundlagenartikel durchlesen.

Auch ein Unterlassen unterliegt einer aktiven Willenssteuerung, sodass ein Angriff auch durch ein Unterlassen begründet werden kann. Dafür muss der Unterlassende jedoch eine echte Garantenpflicht im Sinne des § 13 StGB innehaben. Eine Garantenstellung ist also zwingende Voraussetzung.

Beispiel

V sitzt mit seinem Sohn S in einem Restaurant. Plötzlich beginnt S, sich an einem Stück Fleisch zu verschlucken und droht zu ersticken. Der Kinderarzt (A) des S sitzt am Nachbartisch. Dieser hat als Arzt eine Garantenstellung und könnte S leicht helfen. Er verweigert aber jegliche Hilfe, weil V die letzten Rechnungen nicht beglichen hat. V zwingt mit vorgehaltenem Messer den A dazu, S zu retten.

2. Gegenwärtigkeit

Der Angriff muss zudem gegenwärtig sein.

Definition

Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert.

a) Unmittelbares Bevorstehen

Anders als man es zunächst vermuten würde, stimmt der Zeitpunkt des unmittelbaren Bevorstehens nicht mit dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns überein. Vielmehr ist die dem Versuchsbeginn unmittelbar vorgelagerte Handlung gemeint - eine Tat steht also schon unmittelbar bevor, noch bevor der Versuch begonnen hat.

Beispiel

T will O eine “Lektion” erteilen, indem er ihm eine “Kugel verpasst”. Als sich T vor O aufbaut und anfängt, mit der noch nicht schussbereiten Waffe zu hantieren, schlägt O den T mit einer Flasche bewusstlos.

Merke

Kann der Versuchsbeginn (unmittelbares Ansetzen) beim Angreifenden bejaht werden, liegt in jedem Fall eine Gegenwärtigkeit vor, denn dann findet der Angriff gerade statt.

b) Fortdauern

Der Angriff dauert so lange fort, wie eine akut bedrohliche Situation durch den Angreifer aufrechterhalten wird, also weitere unmittelbar zusammenhängende Rechtsgutsverletzungen zu befürchten sind. Ist im Rahmen einer Schlägerei etwa mit weiteren Schlägen oder Tritten zu rechnen, dauert der Angriff an.

Bei Dauerdelikten ist der Angriff über die gesamte Zeit der tatbestandsmäßigen Situation gegenwärtig. So ist der Angriff des Einsperrenden so lange gegenwärtig, wie das Opfer tatsächlich eingesperrt ist.

Beendet ist der Angriff demnach, wenn die akut bedrohliche Situation (Bedrohung) tatsächlich einen Abschluss gefunden hat, wenn etwa nicht mehr mit weiteren Schlägen und Tritten zu rechnen ist.

Vernetztes Lernen

Überschreitet der Täter die zeitlichen Grenzen der Notwehr, ist eine Gegenwärtigkeit nicht mehr gegeben. Es wird dann ein sogenannter extensiver Notwehrexzess vorliegen. Den Notwehrexzess kannst du dir hier durchlesen.

3. Rechtswidrigkeit des Angriffs

Weiterhin muss geprüft werden, ob der Angriff auch rechtswidrig ist. Denn nur bei Vorliegen der Rechtswidrigkeit kann sich gegen ein zugefügtes Unrecht zur Wehr gesetzt werden. Wie eingangs erwähnt, entfällt bei fehlender Rechtswidrigkeit das Unrecht der Tat, weil sie objektiv im Einklang mit der Rechtsordnung steht.

Merke

Es gibt keine Notwehr gegen Notwehr!

Unterschiedlich beurteilt wird jedoch, wann ein objektiver Widerspruch zur Rechtsordnung angenommen werden kann, ein rechtswidriger Angriff folglich zu bejahen ist.

Problem

Wann liegt ein objektiver Widerspruch zur Rechtsordnung vor?

  • Die Erfolgsunrechtstheorie stellt ausschließlich darauf ab, dass der durch den Angriff drohende Erfolg maßgeblich für die Beurteilung der Frage ist, ob eine Rechtswidrigkeit vorliegt. Weil jede (drohende) Verletzung rechtlich geschützter Individualgüter prinzipiell der objektiven Rechtsordnung widerspricht, liegt stets ein Angriff vor, wenn ein Rechtsgut bedroht wird.

  • Die Handlungsunrechtstheorie stellt ausschließlich darauf ab, dass die Angriffshandlung der Rechtsordnung widersprechen muss. Entscheidend ist nicht, dass ein Rechtsgut bedroht wird, sondern dass die (Tat-)Handlung des Angreifenden objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht (d.h.: rechtswidrig ist). Ist diese Handlung gerechtfertigt, scheidet eine Rechtswidrigkeit aus.

  • Die Kombinationstheorie vereint beide Voraussetzungen. Es muss sich um eine tatsächliche Bedrohung eines (Individual-)Rechtsguts handeln, die durch eine objektive, nicht gerechtfertigte Handlung des Angreifenden ausgelöst wird. Die Rechtswidrigkeit wird folglich nur bejaht, wenn Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht vorliegen. Entfällt eins von beiden, steht der Angriff nicht mehr im Widerspruch zur Rechtsordnung.

  • Stellungnahme: Es ist der Kombinationstheorie zu folgen. Die Handlungsunrechtstheorie schützt in solchen Fällen isoliert den Angegriffenen unzureichend, da sie die rechtlich problematische Verletzung des Rechtsguts außer Acht lässt, wenn die Angriffshandlung objektiv im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Die Erfolgsunrechtstheorie berücksichtigt nicht, dass eine Angriffshandlung durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein kann und führt zu einer unangemessenen Ausweitung des Notwehrrechts.

Beispiel

Polizist P nimmt den T rechtmäßig fest und wendet hierfür erforderliche Gewalt an.

  • Nach der Erfolgsunrechtstheorie liegt ein rechtswidriger Angriff vor, obwohl P durch § 127 StPO seinerseits gerechtfertigt ist, weil der P durch die Anwendung der Gewalt das Individualrechtsgut des T verletzt.

  • Nach der Handlungsunrechtstheorie liegt kein rechtswidriger Angriff auf den T vor, weil dessen Handlung nach § 127 StPO gerechtfertigt und somit das Unrecht der Tat nicht mehr gegeben ist.

  • Nach der Kombinationstheorie liegt ebenfalls kein rechtswidriger Angriff seitens P vor, weil dieser nach § 127 StPO gerechtfertigt ist und somit das Handlungsunrecht fehlt.

Vernetztes Lernen

Die Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsunrecht wird auch im Rahmen des Notwehrwillens relevant.

IV. Notwehrhandlung

Die meisten Schwierigkeiten, auswendig zu lernenden Fallgruppen und Besonderheiten finden sich im Rahmen der Notwehrhandlung. Diese muss besondere Anforderungen erfüllen: Die Verteidigungshandlung des Notwehrberechtigten muss erforderlich sowie geboten sein.

1. Verteidigungshandlung

Gemäß § 32 II StGB ist Notwehr die Verteidigung gegen einen Angriff. Der Begriff der Verteidigung setzt voraus, dass sich die Handlung nur gegen die Rechtsgüter des Angreifers richtet; somit ist eine Handlung, die sich gegen einen Dritten richtet, keine Verteidigungshandlung (keine Drittwirkung der Notwehr).

Definition

Eine Verteidigungshandlung liegt nur vor, wenn die Notwehrhandlung des Notwehrberechtigten in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift.

Greift die Notwehrhandlung in die Rechtsgüter des Angreifers und eines Dritten ein, so ist nur die Tat, die sich gegen den Angreifer richtet, gerechtfertigt.

Beispiel

T geht mit seinem äußerst aggressiven Pitbull Terrier “Rambo” Gassi. Als er seinen verhassten Arbeitskollegen A sieht, hetzt er Rambo auf den A. Dieser sieht sich gezwungen, eine Latte aus dem Zaun des N herauszubrechen und Rambo zu erschlagen, um Verletzungen abzuwehren.

Die den Rambo betreffende Sachbeschädigung gemäß § 303 I StGB ist nach § 32 I StGB gerechtfertigt, weil sich die Verteidigungshandlung gegen das Rechtsgut Eigentum des Angreifers T richtet. Die Sachbeschädigung des Zaunes des N hingegen ist nicht gerechtfertigt, weil hier das Rechtsgut Eigentum des unbeteiligten N betroffen ist (keine Drittwirkung der Notwehr). Allerdings kommt hier eine Rechtfertigung wegen Aggressivnotstandes nach § 904 BGB in Betracht kommen.

2. Erforderlichkeit

Die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ist anders als die Frage, ob ein Angriff vorliegt, aus der ex ante Perspektive des Verteidigers zu beurteilen. Wegen des bereits angesprochenen Grundsatzes, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht, zeigt sich besonders im Rahmen der Erforderlichkeit, warum das Notwehrrecht ein besonders schneidiges Schwert ist. Hier braucht es nämlich keine Güterabwägung. Der Angegriffene muss also keine rechtlich korrekte Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter vornehmen. Vielmehr muss die Verteidigungshandlung nur geeignet sein, den Angriff abzuwehren, und sie muss das relativ mildeste Mittel darstellen.

Vernetztes Lernen

Scheitert die Prüfung an der Erforderlichkeit, könnte ein Notwehrexzess in Betracht kommen, den du dir hier durchlesen kannst.

a) Geeignetheit

Definition

Die Verteidigungshandlung ist geeignet, wenn sie eine sofortige und endgültige Beseitigung des Angriffs erwarten lässt.

b) Relativ mildestes Mittel

Die Verteidigungshandlung muss zudem das relativ mildeste Mittel sein. Eine genaue Abwägung braucht es hier nicht. Der Verteidiger muss nur dann ein anderes Mittel wählen, das den Angreifer weniger stark gefährdet, wenn offensichtlich ein gleich wirksames, weniger gefährliches Mittel zur Verfügung steht und der Verteidiger Zeit zur Auswahl und Einschätzung hat. Zu beachten ist also, dass der Verteidiger keine ungewissen Mittel wählen muss, um dem Erforderlichkeitsmaßstab zu entsprechen.

Merke

Steht etwa obrigkeitliche Hilfe (Polizei) unmittelbar zur Verfügung, muss diese in Anspruch genommen werden. Flucht ist aber nie ein milderes Mittel: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!

aa) Sonderfall: Tödlich wirkende Waffen

Im Rahmen der Prüfung des relativ mildesten Mittels werden jedoch an den Einsatz von tödlich wirkenden Waffen besondere Anforderungen gestellt. Nutzt der Verteidiger eine tödlich wirkende Waffe, um sich des Angriffs zu erwehren, darf er die Waffe nicht einfach mit tödlicher Wirkung anwenden, vielmehr muss die Drei-Stufen-Theorie beachtet werden.

Vernetztes Lernen

Eine Drei-Stufen-Theorie des BGH gibt es auch beim Angriff offensichtlich Schuldloser und bei der Notwehrprovokation im Rahmen der Gebotenheit! Diese ist aber nicht mit der im Folgenden aufgezeigten Drei-Stufen-Theorie zu verwechseln!

Problem

Die Drei-Stufen-Theorie bei tödlich wirkenden Waffen

  1. Stufe: Androhung Insofern keine besondere Eigengefährdung durch eine Androhung des Einsatzes der Waffe zu befürchten ist (etwa Verlust der Waffe), muss der geplante Einsatz klar und verständlich artikuliert werden.

  2. Stufe: Kampfunfähigkeit Sollte eine Androhung erforderlich sein, ist auf der zweiten Stufe ein Einsatz der Waffe lediglich erlaubt, um den Angreifer kampfunfähig zu machen (z. B. Schuss ins Bein).

  3. Stufe: Tötung Erst im letzten Schritt darf die Waffe zur gezielten Tötung des Angreifers angewendet werden.

Der Verteidiger muss grundsätzlich immer zunächst die 1. Stufe wählen, sodann die 2. und erst zuletzt die 3. Stufe, wenn (…)

bb) Rückausnahme

Die Drei-Stufen-Theorie bei tödlichen wirkenden Waffen ist natürlich nicht ausnahmslos zu beachten. Auch hier gilt der Grundsatz, dass der Verteidiger keine ungewissen Mittel wählen braucht und ihm Zeit zur Einschätzung bleiben muss.

Beispiel

Nicht angewendet werden muss die Drei-Stufen-Theorie zum Beispiel, wenn:

  • der Angreifer in unmittelbar erreichbarer Nähe des Verteidigers ist und ein Verlust der Waffe durch körperliche Überlegenheit des Angreifers droht,

  • der Angreifer in unmittelbar erreichbarer Nähe des Verteidigers ist und der Angreifer aber seinerseits eine tödlich wirkende Waffe (Messer oder andere gefährliche Werkzeuge) in den Händen hält,

  • der Angreifer zwar nur in mittelbarer Nähe des Verteidigers ist, der Angreifer aber seinerseits eine Schusswaffe auf den Verteidiger richten will.

3. Gebotenheit

Definition

Gebotenheit liegt vor, wenn der Verteidiger nicht rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er nämlich die normativen und sozialethischen Grenzen des Notwehrrechts nicht überschreitet.

Die Gebotenheit beinhaltet die meisten problematischen Fallgruppen und stellt daher regelmäßig den Schwerpunkt der Notwehrprüfung dar. Hier sind Besonderheiten zu berücksichtigen, die eine Einschränkung des Notwehrrechts bedeuten. Allerdings gilt auch hier, dass eine genaue Güterabwägung dem Verteidiger nicht aufgebürdet werden kann und daher nicht erfolgen muss.

Merke

Die folgenden Fallgruppen kannst du dir mit einer Eselsbrücke gut merken: “Kebap”

K rasses Missverhältnis

E nge persönliche Beziehung

B agatellangriffe

A ngriff offensichtlich schuldloser

P rovokation

Vernetztes Lernen

Scheitert die Prüfung an der Gebotenheit, überschreitet der Täter also die Grenzen der Verteidigung, könnte ein Notwehrexzess vorliegen, zu dem du hier mehr nachlesen kannst.

a) Krasses Missverhältnis

Bei einem krassen Missverhältnis von angegriffenem Rechtsgut und verteidigtem Rechtsgut ist die Verteidigungshandlung nicht geboten.

Beispiel

A wirft bei einem Straßenfest dem Musiker M absichtlich einen Plastikbecher mit Rotwein ins Gesicht, um ihn zu ärgern, wodurch das T-Shirt des M dauerhafte Flecken aufweist und M schmerzhaftes Brennen in den Augen verspürt. A füllt daraufhin einen weiteren Becher, um seine Tat zu wiederholen. M, der sich gedemütigt fühlt, greift zu einem Mikrofonständer, um den A von der Bühne aus zu erreichen und den Angriff noch abwehren zu können. M schlägt A damit nieder, wodurch A lebensgefährlich verletzt wird.

In diesem Fall war der Angriff des A noch nicht beendet, da seine Vorgehensweise eine anhaltende Rechtsgutsgefährdung befürchten ließ, somit lag ein rechtswidriger Angriff vor. Die Prüfung ist auch nicht durch die fehlende Androhung im Rahmen der Erforderlichkeit beendet, weil es sich beim Ständer nicht um eine typischerweise tödlich wirkende Waffe handelt. Die Erforderlichkeit scheitert auch nicht an der Prüfung des relativ mildesten Mittels, weil M den A nur durch den Einsatz des Ständers von der Bühne aus zeitnah erreichen konnte. Allerdings steht hier dem geringwertigen Eigentum am T-Shirt und der geringfügigen körperlichen Misshandlung des M, die körperliche Unversehrtheit und das Leben des A entgegen. Die Verteidigungshandlung des M war nicht geboten.

Beispiel

Etwas fernab der Examensrealität ist hier des Verständnisses halber noch der Studiumsklassiker anzusprechen:

Der gelähmte und im Rollstuhl sitzende Bauer B schießt nach Androhung mit einer Schrotflinte auf den von seinem Apfelbaum Äpfel stehlenden Nachbarsjungen N, weil ihm keine anderen Mittel zur Verfügung stehen.

b) Enge persönliche Beziehung

Die Gebotenheit des Notwehrrechts kann außerdem entfallen, wenn eine enge persönliche Beziehung der Beteiligten vorliegt. Hier geht es vor allem um familiäre Beziehungen, die eine Beschützergarantenpflicht begründen (etwa zwischen Ehepartnern, Eltern und Kindern, Geschwistern).

  • Ist die familiäre Beziehung zerrüttet, kommt eine Einschränkung des Notwehrrechts in jedem Fall nicht in Betracht.

  • Unterschiedlich beurteilt wird jedoch, ob bei einer intakten familiären Nähebeziehung eine Einschränkung des Rechtsbewährungsprinzips und damit des Notwehrrechts erfolgen muss, wenn ein Angriff vorliegt.

Problem

Einschränkung der Notwehr bei intakter familiärer Nähebeziehung

  • Eine Ansicht geht davon aus, dass das Rechtsbewährungsprinzip nicht eingeschränkt werden muss, da die mit der Beschützergarantenstellung einhergehende Garantenpflicht zur Rücksichtnahme mit dem rechtswidrigen Angriff des Familienmitglieds endet. Somit kann eine Notwehrhandlung geboten sein.

  • Eine andere Meinung vertritt die Ansicht, dass auch bei einem rechtswidrigen Angriff eines Familienmitglieds, zu dem eine intakte familiäre Nähebeziehung besteht, das Notwehrrecht eingeschränkt, aber keinesfalls ausgeschlossen werden muss. Zumindest bei weniger schweren Rechtsgutsgefährdungen endet die Rücksichtnahmepflicht nicht zwingend und eine Verteidigungshandlung kann als Notwehr geboten sein.

  • Die erste Ansicht vertritt eine Position, die zu Extremlösungen neigt. Wenn die Rücksichtnahmepflicht des Familienmitglieds bei jedem Angriff sofort endet, wird der besonderen Rolle der Familie und den mit ihr zwingend verbundenen Streitigkeiten nicht genug Bedeutung zugemessen. Die zweite Ansicht hingegen lässt einen gewissen Raum für eine Abwägung.

Beispiel

Der 16-jährige Sohn S schlägt seinem körperlich überlegenen Vater V während eines Streits mit verbaler Attacke seitens des V mit der Hand ins Gesicht. V reagiert umgehend, bevor S erneut ausholen kann und schlägt S seinerseits mit voller Wucht mit der Hand ins Gesicht. S wird ohnmächtig und erleidet eine schwere Gehirnerschütterung.

Nach der ersten Meinung endete die Rücksichtnahmepflicht des V mit dem Schlag des S umgehend, somit wäre die Tat des V durch Notwehr gerechtfertigt. Nach der vorzugswürdigen zweiten Ansicht endete die Rücksichtnahmepflicht des V auch durch den Schlag nicht und ihm wäre in Kenntnis der körperlichen Unterlegenheit des S ein Ausweichen oder ein Festhalten des S durchaus zumutbar gewesen.

c) Bagatellangriffe

Bagatellangriffe führen regelmäßig zu einer Einschränkung des Notwehrrechts. In Abgrenzung zum krassen Missverhältnis handelt es sich um einen Angriff, der so geringfügig oder belanglos ist, dass eine Notwehrhandlung nicht mehr als geboten angesehen wird, die die Schwelle zur Körperverletzung überschreitet. Es handelt sich also um Lappalien oder Belästigungen, die keinen ernsthaften Schaden hervorrufen können.

Beispiel

Stadtfestbesucher A tritt dem B im Gedränge der Menschenmasse mehrfach auf den Fuß. B schreit den A an, dass er gefälligst aufpassen solle. Dennoch passiert es im Gedränge erneut. B dreht sich um und gibt dem A eine ordentliche Schelle.

Hier ist die Körperverletzung durch die Ohrfeige als Verteidigungshandlung nicht mehr geboten.

Klausurtipp

Häufig lassen sich die Fallgruppen “Bagatellangriffe” und “Krasses Missverhältnis” nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Es genügt, wenn du die Fallgruppen darstellst und die Gebotenheit an einer der Fallgruppen scheitern lässt. Achte lediglich darauf, dir keine gewichtigen Probleme abzuschneiden.

d) Angriff offensichtlich Schuldloser

Die am ehesten ins Auge fallende Einschränkung der Gebotenheit ist der Angriff offensichtlich Schuldloser. Hier ist das Rechtsbewährungsprinzip ebenfalls eingeschränkt. Hier ist die Drei-Stufen-Theorie des BGH anzuwenden. Sie ist aber nicht zu verwechseln mit der Drei-Stufen-Theorie beim Einsatz tödlich wirkender Waffen.

Problem

Drei-Stufen-Theorie bei Angriff offensichtlich Schuldloser

  1. Stufe: Ausweichen Der Verteidigende muss versuchen, der Gefahr durch Ausweichen oder Rückzug zu entgehen.

  2. Stufe: Schutzwehr Der Verteidigende darf Schutzmaßnahmen ergreifen, wie Blocken oder sich defensiv zur Wehr setzen, um den Angriff abzuwehren.

  3. Stufe: Trutzwehr Erst wenn die ersten beiden Maßnahmen nicht möglich oder unzureichend sind, darf der Verteidigende angreifen, um den Angriff abzuwehren.

Offensichtlich schuldlos handeln insbesondere:

  • Kinder,

  • Geisteskranke,

  • Betrunkene,

  • sich in einem Notwehrexzess oder Notstand Befindende,

  • sich offensichtlich Irrende.

Klausurtipp

Die Offensichtlichkeit muss stets begründet werden und wird im Sachverhalt klar erkennbar sein, wenn sie anzunehmen ist.

e) Provokation

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Fallgruppe der Provokation. Gemeint sind Verhaltensweisen des Angegriffenen, die den Eintritt der Notwehrlage oder eine eintretende Eskalation erst herausgefordert haben. Zu unterscheiden sind:

  • Notwehrprovokation,

  • Absichtsprovokation,

  • Abwehrprovokation.

aa) Notwehrprovokation

Definition

Eine Notwehrprovokation meint ein Vorverhalten, das den Eintritt der Notwehrlage zwar schuldhaft, aber nicht absichtlich mitverursacht. Das Vorverhalten muss sich auf den folglich späteren Angriff beziehen und in räumlich-zeitlichem Zusammenhang stehen.

Liegt ein Fall der Notwehrprovokation vor, wird das Notwehrrecht ebenfalls durch die Drei-Stufen-Theorie des BGH eingeschränkt. An die Verteidigungshandlung des Angegriffenen werden abermals erhöhte Anforderungen gestellt, damit eine Gebotenheit bejaht werden kann.

Problem

Drei-Stufen-Theorie bei Notwehrprovokation

  1. Stufe: Ausweichen Der Provokateur muss versuchen, der Gefahr durch Ausweichen oder Rückzug zu entgehen.

  2. Stufe: Schutzwehr Der Provokateur darf Schutzmaßnahmen ergreifen, z. B. abblocken oder sich defensiv zur Wehr setzen, um den Angriff abzuwehren.

  3. Stufe: Trutzwehr Erst wenn die ersten beiden Maßnahmen nicht möglich oder unzureichend sind, darf der Provokateur seinerseits angreifen, um den Angriff abzuwehren.

Unterschiedlich beurteilt wird, welche Qualität das Vorverhalten haben muss, um die Drei-Stufen-Theorie anzuwenden und damit eine Einschränkung des Notwehrrechts zu bejahen.

Problem

Qualität der Notwehrprovokation

  • Die herrschende Lehre geht davon aus, dass das Vorverhalten den Boden des Rechts verlassen muss (Beleidigung, Körperverletzung, etc.). Nur dann sei eine Einschränkung des Rechts auf Notwehr vertretbar.

  • Die Rechtsprechung hingegen sieht bereits jedes sozial-ethisch (auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle) vorwerfbare Verhalten als ausreichend an.

Beispiel

A und B, einst Freunde, geraten in ihrem Lieblingsclub aneinander, nachdem B die Freundin von A ausgespannt hat. Um A zu provozieren, sagt B:

„Du hast nicht so viele Muskeln wie ich, deshalb hat sich deine Freundin auch mir um den Hals geworfen!“

B weiß, dass A emotional aufgebracht ist, und nimmt billigend in Kauf, dass A zum Schlag ausholt. Als A dies tut, schlägt der körperlich überlegene B mit voller Wucht zurück, obwohl er problemlos hätte ausweichen oder den Schlag blocken können.

  • Nach der herrschenden Lehre:

    Die Notwehrhandlung des B wäre geboten, da sein Verhalten den Boden des Rechts nicht verlassen hat. Die Äußerung ist zwar provokativ, jedoch wahrheitsgemäß und nicht rechtswidrig.

  • Nach der Rechtsprechung:

    Das Verhalten von B ist sozial-ethisch vorwerfbar und schränkt daher sein Notwehrrecht ein. B hätte nach der Drei-Stufen-Theorie zunächst ausweichen oder den Angriff abwehren müssen. Seine Notwehrhandlung war nicht mehr geboten.

bb) Absichtsprovokation

Die Absichtsprovokation ist eine Steigerung der Notwehrprovokation, bezieht sich also auch auf den Eintritt der Notwehrlage.

Definition

Die Absichtsprovokation beschreibt ein Vorverhalten, das den Eintritt der Notwehrlage absichtlich mitverursacht und in räumlich-zeitlichen Zusammenhang besteht.

Liegt ein Fall der Absichtsprovokation vor, entfällt nach der herrschenden Meinung die Gebotenheit, wenn die Angriffshandlung im Wesentlichen so ausfällt, wie vom Verteidiger vorausgesehen. Dabei genügt jedes sozial-ethisch vorwerfbare Verhalten. Wer die Notwehrlage absichtlich hervorrufen will, verzichtet auf seinen Rechtsgüterschutz und willigt in die Rechtsgutsverletzung ein. Andere argumentieren auch, es liege eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder keine Verteidigungshandlung vor, weil es sich in Wahrheit um eine verkappte Angriffshandlung handelt. In jedem Fall jedoch entfällt die Gebotenheit.

Beispiel

Im obigen Beispiel der Notwehrprovokation kommt es dem B mit seiner Aussage gerade darauf an, dass der A zuschlägt, damit er ihm eine Abreibung verpassen kann.

In diesem Fall würde auch das Einhalten der Drei-Stufen-Theorie nicht zu einer Gebotenheit der Verteidigungshandlung führen, weil B mit Absicht handelte und hierdurch entweder in die Körperverletzung durch A einwilligte, er sich selbst gefährdete oder in Wahrheit ein Angriff und keine Verteidigung durch den Gegenschlag vorliegt.

cc) Abwehrprovokation

Die Abwehrprovokation bezieht sich im Gegensatz zur Notwehr- und Absichtsprovokation nicht auf den Eintritt der Notwehrlage (Angriff) als solchen, sondern auf die sich anschließende Verteidigungshandlung durch den Angegriffenen.

Definition

Die Abwehrprovokation meint das absichtliche Sich-Überrüsten in Kenntnis der späteren Notwehrlage, sodass der Sich-Überrüstende nur deshalb Zugriff auf ein lebensgefährliches Verteidigungsmittel hat.

Umstritten ist, wie die Absichtsprovokation zu beurteilen ist und ob auch sie zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führt.

Problem

Einschränkung des Notwehrrechts bei Abwehrprovokation

  • Eine Ansicht will das Notwehrrecht im Falle eines absichtlichen Sich-Überrüstens parallel zur Absichtsprovokation entfallen lassen. Wer in Kenntnis einer später eintretenden Notwehrlage eine lebensgefährliche eskalative Situation befeuert, indem er sich überrüstet, darf sich nicht auf das volle Notwehrrecht verlassen.

  • Eine andere Ansicht will auch bei einem absichtlichen Sich-Überrüsten das Notwehrrecht nicht einschränken. Der Sich-Überrüstende verlässt den Boden des Rechts durch die bloße Überrüstung nicht.

  • Es ist der zweiten Ansicht zu folgen. Derjenige, der sich absichtlich überrüstet, aber kein sozial-ethisch vorwerfbares Verhalten vorweist, trägt nicht zur später eintretenden Notwehrlage bei.

Beispiel

Der S gerät in seiner Stammkneipe mit dem ihm körperlich weit überlegenen Boxer B in Streit. B droht dem S, er werde ihn mächtig zusammenschlagen, wenn er ihn heute noch einmal in der Nähe der Kneipe antreffe. S läuft kurzerhand zu sich nach Hause und rüstet sich mit einer Pistole aus, um dem B im Zweifel zu zeigen, wer wen zu fürchten hat. Sodann begibt er sich wieder zur Kneipe. Als der B den S erblickt, rennt dieser direkt auf ihn zu und holt zum Schlag aus. S bleibt keine Zeit mehr zum Androhen und schießt dem B in die Schulter, sodass er kampfunfähig zusammenbricht. B erleidet schwere Verletzungen.

  • Nach der ersten Ansicht wäre der Schuss des S keine gebotene Notwehrhandlung, da er die potentiell lebensgefährliche Situation durch sein Überrüsten eskaliert.

  • Nach der anderen Ansicht liegt eine gebotene Notwehrhandlung vor. Es liegt kein sozial-ethisch verwertbares Verhalten darin, dass der S seine Stammkneipe aufsucht.

V. Notwehrwille

Den Abschluss der Notwehrprüfung stellt der Notwehrwille als subjektives Rechtfertigungselement dar. Problematisch und umstritten ist jedoch, welche Qualität der Notwehrwille aufweisen muss.

Problem

Qualität des Notwehrwillens

  • Die herrschende Literatur setzt lediglich voraus, dass der Notwehr-Übende in sicherer Kenntnis der Notwehrlage handelt.

  • Die Rechtsprechung hingegen setzt eine Verteidigungsabsicht voraus. Der Notwehr-Übende muss also handeln, um sich des Angriffs zu erwehren. Es muss ihm also gerade auf die Abwehr des Angriffs ankommen.

Je nachdem, wie man diesen Streit entscheidet, kann es zu Folgeproblematiken kommen. Handelt der Notwehr-Übende ohne Verteidigungsabsicht, entscheidet man sich aber für die Ansicht der Rechtsprechung, fehlt dem Angegriffenen folglich das subjektive Rechtfertigungselement. In der Folge ist dann der Streit zu führen, welche Konsequenz aus dem fehlenden subjektiven Rechtfertigungselement (= Verteidigungsabsicht) zu ziehen ist.

1. Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements

Im Rahmen der Frage, wie das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements zu bewerten ist, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Prüfung haben. Hier sollte sich sorgfältig entschieden werden. Der Meinungsstreit zeigt Parallelen zum Streit um die Frage, wann eine Rechtswidrigkeit des Angriffs zu bejahen ist (siehe oben).

Problem

Rechtsfolge bei fehlendem subjektivem Rechtfertigungselement

  • Eine Mindermeinung argumentiert, dass subjektive und objektive Rechtfertigungselemente gleichwertig seien. Fehlt ein Rechtfertigungselement, scheitere die Rechtfertigung und der Täter sei aus vollendetem Delikt zu bestrafen.

  • Die herrschende Meinung hingegen differenziert zwischen Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht.

    • Fehlen ein objektives Rechtfertigungselement, stehe der Taterfolg der Verteidigungshandlung im objektiven Widerspruch zur Rechtsordnung (Erfolgsunrecht), sodass die Rechtfertigungsprüfung scheitere und aus vollendetem Delikt zu bestrafen sei.

    • Fehlen hingegen ein subjektives Rechtfertigungselement, stehe der Taterfolg im Einklang mit der Rechtsordnung, lediglich die Verteidigungshandlung sei dem Notwehr-Übenden vorwerfbar (Handlungsunrecht). Bei einer Vorsatztat müsse dann wegen Versuchs bestraft werden.

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